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Homosexuelle in Tadschikistan: Es ist leichter drogenabhängig zu sein, als schwul

Vor genau 27 Jahren, am 17. Mai 1990, wurde Homosexualität aus dem Internationalen Diagnoseschlüssel für Krankheiten gestrichen. Aber diese Entscheidung hat keine Bedeutung für Tadschikistan und andere Länder der Region. Im besten Fall wird dort Homosexualität als Krankheit betrachtet, im schlechtesten als Verbrechen.

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Vor genau 27 Jahren, am 17. Mai 1990, wurde Homosexualität aus dem Internationalen Diagnoseschlüssel für Krankheiten gestrichen. Aber diese Entscheidung hat keine Bedeutung für Tadschikistan und andere Länder der Region. Im besten Fall wird dort Homosexualität als Krankheit betrachtet, im schlechtesten als Verbrechen.

Zum Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie berichtet „Open Asia Online“ wie es ist, ein Homosexueller in Tadschikistan zu sein. Wir übersetzen den Artikel mit der freundlichen Genehmigung der Redaktion.  

Im Jahr 2015 erschien in den örtlichen Massenmedien mit Verweis auf den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria die Information, dass in Tadschikistan circa 30.000 Homosexuelle leben sollen. Als Reaktion teilte das Innenministerium der Republik Tadschikistan den Journalist*innen mit, dass man diese Daten unbedingt überprüfen und dann die Ergebnisse verbreitet müsse. Eine Schätzung, wie viele „Menschen nichttraditioneller Orientierung“ in der Republik leben könnten, nannten die lokalen Quellen nicht.

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Sie werden nicht registriert, deswegen können wir nicht genau sagen, wie viele von ihnen im Land leben“, sagt Umardschon Emomali, Leiter des Pressedienstes des Innenministeriums, „Aber 30.000, das ist völliger Blödsinn, lauter Lügen!

– Gab es in den letzten Jahren Appelle an die Sicherheitsbehörden von Seiten der LGBT*IQ- Gemeinschaft (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Inter und Queer, Anm. d. Ü.), die mit Rechtsverletzungen oder Verbrechen verbunden waren?

– In all der Zeit, in der ich hier arbeite, hat es solche Eingaben nie gegeben.

– Wie lange arbeiten Sie hier?

– Seit 1999.

An Eingaben aus der LGBT*IQ- Gemeinschaft erinnert man sich auch im Institut des Bevollmächtigten für Menschenrechte in Tadschikistan nicht. Der Pressesprecher des Instituts Muchammedi Salochitdinow teilt mit, dass er alle Dokumente der letzten Jahre betrachtet habe und solche Eingaben nicht haben finden können.

„Gibt es die denn überhaupt bei uns?“, fragt Salochitdinow.

– Natürlich gibt es sie.

– Nun, an uns haben sie sich nie gewendet.

Beim Pressedienst des tadschikischen Ombudsmanns wurde angemerkt, dass internationale Organisationen vor einigen Jahren für Mitarbeiter*innen des Instituts ein Seminar zum Thema Arbeit mit LGBT*IQ-Vertreter*innen durchführten, man aber das gewonnene Wissen noch nicht in die Praxis habe umsetzen können.

Darüber, dass Homosexuelle in Tadschikistan überhaupt existieren, weiß die lokale Geistlichkeit gut Bescheid: 2014 verurteilte das Oberhaupt des Islamischen Zentrums Tadschikistans Saismukarram Abdulkodirsoda während des Freitagsgebets in der Zentralmoschee von Duschanbe homosexuelle Beziehungen.

Ich schäme mich, dass ich in einer Moschee über dieses Thema reden muss. Leider musste ich von der homosexuellen Orientierung gebildeter und kultivierter Menschen hören, die sich von den Beziehungen mit ihren Frauen lossagen und die Sünde begehen sich zu Männern zu legen“, teilte Abdulkodirsoda mit und warnte die Muslime vor dem sündigen Verhalten, indem er anmerkte, dass „jedes Volk, das derartige Sünden beging, hart betraft wurde.

