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„Sustxotin“ – eine Geschichte von Macht und Machlosigkeit

Mit „(The Song) Sustxotin“ ist der usbekischen Regisseurin Husnora Rozmatova ein vielschichtiger Film gelungen, der mit einfühlsamem Blick Problemlagen der usbekischen Gesellschaft beleuchtet. Der Film feierte am 25. April im Rahmen des 25. goEast-Festivals Europa-Premiere.

Robin Roth 

Szene aus "(The Song) Sustxotin" (Bild bereitsgestellt vom goEast-Filmfetival)

Mit „(The Song) Sustxotin“ ist der usbekischen Regisseurin Husnora Rozmatova ein vielschichtiger Film gelungen, der mit einfühlsamem Blick Problemlagen der usbekischen Gesellschaft beleuchtet. Der Film feierte am 25. April im Rahmen des 25. goEast-Festivals Europa-Premiere.

Es ist ein bemerkenswertes Debüt einer neuen Stimme aus Usbekistan: Am 25. April feierte Husnora Rozmatovas Drama „Sustxotin“ (im internationalen Vertrieb als „The Song Sustxotin“) im Rahmen der 25. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films Europa-Premiere. Der Film führt uns in ein abgelegenes Dorf in der im Süden Usbekistans gelegenen Provinz Surxondaryo, wo eine erbarmungslose Dürre herrscht.

Doch dies ist nicht das einzige Problem in einem verwobenen Netz aus Lügen und Korruption, auf das die Regisseurin ein Schlaglicht richtet. Dies tut sie in derart überzeugender Weise, dass „Sustxotin“ während des goEast-Festivals gleich zweimal ausgezeichnet wurde.

Roadtrip zu sich selbst

Mit dem Titel „Sustxotin“ bezieht sich Rozmatova auf das gleichnamige, alte usbekische Lied. Darin opfert ein Dorf eine junge Frau, um Regen herbeizubitten. Und so zieht auch zu Beginn des Films eine Gruppe von Dorfbewohner:innen das Lied singend durch das dürregeplagte Land, um gemäß der Tradition die Puppe eben jener jungen Frau zu „opfern“.

In diese Welt bricht Ahbor herein, der am Vortag von seinem Abgeordnetenmandat im fernen Taschkent zurückgetreten ist, und nun hierherkommt, um einem Hilferuf seines alten Freundes Usmon zu folgen. Usmon ist eigentlich ein bekannter Journalist, doch hier, in seinem Heimattal, scheint niemand ihn zu kennen.

Immer tiefer schraubt sich Ahbor auf der Suche nach Usmon voran und macht dabei seltsame Begegnungen mit einem Mann, der einen Hahn opfern möchte, einem scheinbar verrückt gewordenen Afghanistan-Veteranen, der einen Blockposten vor dem von hieran beginnenden „Kriegsgebiet“ errichtet hat, und mit einem Mann und seiner Mutter, für die er eine Sauerstoffflasche trägt. Wie in einem Roadtrip sehen wir durch die Frontscheibe und Rückspiegel von Ahbors Wagen, wie er sich in diese ihm völlig unbekannte Welt vorwagt: seinen Wahlkreis.

Opfer und Selbstopferung

Über Umwege kann Ahbor seinen Freund in einer Zelle der örtlichen Polizeistation ausfindig machen und – da sein Rücktritt als Abgeordneter sich noch nicht bis hierhin herumgesprochen hat – seine Freilassung erwirken. Usmon, als Journalist ausgebootet und nun als Lehrer an der Dorfschule tätig, hatte einen Artikel über die Vergewaltigung der 16-jährigen Hojar geschrieben. Doch der Täter ist einflussreich. Er drängt das Mädchen, die Aussage zu widerrufen, und Usmon wird wegen Verleumdung festgenommen.

Ahbor versucht, die Ehre seines Freundes und des Mädchens wieder herzustellen, stößt dabei aber immer wieder an die Grenzen eines Systems, das er über Jahre selbst mitgestaltet hat. Als die Nachricht von seinem Rücktritt das Dorf erreicht und Ahbor somit wieder zu einem Niemand wird, wird Usmon erneut verhaftet. Ahbor droht endgültig zu scheitern.

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Es ist die Großmutter des Vergewaltigungsopfers, die die Wende bringt. Ahbor hatte sie bereits bei seiner Anreise kennengelernt, als er sie und ihren Sohn, Hojars Vater, ein Stück in seinem Wagen mitgenommen hatte. Die Sauerstoffflasche, die sie zum Überleben braucht, war Teil des Schweigegeldes, das die Familie erhielt.

Doch die alte Frau plagen Gewissensbisse gegenüber der Enkelin und Usmon. Ahbor kann sie überzeugen, im Prozess gegen Usmon die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wohl wissend, dass sie der damit einhergehende Verlust des Sauerstoffs ihr das Leben kosten wird, opfert sie sich selbst. Ein symbolträchtiges Opfer – während sie zu Grabe getragen wird, setzt der lang erwartete Regen ein.

