Die Kurzdokumentation Die Ehefrau ist ein kraftvoller und erschreckender Bericht über die Erfahrungen von vier Frauen mit häuslicher Gewalt. Der Film wurde von Kana Beısekeev gedreht und in Zusammenarbeit mit Qazaq TV von Qaırat Nurmugambetov produziert.
Der folgende Artikel erschien im Original auf der englischsprachigen Version von Novastan.
Zhena, auf Deutsch Die Ehefrau, ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2021, der sich mit häuslicher Gewalt in Kasachstan beschäftigt. Das Thema wird in der kasachstanischen Gesellschaft nur selten diskutiert oder behandelt und zeugt von den generellen sozialen Problemen im Land und der Region. Die Erzählung von Die Ehefrau unterstreicht die psychologischen und systemischen Gründe für die anhaltende Gewalt im Privaten und was unternommen werden kann, um dieses Problem zu beseitigen.
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Der Kurzfilm ist auf YouTube mit englischen Untertiteln frei verfügbar. Novastan hat mit dem Regisseur Kana Beısekeev darüber gesprochen, was er mit dem Film erreichen möchte und was die Reaktionen auf seinen Film waren. Seine Antworten wurden zum Zweck von Prägnanz und Klarheit redigiert.
Novastan: Warum wollten Sie gerade jetzt das Thema häusliche Gewalt in Kasachstan aufgreifen?
Kana Beısekeev: Innerhalb des letzten Jahres haben viele Zeitungen begonnen, das Thema häuslichen Missbrauch zu thematisieren. Deshalb war ich interessiert, ein Projekt darüber zu machen. Wenn Sie über häuslichen Missbrauch nachdenken, stellen Sie sich eine wirklich harte, extreme Geschichte vor, aber das ist die Realität dessen, was in Kasachstan passiert. Ich glaube nicht, dass schon einmal eine solche Dokumentation in unserem Land gemacht wurde. Es war letzten Frühling, als meine Crew und ich beschlossen haben, diesen Film zu drehen, aber dann hat sich durch den Lockdown alles verzögert. Im Nachhinein haben wir gehört, dass die Fälle [von häuslicher Gewalt] im Lockdown gestiegen sind, als die Leute Zuhause festsaßen. Und wir wussten, dass wir jetzt über dieses schwierige Thema sprechen mussten.
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Ich dachte darüber nach, wie ich dieses Thema Leuten in meinem Alter, der jüngeren Generation, näherbringen könnte. Ehrlich gesagt war die Arbeit sehr schmerzhaft, weil ich durch meine eigene Erziehung so weit von diesem Thema entfernt war. Ich hatte vorher noch nie wirklich davon gehört. Ich habe eine ältere Schwester und war ein wenig überrascht als ich Geschichten darüber hörte, wie schwierig es innerhalb unserer Kultur ist, eine Frau zu sein. Aber wenn Männer mit ihren Freundinnen über dieses Thema sprechen, werden sie beginnen, viele Geschichten über Missbrauch zu hören. Es gibt Missbrauch Zuhause, sogar durch Brüder und andere Verwandte, Missbrauch auf der Straße, Missbrauch bei der Arbeit. Von außen betrachtet mögen die Dinge in Ordnung erscheinen, aber sie sind es wirklich nicht.
Ihre Dokumentation beschäftigt sich ausführlich mit den steifen Geschlechterrollen in Kasachstan. Da gibt es im Umfeld der Frauen diese Kultur der Schuld, dass auch kleine Dinge ihr Fehler sind wie etwa, wenn das Kind in Probleme gerät, oder das Abendessen anbrennt und es dann eskaliert. Woher kommt das?
Die Geschlechterprobleme stammen aus unserer Kultur und der Idee von Familie. Es wird eher als Privileg angesehen einen Jungen zu bekommen als ein Mädchen. Das trifft nicht nur auf Kasachstan zu, sondern auf ganz Zentralasien, sogar den Kaukasus und Russland. Die meisten Länder hier haben diese soziale Sicht auf Jungen. Es gibt keine gute Balance zwischen den Geschlechtern, Eltern werden mit einem Sohn vermutlich glücklicher sein. Es hört sich wie ein Witz an, aber der Witz ist, dass es wirklich wahr ist.