Saismukarram Abdulkodirsoda Ulema Tadschikistan Religion
Das Oberhaupt des Islamischen Zentrums Tadschikistans Saismukarram Abdulkodirsoda

Mit Journalist*innen wollen die Vertreter der Geistlichkeit jedoch nicht über das Thema reden.

„Diese Sünde ist die Sünde des außerehelichen Verkehrs. Darüber zu reden macht keinen Sinn, denn jeder Muslim weiß von dieser Sünde und verurteilt sie“, kommentiert  man im Islamischen Zentrum.

Er kam von der Arbeit und hat sich aufgehängt

Über das Thema wollen in Tadschikistan nicht nur die Geistlichen nicht reden, sondern alle anderen auch. Bei Fragen zu Problemen der LGBT*IQ- Gemeinschaft blocken Beamte ab: Im besten Fall machen sie sich daran zu urteilen, dass „diese Krankheit sich in letzter Zeit stark verbreitet“, im schlechtesten Fall schauen sie in das Strafgesetzbuch um sich zu vergewissern, dass es dort tatsächlich keinen Artikel zu „Homosexualismus“ gibt (In der russische Sprache gibt es die Begriffe gomoseksualnost´ und gomoseksualizm. Russischsprachige LGBT*IQ lehnen letzteren Begriff in der Regel ab, da er wie alle –ismen im Sinne einer Bewegung zu verstehen sei, Anm. d. Ü.).

Der entsprechende Artikel wurde 1998 aus dem Strafgesetzbuch Tadschikistans gestrichen. Doch trotz dieser Tatsache und aller Beteuerungen offizieller Stellen, dass keine Eingaben von Seiten der Homosexuellen über die Verletzung ihrer Rechte gemacht wurden, ist ihre Misshandlung und Diskriminierung in Tadschikistan Fakt. Davon zeugt die Organisation „Gleiche Möglichkeiten“.

Leider ist es nicht gelungen bis zur Veröffentlichung dieses Materials mit Vertreter*innen der Organisation zu sprechen: Der Leiter befand sich auf Dienstreise und die anderen Mitarbeiter*innen verweisen auf zu viel Arbeit. Aber in den vergangenen Jahren teilte „Gleiche Möglichkeiten“ Journalist*innen mit, dass die von der Organisation behandelten Fälle dutzende Beispiele für Misshandlung von Menschen anderer Orientierung am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen und zu Hause beinhalten.

2011 berichtete der russische Dienst der BBC im ArtikelMenschenrechtler wollen Schwulen in Zentralasien helfen“ mit Verweis auf „Gleiche Möglichkeiten“ über den Selbstmord eines jungen Flugbegleiters, dem man drohte ihn zu outen um eine große Summe Geld damit zu erpressen. Danach hängte sich der junge Mann auf. In derselben Sendung wurde über einen anderen Homosexuellen berichtet, der von einer Gruppe Männern vergewaltigt wurde, sich aber nicht an die Polizei wandte, da er befürchtete, dass diese seinen Fall veröffentlichen würde. Auch der Mord an einem 23-jährigen Studenten, der tot in einem Bezirk Duschanbes gefunden wurde, fand Erwähnung.

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Wir waren schockiert darüber, was uns Polizist*innen im inoffiziellen Gespräch sagten. Sie meinten, dass es nicht nötig sei schwul zu sein. Studenten mit radikalen Ansichten töteten einen Vertreter der LGBT*IQ- Gemeinschaft. Nichts wurde von ihm gestohlen. Seine Tasche, Geld, sein Handy waren bei ihm. Sie haben ihn getötet, weil er schwul war. Die Täter wurden nicht betraft, die Akte wurde geschlossen.“, erzählten Vertreter*innen von „Gleiche Möglichkeiten“ der BBC im Jahr 2011.

„Viele Schwule in Tadschikistan heiraten und haben Kinder“

Gafur (Name aus Sicherheitsgründen geändert) kennt die Fakten über die Misshandlung von Menschen anderer Orientierung genau. Er gehört selbst zu dieser Gemeinschaft, lebt aber schon seit einigen Jahren in einem europäischen Land. Tadschikistan zu verlassen gelang ihm und seinem Partner als Flüchtlinge, aber vorher ging Gafur in der Heimat durch die Hölle.

