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Interview über den Stellenwert des Persischen in Usbekistan mit dem Forscher Richard Foltz

In Usbekistan leben zahlreiche Tadschik:innen. Die ethnischen und sprachlichen Zugehörigkeiten scheinen jedoch von allen Seiten unterschiedlich ausgelegt zu werden. Novastan sprach über dieses Thema mit dem Forscher Richard Foltz.

In Buchara und Samarkand ist die Muttersprache der meisten Einwohner:innen Tadschikisch (Illustration). Foto: Pixoos / Wikimedia Commons.

In Usbekistan leben zahlreiche Tadschik:innen. Die ethnischen und sprachlichen Zugehörigkeiten scheinen jedoch von allen Seiten unterschiedlich ausgelegt zu werden. Novastan sprach über dieses Thema mit dem Forscher Richard Foltz.

Obwohl viele in Usbekistan Persisch sprechen, wird die Sprache nur selten mit der Geschichte Usbekistans in Verbindung gebracht. Stattdessen gilt das Persische als kulturelles Erbe des Nachbarslandes Tadschikistan. Novastan sprach mit dem kanadischen Wissenschaftler und Schriftsteller Richard Foltz über die Geschichte und Zukunft der persischen Sprache in Usbekistan. Der Autor beschreibt einen steinigen Weg zwischen Reformen, Lügen und Pragmatismus.

Sein Buch „Les Tadjiks : persanophones d’Afghanistan, d’Ouzbékistan et du Tadjikistan behandelt die Sprache und Geschichte der Tadschik:innen, darunter der persischsprachigen Bevölkerungsteile aus Afghanistan, Usbekistan und Tadschikistan und ist seit April letzten Jahres auf Französisch im Hermann-Verlag erhältlich. [Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem englischen Original „A History of the Tajiks“– Anm. d. Ü.].

Novastan: Wenn wir auf vergangene Zeiten blicken, wie haben sich Ihrer Meinung nach die Reformen der Sowjetzeit auf die Verbreitung der persischen Sprache in Usbekistan ausgewirkt?

Richard Foltz: Der Großteil des persischsprachigen Gebietes, einschließlich Buchara  und Samarkand, wurde Usbekistan zugeschlagen. Diese Gebiete sind auch heute noch persischsprachig. Allerdings gilt Usbekistan heutzutage offiziell als eine turksprachige Republik. Die Zuteilung der persischsprachigen Gebiete zu Usbekistan wurde von tadschikischen Nationalist:innen und Intellektuellen als bewusste Enthauptung der tadschikischen Kultur und Zivilisation durch das bolschewistische Regime empfunden. Meiner Meinung nach stimmt das bis zu einem gewissen Grad. Das Ziel der Bolschewiki war es, die traditionelle Zivilisation auszulöschen und durch eine neue, sowjetische Zivilisation zu ersetzen.

Die Tadschik:innen waren während tausend Jahren die Hüter der islamischen Zivilisation; der Bildung, der Seminare, der Madrasas (islamische Schulen, Anm. d. Ü.), aber auch der Literatur, der Bürokratie und der Sufi-Bruderschaften (eine Strömung, die sich esoterische und mystische Praktiken zu eigen macht, Anm. d. Ü.). Fast alles, was zur islamischen Hochkultur gehörte, war in tadschikischen Händen. Als Nation repräsentierten sie für die Bolschewiki die obsolet gewordene Vergangenheit, die es zu ersetzen galt.

Da die islamische Zivilisation in Zentralasien jedoch tief verwurzelt ist, war das Unterfangen nicht einfach umzusetzen, während die Turkvölker in den Augen der Bolschewiki leichter nach ihren Vorstellungen zu formen waren. Sie sahen in ihnen ein leeres Blatt Papier, auf das sie die bevorzugte Identität schreiben konnten. So wurde die usbekische Identität von den Bolschewiki konstruiert. Das Wort „Usbeke“ gab es schon seit Jahrhunderten, aber es bezog sich auf einen Stamm und bezeichnete weder eine Sprache noch eine Kultur oder gar ein Volk.

Der Name wurde von den Bolschewiki willkürlich auf die urbanisierten Turksprachen angewandt, obwohl es damals etwas komplizierter war, denn die städtische Bevölkerung Zentralasiens war größtenteils zweisprachig. Die Menschen drückten sich sowohl auf Persisch als auch in Turksprachen aus. In den ersten Revolutionsjahren durchschauten die zentralasiatischen Eliten die Mentalität der Bolschewiki, und da sie zweisprachig waren, entschieden sich die meisten für diejenige Identität, die ihnen im neuen System mehr Vorteile brachte.