Es kommt eigentlich aus allen Richtungen. Aus Romanen, aus Filmen. Sogar Frauen in unserer Kultur glauben häufig, dass es besser für sie ist einen Jungen zu haben. Das sind weitverbreitete Meinungen, wir haben eine wirklich große Kluft zwischen Mädchen und Jungen. In unserer Gesellschaft müssen Frauen beweisen, dass, sie Eier haben, um erfolgreich zu sein. Du bist also nicht nur eine Frau, sondern du hast all diese extra Verantwortlichkeiten und Erwartungen an dich. Es ist kein faires Spiel zwischen Männern und Frauen.
Sie meinen also, Frauen müssen sich mehr beweisen da sie ihr Leben bereits mit Nachteilen beginnen?
Dieser Druck beginnt im Grunde bereits in der Schule. Jungen können die Schule ohne gute Noten beginnen und machen das später wett, aber von Mädchen wird erwartet, nur Einsen zu bekommen. Sogar wenn eine Frau die Schule abschließt, um sich zu beweisen, werden ihre alten Eltern fragen: „Wofür brauchst du dieses Diplom? Du solltest lieber heiraten.“ Mädchen müssen lernen eine „gute Frau“ und gut in ihrer Karriere zu sein. Viele Familien handeln so, insbesondere in den kleineren Dörfern. Ich rede nicht über alle Leute, aber diese Meinung existiert in unserer Gesellschaft und führt zu größeren Problemen.
Der Film behandelt Alkohol als Auslöser für häusliche Gewalt. Wird Alkoholismus als ein großes Problem in Kasachstan angesehen?
Ja, besonders außerhalb der großen Städte. Wenn Sie in Kleinstädten in den lokalen Laden gehen, werden Sie vermutlich eine Menge alkoholischer Produkte sehen. Hauptsächlich Wodka. Es fühlt sich an wie in den 90ern, wie in der UdSSR oder in Russland. Die Leute hier wissen nicht wie man maßvoll trinkt und nun können sie wie verrückt trinken. Alkoholismus betrifft hauptsächlich Männer.
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Das lässt sich auf Geld zurückführen: Viele Männer haben keine Arbeit. Ohne Einkommen ist es sehr hart zu überleben und das bedeutet, dass viele Männer depressiv werden. Diese Depression führt dazu, Wodka mit gleichgesinnten Leuten zu trinken, die gleichen Freunde, die auch keinen Job finden. Es ist immer wieder dasselbe Problem. Sie werden über ihr hartes Leben reden, über ihre Probleme mit Frauen. Die Frau, die zuhause auf die Kinder aufpasst, wird ihren Mann fragen: „Warum tust du das? Wir haben kein Geld für Alkohol, du musst einen Job finden, um uns zu unterstützen.“ Der Ehemann wird argumentieren: „Ich bin der Mann im Haus. Rede nicht so mit mir.“ Und danach kann es böse eskalieren.
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Eines der größten Probleme in Kasachstan, im Zusammenhang mit dem Thema häusliche Gewalt, ist, dass viele Eltern ihren Kindern nicht beibringen, wie sie ein guter Ehemann oder eine gute Ehefrau werden, wenn sie älter sind; wie sie jemand werden der sich gut kümmert. Wir haben da eine große Bildungslücke. Familie ist kein Spielzeug, viele Leute sind nicht bereit dafür. Frauen beginnen früh zu heiraten, sogar mit 18 oder 19 Jahren in Kleinstädten. Wenn du älter als 25 bist wirst du als zu alt zum Heiraten angesehen, sogar in Städten. Als Gesellschaft scheinen wir solche frühen Verpflichtungen einzugehen. Zwei Menschen in diesem Alter wissen nicht wie man sich erwachsen verhält, sie haben gerade erst aufgehört Kinder zu sein. Unsere Probleme stammen von dieser Kultur- und Bildungslücke und führen zu gefährlichen Situationen.
Eines der Zitate, die aus dem Film herausstechen war „das System lässt zu, dass dies passiert“, was bedeuten soll, dass häusliche Gewalt durch die Polizei und Justiz ermöglicht wird, die das Problem nicht ernstnehmen. Das wird durch die Leichtigkeit verschlimmert, mit der Bestechung und Korruption stattfinden, wie ein anderes Zitat verdeutlicht: „Du kannst hier Alles kaufen“.
Haben Sie gehofft mit diesem Film den Diskurs zu eröffnen um andere, damit verbundene Probleme der kasachischen Gesellschaft, anzusprechen, wie Korruption und Machtsysteme?
