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Was bedeutet das Abkommen zwischen den Taliban und den USA für Zentralasien?

Das in Doha unterzeichnete Abkommen zwischen Washington und den Taliban über den Rückzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan ist ein Sieg für Usbekistan, das seit der Taschkent-Konferenz 2018 auf einen Dialog drängt. Auch wenn die usbekische Initiative, mit den Taliban zu verhandeln, von zahlreichen Seiten kritisiert wird, brachte die Konferenz die Konfliktparteien nach 40 Jahren Krieg an einen gemeinsamen Tisch.

Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban ist der Initiative Usbekistans und seines Außenministers Abdulaziz Kamilov (3. von rechts) zu verdanken.

Das in Doha unterzeichnete Abkommen zwischen Washington und den Taliban über den Rückzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan ist ein Sieg für Usbekistan, das seit der Taschkent-Konferenz 2018 auf einen Dialog drängt. Auch wenn die usbekische Initiative, mit den Taliban zu verhandeln, von zahlreichen Seiten kritisiert wird, brachte die Konferenz die Konfliktparteien nach 40 Jahren Krieg an einen gemeinsamen Tisch.

Unsere KollegInnen von Novastan France haben in ihrer kostenpflichtigen Rubrik décryptage (dt.: Entschlüsselung) eine Analyse vorgenommen, die wir mit freundlicher Genehmigung übersetzen.

Bei der Unterzeichnung des Abkommens am 29. Februar betonte der Vertreter der Taliban ausdrücklich die Anstrengungen Usbekistans, die den Afghanistankonflikt erneut in den Fokus der Weltgemeinschaft brachte. Dem Lob auf die Friedensbemühungen Taschkents schloss sich der Vertreter der Vereinigten Staaten an. Die ebenfalls in Doha anwesenden Außenminister Tadschikistans und Turkmenistans standen bei den Verhandlungen jedoch im Abseits: Der nun angestoßene Friedensprozess für Afghanistan könnte gleichzeitig die Rivalitäten der zentralasiatischen Staaten um ihren geopolitischen Einfluss in der Region verschärfen.

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Das zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban geschlossene Abkommen könnte den seit über 40 Jahren schwelenden Krieg in Afghanistan ein Ende setzen. Während die Aufmerksamkeit zwar nun auf die beiden Vertragsparteien gerichtet wurde, spielten die zentralasiatischen Staaten dennoch eine wichtige Rolle im Prozess, der zur Unterzeichnung des Abkommens führte.

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 „Dies ist nur der Anfang des Weges in Richtung Frieden [für Afghanistan]“, so der usbekische Außenminister Abdulaziz Kamilov. Es sieht nach einem diplomatischen Erfolg für Taschkent aus, der ganz und gar nicht kleingeredet wird.

Sicherheit, Wirtschaft und Geopolitik

In einem ausführlichen Interview mit dem staatlichen Journal „Narodnoe Slowo“ (Volksstimme) unterstreicht der usbekische Außenminister der Bedeutung des Abkommens von Doha für Taschkent. Ihm zufolge handele es sich in erster Linie um ein Sicherheitsanliegen, denn „jedes Jahr finden Dutzende bewaffneter Zusammenstöße im Grenzgebiet zu den Staaten Zentralasiens statt. Zeitweise näherten sich die Feindseligkeiten unseren Grenzen. All dies kann nur beunruhigen“. Der seit 17 Jahren amtierende Minister betont weiterhin, dass „die Sicherheit Afghanistans die Sicherheit Usbekistans“ sei.

Das Interesse Usbekistans beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Sicherheitskomponente des Konflikts – schon seit einiger Zeit gilt die Grenze zu Afghanistan als eine der sichersten der Welt. Dem Außenminister zufolge „ist ein friedliches Afghanistan in der Lage, Zentralasien den kürzesten Meereszugang zu ermöglichen, um unsere Transportwege zu diversifizieren und somit weitere Märkte für den Export einheimischer Produkte zu öffnen“. In diesem Sinne ist das steigende wirtschaftliche Interesse Taschkents in Kabul zu erkennen, während der Präsident Shavkat Mirziyoyev sich für eine Ankurberlung der usbkeischen Wirtschaft einsetzt, seitdem er im Jahr 2016 Islam Karimov in seinem Amt beerbte.

