Der Zweitplatzierte der kasachischen Präsidentschaftswahl Amirdschan Kossanow erreichte 16 Prozent der Stimmen und gilt somit als wichtigster Vertreter der Opposition. Allerdings zeigt er sich im Nachhinein kleinlaut gegenüber den Machthabern, und schweigt zu den Unregelmäßigkeiten bei der Wahl und der Niederschlagung von Protesten. Wir übersetzen die Analyse des französischen Novastan-Teams.
Bei der Präsidentschaftswahl vom vergangenen 9. Juni konnten die Bewohner Kasachstans ihren zweiten Präsidenten seit Erlangung ihrer Unabhängigkeit 1991 wählen. Doch gab es überhaupt eine echte Opposition, die um das Erbe des Langzeitpräsidenten Nursultan Nasarbajew antrat? Sein Nachfolger wurde jedenfalls Kassym-Dschomart Tokajew, Vorsitzender der Partei Nur-Otan, zu der auch Ex-Präsident Nasarbajew gehört. Mit 70 Prozent der Stimmen war das Resultat für den ehemaligen Interimspräsidenten Tokajew allerdings nicht so überwältigend wie bei der letzten Wahl, die seinem Vorgänger Nasarbajew 90 Prozent der Stimmen einbrachte.
Der prinzipale Rivale Tokajews bei der Präsidenschaftswahl war de facto Amirdschan Kossanow. Mit 16 Prozent der Stimmen, mehr als die anderen fünf Kandidaten zusammen, erreichte er das höchste Ergebnis, das jemals von einem Oppositionskandidaten bei einer kasachischen Präsidentschaftswahl erzielt wurde. Vor allem aber zeigte sich Kossanow im Laufe seines Wahlkampfes besonders kritisch gegenüber dem Regime und schlug ein besonders ehgeiziges Programm vor, das demokratische Reformen des Landes zum Ziel hatte.
Trotz allem wundert sein Verhalten, denn angesichts der Unregelmäßigkeiten und Proteste, die am Wahltag stattfanden, schlug er sich auf die Seite der Machthaber und vertrat deren offizielle Position. Es lohnt sich also ein genauer Blick auf die Persönlichkeit Kossanow.
Eine lange politische Karriere
Als Kandidat der Partei „Ult Tagdyry“ (=Nationales Schicksal), einer Bewegung die sich als „national-patriotisch“ bezeichnet, ist Amirdschan Kossanow kein Politik-Neuling. Kossanow, ausgebildeter Journalist und Mitglied der kommunistischen Jugend vor dem Zerfall der UdSSR, hatte bereits mehrere Funktionen innerhalb der Regierung Nazarbajews inne: zunächst als Verantwortlicher der Pressestelle für Masseninformation, dann als Vizepräsident des Staatskomitees für Jugend 1993, und ein Jah später schließlich als stellvertretender Minister für Jugend, Tourismus und Sport. Von 1994 bis 1997 war er Pressesprecher des Premierministers Akeschan Kaschygeldin.
Als der umstrittene Ex-Premierminister bei der Präsidentschaftswahl 1998 scheiterte, wechselte Amirdschan Kossanow mit ihm ins Oppositionslager. Gemeinsam gründeten sie die Republikanische Partei des Volkes Kasachstans (RNPK). Die Bewegung, die sich für eine Demokratisierung des Landes unter sozial-liberalen Prinizipien ausspricht, zerfiel 2002. Ab 2005 wurde Kossanow zum Vizepräsidenten der sozialdemokratischen Partei OCDP gewählt, welche ihre Aktivitäten 2007 begann und 2012 Beratungsmitglied der Sozialistischen Internationale wurde. Kossanow machte sich fortan als engagierter Aktivist einen Namen. So organisierte er eine Demonstration in Gedenken an die Opfer des Schanaösen-Massakers, was ihm zwei Mal eine Zeitlang im Gefängnis einbrachte, im Februar wie im März 2012.
Ein schicksalhafter Oppositionskandidat
Die Nominierung Kossanows zum Kandidaten für „Ult Tagdyry“ fand unter heftig diskutierten Umständen statt. Für die Präsidentschaftswahl 2019 drückte er zunächst Unterstützung für den Kandidaten Ermurat Bapi der sozialdemokratischen Partei (OCDP) aus. Dieser weigerte sich aber, seine Kandidatur zu erklären. Am 26. April wurde dann, abseits der OCDP, die Kandidatur Amirdschan Kossanows nach einer Parteisitzung in Almaty bekannt gegeben.
