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Wie ausländische Investitionen die Entwicklung der Regionen Kasachstans erschweren

Kasachstan ist bestrebt, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und erzielt damit nennenswerte Erfolge. Zum Unglück seiner Regionen, denn Investor:innen der Rohstoffindustrie sind nicht daran interessiert, nachhaltig, sozial und ökologisch zu wirtschaften.

CAREC Transport Corridor Kasachstan
Ausländische Direktinvestitionen führen oft zur Erhöhung der regionalen Ungleichheiten in Kasachstan (Asian Development Bank/ Flickr)

Kasachstan ist bestrebt, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und erzielt damit nennenswerte Erfolge. Zum Unglück seiner Regionen, denn Investor:innen der Rohstoffindustrie sind nicht daran interessiert, nachhaltig, sozial und ökologisch zu wirtschaften.

Regionale Ungleichheiten treten in Kasachstan in verschiedenen Formen auf, äußern sich aber meist in ungleicher Verteilung des inländischen Vermögens. Wo dieses Kapital eigentlich erarbeitet wurde, wird dabei außer Acht gelassen. Der Wohlstand konzentriert sich in „Wachstumszentren“, also in Millionenstädten und regionalen Zentren.

Für den Betrieb und die Konsolidierung eines solchen Systems ist eine zumindest minimale Aufrechterhaltung funktionsfähiger Siedlungen erforderlich, in denen, wie im Fall kasachischer Monoindustriestädte, Naturalrenten erzielt werden.

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So wurde am 1. Januar 2023 ein Gesetz über die Entwicklung von Ballungsräumen verabschiedet, das bereits seit Mitte der 2010-er Jahre in der Vorbereitung war. Diese sollen zu „Wachstumspunkten“ werden, um die sich ein intensives Wirtschaftsleben konzentriert. Die Festlegung der Grundsätze für die Entwicklung ebensolcher Agglomerationszentren ist Teil einer der modernen säkularen Ideologien – des Ökonomismus, der von der Ökonomie unterschieden werden sollte.

Wirtschaft und Ökonomismus

Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Voraussetzungen für eine fortschreitende Entwicklung und das Wachstum des Wohlstands zu schaffen, darunter auch für die Bewohner:innen unserer Regionen. Im Ökonomismus wiederum wird die soziale Realität durch abstrakte Theorien und Modelle der neoklassischen Wirtschaftswissenschaften ersetzt, die keinen Bezug zu konkreten Gesellschaften nehmen. Das führt zur dogmatischen Auslegung einer Reihe von Bestimmungen der Mainstream-Ökonomie, die niemand kritisch hinterfragt.

Dazu gehören die Theorien des komparativen Kostenvorteils, die Bedeutung der Anziehung ausländischer Direktinvestitionen (ADI) für die Entwicklung eines Landes oder einer Region sowie die überragende Bedeutung des BIP-Wachstums als Indikator für den Erfolg einer Volkswirtschaft.

Allerdings sollte im Falle Kasachstans die Wirtschaftspolitik – sofern sie das Kriterium einer progressiven Entwicklung erfüllen will – dazu beitragen, verschiedene regionale Entwicklungsschwierigkeiten zu überwinden. Eine solche Entwicklung sollte sich in steigenden Löhnen, einer höheren Lebenserwartung, besseren ökologischen Bedingungen und einer höheren Bildungsqualität in den örtlichen Schulen äußern.

Zur Bedeutung des neuen Gesetzes über die Entwicklung von Ballungsräumen

Das zu Beginn des Jahres verabschiedete Gesetz bezieht sich ausdrücklich auf die Entwicklung von Ballungsräumen, nicht auf die territoriale Entwicklung des Landes oder die Verbesserung der Situation der Menschen, die außerhalb der Ballungsräume leben. Demnach umfasst das lokale Agglomerations-System Kasachstans die Hauptstadt, eine Stadt von republikanischer Bedeutung (wie beispielsweise Almaty und Shymkent) oder eine Stadt von regionaler Bedeutung (von denen es 38 gibt) „und die um sie herum liegenden Siedlungen“.

Die Entwicklung der Ballungsräume wird auf den Grundsätzen „wirtschaftlicher Tragfähigkeit“ beruhen, was „die Annahme wirtschaftlich vernünftiger Entscheidungen durch den Staat“ impliziert, „günstige Bedingungen“ zu schaffen, einschließlich der Attraktivität für Investitionen.

