Mit „Kyrgyz on Mars“ und „Sasyq“ waren im Programm des 35. Filmfestivals Cottbus zwei zentralasiatische Science-Fiction-Komödien vertreten, die es verstehen, Humor mit subtiler Gesellschaftskritik zu verbinden.
Am 9. November ist das 35. Filmfestival Cottbus zu Ende gegangen. Auch wenn dieses Jahr kein Film aus Zentralasien im Wettbewerb vertreten war, fanden Filme aus der Region den Weg ins Programm. Zwei davon weisen mehrere Parallelen auf: „Kyrgyz on Mars“ von Nurlanbek Kamchybekov und „Sasyq“ von Yerden Telemissov sind Regiedebüts. Und beide Filme verbinden – jeweils mit ihrem eigenen Humor – die Probleme des irdischen Daseins mit den Weiten des Alls.
Kirgisen auf dem Mars
Schockstarre bei der NASA: Ein riesiger Meteoroid steuert auf die Erde zu und droht das Leben auf ihr zu zerstören. Das prognostizierte Einschlagsgebiet: Zentralasien. Genau hier lebt und arbeitet Jyldysbek, Hobbyastronom und Lehrer an der örtlichen Schule eines kirgisischen Provinznests. Auch Jyldyzbek hat die Bedrohung für den Planeten erkannt und so steht er unter enormen Druck: Der Start seiner Rakete muss klappen!
Jene Rakete, die er in der Scheune seines Vaters gebaut hat, macht Jyldyzbek gleichermaßen zum Gespött und Ärgernis der anderen Dorfbewohner:innen. Durch seine immer wieder scheiternden Startversuche provoziert er regelmäßig Stromausfälle und sabotiert so die ständigen Hochzeitsfeiern. Am liebsten würde man ihn ins Irrenhaus stecken, vorerst verliert er seinen Job.
Lediglich sein Vater, seine zwei Kumpels, die mit ihm an der Rakete bauen, und die schöne Aidai glauben an ihn. Letztere würde er am liebsten heiraten, selbst seine Rakete hat er nach der unerreichbaren Geliebten benannt. Doch Aidais Vater, der Bürgermeister des Orts, denkt nicht im Geringsten daran, einer Hochzeit mit Jyldyzbek zuzustimmen. Vielmehr versucht er immer wieder, seine Tochter an die Söhne höhergestellter Persönlichkeiten, wie etwa dem Bezirksstaatsanwalt, zu verheiraten.
Als eine besonders wichtige Hochzeit ansteht, wird Jyldyzbek sogar der Strom gekappt. Doch angesichts der Bedrohung durch den Meteoriten kann er nicht länger warten. Mit unlauteren Methoden wird die Energieversorgung wiederhergestellt und gemeinsam mit seinem Freund, der gerade einem Ehestreit entflieht, wird ein letzter Startversuch unternommen.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Sowohl die Dorfbewohner:innen als auch die NASA staunen nicht schlecht, als die Rakete abhebt und Richtung Mars fliegt. Während sie auf der Erde Heldenstatus erlangen und der Bürgermeister stolz in den Medien betont, dass Jyldyzbek sein „zukünftiger Schwiegersohn“ sei, landen die beiden Kosmonauten auf dem roten Planeten, auf dem es sogar Luft zum Atmen und eine ausgezeichnete Internetverbindung gibt.
Ihre Freundschaft wird jedoch auf eine harte Probe gestellt, als Jyldyzbek von dem Meteoriten erzählt, dem er sich mit seinem Weltraumflug entgegenstellen will. Handfester Streit zwischen den beiden lässt die Rettungsmission beinahe scheitern, doch letzten Endes rappeln sich die beiden zusammen und entscheiden sich zu einem letzten Rettungsversuch durch eine Kamikaze-Aktion.
E.T. auf Kasachisch
In „Sasyq“ ist es hingegen ein Außerirdischer, der auf die Erde kommt. Nach dem Absturz seines Raumschiffs landet er quasi in den Armen von Sasyq („Stinker“). Sasyq, der eigentlich Sadyk Ospanovich heißt, aber von allen nur mit diesem despektierlichen Beinamen angeredet wird, war einst Professor an der Universität. Nachdem seine Frau an Covid gestorben war, begann er das Trinken. Ein paar Jahre später hat er diverse Selbstmordversuche hinter sich und lebt obdachlos entlang einer Schnellstraße im Umland von Almaty.
