Was ein sowjetischer Archäologe bereits Anfang der 1970er Jahre entdeckt hatte, darauf darf die westliche Öffentlichkeit erst jetzt einen Blick werfen. „Margiana. Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan“ lautet der Name einer Sonderausstellung im Neuen Museum in Berlin, die am 25. April 2018 Eröffnung feierte.
Das Wort „Margiana“ beflügelt die Phantasie. Es knüpft ungeordnete Assoziationsketten, die zu exotisch Schönem im abstrakten Irgendwo führen. In facto wird damit eine historische Region im Südosten des heutigen Turkmenistans bezeichnet. Dort erblühte vor ungefähr 4000 Jahren eine Zivilisation, deren archäologische Zeugnisse noch heute beeindrucken und in Staunen versetzen.
Die Ausstellung ist ein absolutes Novum. Erstmalig durfte „Margiana“ die turkmenischen Landesgrenzen verlassen und einem Publikum präsentiert werden, dem bis vor Kurzem weder der Ort noch die Existenz ihrer bronzezeitlichen Hochkultur bekannt gewesen sein dürften. Die Verhandlungen für diesen „diplomatischen und kuratorischen Coup“ haben insgesamt fünf Jahre gedauert.
Entsprechend ist die Konzeption der Sonderausstellung. Sie begrüßt mit einer steckbriefartigen Einordnung Turkmenistans: ehemalige Teilrepublik der Sowjetunion, südlichster Staat Zentralasiens, grenzt an Kasachstan, Usbekistan, Afghanistan, Iran und an das Kaspische Meer.
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Es folgt ein Rundgang. Im Zentrum steht Margianas bronzezeitliche Metropole Gonur Depe (Grauer Hügel). Wer sich die adäquate Zeit zum Betrachten und den Ausstellungsobjekten die Zeit zum Betrachtet-Werden lässt, der erforscht in etwa anderthalb Stunden eine erstaunliche Kultur. Vorstellbar wird dies nicht nur mithilfe der Exponate, die allesamt Leihgaben aus Turkmenistan sind. Großformatige Fotografien der renommierten Fotografin Herlinde Koelbl, die die Ausstellungsstücke visualisierend flankieren, geben der eigenen Imaginationskraft den nötigen Auftrieb.
Leben in der Wüste dank Tonröhren
Herlinde Koelbls Bilder zeigen Verschiedenes. Sie begleitete das Team des Museums für Vor- und Frühgeschichte nach Turkmenistan und machte Aufnahmen von Landschaften, den Ausgrabungsstätten, Menschen, Tieren und diversen Fundstücken. Im Hintergrund ist jedoch meist eine unendliche Wüstenlandschaft zu erkennen.
Tatsächlich liegt Margiana damals wie heute in der Wüste Karakum. Allerdings floss hier vor 4000 Jahren der Fluss Murgab. Der hohe zivilisatorische Standard Margianas lässt sich mitunter daran erkennen, wie die Menschen vermochten, den kostbaren Quell höchst effizient für sich zu nutzen und nicht an den Sandboden der Wüste zu verschenken. Sie entwickelten ein Wasserversorgungssystem aus gebrannten Tonröhren, die ineinandergesteckt wurden. Mithilfe des raffinierten Röhrensystems konnte Gonur Depe inmitten einer Wüste mit dem lebenswichtigen Element versorgt werden.
Gonur Depe ist per se als Stadt ein beeindruckendes Beispiel für meisterhafte Stadtplanung früherer Zeiten. Die insgesamt 28 Hektar große Stadt parzellierten einzelne Bezirke für Wohnareale, Handwerkerviertel und Friedhöfe, die sich allesamt um einen quadratischen Palastkomplex mit gewaltigen, turmbewehrten Mauern im Herzen der Stadt gruppierten. Ein dicker Mauerring aus Lehm schloss das gesamte Areal nach außen ab.
Wo die Reichen und Mächtigen ruhen
Dass im Verlauf der Menschheitsgeschichte vornehmlich die Reichen und Mächtigen ihre Spuren hinterlassen, zeigt auch dieses Beispiel. Südöstlich der Stadt befanden sich die sogenannten Königsgräber. Die exzeptionell reichen Grabstätten erinnern an unterirdische Häuser mit mehreren Zimmern, teilweise mit einem angebauten Vorhof. In diesen Höfen präsentierten sich vierrädrige Wagen, Überreste von Tieren sowie bis zu fünfzehn mitbestattete Bedienstete.
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Dass die Menschen in Margiana nicht nur auf dem Gebiet der Wasserversorgung und Stadtplanung brillierten, sondern ihre Umgebung nach besonderen ästhetischen Vorstellungen gestalteten, offenbart u.a. die einzigartige Mosaikkunst. In den mit höchst feingearbeiteten Mosaiken geschmückten Innenräumen und Truhen fanden sich prachtvolle Grabbeigaben wie Gold- und Silbergefäße, Schmuck, Waffen, bspw. Äxte mit Tierköpfen, oder verschiedene Geräte, die vermutlich rituellen Zwecken dienten. Dass man diese Kostbarkeiten heute noch bestaunen kann, liegt vor allem daran, dass sie vor Grabräubern sicher in Gruben unter dem Grabboden lagerten. Aufgrund der aufwendigen Gestaltung der Ruhestätten darf davon ausgegangen werden, dass hier ausschließlich die Oberschicht ruht.
Vom Reichtum der Oberschicht zeugen Gräber, vom Reichtum der Stadt blaue Steinchen
Die Bewohner Gonur Depes setzten ihre ästhetischen Vorstellungen nicht nur auf dem architektonischen Tableau um. Die archäologischen Untersuchungen brachten verschiedene Objekte ans Tageslicht. Darunter befanden sich filigran gearbeitete Schälchen, Flakons, Spiegel und Stäbchen, die kosmetischen Zwecken gedient haben. Was als schön gegolten haben muss, verdeutlichen Statuetten mit stark geschminkten Augen durch dicke schwarze Umrandungen.
Gefunden wurden ferner verschiedene Schmuckstücke z.B. aus Gold, Silber oder Lapislazuli. Der Halbedelstein mit seiner charakteristisch tiefblauen Farbe war exotische Importware. Doch nicht nur das. Nahezu alle Produkte der Handwerkskunst zeugen von regen, in ferne Regionen reichenden Handelsbeziehungen, da sie aus Rohstoffen bestehen, die lokal nicht vorkamen. Dass Margiana keine isolierte Oase, sondern ein pulsierender und gut vernetzter Raum der Bronzezeit war, verdeutlich nicht zuletzt ihre Erwähnung durch Quintus Curtius Rufus (1. Jhd. n. Chr.). Der römische Historiker, der eine mehrteilige Buchreihe über Alexander den Großen verfasst hat, verweist in seinen Schriften auf Margiana.
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Die Ausstellung endet dort, wo Margiana ihren zivilisatorischen Höhepunkt mit Symbolen von Macht und Reichtum feierte. So blickt man auf die gewaltigen Ausmaße des Palasts von Gonur Depe und kunstvoll gearbeitete Äxte mit Hahnenköpfen, bevor man sich wieder am Anfang des Rundgangs wiederfindet, wo der Besucherin und dem Besucher „eines Königreichs der Bronzezeit“ vorsorglich erklärt wird, wo Turkmenistan überhaupt liegt.
Bis 7. Oktober 2018 ist die Ausstellung in Berlin noch zu sehen. Danach reist sie weiter nach Hamburg und Mannheim.
Vera Steschin
Novastan.org
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