Es geht mehr darum einfache Leute zu erreichen, sie sich wundern lassen warum nicht über Missbrauch gesprochen wird oder öffentlicher diskutiert wird. Ich habe den Film für die Menschen gemacht, sie müssen einfach wissen was in unserem Land geschieht. Sie müssen verstehen was getan werden muss und wie sie sich verhalten müssen, wenn sie in dieselbe Situation geraten. Das könnte bedeuten unsere Gesetze zu verändern, um Menschenleben zu retten. Es ist schwierig, da wir kulturelle Probleme haben, die tiefgreifender sind als das Gesetz.
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Wenn Frauen nach einem Vorfall von Gewalt zur Polizei gehen, treffen sie häufig Männer an, die ihren Ehemann kennen oder den Vorfall nicht ernst nehmen. Die Polizei behandelt den Fall als einen kleineren familiären Disput und sagt den Frauen, sie sollten nach Hause gehen und es noch einmal versuchen. Sie werden beruhigen und den Opfern erzählen, dass alles in Ordnung kommen wird. Sie werden vielleicht einen Bericht über den Ehemann schreiben, aber wenn Sie zwei Tage später wieder versuchen den Bericht einzusehen, existiert er möglicherweise nicht mehr. Das ist es, womit viele zu kämpfen haben.
Was war der Effekt einen Komiker auf einer leeren Bühne Kommentare und Witze über das Thema machen zu lassen? Was wollten Sie damit erreichen?
Er ist ein echter Komiker, der dafür seine eigenen Witze schrieb. Ich hatte seine Witze über häusliche Gewalt schon vorher gehört und fragte ihn, warum er aus diesen Situationen Humor macht. Er antwortete, dass das an seinen eigenen Familienerfahrungen liegen würde. Das hat uns im Prinzip dazu inspiriert, die Dokumentation aus der Sicht eines Komikers zu machen, von dem wir ausgegangen sind. Zumindest komödiantisch spricht er über das Problem, auch wenn er Witze macht, bringt das ein bisschen Leben in das Gespräch.
Wie war die Reaktion in Kasachstan auf die Dokumentation? Gab es irgendwelchen Widerstand?
Es war sehr interessant. Einige Reaktionen waren gut, aber nicht alle. Manche Leute haben es uns verübelt, weil sie denken, es sei extrem von uns dieses Thema zu behandeln und dass wir es unterstützen, die existierenden Gesetze zu häuslicher Gewalt zu ändern. Sogar einige Stimmen aus der feministischen Gemeinschaft mochten die Dokumentation nicht, da sie fragten, warum es hauptsächlich Männer seien, die über den Missbrauch sprächen.
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Wissen Sie, es ist sehr schwer, das Thema war kein einfaches, um darüber zu sprechen. Ich wollte nur etwas unternehmen, das gegen den Missbrauch vorgeht. Ich wollte nur mit einigen Leuten darüber sprechen. Im Film sind allerdings einige Konversationen zwischen Männern und manche haben gefragt, warum keine Frauen integrieren, die dasselbe Gespräch haben könnten. Es gab auch einigen Gegenwind von kleineren Gemeinschaften wie Familiengruppen. Es war überraschend. Aber wir reden mit Frauen. Ich meine der Film handelt von Männern und Frauen. Es geht um diese Kultur, wo Jungen und Mädchen von einem jungen Alter an beigebracht bekommen, anders zu denken und wie uns das beeinflusst, wenn wir älter sind.
Am Ende des Dokumentarfilms heißt es, dass im Frühjahr 2021 ein neues Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt in Kraft treten wird. Wie erwarten Sie, dass sich dadurch etwas ändert?
Ich hoffe, dass das etwas ändern wird, und es etwas schwieriger macht, mit Häuslicher Gewalt davon zu kommen. Im Moment ist der Prozess sehr langsam, wenn du sogar für Häusliche Gewalt eine Geldstrafe bekommst. Also ich denke das neue Gesetz muss Frauen viel besser schützen. Wir müssen auch mit dem Ehemann daran arbeiten, wo es möglich ist. Ich bin kein Anwalt, deshalb weiß ich nicht im Einzelnen wie es ablaufen wird, aber ich denke es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
An welchen Projekten arbeiten Sie als nächstes?
Ich habe an einer Dokumentation gearbeitet, die sich mit den Lagern für Uiguren in Xinjiang beschäftigt, wovon auch Kasachen betroffen waren. Ich habe einige Leute gefunden, die in diesen Lagern waren, die jetzt in Washington DC leben. Im Moment bin ich am Bearbeiten, also wird es hoffentlich in den nächsten ein oder zwei Monaten auf YouTube hochgeladen.
Die Ehefrau ist auf YouTube verfügbar:
Das Interview führte Tommy Hodgson
Aus dem Englischen von Darius Regenhardt
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