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Repressionen in Xinjiang stehen unter milder Kritik in Zentralasien

Angehörige von Kasach:innen, die in Xinjiang inhaftiert sind, demonstrierten erneut vor dem chinesischen Konsulat in Almaty. Novastan sprach mit dem Sinologen Emmanuel Lincot, um die Position Kasachstans in dieser Frage besser zu verstehen.

Kaschgar, die kulturelle Hauptstadt der Uigur:innen, Photo : Laika ac / Wikimedia Commons.

Angehörige von Kasach:innen, die in Xinjiang inhaftiert sind, demonstrierten erneut vor dem chinesischen Konsulat in Almaty. Novastan sprach mit dem Sinologen Emmanuel Lincot, um die Position Kasachstans in dieser Frage besser zu verstehen.

Am 8. Februar haben Angehörige mehrerer ethnischer Kasach:innen, die in Xinjiang inhaftiert sind, vor dem chinesischen Konsulat in Almaty protestiert. Dies berichtet Radio Free Europe. Das Anliegen war klar: Die Freilassung ihrer inhaftierten Familienangehörigen.

Zwar wurde keine Gewalt berichtet, doch die Polizei ließ die Demonstrierenden nicht in die Nähe des Konsulats und die chinesischen Behörden traten nicht in einen Dialog mit ihnen ein. Seit Februar 2021 fanden regelmäßig Proteste vor den chinesischen Vertretungen in Kasachstan statt, um die Inhaftierung von Familienangehörigen anzuprangern, die ihrer Meinung nach nur deshalb inhaftiert wurden, weil sie muslimischen Glaubens sind.

Die chinesischen Behörden bestreiten diesen Vorwurf trotz der Aussagen von Kasach:innen und Uigur:innen, die von Massenverhaftungen in Xinjiang berichten. Gleichzeitig hält sich die kasachstanische Regierung mit Kritik an ihrem mächtigen Nachbarn zurück, mit dem sie durch zahlreiche internationale Partnerschaften verbunden ist.

Um zu verstehen, was die chinesische Repression in Xinjiang bedeuten, sprach Novastan mit Emmanuel Lincot, Professor am Institut Catholique de Paris, Sinologe und assoziierter Forscher am Institut für internationale und strategische Beziehungen (IRIS). Er ist unter anderem Autor des Buches Le très grand jeu: Pékin face à l‘Asie centrale („Das sehr große Spiel: Peking im Angesicht Zentralasiens“).

Novastan: Kann man von einer Anpassung der kasachstanischen Regierung an die Politik Chinas sprechen?

Emmanuel Lincot: Das versteht sich von selbst. Kasachstan spielt die chinesische Karte, insbesondere im Rahmen des Projekts der „Neuen Seidenstraße“, und das seit der Grundsatzrede von Präsident Xi Jinping 2013 in Astana. Die Regierung steht den chinesischen Positionen also offiziell eher nahe, weil China eine Chance ist. Sich von China zu entfremden, bedeutet, ein Risiko einzugehen, denn Kasachstan ist wie alle anderen zentralasiatischen Länder allein schon geografisch von China abhängig. Alle Waren aus Kasachstan können nur über Russland oder China transportiert werden. Gute Beziehungen zu China zu unterhalten ist daher wichtig.

Aus multilateraler Sicht ist Kasachstan Mitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Es ist wichtig, dies im Hinterkopf zu behalten, da diese Organisation über ein Büro zur Terrorismusbekämpfung mit Sitz in Taschkent verfügt. Außerdem haben viele der Länder Zentralasiens – im Rahmen der Shanghaier Organisation oder sonst wo – Abkommen ratifiziert, in denen die Auslieferung jeder uigurischen Person gefordert wird, die von den chinesischen Behörden wegen Terrorismus gesucht werden.