Niemand glaubt dem Trinker Sasyq, dass sich ein Außerirdischer in den Tiefen des Plumpsklos versteckt, das sich auf einem Parkplatz an jener Schellstraße befindet: Weder Nadia, die hier mit ihrer Enkelin Amina lebt und einen kleinen Straßenkiosk betreibt, noch der örtliche Polizist, ein ausgemachter Trottel, der im Übrigen glaubt, dass die Erde eine Scheibe sei. Auch das havarierte Raumschiff hat sich selbst aufgelöst. Und so nimmt sich Sasyq allein des Außerirdischen an und versucht jenes Metall zu finden, mit dem sich dessen zerstörtes Radio reparieren lässt, um Hilfe zu holen.
Doch ein anderes Problem rollt heran: die Wagenkolonne des Präsidenten. Zwar dauert es noch ein paar Tage, bis der Präsident tatsächlich über die Schnellstraße donnern wird, aber das Ereignis wirft seine Schatten voraus. Keinesfalls soll das Staatsoberhaupt Nadias schäbigen Kiosk oder gar den umherstreunenden Trinker zu Gesicht bekommen. Und so droht der Bürgermeister, der wegen Korruption hierher strafversetzt wurde, Nadias Kiosk zu zerstören, sollte sie ihn nicht umgehend renovieren. Sasyq soll einfach verschwinden.
Neben diesem gemeinsamen Feind ist es vor allem ein Unfall, der zur Annäherung von Nadia und Sadyk Ospanovich (wie sie ihn nun auch nennt) führt: Enkelin Amina stürzt in das Plumpsklo und wird von dem Außerirdischen gerettet. Da Nadia glaubt, dass Sadyk Ospanovich der Retter war, lässt sie ihn duschen und überlässt ihm saubere Kleidung ihres Ex-Manns. Darüber hinaus lädt sie ihn zum Abendessen ein. Am Ende des Abends zeigen Amina und Sadyk Ospanovich ihr ihren „neuen Freund“.
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Gemeinsam werden die drei für sich selbst und auch für den Außerirdischen zu einer Familie, die jener niemals hatte. Trotz aller Gegensätze werden der sanftmütige Sadyk Ospanovich und die resolute Nadia zu einem effizienten Team – sowohl bei der Renovierung des Kiosks als auch bei der Rettung des Außerirdischen. Hierbei zeigt sich noch einmal deutlich, dass „Nadia“ (Kurzform von Nadeschda, russisch für „Hoffnung“) hier ein sprechender Name ist. Sie ist es, die Sadyk Ospanovich zurück ins Leben holt und auch der Rettung des Außerirdischen neuen Auftrieb gibt. Dass ihr Kiosk „Ümit“ (kasachisch für „Hoffnung“) heißt, rundet dies noch ab.
Mit „Sasyq“ schafft Yerden Telemissov, der in Kasachstan eigentlich als Schauspieler bekannt ist, eine kasachstanische Version von E.T., auch wenn sein kegelköpfiger und gelbäugiger Außerirdischer weniger niedlich als der Held aus Steven Spielbergs Klassiker ist. Dabei ist eine Mischung aus Science-Fiction und Familien-(Tragi)komödie entstanden, wobei es diese Genre-Losigkeit ist, die neben einigen nicht zu leugnenden logischen Fehlern vom Kritiker Dmitri Mostovoi auf Kursiv bemängelt wird. Trotzdem ist „Sasyq“ ein vielschichtiger und sehenswerter Film – eine „Art Röntgenbild des Lebens in Kasachstan“ (Mostovoi).
Mehr als nur Unterhaltung
Mit „Kyrgyz on Mars“ und „Sasyq“ sind zwei teilweise absurde Komödien entstanden, die weit mehr sind als nur Unterhaltung. Denn beide Filme vermögen es, trotz ihres im wahrsten Sinne des Wortes weltfremden Plots, sehr irdische Probleme teils subtil zu beleuchten.
Die Geschichten finden vor dem Hintergrund bescheidener Lebensverhältnisse statt: seien es die Stromengpässe in „Kyrgyz on Mars“ oder das harte Leben von Nadia und Sadyk Ospanovich sowie die leidlichen Plumpsklos, die jede:r Kasachstaner:in von Überlandfahrten kennt, in „Sasyq“.
