In Tadschikistan hielten im Frühling gleich zwei Großmächte militärische Übungen gemeinsam mit den einheimischen Truppen ab: Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika. Für viele Beobachter kein Zufall: Beide Länder führten in den vergangenen Jahrzehnten einen – mal sichtbaren und mal unsichtbaren – Kampf um Zentralasien. Folgender Artikel wurde von Novastan übersetzt und erschien im Original auf Asia Plus.
Zehn Tage dauerten die Übungen mit 2.000 Soldaten und Offizieren der 201. russischen Militärbasis. Sie fanden vom 27. März bis 7. April 2017 statt, 40.000 tadschikischen Soldaten und Reservisten wurden weitergebildet.
An einem dreitägigen Training mit 150 amerikanischen Militärs, ebenfalls im Frühjahr 2017, beteiligten sich 100 Tadschiken.
Tadschikistan als doppelseitiger Partner zwischen Russland und der NATO
Tadschikistan ist seit vielen Jahren Russlands strategischer Partner in der Region. Darüber hinaus befindet sich hier die größte russische Basis im Ausland. Zeitgleich baut Tadschikistan allerdings eine militärische Zusammenarbeit mit dem Westen, insbesondere mit den NATO-Mitgliedsstaaten aus.
Unter russischen Experten gibt es keine einhellige Meinung über die Durchführung von tadschikisch-amerikanischem Militärtrainings – manche sehen sie als eine Ausweitung der US-Militärpräsenz in Zentralasien zu Russlands Missgunst. Andere meinen, dass die Übungen nur von geringer Bedeutung sind.
Tadschikistans Rolle überschätzt?
Alexander Kniasjew, Regionalexperte der russischen Akademie der Wissenschaften, sagte dazu dem Radio Azadi (die afghanische Branche von Radio Free Europe), dass die USA mit Kirgistan und Kasachstan ähnliche Übungen durchführen, die die Beziehungen zwischen Russland und Amerika in Zentralasien nicht beeinflussen. Er geht davon aus, dass die Vereinigten Staaten nur an ihre Anwesenheit in der Region erinnern wollen. Die gemeinsamen Militärübungen dienen demnach allein dem Erfahrungsaustausch.
Diesen Standpunkt vertritt auch der militärische Sachverständige Alexander Chramdschichin. Er glaubt, dass solche Übungen zwar politisch motiviert seien, aber keinerlei Wirkung entfalten können.
Konkurrenz in Afghanistan
Die Rivalität zwischen Russland und Amerika in Zentralasien geht auf den Beginn der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Ländern zurück. Die Region war von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des 20. Jahrhunderts erst Teil des russischen Reiches und später der Sowjetunion.
Ende 1979 beschloss der Kreml, seine Einflusszone zu erweitern. Truppen wurden nach Afghanistan geschickt, um die Grenzen des sowjetischen Einflusses gen Süden auszuweiten. Die offizielle Begründung bestand aus der Anschuldigung, Präsident Hafizullah Amin sei ein amerikanischer Spion und müsse beseitigt werden, sonst werde Amerika der Sowjetunion zuvorkommen und Afghanistan besetzen.
Afghanistan wurde zu einem Kampffeld, das die Beziehung zwischen den beiden Großmächten, der UdSSR und den Vereinigten Staaten, klären sollte. Schon vor dem Afghanistankonflikt hatten sich die beiden Parteien in den Stellvertreterkriegen in Südkorea, in den frühen 1950er Jahren, und in Vietnam, bis Mitte der 1970er Jahre, gegenübergestanden.
Kampf der Mudschaheden in Zentralasien
Die Hilfe des Weißen Hauses für die Mudschaheden im Krieg gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan wurden in den achtziger Jahren nicht groß beworben, dennoch beliefen sie sich auf etwa vier Milliarden Dollar in einem Zeitraum von zehn Jahren.
Der Kampf der afghanischen Mudschaheden gegen die sowjetischen Truppen erregte im Westen sehr viel Aufmerksamkeit. Sie wurden „Soldaten Gottes“ genannt und die Führer der islamischen Parteien, die gegen die sowjetische Armee kämpften, wurden mehrfach von US-Präsident Ronald Reagan empfangen.
In einer Rede sagte dieser, dass der Krieg der Afghanen, die sich mit einfachsten Waffen moderner militärischer Ausrüstung entgegenstellen, eine Inspiration für alle sei, die die Freiheit lieben: „Im Namen aller Amerikaner sage ich den Menschen in Afghanistan: Wir bewundern euer Heldentum, eure Treue an die Freiheit, euren unaufhörlichen Kampf gegen eure Unterdrücker.„
Einige Monate nach diesem Treffen verlegten die afghanischen Mudschaheden, auf Rat der CIA (Central Intelligence Agency) und der pakistanischen Inter-Services Intelligence, ihre militärischen Operationen auf das Territorium des sowjetischen Zentralasiens.
Nach einem der Angriffe im Pandsch-Distrikt beschuldigte die Sowjetregierung Pakistan, sich in die inneren Angelegenheiten der UdSSR einzumischen. Präsident Zia-ul-Hak lenkte darauf hin ein und verbot weitere Angriffe auf sowjetisches Territorium.
Die sowjetische Intervention in Afghanistan dauerte bis 1989. Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen gerieten auch die einstigen Verbündeten der Vereinigten Staaten in Vergessenheit und zersplitterten sich nach religiösen und ethnischen Zugehörigkeiten.
Infolgedessen wandten sich die afghanischen Tadschiken unter der Führung der Islamischen Gesellschaft von Afghanistan Russland zu, dem Nachfolger der UdSSR, mit der sie sich zehn Jahre im Krieg befunden hatten.