Usbekistan nimmt eine Schlüsselrolle im Abkommen von Doha ein

Der Wechsel an der Staatsspitze Usbekistan bedeutete ebenfalls den Start einer ehrgeizigen Initiative zur Einleitung eines Friedensprozesses für Afghanistan. Die im März 2018 abgehaltene Taschkent-Konferenz trug den Titel „Friedensprozess, Sicherheit und regionale Zusammenarbeit“, und brachte erstmals alle Hauptakteure des Konflikts zusammen. Die Vereinigten Staaten, China, Russland, wie auch die Nachbarstaaten Afghanistans waren anwesend. Die Initiative markierte ebenso, nach fünfzehn Jahren der Abschottung, die Rückkehr Taschkents auf das diplomatische Parkett.

Nun möchte Usbekistan seine Ernte einholen. Das unbescheidene Fazit Abdulaziz Kamilovs verdeutlicht, dass Usbekistan den angestoßenen Friedensprozess für sich als Erfolg verbucht: „Das Treffen in Taschkent ermöglichte es erst, die Probleme Afghanistan auf die internationale Agenda zu setzen. Die steigende Bedeutung regionaler und globaler Ansätze zeichnet die Taschkent-Konferenz als fundamental neues Element [zur Lösung des Konflikts aus]“. Er fügt hinzu, dass „auf der Taschkent-Konferenz der Wille der internationalen Gemeinschaft demonstriert wurde, den direkten Dialog mit den Taliban ohne Vorbedingung zu ermöglichen. […] Durch die Konferenz in Taschkent näherten sich die Positionen Washingtons, Moskaus und Beijings sehr an.“

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Der usbekische Außenminister teilt darüber hinaus mit, dass „es hier in Usbekistan war, wo wir die Taliban geradezu drängen konnten, sich an den Friedensverhandlungen zu beteiligen“. Dass sie an der Taschkent-Konferenz von 2018 nicht teilnahmen, wurde bis dato als diplomatischen Misserfolg Usbekistans eingestuft.

Gleichermaßen scheinen beide Vertragsparteien die Rolle der usbekischen Initiative anzuerkennen. Der usbekischen Presseagentur Dunyo zufolge, richtete der an der Unterzeichnung beteiligte Leiter des Politbüros der Taliban, Mullah Barodar Akhund, seinen „aufrichtigen Dank“ an Abdulaziz Kamilov. Nach den diplomatischen Bemühungen Usbekistans sehe er „[der] Umsetzung verschiedener Wirtschaftsprojekte im Land“ entgegen.

Projekte in Afghanistan machen Taschkent zum Mittelpunkt der eurasischen Infrastruktur

Es ist durchaus interessant, die Wertschätzung der Taliban gegenüber Usbekistans zu beobachten. Die Erwähnung von Wirtschaftsprojekten mag ein Fingerzeig darauf sein, dass Taschkent auf die Taliban als gestaltende Kraft für die Zukunft Afghanistans setzt. Dies könnte Usbekistan in die vorteilhafte Situation bringen, selbst zum Verkehrsknotenpunkt von Zentral- nach Südasien und schließlich zum indischen Ozean zu werden.

In seinem Interview bestätigt Abdulaziz Kamilov, dass sich „Usbekistan wünscht, Transport- und Logistikprojekte durchzuführen, die Afghanistan an den Integrationsbestrebungen der Region einbeziehen“. Insbesondere drängt Taschkent auf den Bau einer Eisenbahnlinie, die die nahe der Grenze gelegene Stadt Masar-e Scharif sowohl mit Herat, als auch mit Peschawar in Pakistan verbindet.

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Laut Kamilov sei „der Eisenbahnbau zwischen Masar-e Scharif und den pakistanischen Seehäfen Teil des euro-asiatischen Verbindungskonzeptes, das bereits seitens der Europäischen Union unterstütz wird. Die Öffnung dieser Route biete den Staaten Zentrasiens den kürzesten Zugang zu den pakistanischen Häfen Gwadar und Karatschi, was zur Intensivierung des Warenverkehrs mit Indien und Bangladesch beiträgt“ – und somit Usbekistan zum Dreh- und Angelpunkt des eurasischen Handesnetzwerks mache.

Fragen der Energieversorgung werden gleichermaßen betont. „Usbekistan hat bereits großen Infrastrukturprojekten in Afghanistan, wie dem Bau der Stromleitung Surkhan-Puli-Khumri, begonnen. Diese Trasse verbindet Kabul mit dem vereinheitlichten Energiesystem Zentralasiens. Darüber hinaus kann die Leitung Surkhan-Puli-Khumri ein integraler Bestandteil des Projekts CASA-1000 werden und zur Stromversorgung Pakistans und noch weiter entfernt gelegenen Ländern Südasiens werden“. Taschkent sieht hierbei die Chance, die hohe Stromnachfrage in Afghanistan und Pakistan mit dem Vertrieb der eigenen Energieressourcen zu decken.

