Während Muslime in aller Welt das Ende des islamischen Opferfests feierten, inszenierte China eine Propagandakampagne, um der Welt die Religionsfreiheit der Uiguren zu demonstrieren. Die turksprachige, mehrheitlich muslimische Minderheit, die in der chinesischen Provinz Xinjiang lebt, ist seit Jahren schweren Repressionen ausgesetzt. Bei den von Peking inszenierten Feierlichkeiten waren fröhliche und tanzende Uiguren in volkstümlichen Trachten zu sehen – ein scharfer Gegensatz zur Alltagsrealität in der Region.
Laut Free Asia News feierte ein Großteil der 12 Millionen Muslime, die im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang leben, vom 20.-22. Juli das islamische Opferfest. Die chinesischen Behörden, denen systematische Menschenrechtsverletzungen gegen ethnische und religiöse Minderheiten in Xinjiang vorgeworfen werden, versuchen mit den Feierlichkeiten des islamischen Opferfests Sympathien in der muslimischen Welt zu gewinnen.
Tänze und Trachten
Chinesische Medien haben die Gelegenheit genutzt, den Anschuldigungen der Internationalen Gemeinschaft zu begegnen, indem sie aller Welt die Religionsfreiheit der Einwohner von Xinjiang demonstrierten. So wurden in staatlichen Medien Interviews mit Personen gezeigt, die frei das Opferfest feiern. In einem englischsprachigen Bericht des chinesischen Auslands-Fernsehsenders CGTN, der am 20. Juli ausgestrahlt wurde, begibt sich ein chinesischer Reporter am ersten Festtag zu einer uigurischen Familie in die Hauptstadt der Region, nach Ürümqi, um dort die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zu begleiten. Am gleichen Tag zeigte Global Times China Festszenen aus Hotan, einer Stadt im Süden von Xinjiang. In dem Video sind festlich gestimmte, in Volkstracht gekleidete Menschen zu sehen, die zu den Klängen der Dotar tanzen, einem in Zentralasien und dem Iran verbreiteten zweisaitigen Zupfinstrument.
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Die Diskrepanz zwischen diesen Bildern und dem Bericht von Free Asia News könnte größer nicht sein. Für Qelbinur Sidik, die in einem Internierungslager in Xinjiang Chinesisch unterrichtet hat, sind das alles „inszenierte Darbietungen“ der chinesischen Propaganda. Ihr zufolge konnten die Uiguren seit 2016 weder den Ramadan noch das Islamische Opferfest begehen.
Ein „kultureller Genozid“
Während die uigurischen Traditionen und Gebräuche von Peking instrumentalisiert werden, ist die Kultur der turksprachigen Minderheiten in Xinjiang ernsthaft bedroht. Seit mehreren Jahren sind sie nun schon der repressiven Politik der chinesischen Behörden ausgesetzt. Mit dem Wechsel des Parteisekretärs Chen Quanguo Ende 2016 aus dem Autonomen Gebiet Tibet nach Xinjiang haben die Repressionen eine neue Intensitätsstufe erreicht.
Die willkürlichen Internierungen in Umerziehungs- und Arbeitslagern, die Zwangssterilisationen sowie die permanente Überwachung, denen die Minderheiten in Xinjiang unterworfen sind, wurden in einem 2018 erschienenen Bericht von Human Rights Watch dokumentiert.
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Schätzungen des Australian Strategic Policy Institute zufolge, die am 24. September 2020 in dem Bericht „Cultural erasure“ veröffentlicht wurden, sind seit 2017 rund 16.000 Moscheen zerstört oder beschädigt worden – das sind 65% der Moscheen Xinjiangs. Nach Angaben Pekings „beherbergen“ die Umerziehungslager mehr als 1,3 Millionen Menschen. Für die Opfer aber handelt es sich in Wahrheit um einen „kulturellen Genozid“.
Peking wirft den Westmächten Einmischung vor
Während die USA erklärt haben, dass die Unterdrückung der Uiguren durch China einem Genozid gleichkäme, haben die EU und Großbritannien im März Sanktionen gegen China verhängt. Die Sanktionen richten sich gegen hohe chinesische Funktionäre und beinhalten das Einfrieren von Vermögenswerten, sowie Einreiseverbote.
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China hat, wie die französische Tageszeitung Le Monde schreibt, die Anschuldigungen pauschal zurückgewiesen, sie als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ verurteilt. Zudem hat China Sanktionen gegen „vier Einrichtungen und zehn Europäer verhängt, denen damit die Einreise auf das chinesische Festland, nach Hongkong und Macao sowie die Geschäftstätigkeit in China untersagt wurde“.
Eine Botschaft an die muslimischen Verbündeten?
Muslimische Staaten, die enge Beziehungen zu China pflegen, scheinen sich an Pekings Verfolgung der Minderheiten nicht sonderlich zu stören. Die Wirtschaft Pakistans ist etwa von chinesischen Investitionen im Rahmen der Neuen Seidenstraße abhängig, die Regierung in Islamabad hält sich daher mit Kritik zurück. Der 2015 ins Leben gerufene ‚China-Pakistan Economic Corridor‘ beginnt in Gilgit-Baltistan an der Grenze zu Xinjiang. Laut dem Nachrichtenmagazin The Diplomat hat sich der chinesische Staat dazu bereit erklärt, 62 Milliarden US-Dollar in die Infrastruktur Pakistans zu investieren.
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Allem Anschein nach hat die wirtschaftliche Abhängigkeit Pakistans dazu geführt, dass das Land den chinesischen Forderungen zunehmend nachgibt und bei der Unterdrückung und Auslieferung von Uiguren, die auf pakistanischem Territorium leben oder sich dort aufhalten, sogar mit China zusammenarbeitet. Einem am 13. Mai publizierten Bericht vom Uyghur Human Rights Project zufolge befinden sich unter den 1046 in Xinjiang internierten islamischen Geistlichen auch solche, die in pakistanischen Koranschulen ausgebildet und anschließend von pakistanischen Behörden verhaftet wurden.
In einem Interview mit dem amerikanischen Medienunternehmen Axios versuchte der pakistanische Premierminister Imran Khan dem Thema auszuweichen. Auf die Frage des Journalisten nach dem Stillschweigen Islamabads bezüglich der Jagd auf die muslimischen Minderheiten in China, antwortete der Premierminister lediglich, dass Pakistan mit China über diese Angelegenheit nur „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ spreche und dass es, China zufolge, keine Unterdrückung von Muslimen in Xinjiang gebe. Schließlich ging Imran Khan auch noch auf die besondere Beziehung zwischen Pakistan und China ein: „China hat sich als einer unserer größten Freunde in unseren schwierigsten Zeiten erwiesen. Als wir uns durchbeißen mussten, als unsere Wirtschaft am Boden lag, kam uns China zur Hilfe“.
Pakistan ist kein Einzelfall. Auch den zentralasiatischen Staaten fällt es zunehmend schwer, dem Druck aus China zu standzuhalten. Im Mai dieses Jahres verweigerte Kasachstan drei ethnischen Kasachen mit chinesischer Staatsbürgerschaft die Einbürgerung. Seit seiner Unabhängigkeit hatte Kasachstan die Rückkehr ethnischer Kasachen, insbesondere aus China, immer unterstützt.
Margarita Danilova für Novastan France
Aus dem Französischen von Lucas Kühne
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