Temur Umarov, China-Experte des Carnegie Moscow Centers, untersucht die gesamte Geschichte der usbekisch-chinesischen Beziehungen und versucht vorherzusagen, was als nächstes passieren wird. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Hook. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Das erste Treffen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit dem damaligen usbekischen Ministerpräsidenten Schawkat Mirsijojew fand 2016 in Buchara statt, nur wenige Monate bevor sie (Amts-)Kollegen wurden. Seitdem hat der zweite Präsident Usbekistans dreimal China besucht: Im Jahr 2017 fand ein Staatsbesuch zusammen mit dem Besuch des ersten „Belt and Road“-Forums in Peking statt; im Jahr 2018 nahm er an einer Sitzung des Rates der Staatsoberhäupter der SCO-Mitgliedstaaten in Qingdao teil; am 27. April 2019 beendete er seinen dritten Besuch mit der Teilnahme am zweiten „Belt and Road“-Forum.
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Schawkat Mirsijojew, der offiziell den politischen Kurs des „Vaters des Volkes“ (Islam Karimow, Anm. d. Red.) fortsetzt, hat de facto das Verhaltensmodell gegenüber allen Nachbarn und wichtigen internationalen Partnern geändert. Im Verhältnis zu Peking folgte Mirsijojew jedoch dem von seinem Mentor eingeschlagenen Weg.
Freunde in schwierigen Zeiten
Islam Karimow war ein häufiger Gast in der Volksrepublik China und ein Freund des chinesischen Volkes, wie der Präsident der Volksrepublik China Xi Jinping nach Karimows Tod über ihn sagte. Karimow selbst nannte China „einen Freund, der in einem schwierigen Moment eine helfende Hand reichte“. In den letzten Jahren unter Karimow hat China Russland, das traditionell den größten Anteil am Handelsumsatz ausmacht, auf den zweiten Platz verdrängt, während die Investitionen chinesischer Unternehmen in den Bereichen Infrastruktur, Energie und Telekommunikation gar keine Konkurrenz haben.
Ursprünglich begann die Freundschaft jedoch nicht mit der Wirtschaft, sondern mit Sicherheitsfragen. Für Peking war die an Zentralasien grenzende Uigurische Autonome Region Xinjiang traditionell eine turbulente Region. Nach der „Parade der Souveränitäten“ (1991, Anm. d. Red.) an der Grenze zur Xinjiang befürchtete Peking die Verbreitung eines „schlechten Beispiels“. Und nicht umsonst – in Kasachstan und Kirgisistan gab es 400.000 Uiguren (2003), dort befanden sich auch die Hauptquartiere der uigurischen Separatisten.
Es gab weniger Probleme mit Usbekistan aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Grenze und der relativ kleinen uigurischen Diaspora. Hinzu kam Einstimmigkeit im Kampf gegen Extremismus und Solidarität gegen Separatismus. Das erst vor kurzem unabhängig gewordene Usbekistan hatte sein eigenes „Xinjiang“ in Form der Republik Karakalpakstan (auch im Nordwesten des Landes). Wie die Unabhängigkeitsbewegung von „Ostturkestan“ in Xinjiang Peking beunruhigte, so bereitete auch „Halyk Mapi“ Taschkent Kopfschmerzen.
Ein Durchbruch im Bereich Sicherheit war Karimows Besuch in Peking im Jahr 1999. Damals hatten die Länder die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten verstärkt – im Austausch gegen Neutralität in beliebigen heiklen Fragen seitens der Uigurischen Diaspora in Usbekistan erhielt Taschkent Pekings Hilfe beim Kampf gegen usbekische Wahhabiten in Afghanistan. In jenen Jahren war China jedoch nicht der einzige Verbündete – die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten im militärischen Bereich war ziemlich eng.
