Dass sich in Tadschikistan über die Politik des eigenen Landes öffentlich gerne zurückgehalten wird, hindert die Bevölkerung nicht daran, den Fall des russischen Oppositionsführers Aleksej Nawalny zu debattieren. Einige sehen ihn als einen Politiker, der auf einen demokratischen Wandel in Russland drängt. Andere bezeichnen ihn als Nationalisten, der insbesondere tadschikische Arbeitsmigranten bedroht. Der folgende Artikel erschien am 17.02.2021 auf Radioi Ozodi, wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung.
Rasul ist ein aktiver Nutzer sozialer Netzwerke, unterstützt offen die russische Regierung und schreibt gegen Nawalny. „Es migrieren unsere Bürger nach Russland und können dank dieser Regierung ihre Familien ernähren. Nawalny ist Nationalist und spricht sich gegen Migranten aus, daher kann von ihm nichts Gutes erwartet werden“, meint der junge Tadschike.
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Aleksej Nawalny befürwortet die Einführung eines strikten Visaregimes mit den Ländern des Südkaukasus und Zentralasiens und lehnt bisherige Einreiseabkommen ab. Dies ist eines der Hauptargumente der Tadschiken gegen ihn. Es gibt in Tadschikistan allerdings auch Stimmen, die Nawalnys Forderungen unterstützen und sich gegen die Arbeitsmigration als Druckmittel auf die Beziehungen zwischen Duschanbe und Moskau aussprechen.
Zwei Lager: Pro und Contra Nawalny
Öffentliche Gespräche über Politik, insbesondere Kritik an den tadschikischen Behörden, sind in den letzten Jahren ein Tabu im Land geworden. Es scheint, als schließt dieses inoffizielle Sprechverbot eine Debatte über das politische Leben im fernen Russland nicht aus. Abduqodir Talbakow, ein tadschikischer Journalist, war einer derjenigen, die einen Online-Aufruf gegen Nawalny starteten. „Er [Nawalny] hat das nationale Interesse nicht im Blick. Der Westen denkt daran, Russland auseinanderzureißen, aber Putin denkt an ein geeintes Russland. Nawalny will mit westlichem Geld Russland zerreißen und es Europa geben, und einige unserer Journalisten und Experten sind mit seiner Unterstützung gegen Putin“, so Talbakow.
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Solche Debatten unter tadschikischen Social-Media-Nutzern bewegen sich parallel zum innerrussischen Diskurs. Der Journalist Zawkibek Saidamini wundert sich, warum Nawalny und seine Proteste in der russischen Gesellschaft so viele Kontroversen ausgelöst haben. „Diejenigen, die stets von den Missständen des Lebens in Russland und der Ungleichbehandlung durch staatliche Institutionen gesprochen haben, haben sich nun der Regierung angeschlossen. Die Regierung, über die sich Arbeitsmigranten immer beschweren, betreibt schließlich diese Institutionen. Nawalny selbst ist diesen Institutionen zum Opfer gefallen, aber ich weiß nicht, warum sich seine Kritiker auf die Seite der Regierung gestellt haben“, räsoniert Saidamini.
Er fügt hinzu, dass sich dutzende russische Regierungsbeamte gegen tadschikische Arbeitsmigranten ausgesprochen hätten, der Präsident selbst miteingeschlossen. „Doch alle streiten sich über den Fall Nawalny. Über ihre Lokalpolitiker ist keine Rede. Es ergibt keinen Sinn, dermaßen über Nawalny zu diskutieren“, sagt er.
Hintergründe des Fall Nawalny
Aleksej Nawalny wurde am 17. Januar festgenommen, als er von Moskau nach Deutschland zurückkehrte, wo er medizinisch behandelt wurde. Der Oppositionspolitiker wurde am 20. August 2020 an Bord des Fluges Tomsk-Moskau ohnmächtig und in Omsk in ein Krankenhaus eingeliefert. Anschließend wurde er zur Behandlung nach Deutschland gebracht. Dort fanden Experten Spuren des militärischen Nervengifts Nowitschok in Nawalnys Körper. Die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich ächten den Einsatz chemischer Waffen und forderten die russischen Behörden zu einer Stellungnahme auf. Sie bestreiten die Vergiftung Nawalnys.
