In Tadschikistan häufen sich Fälle, in denen Blogger:innen wegen „unmoralischer“ Sprache verurteilt werden. Tückisch an der Sache ist, dass unter diesem gesetzlich nicht verankerten Vorwand Behörden nicht nur Blogger:innen maßregeln wollen. Die willkürlichen Maßnahmen können auch gewöhnliche Nutzer:innen der Sozialen Medien treffen. Bestärkt durch eine vermeintlich breite Masse, die das Ganze befürwortet, geben die tadschikischen Behörden vor „Moral“ und „Tradition“ schützen zu wollen. Kritiker:innen sehen in dem Vorgehen jedoch den ersten Schritt zu einem Polizeistaat.
In den letzten Monaten hat die Polizei in Tadschikistan drei Blogger:innen unter dem Vorwurf der Amoralität festgenommen. Experten zufolge versuchen die Behörden auf diese Weise, Kontrolle über die öffentliche Meinung zu festigen.
Am 18. Januar nahm die Abteilung für Innere Angelegenheiten der Stadt Duschanbe den 21-jährigen Blogger Chabibullo Chimmatsoda für fünf Tage in Gewahrsam. Ihm wurde vorgeworfen, „beleidigende Videos voller Obszönitäten und Beleidigungen“ verbreitet zu haben. Im Dezember vergangenen Jahres wurde gegen Saida Latifova, eine 28-jährige Frau aus Duschanbe, aus demselben Grund eine Geldstrafe verhängt. Die Behörden gaben den Betrag, den sie zu zahlen hatte, nicht bekannt. Nach Angaben der Polizei hat die Bloggerin „während einer Live-Übertragung im sozialen Netzwerk TikTok andere Nutzer öbszön beleidigt.“
Weder im ersten noch im zweiten Fall gaben die Strafverfolgungsbehörden Auskunft darüber, aufgrund welcher Wörter und Ausdrücke die Festnahmen erfolgt waren. Allerdings veröffentlichten sie Fotos der inhaftierten Blogger:innen in Handschellen.
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Den größten Aufschrei in den Sozialen Medien erlangte aber die Nachricht über die Verhaftung der 19-jährigen Fatima Kurbanowa aus Buston Ende November 2022. Die Polizeibehörde von Duschanbe beschuldigte sie, „Videos mit sexuellem Inhalt zu verbreiten und Schimpfwörter zu benutzen.“ Welche Videos gemeint waren, teilten die Behörden jedoch nicht mit. Fatima Kurbanova war in den sozialen Medien nur für einen Satz bekannt: „Es ist so kalt draußen, dass euch die Eier abfrieren.“
Das Gericht ordnete für die junge Frau eine 10-tägige Haftstrafe an. Nach der Verhaftung Kurbanowas spalteten sich die Meinungen der Nutzer:innen der sozialen Netzwerke in Tadschikistan in zwei Gruppen. Vertreter:innen der ersten Gruppe, der auch religiöse Menschen angehören, unterstützten angesichts Kurbanowas Wortwahl und Art der Inhalte die Entscheidung der Behörden. Sie forderten sogar eine härtere Strafe für die junge Frau.
Die zweite Gruppe, darunter auch Aktivist:innen der Zivilgesellschaft, erklärte, dass man in einer Demokratie nicht für seine Meinungsäußerung verhaftet werden darf, selbst wenn diese Schimpfwörter enthält.
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Der polizeiliche Pressedienst der Hauptstadt erklärte, dass der Zweck dieser Arbeit darin bestehe, „das Bewusstsein und den Umgang der Bürger:innen mit den sozialen Medien zu schärfen und die nationale Kultur und Identität zu bewahren.“
Der tadschikische Medienexperte Abdumalik Kadyrow ist hingegen der Ansicht, dass die Behörden damit mehrere Absichten verfolgen: „Das erste Ziel besteht darin, die Kontrolle über die öffentliche Meinung auszuweiten, respektive über diejenigen, die die öffentliche Meinung beeinflussen können. Die zweite besteht darin, dass die Behörden den Eindruck vermitteln wollen, dass sie arbeiten, obwohl ihre Hauptaufgabe ja nicht darin besteht, Blogger:innen zu erziehen,“ so Kadyrow. Er weist darauf hin, dass die Behörden bei der Regulierung der öffentlichen Meinung schon so weit gegangen seien, dass sie selbst nicht mehr wüssten, was sie eigentlich tun.
Abgesehen von der allgemeinen Formulierung „Video mit sexuellem Inhalt“ und „Verwendung von obszöner und menschenverachtender Sprache“ geben die Strafverfolgungsbehörden nicht an, auf Grundlage welcher spezifischen gesetzlichen Bestimmungen die Blogger:innen verurteilt wurden. Auch äußern sich die Blogger:innen selber nach ihrer Freilassung nicht dazu.
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Abdumalik Kadyrow sieht das Problem darin, dass moralische Normen eine zu vage Kategorie sind. Laut Analysten erlaubt diese Unbestimmtheit den Behörden, jede Personen wegen vermeintlich „unmoralischer Sprache“ zu sanktionieren. „Die Behörden ziehen damit eine Art Grenze und meinen, das Verhalten der Bürger:innen danach beurteilen zu können. Das Verhalten unserer Blogger:innen ist aber nicht rechtswidrig. Unsere Behörden benutzen jedoch jedes grobe Wort, obschon dessen Verwendung an sich nicht gesetzlich verboten ist, als Vorwand, um neue Fälle aus dem Nichts zu schaffen,“ erklärt Kadyrow.
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Laut dem tadschikischen Journalisten Jokub Chalimow besteht das Hauptproblem darin, dass die meisten Nutzer sozialer Medien diese Maßnahmen der Behörden unterstützten, was die Behörden dazu ermutigte, den Druck auf Blogger:innen und Aktivist:innen in den Sozialen Medien zu verstärken.
„Nicht alle, die bestraft werden, sind tatsächlich Blogger:innen. Es gibt auch gewöhnliche Nutzer:innen, die gelegentlich Videos posten oder etwas in den sozialen Netzwerken schreiben. Die Behörden bestrafen nun aber auch diese Nutzer:innen Sozialer Medien für Unmoral und Störung der öffentlichen Ordnung“, so Chalimow weiter. Seiner Meinung nach könnte dies ständig zu Festnahmen aktiver Nutzer:innen Sozialer Medien für fünf bis zehn Tage unter verschiedensten Vorwänden führen.
Die Polizeibehörde von Duschanbe erklärte nämlich darüber hinaus, dass „diese von der Bevölkerung befürwortete Strafverfolgungsmaßnahme auch in Zukunft fortgesetzt wird.“ Nach Ansicht von Expert:innen führt dies allerdings zu einer klaren Einschränkung von Menschenrechten und Freiheiten.
Der Experte Abdumalik Kadyrow ist der Meinung, dass die Praxis der Verhaftung von Blogger:innen letztlich zu einer Einschränkung der Menschenrechte und zu einer Zunahme rechtswidriger Verurteilungen führen wird. „Das Ergebnis wird sein, dass man ohne die Zustimmung der Behörden kein Recht mehr auf irgendetwas hat. Man wird nicht einmal die Rechte nutzen dürfen, die in der Verfassung verankert sind. Das Resultat dieser Entwicklung wird ein Polizeistaat sein“, betont Kadyrow.
Die Redaktion von CABAR
Aus dem Russischen von Berenika Zeller
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