Dies erklärt die Repressionen gegen uigurische Aktivistinnen wie Serikdschan Bilasch, die aufgrund ihres Engagements, chinesische Übergriffe anzuprangern, unter Druck gesetzt wurden. Es ist offensichtlich, dass die chinesische Regierung in Bezug auf die Uigur:innen-Frage die kasachstanische Regierung stark beeinflusst,, denn Kasachstan ist ein absolut notwendiges Land im diplomatischen Schachbrett Chinas. Das Land bietet Zugang zum gesamten übrigen Zentralasien, zur Europäischen Union – die nach wie vor Chinas wichtigster Handelspartner ist – und zum Nahen Osten. In dieser Hinsicht ist Kasachstan eine Drehachse der strategischen Interessen Chinas, ebenso wie die benachbarte uigurische Provinz Xinjiang.

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China braucht die Unterstützung Kasachstans und umgekehrt. Daher kann China keine pro-uigurischen Demonstrationen auf kasachstanischem Territorium dulden, auch wenn die dort lebenden turksprachigen Bevölkerungsgruppen sich mit der uigurischen Bevölkerung als „Brudervolk“ identifizieren.

In dieser Hinsicht sehe ich vielleicht ein Zeichen für eine vollzogene Scheidung zwischen der politischen Elite und der Gesellschaft in Kasachstan. Die gesellschaftlichen Unruhen der letzten Jahre sind alle von dieser Feindseligkeit gegenüber einer zunehmenden Einmischung Chinas in die Angelegenheiten Kasachstans geprägt.

Ich denke dabei insbesondere an die große Krise 2011 am Kaspischen Meer, wo die Öffentlichkeit eine zunehmende Einmischung Chinas in die Angelegenheiten Kasachstans erkennen konnte. Dies wurde umso deutlicher durch die Verhaftung lokaler Behörden, Aktionäre und Geschäftsleute, die mit in Xinjiang inhaftierten Uigur:innen verwechselt wurden. All dies führte zu einer großen Feindseligkeit gegenüber China.

Wie ist es dann zu erklären, dass die kasachstanische Regierung oder auch andere zentralasiatische Regierungen bereit waren, einigen Uigur:innen politisches Asyl zu gewähren?

Natürlich gibt es zwischen allen Staaten in der Region einen doppelten Diskurs, der mit der Notwendigkeit zusammenhängt, der öffentlichen Meinung ein Zeichen zu setzen. Das ist wichtig. Aber angesichts der Abkommen, die die zentralasiatischen Staaten mit China verbinden, ist offensichtlich, dass sie parallel dazu die chinesische Karte spielen. Diese Tendenz hat sich in Kasachstan übrigens verstärkt, seit Qassym-Jomart Toqajev an die Macht gekommen ist.

Man sucht also einen Kompromiss, um sich mit einem Teil der Bevölkerung zu versöhnen – auf die Gefahr hin, dass es langfristig zu einer sehr großen Scheidung zwischen den Behörden und der Öffentlichkeit kommt.

Inwieweit haben die Uigur:innen in der Zivilgesellschaft Gewicht? In Kasachstan kam es möglicherweise zu Übergriffen auf die uigurische Bevölkerung. Gibt es eine soziale Spaltung innerhalb der Gesellschaft?

Ja, in der Gesellschaft verhält man sich in vielerlei Art schizophren. Man ist sehr glücklich, von der mit chinesischer Hilfe entwickelten Infrastruktur profitieren zu können. Und gleichzeitig kann man die Ankunft dieser uigurischen Bevölkerungsgruppen, die auf kasachischen Boden geflohen sind, mit Argwohn betrachten, weil man der Meinung ist, dass diese „uns unsere Arbeit wegnehmen“ und so weiter.

Es ist also nicht alles schwarz oder weiß. Es gibt sehr wohl Teile der Bevölkerung, die sehr glücklich über die wirtschaftliche Entwicklung sind. Doch diese kommt nicht allen zugute, und Widerstand aus der Bevölkerung mobilisiert sich langsam, um die Unterdrückung anzuprangern.

Nebenbei bemerkt, geht die Kritik an China zum Teil über humanitäre Fragen hinaus. Es findet eine Anklage gegen die wirtschaftliche Einmischung Chinas statt, die manchmal offen zutage tritt, etwa während der Demonstrationen in Kasachstan seit 2021.