Aber nicht alle. Sadriddin Ainij ist wohl die bekannteste Person, die sich für die tadschikische Identität entschieden hatte. Die meisten aber, wie Fayzulla Xoʻjayev und andere, entschieden sich dafür, sich als usbekisch zu identifizieren, was einfach war, weil sie ohnehin zweisprachig waren. Dasselbe gilt heutzutage auch für die junge Generation in Buchara. Dort sprechen 90 Prozent der Bevölkerung zu Hause Tadschikisch, lernen aber von klein auf in der Schule Usbekisch, sodass sie komplett zweisprachig sind.

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Da sie keinen Vorteil darin sahen, sich als Tadschik:innen zu identifizieren, bezeichneten sie sich schlichtweg als Usbek:innen. Die bolschewistische Politik brachte so individuelle Entscheidungen hervor. Sie stellten die Bevölkerung vor die Wahl und nahmen diese zur Kenntnis. Von da an war man entweder das eine oder das andere. Zuvor basierte Identität in Zentralasien nicht auf der Sprache, ganz und gar nicht. Sie basierte auf anderen Dingen, auf dem Beruf, der sozialen Klasse, der Religion, …

Es folgte der Zerfall der Sowjetunion und die Präsidentschaft von Islom Karimov. War das Ihrer Meinung nach ein Versuch, Nation-Building zu betreiben, und dabei die persische Sprache zu ignorieren?

Sagen wir, das Positive an der Sowjetzeit war, dass die Sprachfrage etwas an Bedeutung verlor, weil sowieso jede:r Russisch lernen musste. Was in der Gesellschaft als wichtig betrachtet wurde, fand auf Russisch statt, und die Muttersprache trat in den Hintergrund, da die Bürger:innen nach und nach sowjetisch werden sollten. Das führte dazu, dass man zumindest in der Grundschule das Recht hatte, in seiner eigenen Muttersprache unterrichtet zu werden. In Usbekistan gab es damals über 500 tadschikische Grundschulen.

Auch gab es Zeitungen und Fernsehen in tadschikischer Sprache. Ja, es bestand ein Plan, den sowjetischen Menschen zu formen, aber das war ein Zukunftsprojekt. So erhielt jede Nation ihre Kinematografie, ihr Theater, ihre Literatur, und das wurde staatlich unterstützt.

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Dies endete mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Für die unabhängig gewordenen Nationen entstand eine neue Relevanz für die Frage nach der nationalen Identität. Zwischen Tadschikistan und Usbekistan, und das war schon in den 1980er Jahren sichtbar, gab es eine Art Wiederaufleben der nationalen Identität. Die Tadschik:innen begannen, sich auf die iranische Identität zu stützen, auf das Erbe der Literatur, der Musik, auf alles, was iranisch war. Die usbekischen Eliten beunruhigte dies, weil sie historisch nichts Vergleichbares zu bieten hatten.

Dies ging mit der Forderung nach Wiederherstellung der mehrheitlich tadschikischen Gebiete Usbekistans einher. Manche wollten sie an Tadschikistan angeschlossen sehen, insbesondere Buchara und Samarkand, was für die usbekischen Eliten inakzeptabel war. Im Zuge der Unabhängigkeitsbewegungen wurde dies eine regelrechte Bedrohung für Usbekistan, das alles daran setzte, solche Bestrebungen zu beseitigen.

Ein gerechtfertigtes Unterfangen?

Aus usbekischer Sicht schon. Das, was wir als tadschikisches Gebiet sehen können, war nie das Kernland der tadschikischen Zivilisation. Weder während noch nach der Sowjetzeit gelang es den Eliten, eine nationale Identität aufzubauen.

Das gilt für die meisten Intellektuellen. Für die einfachen Leute ist Identität ohnehin eher regional geprägt. Im heutigen Tadschikistan spricht jede:r Tadschikisch, weil es in der Schule gelehrt wird, aber die Regierung hat es völlig versäumt, eine nationale Identität im ganzen Land aufzubauen. Die Menschen identifizieren sich nach wie vor über ihre Region, der Bürgerkrieg hatte diese Spaltung zusätzlich verstärkt. Die Menschen erinnern sich und haben sich noch nicht davon erholt.