Verwandte verprügelten mich und versuchten mich mithilfe von Gebeten und religiösen Ritualen zu heilen. Die Altersgenossen in der Schule verspotteten und demütigten mich. Doch nachdem ich ernsthafte Probleme mit den rechtswahrenden Organen bekam, verstand ich, dass es an der Zeit war abzuhauen“, sagt er.

– Glauben Sie, dass die Angaben des Globalen Fonds, dass in Tadschikistan circa 30.000 Homosexuelle leben, richtig sind?

– Vielmehr ist diese Zahl nur ein Bruchteil der Realität. Es gibt deutlich mehr Homosexuelle in Tadschikistan. Aber niemand outet sich, da das die eigene Sicherheit gefährdet. Viele Schwule in unserer Republik leben ein Doppelleben: Sie heiraten und haben Kinder und Familien, aber sie treffen sich weiterhin heimlich mit Männern. Ich hätte auch diese Möglichkeit gehabt: heiraten, die Verwandten beruhigen und die Orientierung verbergen, aber ich bin diesen Weg nicht gegangen. Weil ich weiß, was für die Frauen die Ehe bedeutet, insbesondere für die Frauen des Ostens, und was aus ihnen wird, wenn sie erfahren, dass ihr Mann homosexuell ist. Und früher oder später werden sie es erfahren.

– Gibt es in Tadschikistan außer „Gleiche Möglichkeiten“ noch Organisationen, die sich mit den Problemen der LGBT*IQ-Gemeinschaft auseinandersetzen?

– Es gibt dutzende. Aber keine von ihnen spricht offen darüber, dass sie sich damit beschäftigt. In der Regel stellen sie die Probleme von Schwulen in eine Reihe mit Problemen anderer Gruppen von Menschen, die sich aus diesen oder jenen Gründen Diskriminierung ausgesetzt sehen.

– Wie beliebt sind diese Organisationen in der LGBT*IQ-Gemeinschaft? Leisten sie echte Hilfe?

– Eingaben an diese Organisationen gibt es von Seiten der Homosexuellen wenig. Die Leute trauen ihnen nicht, da es Fälle gab, in denen die erhaltenen Informationen nach draußen drangen, unter anderen an die rechtswahrenden Organe. Man wendet sich nur an diese Organisationen, wenn man vertrauenswürdige Bekannte hat oder sonst keinen Ausweg sieht.

LGBT Flagge

– Zum Beispiel?

– Ich kann mein eigenes Beispiel anführen: Ich wandte mich an eine dieser Organisationen, nachdem ich brutalem Druck von Seiten der Polizei ausgesetzt war. Die Organisation half mir das Land zu verlassen und danach den Flüchtlingsstatus in Europa zu erhalten. Aber danach hatte die Leitung dieser Organisation ein sehr unerfreuliches Gespräch mit Vertreter*innen der Tadschikischen Sicherheitsorgane.

„In Tadschikistan ist es leichter drogenabhängig zu sein als schwul“

– Verlassen viele Homosexuelle Tadschikistan als Flüchtling?

– Es gelingt nicht vielen, das zu machen, da Homosexuelle im Zustand ständiger Angst leben müssen. Sie erhalten keine Informationen über die Möglichkeiten das Land zu verlassen und den Flüchtlingsstatus zu bekommen. Sie haben Angst um Hilfe zu bitten, da sie fürchten, man könnte sie outen. Wenn man in unserem Land geoutet wird, ist das das Ende. Das Ende des normalen Lebens, das Ende der Karriere.

Mein Partner war beispielsweise einer der besten Spezialist*innen an einer der Hochschulen Tadschikistans, aber als die Leitung von seiner Orientierung erfuhr, lud ihn der Rektor vor und sagte, dass seine sexuellen Vorlieben nicht dem hohen Status der Lehrastalt entsprächen. Sie legten ihm eine Kündigung aus eigenem Wunsch vor und eine Entlassung, er entschied sich für erstere. Verstehen Sie, in Tadschikistan ist es leichter drogenabhängig, als schwul zu sein.

