Sie war während der Sowjetära ein Tabuthema, seit 1991 ist sie jedoch zu einer der zentralen Fragestellungen für die Einheit des jungen unabhängigen Staates geworden. Durch das Internet können sich Usbeken offener ausdrücken. In Foren und sozialen Netzwerken sind Debatten über Identität zu einem Schlüsselthema politischen Engagements der post-sowjetischen Generation geworden. Die Diskussionen zeigen die historische Komplexität eines multiethnischen, auf bolschewistischer Ideologie erbauten Staates.
Lest auch auf Novastan: Die nationale Identität Usbekistans Teil 1 -Das Erbe einer Debatte
In Usbekistan werden divergierende politische Meinungen weder in der Presse noch anderswo ausgedrückt. Das Aufkommen des Internets jedoch hat die Situation geändert und erlaubt, unterschiedliche Standpunkte zu verbreiten. Die Identität der usbekischen Gesellschaft ist ein heißes Thema, des ein interessantes und einzigartiges Zeugnis darüber ablegt, welche Vision die usbekische Gesellschaft für sich selbst hat.
Das Internet als ein Ort der Identitätsdebatte
Die Entwicklung des Internets ermöglichte es Vertretern verschiedener politischer Orientierungen, ihre Meinungen auf diversen Online-Plattformen auszudrücken. Die Jahre 2000-2010 sind gekennzeichnet von der Entstehung von auf Regionen, Ethnien und Sprachen spezialisierten Foren, die seitdem eine wachsende Bedeutung im usbekischen Netz erlangt haben. Nationale Foren wie Arbuz („Die Wassermelone“, eine bedeutende Frucht in Usbekistan), Ziyouz (Ziyo bedeutet „Wissen“ oder „Intelligenz“ in der Poesiesprache) und Choyhona („Das Teehaus“, ein exzellenter Diskussionsort in Usbekistan) sind Austragungsorte lebendiger Debatten zwischen Islamisten, Nationalisten und Liberalen geworden. Im Januar 2011 allerdings mutete die Festnahme von sechs Nutzern des Hauptforums Arbuz aufgrund ihrer islamistischen Positionen [13] und die komplette Schließung des Forums einen Monat später wie eine Warnung an die usbekischen Internetnutzer an. Die Foren verloren daraufhin ihre Attraktivität als Orte der freien Meinungsäußerung [14].
Frequentiert von einem jungen gebildeten Publikum, spielen diese privilegierten Versammlungsorte eine wichtige Rolle in der Entwicklung der virtuellen usbekischen Gesellschaft. Mit der Schließung von Arbuz und dem Druck, den er auf andere Foren ausübt, gelang es dem Staat, diese neuentstandene Ansammlung politischer Energie zu zerschlagen. Seitdem verstreuen sich die Forennutzer auf andere Plattformen, vor allem in den sozialen Netzwerken.
Die sozialen Netzwerke, die sich in Usbekistan ab dem Jahr 2007 entwickelten, zunächst als Orte der Begegnung und des Austauschs, wurden später zu Plattformen der sozialen und politischen Debatten.
Die größten Plattformen, die als usbekische online-Treffpunkte dienen, sind Facebóok, Twitter, Odnoklassniki, Vkontakte, Mail.ru, und mobile Applications wie Whatsapp und Telegram. Facebook zieht vor allem usbekische Nutzer an, die in Europa oder den Vereinigten Staaten studiert haben und Fremdsprachen sprechen. Odnoklassniki, ein rein russischsprachiges Netzwerk, wird hauptsächlich von usbekischen Einwanderern aus Russland und der usbekischen Jugend frequentiert. Die Ausrichtung der Diskussionen in diesen Netzwerken spiegelt die geographische und kulturelle Nähe wieder. Während der Ukrainekrise konnte man auf Facebook eine anti-russische Positionierung usbekischer Nutzer beobachten, während auf Odnoklassiniki die usbekischen Nutzer klare pro-russische Positionen vertraten. Natürlich gab es in beiden Netzwerken Vertreter unterschiedlicher Positionen, der allgemeine Trend war jedoch ersichtlich.
In den sozialen Netzwerken ist die Frage nach der nationalen Identität ein zentrales Thema. Unsichtbar hinter ihren Bildschirmen fühlen sich die Nutzer frei, ihre Meinungen auszudrücken und sich entsprechend ihrer Ideen zu gruppieren. Dort finden sich die Gruppen der Islamisten, Nationalisten, Panturkisten, Regionalisten, Säkularisten und Paniranisten etc. Die Diskussionen in diesen Gruppen konzentrieren sich auf die allgemeine gesellschaftliche Ausrichtung des Landes, beispielsweise die Rolle von Religion in der Gesellschaft und die Bedeutung, die Traditionen einnehmen sollten. Die Politik des Regimes wird selten in Frage gestellt. Diskussionen über die Politik oder politische Persönlichkeiten sind riskant und daher Tabuhemen. Die von der Opposition aufgeworfenen Fragen werden von den lokalen Internetnutzern weitestgehend ignoriert. Die Furcht vor den Behörden ist nicht verschwunden. Daher umgehen die Nutzer Zensur und Repression, indem sie sozialen Themen Vorrang geben.