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Die soziale Landschaft ist immer noch sehr, sehr gespalten und die Feindseligkeit gegenüber China vermischt die Kritik an einer wirtschaftlichen Einmischung und die Repressionen gegen die Minderheiten in Xinjiang.

Gibt es auf regionaler Ebene Unterschiede zwischen den zentralasiatischen Ländern in der Wahrnehmung Chinas? Führt die Kumpanei mit dem chinesischen Nachbarn zu Spannungen in Zentralasien?

Aus Sicht der Regierungen bestehen keine Unklarheiten. Ganz im Gegenteil. Alle wollen von den wirtschaftlichen Auswirkungen der chinesischen Politik profitieren. Auch hier stellt sich die Frage eher auf der Ebene des Meinungskampfes. Der Unterschied zwischen den Entscheidungstragenden und den Meinungen in der Bevölkerung in diesen verschiedenen Ländern wird stets größer. Und doch sind die Meinungen in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens alles andere als radikal gegen China.

Vielmehr ist die Opposition in Ländern wie Pakistan – das geografisch gesehen ebenfalls zu Zentralasien gehört, was nicht vergessen werden darf – am stärksten. Man denke an Belutschistan, eine Bürgerkriegsregion, in der rund um den Hafen von Gwadar besonders viele Chines:innen leben. Dort vergeht fast kein Tag, an dem nicht über Entführungen, Lösegeldforderungen oder Morde an chinesischen Arbeitenden, die dort eine besonders umstrittene Durchgangsstraße bauen, berichtet wird. Dies zeigt, dass es eine immer offenere Form der Sinophobie seitens der Bevölkerung gibt – doch sie ist alles andere als einheitlich.

Mobilisiert sich die Kulturszene jenseits der gewalttätigen Proteste gegen eine Annäherung an China?

Grundsätzlich ja, Kulturschaffende versuchen, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Diese bleibt jedoch auf ein westliches Publikum beschränkt.

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Ansonsten gibt es in Xinjiang natürlich keine derartigen Demonstrationen. Auch in Zentralasien ist es wirklich schwierig, ganz einfach, weil es von den herrschenden Regimen nicht toleriert würde. Das scheint mir offensichtlich zu sein.

Glauben Sie, dass dieses Problem langfristig Auswirkungen auf die Stabilität der Regime in der Region haben könnte?

Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, dass die Frage der chinesischen Repressionen gegen muslimische Minderheiten noch ein hauseigenes Phänomen ist. Es kann sicherlich eine Art „Palästinisierung“ der Übergriffe in der Region geben, die mit der uigurischen Bevölkerung zusammenhängt. Aber auch hier handelt es sich um Mückenstiche. Das Problem ist nicht so fundamental.

Auch Peking hat das sehr wohl verstanden. Was die chinesische Regierung vielmehr beunruhigt, sind terroristische Gruppierungen. Diese können uigurischer Herkunft sein und aus Afghanistan oder Tadschikistan gegen chinesische Infrastrukturen vorgehen. Aber es sind vor allem andere terroristische Gruppierungen wie der IS oder Al-Qaida, die langfristig ein Sicherheitsproblem für die chinesischen Interessen darstellen können.

Aus der Sicht der demografischen Verhältnisse haben Sie auf der einen Seite 12 Millionen Uigur:innen, von denen fast eine halbe Million festgenommen wurden. Wenn man diejenigen mitzählt, die in der Diaspora leben, sind das 24 Millionen Menschen, also eine ganze Menge. Aber was wiegen 24 Millionen Menschen im Vergleich zu 1,4 Milliarden Chines:innen? Was wiegen sie im Vergleich zu den Milliarden, die China in die Nachbarländer investiert? Nicht das Geringste.

Es wird zwangsläufig Bestrebungen geben, die uigurische Frage zu instrumentalisieren, wie es Amerika oder Europa getan haben, als sie zu Recht einen von den chinesischen Behörden praktizierten Völkermord anprangerten. Aber das wird die politische Realität Chinas und seines Regimes nicht verändern und auch nicht seine Annäherung an die zentralasiatischen Länder behindern.

Das Gespräch führte Eva Montford, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Michèle Häfliger

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