Frieden und Stabilität in Afghanistan könnte den Ländern Zentralasiens zu einem starken wirtschaftlichen Wachstum behelfen. Das gilt besonders für Tadschikistan, das schon eine bedeutende Stellung auf dem afghanischen Binnenmarkt einnimmt und diesen als Grundlage für die Entwicklung seiner Wirtschaft nutzen könnte. Folgender Artikel ist eine aktualisierte Übersetzung einer am 6. August 2019 im tadschikischen Online-Magazin Asia Plus erschienen Analyse.
Dreißig Jahre sind seit dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan vergangen, Frieden ist dort aber nie eingekehrt. Der Krieg der Taliban gegen die lokalen Behörden und der NATO-Einsatz machten Afghanistan zu einem großen militärischen Schlachtfeld.
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In den letzten Jahren ist jedoch ein Hoffnungsschimmer in der langwierigen Krise des Landes aufgetaucht. Das am 29. Februar in Doha unterzeichnete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban könnte die Dinge ändern.
„Eigentlich sollten sich vor allem die zentralasiatischen Länder wie keine anderen aktiv für den Frieden in Afghanistan einsetzen“, erklärt der Afghanistan-Spezialist Muzaffar Kurbonalijew „Es ist kein Geheimnis, dass Afghanistan schon lange Assoziationen mit Begriffen wie Krieg und Drogen in Verbindung gebracht wird. Leider hat sich das Bild in vielen Köpfen bereits fest etabliert, insbesondere bei führenden Politikern und Geschäftsleuten“. Die Verbindung mit Gewalt und Drogen habe auf sie einen abschreckenden Effekt.
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„Aber Afghanistan, das ist nicht nur Krieg und Drogen. Es ist ein Land mit riesigen ungenutzten Ressourcen, es ist ein großer Markt, und schließlich ist es eine Route zu den Weltmärkten. Letzteres ist sehr wichtig für Tadschikistan, das geographisch nicht am günstigsten gelegen ist. Und wir müssen dazu beitragen, dass der Frieden in Afghanistan rasch erreicht wird, ohne darauf zu warten, dass andere dies für uns tun.“
Der Weg zum Indischen Ozean und weiter in die weite Welt
Die zentralasiatischen Länder sollten sich einen Platz im instabilen Afghanistan suchen, indem sie eine gewinnbringende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit diesem Land anstreben, meint auch der Ökonom Zafar Nosirow.
„Die Gewinne, die heute auf dem afghanischen Inlandsmarkt erzielt werden, bilden eine solide Grundlage für einen erfolgreicheren Wettbewerb in der Zukunft, wenn sich die Lage stabilisiert hat“, sagt er. Zudem würde eine Friedensoffensive in Afghanistan nicht nur bilaterale Wirtschaftsbeziehungen ausweiten, sondern den zentralasiatischen Ländern einen kurzen Weg zu den Häfen im Indischen Ozean und am Persischen Golf eröffnen. So finden sie eine bessere Verbindung mit den Märkten Südostasiens und des Nahen Ostens.
Darüber hinaus, so Nosirow, werde ein stabiles Afghanistan auch zum inländischen Wirtschaftswachstum der zentralasiatischen Anrainerstaaten beitragen: „Die Nachbarschaft zu einem politisch instabilen Land ist derzeit eines der Haupthindernisse für ausländische Investitionen in Tadschikistan“. Dabei habe Tadschikistan auch ohne die etwa 1400 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan genug eigene Probleme, fügt er hinzu. Statt als Bedrohung sollten die zentralasiatischen Länder Afghanistan als einen zukünftigen strategischen Partner betrachten, der auch in regionale Wirtschaftsprozesse integriert werden sollte.
Ersten Schritte wurden bereits unternommen
Die zentralasiatischen Länder haben bereits einige Vereinbarungen mit Afghanistan in den Bereichen Handel, Transit, Energie und Infrastruktur getroffen. Es werden bereits Transit- und Infrastrukturabkommen formalisiert, und der Handel zwischen diesen Ländern und Afghanistan hat trotz der Sicherheitsrisiken zugenommen.