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Darüber hinaus hält „Kyrgyz on Mars“ mit seinem Erzählstrang um die Verheiratung von Aidai der kirgisischen Gesellschaft mit ihren patriarchalen Strukturen den Spiegel vor. Eher beiläufig erscheint dazu im Vergleich, dass auch Nadia in „Sasyq“ jahrelang der häuslichen Gewalt ihres Ex-Mannes ausgesetzt war.
Die Vertreter der lokalen Politik kommen darüber hinaus in beiden Filmen schlecht weg. Aidais Vater zeigt sich nicht nur bei der Verheiratung seiner Tochter als Wendehals. In seiner Rolle als Bürgermeister fährt er mit einer Entourage aus Gewalttätern, die jedem drohen, der sich in den Weg stellt, in einem Mittelklassewagen durch das Dorf und erscheint dabei als ein recht schlicht gebliebener Wichtigtuer.

Die Figur des Bürgermeisters in „Sasyq“ setzt dem einen drauf und porträtiert einen korrupten und frauenverachtenden Machtmenschen im feinen Anzug. Seine Exzentrik sowie die bis ins Lächerliche gehende Ausstattung seines steril gehaltenen Büros runden das Bild des geborenen Antagonisten ab – „die absolute Konzentration all dessen, was der Durchschnittsbürger an korrupten, überfütterten und realitätsfernen Machthabern hasst“ (Mostovoi).
Allerdings macht „Sasyq“ in seiner Kritik an Staatsvertretern nicht beim Bürgermeister halt. Der Polizist ist ein absoluter Volltrottel, der sich komplett in der Hand des Bürgermeisters befindet. Darüber hinaus ist er nur bei der Polizei, weil seine Mama ihm gesagt habe, dass ihm eine Uniform besser stehen würde. Seinen Polizeistern, den er voller Stolz trägt, verliert er ständig. Und dass eine durchrauschende Wagenkolonne des Präsidenten scheinbar jeden Eingriff in das Leben der einfachen Bürger:innen rechtfertig, setzt dem noch einen drauf.
Mit Witz und Charme
Die Idee, sich der Science-Fiction zu bedienen, um Kritik an der realen Welt darin zu verpacken, ist dabei im (post)sowjetischen Kino nicht neu. Erinnert sei hier an Georgi Danelijas Weltraum-Satire Kin-Dsa-Dsa! aus dem Jahr 1986, die zu einem wahren Kultfilm avancierte. In Zentralasien sticht insbesondere Abdullajon aus dem Jahr 1991 hervor, in dem der gleichnamige Außerirdische ein usbekisches Dorf aufmischt.
Auch „Kyrgyz on Mars“ und „Sasyq“ leben von der Verquickung von Science-Fiction und Humor, wobei dieser aber trotz aller Gemeinsamkeiten unterschiedlich funktioniert. Abgesehen von einem derben Fäkal-Humor in einigen Szenen um das Plumpsklo, den unter anderem Jankeldy Omiraliev in einer Rezension für Orda kritisiert, ist der Humor in „Sasyq“ meist subtil und erfolgt über das hervorragende Spiel aller beteiligten Darstellenden.
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Der Humor in „Kyrgyz on Mars“ liegt wiederum mehr in den Dialogen begründet, kommt aber phasenweise auch etwas platt daher. Ein Teil der Witze richtet sich direkt an das lokale Publikum, etwa wenn die beiden Kosmonauten sich nach der Landung auf dem Mars an den in Kirgistan bekannten Märchen-Canyon am Yssykköl erinnert fühlen (dem tatsächlichen Drehort).
Alles in allem sind aber zwei absolut sehenswerte Science-Fiction-Komödien entstanden, die einen guten Einblick gewähren, was die zentralasiatischen Gesellschaften heute bewegt. Sich dabei irrationaler Geschichten in Kombination mit einer gehörigen Portion Humor zu bedienen, tut auch vor einem internationalen Publikum dem Verständnis keinen Abbruch. Die Festival-Besucher:innen in Cottbus haben sich jedenfalls bestens amüsiert.
Robin Roth für Novastan
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Ab ins All: Sci-Fi-Komödien aus Zentralasien beim Filmfestival Cottbus