Mit der Präsidentschaft von Shavkat Mirziyoyev hat sich das etwas verändert. Sie haben eine größere Passivität des usbekischen Staates gegenüber dem Persischen beschrieben.

Ja, ich sage nicht, dass Shavkat Mirziyoyev pro-tadschikisch ist, aber er ist toleranter als Islom Karimov, der selbst zu jenen Tadschik:innen gehörte, die sich aus politischen Gründen als Usbek:innen identifizierten. Er war ein Waisenkind, von dem man nicht viel weiß, außer dass er aus Samarkand stammte und seine Muttersprache mit ziemlicher Sicherheit Tadschikisch war. Vor allen Dingen war er ein Politiker, der im sowjetischen System mit seiner absolut stalinistischen und totalitären Mentalität ausgebildet worden war.

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Tadschik:innen sind überall zu finden, in weiten Teilen des Landes bilden sie sogar Mehrheiten, wie beispielsweise im Ferghanatal oder im Süden auf der Seite von Termiz. Als ich 1994-1995 in Usbekistan lebte, hatten die Menschen Angst davor, sich als Tadschik:innen zu bezeichnen. Wenn man jemanden fragte, antwortete er: „Ich bin Usbeke“. Wenn man ihn dann fragte, ob er Tadschikisch sprechen könne, antwortete er zögerlich mit „ja“ und gab dann nach und nach leise zu, dass er Tadschike sei.

Und dieses Zögern wurde durch die harten Repressionen verursacht?

Ja… Die Repressionen waren ernst zu nehmen. Menschen verloren ihren Job oder wurden von sämtlichen Diensten ausgeschlossen.

Aber jetzt ist das nicht mehr der Fall, außer für einige Aktivist:innen, vor allem in Samarkand. Die persischsprachigen Usbek:innen fühlen sich mit ihrer doppelten Identität als tadschikischsprachige Usbek:innen wohl, weil es unter Shavkat Mirziyoyev keinen Preis für eine Identifikation als Tadschik:in zu zahlen gibt. Es bietet aber auch keine Vorteile.

Vor allem die Jugend sieht darin keinen Vorteil mehr. Interessant ist, dass es heute zehnmal weniger tadschikische Schulen gibt als vor der Unabhängigkeit. Nicht die Regierung schließt sie, sondern die Eltern sagen, sie wollen nicht, dass ihre Kinder auf Tadschikisch unterrichtet werden, weil sie später keine Arbeit fänden. Lieber sollen sie auf Usbekisch ausgebildet werden.

Usbekistan hat mehrere persischsprachige Nachbarn in der Region, sogar über Tadschikistan hinaus. Glauben Sie, dass die iranisch-usbekischen Beziehungen eine Rolle für die Lockerungen gegenüber dem Persischen in Usbekistan spielen?

Der Iran hat seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion versucht, sich eine wichtige Rolle in der Region zu verschaffen, aber das hat nicht besonders gut funktioniert. Denn erstens ist der Iran eine schiitische Islamische Republik, während die Usbek:innen und Tadschik:innen größtenteils Sunnit:innen sind. In Buchara gibt es viele Schiit:innen iranischer Herkunft, die im 19. Jahrhundert eingewandert sind und sich rund um die Stadt angesiedelt haben. Die Tadschik:innen in Buchara aber weigern sich, sie zu heiraten, und ziehen es vor, sunnitische Usbek:innen zu heiraten.

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Und dann hat der Iran in Usbekistan iranische Kulturzentren eingerichtet, die religiöse Zentren sind. Hätte sich die iranische Regierung dafür entschieden, stattdessen ihre gemeinsame Kultur wie Literatur oder Musik zu fördern, hätte das viel besser funktioniert. Für einen persischsprachigen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion ist dies jedoch nicht sehr attraktiv.

Schließlich, wenn man Kasachstan als Beispiel nimmt, wo die Frage nach Kasachisch und Russisch in der Gesellschaft vielleicht präsenter ist, beschreiben Sie in Usbekistan einen größeren Pragmatismus… Ist die Sprache weniger wichtig?

In Usbekistan ist die usbekische Sprache von Bedeutung. Viel mehr als das Kasachische in Kasachstan, wo das Russische noch sehr präsent ist. In Usbekistan wird es von den älteren Menschen gesprochen. Die jungen Leute interessieren sich nicht dafür, sie lernen entweder Englisch oder Chinesisch. Chinesisch interessiert, und das aus gutem Grund, denn China ist ein interessantes Modell. Im Gegensatz zu Iran, Afghanistan oder Russland.