Investitionsattraktivität Kasachstans führt zu Ungleichheit

Seit mehr als 30 Jahren ist die Investitionsattraktivität für Kasachstan zum Selbstzweck geworden. In Wirklichkeit führen ausländische Investitionen jedoch zu einer ungleichen Verteilung von Wohlstand und Einkommen zwischen den Regionen. Dieser Prozess wird mit dem Argument gerechtfertigt, dass Wirtschaft ohne Investitionen nicht wachsen kann und dass menschliche Siedlungen zu verfallen drohen.

Dieser Logik nach führen Investitionen (vor allem ausländische) automatisch zu Wirtschaftswachstum. Dieses wiederum soll die Regionen angeblich  mit allen elementaren Gütern versorgen, von Straßen bis zu Wärmenetzen.

Astana, die Hauptstadt von Kasachstan, ist einer der Ballungsräume, die zu entwickeln sind (Konrad Lembcke/ Flickr)

Im Gegensatz zur Mainstream-Ökonomie betrachtet die politische Ökonomie – basierend auf den Erfahrungen spezifischer Gesellschaften und nicht auf abstrakten Modellen – unregulierte Investitionen einen Faktor für den Rückstand eines Landes. Das Beispiel Kasachstans bestätigt leider die negativen Erfahrungen anderer Länder des „globalen Südens“. Anstelle von Wohlstand wird durch Ausländische Direktinvestitionen die Ungleichheit zwischen den Regionen verstärkt.

Kolonie ausländischen Kapitals

Erstens ermöglichen ausländische Direktinvestitionen die Kontrolle über die regionale Wirtschaft zu erlangen und sie faktisch in eine Kolonie ausländischen oder Kompradorenkapitals zu verwandeln.

Der Großteil der erdölproduzierenden Industrien in den Regionen Aqtóbe, Atyraý, Westkasachstan, Qaraǵandy, Qysylorda und Mańǵystaý stehen unter der Kontrolle von Investor:innen. Die meisten dieser Regionen gehören zu den am stärksten benachteiligten, was den sozioökonomischen Status und die zunehmende Ungleichheit der Bevölkerung angeht. Und das, obwohl ihr Bruttoregionalprodukt zu den höchsten im Land gehört.

Zum Beispiel erreichte das durchschnittliche Bruttoregionalprodukt pro Kopf in der Region Atyraý im Jahr 2010 36 Tausend US-Dollar (gut 33.000 Euro), was mit dem Niveau von Kuwait vergleichbar war. Hinter diesem „Durchschnittsvermögen“ verbarg sich jedoch ein enormes Maß an Ungleichheit, die 2011 zu den bekannten Ereignissen in Jańaózen führte (Demonstration wegen sozialer Ungleichheit, die gewalttätig niedergeschlagen wurde. Anm. d. Red. von Novastan), welche sich zehn Jahre später wiederholten.

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Zweitens erhalten ausländische Investoren enorme Steuervergünstigungen und andere Privilegien, meist auf Kosten ungleicher Löhne und unzureichender Umweltschutzvorschriften. Investor:innen sind nie daran interessiert, die Löhne der einheimischen Arbeitnehmer:innen zu erhöhen oder den Lebensstandard generell zu verbessern. Die Hauptgewinne werden aus der Region abgezogen und in den regionalen Zentren Astana und Almaty angesiedelt, meist aber auf den Offshore-Konten der eigentlichen Eigentümer:innen der Produktionsanlagen.

Drittens können wir nicht auf die technologische Aufrüstung unserer Produktion zählen, die angeblich mit dem Zufluss ausländischer Direktinvestitionen einhergeht. Investoren investieren nicht, um die neueste Technologie zu nutzen, sondern um Gewinn zu erzielen.

Eine Last für Umwelt und Gesundheit

Sie werden für einen achtsameren Umgang mit der Umwelt keine Extrakosten eingehen. Wie viele alternative Industrien sind in den oben genannten Gebieten entstanden, die umweltneutral sind und zudem die lokale Wirtschaft diversifizieren? Ohne eine strategische Wirtschaftspolitik des Staates nimmt die Abhängigkeit vom Export natürlicher Ressourcen immer mehr zu, während die positiven Spillover-Effekte der Rohstoffindustrie minimal bleiben.