Die Ereignisse von Andijon im Jahr 2005 waren ein Test für die freundschaftlichen Beziehungen Usbekistans. Freunde aus dem Westen wandten sich von Karimow ab, aber Peking blieb treu. „Die Ereignisse in Usbekistan sind eine innere Angelegenheit dieses Landes“, so die übliche Erklärung des Außenministeriums der Volksrepublik China, die sich vom Prinzip der Nichteinmischung leiten lässt. Dies ist nicht verwunderlich, denn die beiden Staaten hatten ein Jahr zuvor eine gemeinsame Erklärung über die „Entwicklung der Beziehungen der Freundschaft und Zusammenarbeit“ unterzeichnet. Einer der Punkte lautet: „Die Parteien erklären, dass sie sich jeglichen Manifestationen des nationalen Separatismus widersetzen…“
Von Gas bis Aliexpress
Im Dezember 2009 eröffnete Islam Karimow gemeinsam mit dem Präsidenten von Turkmenistan Gurbanguly Berdimuhamedow, dem Präsidenten von Kasachstan Nursultan Nasarbajew und dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao die erste Erdgasleitung „Turkmenistan-China“. Dies markierte den Beginn der Zusammenarbeit der zentralasiatischen Länder mit China, ermöglichte den Ländern ihre Gasexporte zu diversifizieren und schwächte die Position des russischen Erdölunternehmens Gazprom in der Region.
Die Energiepartnerschaft ist die Grundlage für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Taschkent und Peking. Der chinesische Erdöl- und Chemiekonzern Sinopec war der erste, der in Usbekistan plante seine Filiale zu eröffnen, aber es blieb bei einer Absichtserklärung. Dann beschloss das staatliche Unternehmen Uzbekneftegaz, mit der China National Petroleum Corporation (CNPC) zusammenzuarbeiten, nachdem die Unternehmen 2006 ein Explorationsabkommen unterzeichnet hatten. Das russische Ölunternehmen Lukoil kam noch früher nach Usbekistan – im Jahre 2004. Es liefert aber auch rund 80 Prozent des dort produzierten Gases nach China.
Seit 2012 hat Usbekistan eigene Erdgaslieferungen nach China aufgenommen und dafür die Lieferungen nach Russland 2013 sogar reduziert. Die Zusage, jährlich 10 Milliarden Kubikmeter zu liefern, wurde 2012 gemacht. Doch 2017 betrugen die Lieferungen 4,3 Milliarden Kubikmeter und 2018 – 3,4 Milliarden Kubikmeter. China bleibt nach wie vor das Hauptziel für usbekisches Erdgas – 85 Prozent (587 Millionen US-Dollar) aller Erdgaslieferungen im Jahr 2017. Es ist höchstwahrscheinlich unmöglich, das Versprechen einer Erhöhung der Versorgung ohne den Bau des vierten Abzweigs der Gaspipeline (Linie D) zu erfüllen, der aber „aus technischen Gründen“ eingefroren wurde.
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Im Energiebereich hört die Zusammenarbeit der Länder nicht auf. 21 Prozent des gesamten Handelsumsatzes Usbekistans entfallen auf China, 20,2 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen kommen auch aus China. Nach Angaben des American Institute of Entrepreneurship hat China seit 2007 insgesamt 5,44 Milliarden US-Dollar in Usbekistan investiert.
In Usbekistan gibt es mehr als 1.100 Unternehmen mit chinesischer Kapitalbeteiligung. Die usbekische Erfolgsgeschichte der Marke Artel ist teilweise mit dem chinesischen Haushaltsgerätehersteller Midea verbunden. ZTE, der größte Anbieter, liefert 2G / 3G / 4G-Telekommunikationsausrüstung für UCell.
Huawei, dem im Westen Spionage vorgeworfen wird, ist seit 19 Jahren auf dem usbekischen Markt. Das Unternehmen hat Geräte für den Hochgeschwindigkeits-Internetbetreiber Uzmobile bereitgestellt und testet gemeinsam mit (dem Mobilfunkunternehmen, Anm. d. Red.) Beeline 5G-Technologien. Uzavtosanoat eröffnet in Zusammenarbeit mit Chinas Lifan ein Werk zur Herstellung von Motorradtechnologie. Uztextileprom berichtet von Investitionen chinesischer Unternehmen in Höhe von 200 Millionen US-Dollar im Jahr 2018.
Die Präsenz chinesischer Internetgiganten in Usbekistan nimmt zu. Alibaba verzeichnete 2018 ein Transaktionswachstum von 90 Prozent bei usbekischen Nutzern der AliExpress E-Commerce-Webseite. Sogar Kunstobjekte in den Hauptstraßen von Taschkent wurden tatsächlich „auf Ali“ gekauft.