Die Islamisten in der Netzdebatte
Die enttäuschten Hoffnungen, die mit dem Arabischen Frühling in Libyen, Ägypten und Syrien verbunden waren, haben den Einfluss der Islamisten auf ihre Sympathisanten im Netz verringert. Traditionell sind die Diskussionen in den usbekischen sozialen Netzwerken sehr am russischen Standpunkt orientiert. Mit der starken russischen Präsenz in den Konfliktherden Syrien und Ukraine haben auch die pro-russischen Kommentare und Positionen im Netz zugenommen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Teile der usbekischen Bevölkerung, die an Diskussionen in sozialen Netzwerken teilnehmen, zu großen Teilen aus in Russland arbeitenden Migranten besteht, die die Beziehungen und Positionen zwischen den Internetnutzern der alten Sowjetrepublik und Moskau nachziehen. Das trotz der geopolitischen Positionierung der usbekischen Regierung, die dem russischen Einfluss in der Region entgegenzuwirken versucht (besonders mit der Eröffnung eines NATO-Zweiges für Zentralasien in Taschkent 2014. Das Büro wurde im April 2017 aus Budgetgründen von Seiten der NATO geschlossen).
Mit dem Wiederauftauchen Russlands als geopolitischer Akteur gegenüber Europa und den Vereinigten Staaten haben usbekische Internetnutzer eine einen neue anti-westliche und dafür pro-russische Position angenommen. Der radikale Islamismus verlor sein Monopol als Konkurrent des Westens, während Russland sein föderatives Gegenmodell, dass es noch aus Zeiten der Sowjetunion hatte, wieder etablierte und somit eine Identifikationsmöglichkeit geschaffen hat.
So bezeugen die sozialen Netzwerke in Usbekistan eine Verlangsamung muslimischer Entwicklungen in der usbekischen Identität. Das unterstützen die Unterstützer der Demokratie und die Eiferer des usbekischen Nationalismus, die den Islamismus als panarabische Ideologie betrachten, der eine Bedrohung für die usbekische Identität darstellt – denn diese will keine arabische sein.
Eine verspätete Reaktion des Staates
Die usbekische Regierung rief angesichts dieser Entwicklungen Parallelnetzwerke ins Leben wie Muloqot.uz (das usbekische Facebook), Mover.uz (das usbekische Youtube), Haqida.uz (das Mail.ru – usbekisches My Space), Gap IM (usbekischer Messenger), Gap Anor (das usbekische WhatsApp) und viele Weitere. Diese Initiativen kamen recht spät. Die Bevölkerung hatte bereits begriffen, dass das eigentliche Ziel dieser sozialen Netzwerke eine strengere Kontrolle über die Bürger war. Sie werden daher zumeist von Jugendlichen genutzt, die sich nicht für sozio-politische Fragen interessieren. Dennoch scheint die Regierung ihren Informationskrieg nicht aufgeben zu wollen, und setzt alles daran, ihre Versäumnisse bezüglich neuer Medien, die sie zunächst vernachlässigt hatte (oder von ihnen schlicht überholt wurde) wieder auszubügeln. Zahlreiche Informationsseiten wurden von der Regierung erstellt. Wichtige Seiten wie Daryo.uz oder Uz24.uz sind offensichtliche Beispiele für angeblich unabhängige Seiten, die sich an der Politik des Regimes orientieren.
Die Schaffung einer neuen usbekischen Identität dank des Internets?
Die Fülle an Informationen von allen Seiten und der Mangel an Kontrolle über die Nutzer der sozialen Netzwerke ist eine tickende Zeitbombe für die usbekische Regierung. Die Freiheit des Internets, wenn auch nur eine Illusion, kann reale Konsequenzen haben, wie im Fall des arabischen Frühlings. Die sozialen Netzwerke sind so zum Austragsort eines Krieges geworden, den die Usbeken mit ihren Tastaturen führen — und in dem die Gräben zwischen den Parteien sehr tief sind. Durch die Globalisierung nehmen auch ausländische Einflüsse zu. Ausländische Seiten sind seitdem beliebter als interne usbekische, womit auch die Bedeutung westlicher Sprachen, allen voran Englisch, zunimmt. Die junge Generation kommuniziert mehr und mehr in Fremdsprachen. Im Internet wendet sich die Jugend Englisch und Usbekisch zu und lässt das Russische hinter sich.
Diese Redefreiheit in den sozialen Netzwerken über die brennende Frage der Identität hat es der usbekischen Jugend ermöglicht, sich über soziale, politische und historische Unterschiede bewusst zu werden. Im und durch das Internet entwickeln sich allmählich eine usbekische Mentalität. Die Jugend emanzipiert sich allmählich von den Traditionen, ohne jedoch historische Spaltungen zu überwinden.
Akhmed Rahmanov
Redakteur für Francekoul.com (Novastan.org)
Redigiert von Isabelle Klopstein
Aus dem Französischen von Janny Schulz
Bibliographische Anmerkungen:
[13] http://www.bbc.co.uk/uzbek/uzbekistan/2011/01/110121_cy_uzbek_arbuz.shtml
[14] http://www.bbc.co.uk/uzbek/uzbekistan/2011/02/110204_cy_arbuz_closed.shtml
[15] Die Zahl der Internetnutzer in Usbekistan ist seit 2007 stark gestiegen, vor allem aufgrund der Entwicklung des mobilen Internets.
[16] http://odnoklassniki.ru/group/52243312410748/topic/62417555114876