Die neue Führung Usbekistans betrachtet den südlichen Nachbarn als Handelspartner. Die beiden Länder haben Dutzende von Exportverträgen unterzeichnet und vereinbart, in der Grenzstadt Termiz ein Logistikzentrum mit Eisenbahn, Lagerhäusern, Banken und Zollämtern einzurichten.
Für Kasachstan haben der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Afghanistan und ein besserer Handel mit dem Land Priorität. Die Republik hat bereits in mehrere Bauprojekte in Afghanistan investiert und unterstützt die Instandsetzung der Autobahn von Taloqan nach Kundus und Schirchan-Bandar.
Tadschikistan und Kirgistan sind am Verkauf von Wasserkraft an Afghanistan und Pakistan im Rahmen des CASA-1000-Regionalprojekts interessiert. Der Bau der nötigen Infrastruktur wurde Anfang 2018 begonnen und soll 2020 abgeschlossen werden. Darüber sollen Kirgistan und zu gleichen Anteilen Strom nach Pakistan und möglichweise Indien exportieren.
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Tadschikistan und Turkmenistan bauen zusammen mit Afghanistan ein Eisenbahnnetz auf, was jedoch durch den anhaltenden Krieg in Afghanistan und finanzielle Probleme verzögert wird.
Wie kann dem „Herzen Asiens“ geholfen werden?
Afghanistan seinerseits sieht Tadschikistan als wichtiges Bindeglied zu Zentralasien. Kabul hofft, seinen regionalen Handel durch ein Eisenbahnnetz zu steigern, das von Südasien über Tadschikistan zu den anderen zentralasiatischen Ländern führt.
„Andererseits verstehen die Afghanen, dass die jungen zentralasiatischen Staaten im Gegensatz zu den Welt- und Regionalmächten weder eine politische noch eine wirtschaftliche Bedrohung darstellen, so dass sie an einer Zusammenarbeit mit Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan interessiert sind“, meint der Experte Nurali Dawlatow.
„Die Länder der Region und die internationalen Finanzinstitutionen haben mehrere Projekte zum Bau von Hochspannungsleitungen von Tadschikistan nach Afghanistan, Pakistan und Indien entwickelt. Nachdem die Wasserkraftanlagen „Sangtuda-1“ und „Sangtuda-2“ in Betrieb genommen wurden, wurde die Übertragungsleitung Lolazor – Pol-e Chomri fertiggestellt. Im vergangenen Jahr lieferten tadschikische Energieunternehmen fast 1,5 Milliarden kWh Strom nach Afghanistan zu einem Preis von 4,1 Cent (0,037 Euro)“, ergänzt Dawlatow.*
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Auch Usbekistan habe begonnen, aktiv in Richtung Afghanistan zu arbeiten: „Vor kurzem hat die Republik eine 85 km lange Eisenbahnstrecke nach Masar-e-Scharif gebaut. Höchstwahrscheinlich wird die Linie auch Herat erreichen. Der Iran plant seinerseits eine 200 Kilometer lange Strecke von Khaf nach Herat. Auf dem Weg können nicht nur Afghanistan, sondern alle zentralasiatischen Länder ihre Güter zu den iranischen Häfen Tschahbahar und Bandar Abbas transportieren. Usbekische Produkte, darunter Autos, Elektrogeräte, Pharmazeutika, medizinische Produkte usw., sind bereits auf den afghanischen Märkten zu sehen“, schließt er ab.
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Afghanen nennen ihr Land gerne metaphorisch das „Herz Asiens“. Um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, sind sie auch auf ihre Verbündeten in Zentralasien und vor allem auf Tadschikistan angewiesen.
Khaydar Schodijew & Paybar Tschorschanbijew
Asia Plus
Aus dem Russischen von Florian Coppenrath
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