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Matraimows Millionen – Die Geschichte eines kirgisischen Korruptionsskandals

Der Korruptionsskandal um Raimbek Matraimow hat in der gesamten kirgisischen Gesellschaft eine breite Resonanz erfahren und war Auslöser anhaltender Proteste in Kirgistan. Ob der ehemalige Zollbeamte Matraimow aber jemals zur Verantwortung gezogen wird, ist noch unklar.

Der Korruptionsskandal um Raimbek Matraimow hat in der gesamten kirgisischen Gesellschaft eine breite Resonanz erfahren und war Auslöser anhaltender Proteste in Kirgistan. Ob der ehemalige Zollbeamte Matraimow aber jemals zur Verantwortung gezogen wird, ist noch unklar.

Der folgende Artikel erschien im Original auf der englischsprachigen Version von Novastan.

Der ehemalige stellvertretende Leiter des kirgisischen Zolldienstes Raimbek Matraimow wird zwei Monate in Untersuchungshaft verbringen. Dies entschied ein Gericht in der Hauptstadt Bischkek, nachdem Matraimow am 18. Februar 2021 vom kirgisischen Geheimdienst GKBN (Staatskomitee für nationale Sicherheit) festgenommen worden war.

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Matraimow war bereits am 11. Februar in einem ersten Korruptionsprozess zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Am 14. Februar drückten Demonstrierende während des wöchentlichen Marsches gegen Korruption und Verfassungsänderungen ihre Empörung über das Urteil aus, das sie für zu nachsichtig hielten. Im staatliche Fernsehen wurde daraufhin in einem mittlerweile gelöschten Segment behauptet, dass die Demonstrierenden Gesetzesbrecherinnen seien und das Land destabilisieren wollen würden.

Raimbek Matraimow steht im Mittelpunkt eines Korruptionsskandals, nachdem JournalistInnen in den Jahren 2019 und 2020 seine Verwicklung in einem Geldwäschesystem aufgedeckt hatten.

0.00043 Prozent

Raimbek Matraimow bekannte sich am 11. Februar in Bezug auf die Korruptionsvorwürfe schuldig. Doch anstatt einer jahrzehntelangen Haftstrafe, die bei Korruptionsvergehen möglich wäre, erhielt er eine Geldstrafe von 260.000 Som (2522 Euro), weil er bereits 2 Milliarden Som (19,4 Millionen Euro) an den Staat zurückgezahlt hatte.

Diese Zahl entspricht 0,00043 Prozent der ungefähr 700 Millionen US-Dollar (580 Millionen Euro), die Matraimows Netzwerk schätzungsweise illegal aus dem Land gebracht hat. Laut dem kirgisischen Nachrichtenportal Kloop weigerten sich Matraimow und seine Anwältenach der Sitzung, das Verfahren und das Urteil zu kommentieren. Wie das kirgisische Nachrichtenportal 24.kg berichtete, seien eingefrorene Bankkonten und beschlagnahmtes Eigentum ihm und seiner Familie zurückgegeben worden.

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Offen bleibt, warum Matraimow ursprünglich nur wegen Korruption und nicht auch wegen „illegaler Bereicherung“ vor Gericht gestellt wurde. Die Luxusreisen seiner Frau Ulkan Turgunowa, ihre Vorliebe für Designer-Mode sowie zahlreiche Aufenthalte und Verbindungen zu Immobilien in Dubai – all das übersteigt Matraimows während seiner Amtszeit angegebenes Einkommen von 1.000 US-Dollar (823 Euro) pro Monat.

Asel Doolotkeldijewa forscht zu Wahlpolitik und der Soziologie von Protesten. Im Interview mit Novastan erklärt die Bischkeker Wissenschaftlerin, dass eine solche milde Geldstrafe eine „Ohrfeige für das kirgisische Volk“ sei. Sie erinnert an zwei berüchtigte Fälle, in denen gewöhnliche Bürger wegen viel kleinerer Straftaten angeklagt und schwerer verurteilt wurden. So erhielt ein Bürger eine fünfjährige Gefängnisstrafe wegen Medikamentendiebstahls, weil er sich keine medizinische Behandlung für seine Familie leisten konnte. Auch ein Mann, der ein Huhn stahl, weil er nichts zu essen hatte, wurde ins Gefängnis geschickt.

Doolotkeldijewa meint, dass das Urteil gegen Matraimow in diesem Licht „skandalös“ sei und dass die Geschwindigkeit der Anhörung einen „Mangel an ordnungsgemäßen Ermittlungen“ widerspiegele. Die Entscheidung selbst zeige, dass das „Gerichtssystem nicht unabhängig ist und in der politischen Maschinerie der Herrschenden mitwirkt.”

Raim Million

Am 9. Dezember 2020 wurde Matraimow wegen seiner Rolle beim Außerlandesschaffen von Hunderten Millionen US-Dollar auf die Magnitsky-Sanktionsliste der USA gesetzt. In den Jahren 2019 und 2020 hatten umfassende Untersuchungen von Radio Azattyk (dem kirgisischen Dienst von Radio Free Europe), Kloop, Bellingcat und dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) Matraimows Geldwäschesystem aufgedeckt. Die Berichte skizzierten, wie Matraimow über einen Zeitraum von fünf Jahren (2011-2016) das Schmuggelimperium der uigurischen Familie Abdukadyr möglich gemacht und auch selbst davon profitiert hatte. Kloop, 24.kg und RFE/RL wurden anschließend im Januar 2020 von Matraimow wegen Verleumdung vor Gericht gestellt.