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Es stellt sich also heraus, dass je mehr Öl und Erz auf unseren Feldern gefördert wird, je höher das BIP in Kasachstan oder die Bruttowertschöpfung in unseren rohstoffhaltigen Regionen ist, desto größer die Ungleichheit und sozialen Spannungen. Die Arbeitsbedingungen in unseren Minen und auf den Feldern gehören nach wie vor zu den schwierigsten und es gibt viele arbeitsbedingte Verletzungen und Todesfälle.

Bildung ist immer weniger integrativ: Laut Weltbank sind sechs von zehn kasachstanischen Schulkindern funktionale Analphabet:innen. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass die Mehrheit, wenn nicht alle dieser 6 Schüler:innen Schulen besuchen, die sich nicht in regionalen Zentren und größeren Städten befinden. Zudem verschlechtert sich die ökologische Situation von Jahr zu Jahr. Ein deutliches Zeichen dafür war das Massensterben von Robben an der kaspischen Küste.

Wirtschaftliches Erbe Nursultan Nasarbajews

Zur Erinnerung: im 1997 veröffentlichten Programm „Kasachstan-2030“ machte der damalige Präsident Nursultan Nazarbaev solche Investitionen zu einer der wichtigsten Prioritäten des Landes. Darin heißt es ausdrücklich, dass die „Strategie für ein gesundes Wirtschaftswachstum“ unter anderem auf der „Anziehung bedeutender ausländischer Investitionen“ beruht.

Dies führte zu einer direkten Umsetzung eines der Grundsätze des ökonomischen Mainstream-Denkens und wurde zum vorherrschenden Wirtschaftsdenken in Kasachstan. In den letzten 30 Jahren hat Kasachstans Wirtschaft 330 Milliarden Dollar angezogen und ist damit in dem Bereich zum absoluten Spitzenreiter unter den zentralasiatischen Ländern und zu einem der führenden Länder in der eurasischen Region geworden. Leider hat dieses Geld die Regionen in ihrer Entwicklung zurückgeworfen.

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Folgt man der Logik des Ökonomismus, welcher Effizienz mit „Investitionsattraktivität“ gleichsetzt, ergibt es zum Beispiel keinen Sinn, dass der Staat in der Stadt Temirtaý investiert, wenn Hromtaý mehr Investitionen anzieht und daher mehr Aufmerksamkeit verdient. Einwohner:innen von Temirtaý sollten sich also dringend Gedanken über einen Umzug nach Hromtaý machen.

Aber die Realität ist viel komplizierter. Bekanntlich verlassen immer mehr Menschen ihre Dörfer und Kleinstädte: Der Saldo der interregionalen Migration in Almaty und Astana für den Zeitraum 2017 bis 2021 betrug 177.100 bzw. 150.000 Menschen. Und dies geschah bereits, bevor sich um Almaty und Astana „Agglomerationen“ bildeten. Genau aus diesem Grund sollten Zentren nicht noch zusätzlich zum Ziel von Entwicklung gemacht werden.

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Regionalpolitik soll darauf abzielen, Mechanismen und Institutionen zu schaffen, die das Leben in unseren 89 Städten (minus drei Republikstädte und minus 38 Oblaststädte), 45 Kreisstädten, 31 Dörfern und 6828 ländlichen Siedlungen attraktiver machen. Nur dann werden die Zentren der Republik und der Regionen als „Motoren des Wirtschaftswachstums“ in der Lage sein, sich ohne zusätzliche Anstrengungen des Zentrums selbst zu versorgen.

Der neue rechtliche „Grundsatz der Gerechtigkeit“

In demselben Programm zur Entwicklung der Agglomeration wird der „Grundsatz der Gerechtigkeit“ genannt, der als „Wahrung der Interessen der administrativ-territorialen Einheiten, die die Agglomeration bilden“, verstanden wird. Offensichtlich ist dies ein weiterer Schritt im Rahmen der proklamierten Ideologie eines „gerechten Kasachstans“.

Aber wenn diese Ideologie durch die bisherigen Methoden verkörpert wird, die der „Investitionsattraktivität“ frönen, dann kann man die Gerechtigkeit vergessen. Die Gesetze, die wir zuvor in unserem Land verabschiedet haben, legitimierten lediglich die mangelnde Bereitschaft des Staates, in regionale Infrastruktur zu investieren, während seine Eigentümer-Investoren Spitzenplätze der Forbes-Liste eroberten.

Daher kann und darf die Entwicklung der kasachstanischen Regionen nicht davon abhängen, wie „investitionsattraktiv“ sie sind.

Verfasst von Kúat Akischanov, Ökonom, für Vlast

Aus dem Russischen von Berenika Zeller

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