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Nach seiner Entlassung aus der Berliner Charité blieb Nawalny zur Kur einige Monate in Deutschland. Der russischen Strafvollzugsbehörde bestätigte, dass der Vorfall nicht ordnungsgemäß gemeldet wurde [Nawalny war zu einer Bewährungsauflage verurteilt worden und hätte sich regelmäßig bei den Behörden melden müssen, Anm. d. Red.]. Am 17. Januar reiste Nawalny zurück nach Russland und wurde sofort am Flughafen festgenommen. [Mittlerweile wurde Nawalny zu einer dreieinhalbjährigen Arbeitslagerhaft verurteilt, Anm. d. R.] Einen Tag nach der Verhaftung des Oppositionellen veröffentlichte seine Organisation Fonds-zur-Korruptionsbekämpfung eine zweistündige Investigativdokumentation, in der behauptet wird, die Reichen des Landes hätten 1,3 Milliarden Dollar für eine Residenz Putins an der Schwarzmeerküste ausgegeben. Die Inhaftierung Nawalnys vom 23. bis 31. Januar löste in verschiedenen russischen Städten Massenproteste für seine Freilassung aus. Mehr als 10.000 Demonstranten wurden in ganz Russland festgenommen, Hunderte befinden sich immer noch in Untersuchungshaft.
Was beeinflusst die Meinungen in Tadschikistan?
Der tadschikische Journalist Ahmadschoh Komilsoda glaubt, dass der Fall Nawalny die demokratischen Werte Russlands in Frage stellt und direkte Auswirkungen auf Tadschikistan haben wird. „Wenn wir den Fall aus der Perspektive einer offenen und demokratischen Gesellschaft betrachten, fordert Nawalny die Wahrheit und möchte die Selbstsucht und Bigotterie seiner Regierung stoppen. Er kritisiert sie, um auf die Gesellschaft zu wirken“, meint Komilsoda. „Viele Menschen in Tadschikistan haben große Bindungen an Russland und sehen sich als Teil des russischen Lebens und der russischen Kultur. Natürlich unterstützen sie alles, was die Regierung sagt.“
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Komilsodas Ansicht nach werden die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Regierung und die Gesellschaft Tadschikistans von der Denkweise der Behörden und des Volkes abhängen: „Die Menschen sehen, dass die russische Regierung die Entwicklung demokratischer Ideen in diesem Land mit aller Macht verhindert hat, Tadschikistan ist sich dessen mehr oder weniger bewusst. Der Umgang mit dem Fall Nawalny kann ein weiteres Hindernis für ein demokratisches Denken im Land sein.“
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Saifullo Safarow, ehemaliger stellvertretender Direktor des der Regierung nahestehenden Zentrums für strategische Studien, sieht das anders. „Wenn die Supermächte mit Russland spielen können, werden sie auch mit Tadschikistan spielen“, sagt er. Safarow fügt hinzu, dass die tadschikische Gesellschaft stets die Meinungsfreiheit genoss und niemand das Recht hat, sie einzuschränken. Gleichzeitig wurde Tadschikistan von internationalen Menschenrechtsorganisationen regelmäßig kritisiert, auch wegen der Einschränkung der Meinungsfreiheit. Laut Freedom House steht das Land auf der Liste der nicht-freien Länder.
Meinungsbildung durch das Fernsehen
Alim Schersamonow, stellvertretender Vorsitzender der tadschikischen Opposition der Nationalen Allianz, sagt, dass 90 Prozent der öffentlichen Meinung in Tadschikistan aufgrund des teuren und wenig verbreiteten Internets vom russischen Fernsehen beeinflusst werden. „Wenn Putin durch den Fall Nawalny 20 Prozent seiner Glaubwürdigkeit in Russland verlor, fiel Putins Glaubwürdigkeit in Tadschikistan nicht unter das Niveau, auf der sie zuvor war. Aber Nawalnys Ansehen ging noch weiter zurück. Eine kleine Gruppe von Experten mag seine Position unterstützen, die Mehrheit der tadschikischen Bevölkerung jedoch nicht“, so Schersamonow.
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Ihm zufolge wird das Urteil über Nawalny die Verbündeten Russlands, einschließlich Duschanbe, ermutigen, politischen Gegner ohne Beweise loszuwerden. Gleichzeitig glaubt Schersamonow, dass es in naher Zukunft radikale Veränderungen in den politischen Regimen Russlands und seiner Verbündeten geben wird.
Chursand Churramow für Radioi Ozodi
Aus dem Tadschikischen von Robin Shakibaie
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