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Durch das durchorganisierte und hochprofitable System der mysteriösen Abdukadyr-Familie wurden falsch oder gar nicht deklarierte Waren aus China über Kirgistan auf Märkte in Zentralasien und Russland gebracht. Den Ermittlungen zufolge war Matraimow für die Verteilung der Bestechungsgelder zuständig, um so sicherzustellen, dass die Waren die Grenzposten im Norden und Süden des Landes passieren würden. Seine Rolle in diesem Patronage- und Korruptionsnetzwerk und sein so generiertes Vermögen brachten ihm den Spitznamen „Raim Million“ ein.

Aierken Saimaiti, ein in China geborener uigurischer Geschäftsmann mit kasachstanischer Staatsbürgerschaft, der für die Abdukadyr-Familie 700 Millionen US-Dollar aus Kirgistan schmuggelte, legte das System den JournalistInnen offen und stellte Unterlagen zur Verfügung. Er war 2017 nach Istanbul geflohen und wurde dort im Oktober 2019 in einem Internetcafé ermordet.

Der Stand der Dinge

Sowohl der milde Hausarrest, in dem sich Matraimow trotz „großer Resonanz in der kirgisischen Gesellschaft angesichts des möglichen Schadens, den er dem kirgisischen Staat und der Wirtschaft zugefügt hat“ nach seiner ursprünglichen Verhaftung befand, als auch das milde Urteil zeigen das Ausmaß seines Einflusses auf die Justiz und das Regime, argumentiert Doolotkeldijewa.

Tatsächlich zeigten die Untersuchungen des OCCRP, dass der Matraimow-Clan stark in die kirgisische Politik involviert war. So kandidierte Raimbeks Bruder Iskender Matraimow bei der annullierten Parlamentswahl im Oktober 2020 für die Partei „Mekenim Kyrgyzstan“. Obwohl Iskender Matraimow der Politiker ist, „wird allgemein angenommen, dass er [Raimbek Matraimow, Anm. d. Ü.] hinter den Kulissen starken Einfluss ausübt“, heißt es in dem Bericht. Die Familie nutzt aber auch den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Einfluss der gemeinnützigen Ismail-Matraimow-Stiftung, um den Wahlkampf der Partei zu unterstützen.

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Kirgistans kürzlich gewählter Präsident Sadyr Dschaparow versprach zunächst, Matraimow einzusperren, verzichtete jedoch später auf die Einlösung dieses Versprechen und argumentierte, dass eine solche Entscheidung für die Staatskasse weniger vorteilhaft wäre, als wenn Matraimow Schadenersatz zahlen müsste. Dschaparow kommentierte, dass dies „nur eine Episode“ sei und dass in Bezug auf die Aktivitäten, Bankkonten und das Eigentum des ehemaligen Beamten Anfragen an die Nachbarländer und nach Dubai gerichtet worden seien. Wenn die Informationen eingehen, würden die Ermittlungen fortgesetzt werden.

Doolotkeldijewa meint, dass „die Art und Weise, wie bisher mit dem Fall umgegangen wurde, Zweifel lässt, ob er weiterbehandelt wird oder nicht“. Sie fügt jedoch hinzu, dass die Ermittlungen möglicherweise aufgrund der noch nicht vollständig konsolidierten Macht Dschaparows, die durch „Kritik und lautstarken Widerstand der Gesellschaft“ in Frage gestellt werden könnte, fortgesetzt würden.

Der Fall Matraimow und die Verfassung

Der Fall Matraimow und die Resonanz, die er in der kirgisischen Gesellschaft erfährt, ereignen sich zu einer Zeit, in der ein von Dschaparow initiiertes Projekt von Verfassungsänderungen die kirgisische Politik bestimmt. Kritiker wie die Bürgerrechtsorganisation Adilet argumentieren, dass die Reform das kirgisische Parlament erheblich schwächen wird, indem sie einen Volksrat einführt und die Macht beim Präsidenten konzentriert, die Checks and Balances untergräbt und damit die Stabilität, die Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte gefährdet.

Des Weiteren hebt Adilet hervor, dass die im Verfassungsprojekt vorgeschlagen Maßnahme gegen Veröffentlichungen und öffentliche Veranstaltungen, die den „allgemein anerkannten moralischen Werten des kirgisischen Volkes“ zuwiderlaufen, das Potenzial für Verstöße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Medien haben.

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„Die Zivilgesellschaft wird diesen Fall weiter begleiten. Und hoffentlich wird sie stark und robust genug sein, um ständigen Druck auf die Behörden auszuüben“, meint Doolotkeldijewa. Vielleicht ist es dieser Druck, der zu den Ereignissen vom 18. Februar führte, als Matraimow im Zusammenhang mit einer laufenden Untersuchung wegen Geldwäsche erneut festgenommen wurde. Dennoch zeigen Proteste zur Unterstützung Matraimows sowohl in Bischkek als auch in seiner Heimatregion Kara-Suu, dass sein Einfluss immer noch nicht zu vernachlässigen ist.

In welche Richtung sich der Fall weiter entwickeln wird, könnte ein Hinweis auf die Entwicklung der kirgisischen Politik unter Dschaparow sein.

Cameron Evans für Novastan

Aus dem Englischen von Robin Roth

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