Laut der mobilen Datenplattform App Annie nimmt das soziale Netzwerk TikTok (die globale chinesische Version von DouYin 抖音 von ByteDance) in Usbekistans App Store und Google Play Store einen immer größeren Stellenwert ein. Bei Nutzern der Android-Plattform ist die chinesische Dateiübertragungsanwendung, SHAREit populär.
Serien und Konfuzius-Institute
Es ist schwer zu beurteilen, wie Usbeken zu China stehen und ob es in der Gesellschaft Ängste vor einer „chinesischen Bedrohung“ gibt – es gibt praktisch keine verlässlichen soziologischen Untersuchungen zu diesem Thema. Im Alltag stoßen die Usbeken jedoch schon in der Kindheit auf China: Im Geschichtsunterricht lernt man die Große Seidenstraße und den unerfüllten Traum des Nationalhelden Amir Temur kennen, das Himmlische Reich zu erobern. Beim Abendessen schauen ihre Großmütter chinesische Fernsehsendungen (zum Beispiel „Muhabbat afsonasi“ (陆 陆 贞), „Qasamyod“(浣花洗剑录) mit einer usbekischen Übersetzung, die auf Yoshlar gezeigt wird).
Bildungsprogramme mit chinesischen Universitäten sind ebenfalls keine Seltenheit. Das erste Konfuzius-Institut in Zentralasien wurde 2004 in Taschkent von der Staatskanzlei für die Förderung der Chinesischen Sprache im Ausland (Hanban, 国家汉办) auf der Grundlage des Instituts für Orientalistik eröffnet. In Samarkand wurde 2014 zusammen mit dem Konfuzius-Institut die Silk Road International University of Tourism eröffnet.
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Im September 2019 ging der Präsident um den Innenhof der Samarkand State University, wo ein Denkmal für den chinesischen Denker Konfuzius errichtet wurde. Zum 25. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen (2017) zwischen den beiden Ländern wurde auf dem Campus der Universität Shanghai ein Denkmal für den usbekischen Denker und Dichter Alischer Navoi errichtet.
Der Boom beim Lernen der chinesischen Sprache ist in Usbekistan kaum zu übersehen – Werbung für Chinesisch-Kurse oder für das Studium an chinesischen Universitäten kann man überall auf der Straße und auf Instagram sehen. Bei der Eröffnung des neuen Konfuzius-Instituts in Taschkent erklärte Botschafter Jiang Yan, dass mehr als 2.000 Usbeken am Konfuzius-Institut in Taschkent und Samarkand Chinesisch lernen.
Trotz der Tatsache, dass die Hälfte der Bevölkerung Zugang zum Internet hat, beeinflusst das Fernsehen immer noch die Meinungsbildung über die Welt (95 Prozent der Bevölkerung haben digitales Fernsehen angeschlossen). Obwohl die russischen Kanäle in Usbekistan beliebt sind, sind die „Wende nach Osten“ und die steigende Aufmerksamkeit gegenüber China auch hierher bemerkbar.
Ein von der Sendung „Heads and Tails“ inspirierter Usbeke kann jedoch nicht allein nach China reisen – ein Touristenvisum ist nur in einer Gruppe von mindestens fünf Personen erhältlich. Bisher können nur Bürger aus Turkmenistan und Kirgisistan individuelle Touristenvisa erhalten, obwohl für die Bürger Chinas in Usbekistan ein vereinfachtes Verfahren für die Erteilung von Touristenvisa eingeführt wurde.
In absehbarer Zeit werden die Länder ihre wirtschaftlichen Beziehungen weiter festigen, immer mehr junge Menschen werden sich nach China orientieren, die Sprache lernen und studieren (was eigentlich ein globaler Trend und keine Besonderheit im Rahmen der usbekisch-chinesischen Beziehungen ist). Die Probleme in den Beziehungen zu China beruhen auf den internen Systemproblemen Usbekistans.
Bis zu ihrer Lösung wird es immer noch Fehler beim Namen des chinesischen Reformers Deng Xiaoping auf der offiziellen Webseite des Präsidenten geben und auf der Webseite des Staatlichen Statistikausschusses Usbekistans wird es immer noch unklar bleiben, wie viel China in die usbekische Wirtschaft investiert.
Temur Umarov auf Hook
Aus dem Russischen von Esmira Saudkasova
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