Und versucht nicht auch Tadschikistan, Einfluss auf die persischsprachige Bevölkerung zu nehmen?

Es ist dazu nicht in der Lage. Die Tadschik:innen leben in Usbekistan viel besser als in Tadschikistan, wo das Leben fast unmöglich ist. Attraktivität entsteht durch Erfolg. Es ist China, das jetzt den Erfolg in dieser Region repräsentiert, und es ist China, das für all diese Länder die Hauptrolle spielen wird, das ist sogar schon der Fall.

Selbst in Afghanistan sind die Chinesen dabei, eine Straße durch den Wachankorridor zu bauen. Das ist eine sehr isolierte Region, die mit dieser Straße und der sich öffnenden Grenze bald nicht mehr isoliert sein wird. Alles verändert sich, China wird die Führungsrolle übernehmen und das ist unvermeidlich. Es gibt nichts, was Russland oder die USA tun können, um dies zu verhindern.

Um auf einen eher kulturellen als politischen Aspekt zurückzukommen: Beeinflusst das Persische weiterhin die usbekische Kultur, sei es durch die Kunst oder die Religion?

Nicht wirklich, denn alles Persischsprachige in der historischen Kultur der Region wurde neu interpretiert. Erstens ist dies eine zukunftsorientierte Gesellschaft, es gibt nur sehr wenige Menschen, die sich für die Vergangenheit interessieren. Und was die Menschen über die Vergangenheit wissen, sind oft Lügen, die für die Konstruktion der nationalen Identität fabriziert werden – und das ist in allen Ländern so.

Man macht mit der Geschichte, was man will, um eine nationale Identität zu konstruieren. In Aserbaidschan ist es noch schlimmer: In Baku gibt es im Stadtzentrum ein nationales Museum für aserbaidschanische Literatur. Ein sehr schönes Museum, in dem alle großen Dichter der Vergangenheit gepriesen werden, ohne zu erwähnen, dass alle diese Dichter, fast ausnahmslos, auf Persisch schrieben. Wer dieses Museum besucht, geht mit dem Eindruck nach Hause, dass diese Leute alle in der Turksprache schrieben, was aber nicht der Fall war.

In Usbekistan ist es ähnlich. Ich war in den 1990er Jahren als Doktorand in Usbekistan. Dort arbeitete ich am Orientalischen Institut. Eines Tages kam ein Bote aus dem Büro des Präsidenten mit einem Brief an die Historiker, in dem stand, dass der Präsident der Republik erklärt habe, dass Amir Timur (oftmals Tamerlan genannt, Anm. d. Ü.) der Vater der usbekischen Nation sei. Es war also an ihnen, den Historiker:innen, eine Fassung der Geschichte zu konstruieren, die es ermöglichte, in der Schule zu lehren, dass die usbekische Nation von ihm gegründet worden war.

Die Forscher:innen zerbrachen sich den Kopf, weil in den Texten aus Tamerlans Zeit alle sagen, dass die Usbeken die niedrigsten aller Menschen sind, und Tamerlan hatte nur Verachtung für sie übrig. Ich glaube, er dreht sich im Grab um. Aber so ist es nun einmal und die Menschen wissen es nicht. Die Intellektuellen in Usbekistan hingegen wissen es, aber sie kommen nicht zu Wort oder schweigen meistens, weil sie ihre Arbeit nicht verlieren wollen.

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Letztlich habe ich nur in der Stadt Samarkand so etwas wie eine tadschikische Nationalbewegung gesehen, und zwar auch unter jungen Leuten. Ich weiß nicht, ob sich daraus in Zukunft Veränderungen ergeben werden. Denn die iranische Identität hat sich vor allem auf die Poesie konzentriert, und die klassische persische Poesie ist für junge Usbek:innen nicht zugänglich, auch nicht für diejenigen, die sich dafür interessieren könnten.

Vor allem, weil sie [das Persische – Anm. d. Ü.] zwar sprechen, [die Schrift – Anm. d. Ü.] aber nicht lesen können.

Ja, das stimmt, das Alphabet wurde geändert. In Tadschikistan ist all diese Literatur in kyrillischer Schrift. Außerdem dürfen keine Bücher aus Tadschikistan importiert werden, auch jetzt nicht, wo die Grenzen offen sind. Ich habe nachgefragt, ob es verboten ist. Man antwortete mir, nein, es sei nicht formell verboten, aber es gehöre zu den Dingen, von denen man weiß, dass man sie nicht tun sollte.