In dieser Beziehung mühen sich übrigens auch russische Massenmedien richtig klasse ab. Die haben einen riesigen Einfluss auf unsere Gesellschaft und richten scharfe Kritik an die Adresse der LGBT*IQ-Gemeinschaft.

– Und wie bewerten Sie die Arbeit tadschikischer Journalist*innen, die die Probleme der Homosexuellen beleuchten?

– Tadschikische Journalist*innen versuchen das Thema zu umfahren. Abgesehen von einigen Vertreter*innen ausländischer Medien, die in Tadschikistan arbeiten, beschäftigt sich niemand  mit den Problemen von LGBT*IQ. Aber selbst in der Mehrheit der Sendungen, die mir bekannt sind, hatte der Ton der Journalist*innen entweder einen beleidigenden Charakter oder Schwule wurden zu den kranken anormalen Leuten gezählt.

In einer Sendung gab es zum Beispiel einen Kommentar eines tadschikischen Psychologen, der versicherte, dass man Homosexualismus wie jede andere schlechte Angewohnheit (z.B. Rauchen) heilen kann. Und das sagte ein Spezialist. Leider weiß man in Tadschikistan darüber, was Homosexualität ist, einfach nicht Bescheid und will es auch nicht wissen.

Als wir in Europa ankamen, war es sogar schwierig für uns zu belegen, dass Schwule in unserem Land diskriminiert werden. In den Medien gibt es darüber keine Informationen, da Homosexuelle darüber nicht mit der Presse sprechen. Es gibt keine NGO, die sich namentlich mit LGBT*IQ beschäftigt, keine Fakten zu Strafverfahren wegen Misshandlung von Homosexuellen. Und wenn es keine Fakten gibt, bedeutet das, es gibt auch kein Problem. Uns retteten nur die Berichte einiger internationaler Organisationen, die trotz allem die reelle Situation von Homosexuellen in Tadschikistan wiederspiegeln.

– Vor kurzem erschien in der russischen „Nowaja Gazeta“ eine Reihe darüber mit welchem Grauen sich Homosexuelle in Tschetschenien konfrontiert sehen. Ist die Situation dort ähnlich der tadschikischen Wirklichkeit?

– Schmerzlich ähnlich! Die gleiche Schemata, die gleiche Behandlung durch Verwandte und Polizist*innen. Der einzige Unterschied ist, dass es in Tadschikistan nicht so eine hohe Zahl an Morden und kein spezielles Gefängnis für Homosexuelle gibt.

– Kennen Sie auch nur einen Fall in Tadschikistan, dass ein Homosexueller sich outete und Verständnis seiner Familie erfuhr?

– Leider kann ich mich an keinen einzige solchen Fall erinnern. Ein Outing ruft immer den Zorn der Verwandten hervor. Sie beginnen zu schlagen, man wird beschuldigt einen Schande für die ganze Familie zu sein. Die Eltern sagen sich von ihren Söhnen los, häufig werden Homosexuelle einfach aus dem Haus gejagt. Als ich mit meinem Partner nach Europa geflohen war, erzählte er seiner Mutter von seiner Homosexualität. Sie war total schockiert und das  einzige, was sie sagen konnte, war: „Wie soll ich jetzt damit leben?“

Aber man muss auch sagen, dass sie uns danach besuchen kam und verblüfft war, dass man ihren Sohn hier als Menschen respektierte, im Beruf achtete und sich niemand an seiner Orientierung störte. Wir versuchen diesem Land den größtmöglichen Nutzen zu bringen und haben einige Projekte erfolgreich umgesetzt. All das hätten wir auch in der Heimat machen können, aber leider spuckt man in Tadschikistan auf dein Talent und deine Fähigkeiten. Alle regt nur auf, mit wem du schläfst.

Lilija Gajsina
The Open Asia

Aus dem Russischen von Robin Roth

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