Pakistan, der Hauptverbündete des Weißen Hauses in der Region, unterstützte die islamische Partei des radikalen islamistischen Gulbuddin Xekmatjar, der nach dem Sturz des kommunistischen Führers Mohammed Nadschibullach im April 1992 die afghanische Hauptstadt in Trümmer legte.
Die Taliban auf dem Kriegspfad
Die Kriege minderten das Ansehen der Mudschaheden und im Frühjahr 1994 erschien eine neue Kraft auf die politische Bühne Afghanistans – die Taliban, die in wenigen Monaten viele Provinzen erobern konnte.
Nachdem die Taliban 1996 die afghanische Hauptstadt besetzt hatten, entführten sie Nadschibullach und seinen Bruder aus dem Gebäude der UNO-Mission, misshandelten sie und hängten sie anschließend an einer Laterne auf .
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Der Führer der Bewegung, Mullah Omar, erklärte den Errungenschaften der modernen Zivilisation den Krieg und weigerte sich, universelle Menschenrechte anzuerkennen. Das Regime der Taliban hielt von 1994 bis 2001 und provozierte regelmäßig die Großmächte.
Tadschikistan im Rampenlicht
Tadschikistan, das zwischen 1992 und 1997 selbst einen Bürgerkrieg erlebte, verfolgte das Geschehen im Nachbarland genau. Vor den Terroranschlägen auf die Zwillingstürme in New York am 11. September 2001 wurde es vom Weißen Haus aber so gut wie ignoriert.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR in den frühen 1990er Jahren lebte das „Great Game“ in Zentralasien erneut auf – diesmal mit den Vereinigten Staaten in der Rolle Großbritanniens.
Tadschikistan orientierte sich im ersten Jahrzehnt nach seiner Unabhängigkeit vor allem an Moskau und hatte in Washington noch nicht einmal eine Botschaft.
Die Situation änderte sich, als US-Präsident George W. Bush den Krieg gegen den Terrorismus erklärte. Bushs Krieg gegen das Taliban-Regime wurde von praktisch allen Ländern der Welt, einschließlich Russland, unterstützt.
Ein möglicher US-Stützpunkt in Tadschikistan
Zu dem Zeitpunkt rückte auch Tadschikistan für die Vereinigten Staaten in den Vordergrund. Im Dezember 2002 wurde der tadschikische Präsident Emomalii Rachmon zu einem offiziellen Besuch in die Vereinigten Staaten eingeladen.
Washington suchte nach geeigneten Territorien für die Schaffung seiner Militärbasen um Afghanistan. Es kamen nur die Länder Zentralasiens in Frage, von denen schließlich Usbekistan und Kirgistan vorgezogen worden sind.
Auch eine Basis in Tadschikistan war geplant, wurde aber nie eingerichtet. Wie der Journalist Joshua Kucera auf Eurasianet berichtete, wurde die bereits beschlossene Einrichtung eines Stützpunktes in Kulob in letzter Minute abgebrochen.
Laut Angaben des ehemaligen US-Botschafters in Duschanbe, Franklin Huddle, hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zuvor Tadschikistan besucht. Er war von Präsident Bush angewiesen worden, die Genehmigung für die Eröffnung einer Militärbasis einzuholen. „Ich habe bei dem Treffen gedolmetscht. Tadschikistan wurde gebeten, die Russen rauszuschicken, was ein ziemlich große Angelegenheit war„, erinnerte sich Huddle.
Ein Pluspunkt für Tadschikistan
Aber nach Ansicht des amerikanischen Diplomaten änderte Rumsfeld später seine Meinung und bevorzugte die kirgisischen Manas, da dort eine bessere Infrastruktur vorhanden war. „An Weihnachten musste ich Präsident Rachmon diese wenig erfreuliche Nachricht mitteilen. Die tadschikische Regierung reagierte sehr sachlich und führte die Beziehung normal fort„, so der ehemalige US-Botschafter in Tadschikistan.
Um seine Ablehnung zu kompensieren, stimmte das Weiße Haus dem Brückenbau über den Pantsch zu, was den US-Steuerzahler 35 Millionen Dollar kostete. Huddle behauptet auch, die Russen hätten nichts gesagt, als Tadschikistan Ende 2001 einen Teil seines Territoriums den Vereinigten Staaten zur Verfügung stellte. Hätte Rumsfeld seine Meinung nicht geändert, hätte Durschanbe die russischen Streitkräfte aus Kulob vertrieben und die Amerikaner hätten an der befreiten Stelle ihre Militärbasis aufgebaut.
„Russland hatte sein Selbstvertrauen nach dem Zusammenbruch der UdSSR noch nicht wiedergewonnen. Außerdem war der Kreml nach den Ereignissen vom 11. September 2001 zur Zusammenarbeit geneigt. Deshalb hätten sie keine öffentlichen Einwände gegen die Vertreibung aus Kulob erhoben „, so Huddle.
Seit dem Einmarsch der Streitkräfte der westlichen Militärkoalition in Afghanistan sind fast 16 Jahre vergangen. Die Ziele des Weißen Hauses, die am Vorabend der Truppenbefreiung im Herbst 2001 ausgerufen wurden, sind praktisch nicht erfüllt. Die Taliban sind nicht geschlagen worden und die Drogenproduktion ist weiter gestiegen.
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Die Errichtung eines US-Amerikanischen Stützpunktes in Tadschikistan ist in näherer Zukunft eher unwahrscheinlich. Trotz der gemeinsamen Übungen scheint ihr Einfluss heute geringer als der russische.
Nuraly Dawlat
Asia Plus
Aus dem Russischen und Ergänzungen von Sobira Majidova