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In Usbekistan interessiert vor allem die Volksmusik. Es gibt viele bekannte zeitgenössische persischsprachige Musiker:innen. Diese werden auch von nicht-persischsprachigen Menschen geschätzt.

Es wird viel über diese persisch- und usbekischsprachige Bevölkerung gesprochen. Aber was ist mit den Usbek:innen, die kein Persisch sprechen? Wie nehmen sie die Präsenz der Persischsprachigen, ihrer Kultur und ihrer Identität wahr? Sie schildern fast so etwas wie ein Schwinden des Persischen infolge von Pragmatismus, mangelnden beruflichen Möglichkeiten, aber nicht aus Feindseligkeit?

Ja, ich würde sagen, dass es eine Kombination aus Gleichgültigkeit und Ignoranz ist. Wie ich bereits sagte, lernen Usbek:innen, die nur Usbekisch sprechen, eine konstruierte Geschichte, in der alles, was sich auf die iranische Zivilisation bezieht, als zur Turk-Zivilisation gehörig ausgewiesen wird. Für sie waren alle großen Persönlichkeiten turksprachig. Wie kann man Rücksicht auf das Persische oder auf die Persischsprachigen nehmen, wenn man die Geschichte so lernt?

Gleichgültig, da keine Bedrohung mehr von den persischsprachigen Menschen ausgeht, seit den Repressionen unter der Präsidentschaft von Islom Karimov. Schließlich ist die Lage in Tadschikistan so hoffnungslos, dass niemand daran glaubt, dass das Land in der Region Einfluss haben könnte. Die Usbek:innen haben allen Grund, stolz und glücklich zu sein, und die Tadschik:innen in Usbekistan sind durchaus froh, dass sie zu Usbekistan zugehörig sind und nicht zu Tadschikistan.

Kennen Sie im Land Institutionen, Universitäten und Akteure, die versuchen, die persische Kultur wiederzubeleben?

Es gibt sechs Abteilungen für tadschikische Studien an den Universitäten in Usbekistan, aber es gibt nur sehr wenige Studierende, weil Absolvent:innen mit einem Abschluss in tadschikischen Studien nichts anfangen können. In Samarkand gibt es ein paar Dutzend Studierende, während es in Buchara vor zwei Jahren 16 Studierende gab.

In einem Ihrer Artikel haben Sie die Entwicklung des persischen Dialekts in Usbekistan beschrieben.

Ja, weil es keinen literarischen Standard mehr gibt, da die Menschen nicht mehr lesen. Es gibt nichts, um die Divergenz zu verhindern. In Buchara ist die tadschikische Sprache sehr türkisiert, sie ist sehr schwer zu verstehen. Man bewegt sich auf eine neue Sprache zu, die nicht mit den anderen Dialekten des Persischen zu verstehen ist. Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass das Persische ausstirbt, sondern eher dafür, dass es divergiert und eine andere Sprache entsteht.

Als Kanadier, der in einem zweisprachigen Land lebt, kann ich mir nur wünschen, dass die usbekische Regierung eines Tages beschließt, Persisch zur zweiten offiziellen Landessprache zu ernennen. Ich denke, sie hätten nichts zu verlieren, wenn sie das tun würden, sondern viel zu gewinnen. Aber das ist nur ein Traum, sie werden es nicht tun, da ein großer Mentalitätswandel vonnöten wäre.

Was hindert sie daran?

Das Erbe der sowjetischen Mentalität. Vielleicht werden sich die Dinge ändern, wenn eine neue Generation ans Ruder kommt. Man müsste die historischen Lügen zugeben, die in Usbekistan seit fast einem Jahrhundert gelehrt werden, was nicht unmöglich ist. Ich fände es sehr gut.

Helmand Gardezi, Redakteur für Novastan

Übersetzt aus dem Französischen von Berenika Zeller

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Kommentare (2)

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Christiane, 15 days ago

ein sehr interessanter Artikel, vielen Dank!

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Franz Horlacher, 14 days ago

Ein sehr interessanter und erhellender Artikel. Jetzt verstehe ich, weshalb unser Übersetzer auf dem Markt in Samarkand persisch gesprochen hat. Es ist wirklich sehr schade, wenn dieser kulturelle Reichtum durch die Sowiets und China ausgelöscht werden würde.

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