Woher kommt die Zurückhaltung Turkmenistans?

Im Interview des usbekischen Außenministers ist keine Rede vom turkmenischen Gaspipelineprojekt TAPI (Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan, Indien), dass offiziell vom usbekischen Präsidenten Mirziyoyev unterstützt wird. Wie viele infrastrukturelle Megaprojekte zwischen Zentralasien und Afghanistan ist das Projekt TAPI  inzwischen zu einer Neverernding Story geworden. Es überrascht daher nicht, dass der usbekische Chefdiplomt jenes Projekt nicht erwähnt.

Der turkmenische Außenminister Raşit Meredow war während der Unterzeichnung des Abkommens in Doha ebenfalls anwesend, wie das Kommuniqué des katarischen Außenministers vermerkt. Bei der Unterzeichnungszeremonie traf sich jedoch nur der usbkeische Außenminister mit beiden Delegationen der Vereinigten Staaten und den Taliban. Dies veranschaulicht die fundamental unterschiedlichen Herangehensweisen Taschkents und Aschgabats an den Konflikt in Afghanistan.

Dass Tadschikistan, dessen Außenminister Doha auch beiwohnte, keine größeren Ambitionen Kabul gegenüber hat, ist keine Überraschung – die Zurückhaltung Turkmenistans jedoch umso mehr. Bereits seit den 1990er Jahren wird schließlich der Bau der TAPI-Pipeline angestrebt. Ein aktiveres Auftreten den Taliban gegenüber hätte der Umsetzung des Megaprojekts, das nicht nur an mangelnder Finanzierung leidet, durchaus einen Schub geben können.

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Wartet Aşgabat auf auf weitere Ergebnisse der auf das Doha-Abkommen folgenden innerafghanischen Gespräche? Die turkmenische Zurückhaltung könnte durch eine Besorgnis über die Zukunft des Abkommens erklärt werden. „Das zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban geschlossene Abkommen ist nicht automatisch gleichbedeutend mit Ende des Krieges in Afghanistan“, so der Regionalexperte Aleksandr Knjasew im russischen Medium Westnik Kawkasa. „[A]ngesichts der Zersplitterung der Taliban, ihrer in verschiedene Richtungen laufenden Fraktionen, sowie verschiedenster externer Akteure in der afghanischen Allgemeinsituation“ ist es nur schwer möglich, regionale Großprojekte schnell umzusetzen. Sich den Taliban anzunähern, könnte somit eine verfrühte Entscheidung sein.

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Ist die usbekische Unterstützung der Taliban vor diesem Hintergrund zu unbesonnen? Der Erfolg des Abkommens von Doha hängt in der Tat von mehreren Faktoren ab: Werden sich die Taliban, ungeachtet ihrer internen Spaltung, an die Einigung halten? Werden sie den Dialog mit der Zentralregierung auch aufrechterhalten können, nachdem das Tohuwabohu über die Präsidentschaftswahlen geklärt wurde, bei der sich mit Ghani und Abdullah sehr unterschiedliche Kandidaten gegenüberstehen? Nur im Falle eines tatsächlichen Friedens in Afghanistan kann Usbekistan via Kabul die südasiatischen Absatzmärkte erreichen. Taschkent spekuliert auf eine Fügung, die die Großmächte zu einer Belegung des Konflikts bewegt, um sich so zum unumgänglichen Partner Afghanistans und seiner wirtschaftlichen Stabilität aufzuschwingen.

Ungeachtet des Pipelineprojekts TAPI hatten Usbekistan und Turkmenistan bereits einige Reibereien um Afghanistan. Im Sommer 2019 wurde zuletzt das Bauvorhaben neuer Eisenbahnlinien durch Unstimmigkeiten durcheinander gebracht. Das gute Verhältnis zwischen Taschkent und Aschgabat steht auf der Kippe. Die Hoffnung auf Frieden in Afghanistan mag zwar in greifbare Nähe rücken, gleichzeitig schürt er aber Wettbewerb und Rivalität in seiner zentralasiatischen Nachbarschaft.

Die Redaktion von Novastan France

Aus dem Französischen von Robin Shakibaie

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