Vielschichtige Kritik

Mit „Sustxotin“ gelingt es Husnora Rozmatova, einen einfühlsamen Blick auf die usbekische Landbevölkerung zu werfen und dabei verschiedene Probleme in einer vielschichtigen Kritik zu verweben. Vor dem Hintergrund von menschenverursachter Dürre und damit einhergehender Armut, stellt sie insbesondere den schwer zu durchbrechenden Kreislauf von Gewalt gegen Frauen in den Fokus. Hojar wird dabei doppelt zum Opfer – erst durch die Vergewaltigung und erneut, als sie vom eigenen Vater weggesperrt und ihre Ehre verkauft wird, um die „Ehre des Dorfes“ zu retten.

Bemerkenswerterweise gelingt es Rozmatova dabei, diese feministische Geschichte aus der Perspektive des Mannes Ahbor zu erzählen. Eine Notwendigkeit, um die Realitäten der usbekischen Gesellschaft widerzuspiegeln, wie die Regisseurin im Anschluss an die Filmvorführung erklärte. Diese Perspektive wird durch die Mitfahrten in Ahbors Wagen und längere Gesprächsszenen, in denen die Kamera seinen Gesprächspartnern direkt in Gesicht blickt, direkt eingenommen und schafft so eindringliche Bilder.

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An der Figur Ahbor zeigt sich auch eine Kritik an der politischen Kaste des Landes. Der Abgeordnete, „den wir alle gemeinsam gewählt haben“, wird bestenfalls von Funktionären erkannt. Die Sorgen und Nöte der Menschen in seinem Wahlkreis sind ihm unbekannt und mit seinem sturen Glauben an das Gesetz verkennt er die Realität des Systems, das er selbst mit gestützt hat. Sein überstürzter Rücktritt, mit dem er Weggefährten wie Familie gleichermaßen überrascht hat, lässt zwar Zweifel an diesem System erkennen, doch durchschaut Abhor die eigentlichen Abgründe erst auf diesem Roadtrip zu sich selbst.

Sein Freund, der Journalist Usmon Bozorov, hält ihm dabei besonders schonungslos den Spiegel vor und spielt damit auch im Kleinen die Rolle der vierten Gewalt. Wie Husnora Rozmatova nach der Filmvorführung in Wiesbaden erklärte, wollte sie mit der Figur des Usmon die usbekischen Journalist:innen unterstützen. Die Namensgleichheit mit dem bekannten Blogger Miraziz Bozorov, der ähnlich wie der Journalist im Film eine Verleumdungsklage ausgesetzt war, sei aber Zufall, erklärte die Regisseurin auf Nachfrage von Novastan.

Ein ausgezeichnetes Debüt

Mit großartigen Landschaftsaufnahmen, einer Geschichte von Gewalt und Korruption sowie der Machtlosigkeit demgegenüber und nicht zuletzt mit einem Protagonisten, der sich dem System entgegenstellt, das er selbst mitgetragen hat, weist „Sustxotin“ einige Parallelen zu Ädilhan Erjanovs Meisterwerk A Dark, Dark Man auf. Und ähnlich wie auch Erjanovs Filme, durfte „Sustxotin“ im eigenen Land nicht gezeigt werden.

Husnora Rozmatova gelingt es aber dabei, die Stellung der Frau in Usbekistan in den Fokus zu rücken und gleichzeitig mit anderen gesellschaftlichen Problemen zu verweben. Herausgekommen ist dabei ein angesichts der politischen Gegebenheiten Usbekistans unglaublich mutiger Film, der unbedingt Lust auf mehr macht.

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Dass dieser Mut sich auszahlt, zeigt sich daran, dass „Sustxotin“ im Rahmen des goEast-Festivals doppelt ausgezeichnet wurde. Auch wenn der Hauptpreis der „Goldenen Lilie“ in diesem Jahr an den georgischen Film „Holy Electricity“ ging, sprach die Jury Rozmatovas Film eine lobende Erwähnung aus.

„In ihrem Film erscheint die Gewalt gegen Frauen als ein schwer zu durchbrechender Kreislauf. Er setzt sich mit tief verwurzelten Traditionen auseinander und zeigt, dass durch Filme gesellschaftliche Veränderungen möglich sind. Wir freuen uns, die Regisseurin von THE SONG SUSTXOTIN, Khusnora Rozmatova, auszuzeichnen“, begründete die Jury.

Husnora Rozmatova (rechts) während der Presvergabe des 25. goEast-Filmfestivals in Wiesbaden

Darüber hinaus wählte der goEast-Medienparter und Fernsehsender 3sat den Film für den Ankauf aus. „Khusnora Rozmatova schildert die schwierigen Lebensverhältnisse in ihrem von Dürre bedrohten Land, wobei sie sich besonders der gesellschaftlichen Stellung der Frau widmet. In ihrem Verlauf weitet sich die ländliche Geschichte zu einer unbestechlichen Beobachtung von Machtverhältnissen, Korruption und unausweichlichen moralischen Konflikten, die in ihrer Universalität überraschen“, heißt es in der Begründung.

Wer also „Sustxotin“ dieses Jahr in Wiesbaden verpasst hat, wird spätestens im April 2026 die Gelegenheit haben, diesen sehenswerten Film vor dem heimischen Endgerät zu schauen.

Robin Roth für Novastan

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