Diese plötzliche Wende gab Anlass zu etlichen Spekulationen über eine eventuelle Instrumentalisierung von Seiten der Regierung. Das Gespräch Kossanows mit dem kasachstanischen Nachrichtenportal Vlast.kz ist besonders aufschlussreich. Es wird zum Beispiel vermutet, der Kandidat für Ult Tagdyry hätte von der Regierungspartei „Nur Otan“ beim Sammeln der für eine Registrierung nötigen 118.140 Unterschriften (1 Prozent der Wähler) Unterstützung bekommen.
Diese Unterstützung von Seiten der Regierung setzte sich, wie es scheint, während der Kampagne nicht fort, denn Kossanow war genauso von den Ungleichheiten betroffen, wie alle anderen Kandidaten, die in Opposition zu Kassym-Dschomart Tokajew standen, beginnend beim kleineren Budget, das eine wirkliche Konkurrenz zur Propaganda des nun gewählten Kandidaten Tokajews verhinderte. Nichtsdestotrotz fiel Kossanow, dessen Programm auf Demokratisierung, eine Annäherung an Europa und eine Verringerung des russischen Einflusses auf das Land basierte, durch seine starken Vorschläge, Positionen und Kritik an der Regierung auf.
Während der TV-Debatte am 29. Mai, die durch die Abwesenheit Kassym-Dschomart Tokajews gekennzeichnet war, präsentierte Kossanow sich als Vertreter „derer, die im Kampf für Demokratie und Freiheit niedergeschlagen, eingesperrt und getötet wurden“. In seinem Wahlprogramm führte er in sechs Hauptzielen Prinzipien zur politischen Freiheit und dem Kampf gegen Korruption auf.
Legalität oder Legitimation von Macht?
Amirdschan Kossanow war der einzige Kandidat, der direkt und offen Kritik an der Regierung ausübte. Zu Beginn des vergangenen Monats griff er Slogans der zahlreichen Protestierenden in den großen Städten gegen die Führung von Tokajew und seiner Partei Nur-Otan auf. Dadurch zeigte er seine Unterstützung für die Forderungen des Volkes nach Meinungsfreiheit und unabhängigen Wahlen.
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Das ändert sich aber am 9. Juni, am Tag der Wahl. An jenem Tag kommt es zu erneuten Protesten im großen Ausmaß in den Städten Nur-Sultan und Almaty, die von den Behörden hart unterdrückt und als „vom Westen initiiert“ bezeichnet wurden. Aber dieses Mal entschied sich Kossanow dazu, die Autoritäten zu verteidigen und übernahm deren These der „äußeren Aufwiegelung“. Er führte dazu legale Argumente auf, die im scharfen Widerspruch zu seinen bisherigen Aufrufen zu Liberalismus und Pluralismus stehen, und stattdessen der Regierung in die Hände spielen.
Nach dem Wahlausgang gratulierte Tokajews stärkster Opponent sogar dem Gewinner, trotz der ganzen Ungereimtheiten die während der Abstimmung erfolgt waren, und sichert ihm sein Vertauen zu: „Ich denke dass seine Worte über die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen der Zivilgesellschaft und der Regierung nicht umsonst sind, sondern dass er sie auch umsetzen wird“. Er bezeichnete seine erhaltenen 16 Prozent als Gewinn und Motiviation, seine politische Karriere fortzusetzen, wobei er seine Unterstützer gerne für die Formierung einer neuen Partei für die kommenden Legislativwahlen mobilisieren möchte.
Nur ein „Statist“
Dieser Optimismus ist nicht mit seiner entschlossenen Kritik an der Regierungvrreinbar, die er noch während des Wahlkampfs zeigte, und führt zu Zweifeln über seinen Platz in der Opposition. Nachdem er einen beachtlichen Teil der Stimmen gewinnen konnte, wurde er zu einem Garanten der Demokratie für den neu gewählten Präsidenten, und legitimiert somit den Ausgang der Wahlergebnisse.
„Amirdschan Kossanow war kein wirklicher Kandidat einer realen Opposition, sondern ein Statist, dessen Anwesenheit zur Legitimierung der Wahl diente. Seine Vorschläge sind schön mit der Position des Regimes gegenüber dem Exil-Oppositionellenl Muchtar Abljasow abgestimmt“, bestätigt George Voloshin, Leiter des französischen Wirtschaftsforschungsunternehmens Aperio Intelligence und Russland/GUS-Experte im Gespräch mit Novastan. In einer Situation, in der die Gesellschaft weiterhin Unzufriedenheit mit dem politischen Unilateralismus in Kasachstan zeigt, wird eine „offizielle“ und so fügsame Opposition, wie sie Amirdschan Kossanow repräsentiert, nicht ausreichen, um eine wirkliche politische Transition zu gewährleisten.
Magomed Beltujew
Redakteur bei Novastan
Übersetzung aus dem Französischen von Julia Tappeiner
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