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Die usbekische Wirtschafts-Außenpolitik: Regionalismus und Einheit in Zentralasien?

Nachdem Amtsantritt Shavkat Mirziyoyevs als Präsidenten Usbekistans 2016, wandelte sich auch die außenpolitische Ausrichtung des Landes. Im Zeichen eines neuen Regionalismus sollen Spannungen bei Themen wie Wassermanagement und Grenzverläufen abgebaut werden, um schließlich die Wirtschaftsbeziehungen mit den Nachbarländern zu stärken.

Seit dem Amtsantritt von Präsident Shavkat Mirziyoyev, hier bei einem Staatsbesuch in Kasachstan im November 2023, spielt die regionale Komponente eine wichtige Rolle in Usbekistans Außenpolitik, Photo: president.uz…

Nachdem Amtsantritt Shavkat Mirziyoyevs als Präsidenten Usbekistans 2016, wandelte sich auch die außenpolitische Ausrichtung des Landes. Im Zeichen eines neuen Regionalismus sollen Spannungen bei Themen wie Wassermanagement und Grenzverläufen abgebaut werden, um schließlich die Wirtschaftsbeziehungen mit den Nachbarländern zu stärken.

Auf der 72. Sitzung der UN-Generalversammlung stellte Präsident Mirziyoyev die neue regionale Ausrichtung offiziell vor. Er erklärte Zentralasien als Region zur Priorität der usbekischen Außenpolitik und versprach, gutnachbarliche, friedliche, stabile und strategische Partnerschaftsbeziehungen zu den Nachbarstaaten aufzubauen.

Am Beginn der Neuausrichtung der Außenpolitik Usbekistans steht der Übergang von einem politisch orientierten zu einem wirtschaftlich orientierten Ansatz, bei dem die Förderung der Außenwirtschaft in vorrangigen Regionen im Mittelpunkt steht. Das von Usbekistan verfolgte Prinzip der „guten Nachbarschaft“ ist hier in eine wirtschaftliche Logik eingebettet. Die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit mit den Nachbarn für eine florierende Wirtschaft gelte umso mehr für ein Land ohne eigenen Zugang zum Meer.

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Im Folgenden werden Mirziyoyevs Auftritte auf der internationalen Bühne in den Blick genommen, um die grundlegenden Beweggründe der neuen usbekischen Regierung für ihren außenpolitischen Kurs sichtbar zu machen.

Reform und Neuausrichtung der Außenpolitik

Die außenwirtschaftliche Umgestaltung der Politik Usbekistans in der zentralasiatischen Region bestand nach dem Führungswechsel aus mehreren Etappen. Zur Aktivierung einer aktiven Außenwirtschaftspolitik leitete Mirziyoyev zunächst eine Reihe innenpolitischer Reformen ein. Dazu zählen etwa eine Liberalisierung und Privatisierung von Wirtschaft und Handel, eine Reform des Justizsystems und der Abbau bürokratischer Hürden sowie eine allgemeine Verbesserung des Geschäfts- und Investitionsklimas.

Schließlich wurde auch das Außenministerium einer grundlegenden Reform unterzogen. Im Jahr 2018 hielt Mirziyoyev ein Treffen mit Mitarbeitenden des Außenministeriums und der Vertretungen Usbekistans im Ausland ab, um über den neuen Kurs der usbekischen Außenpolitik und eine strukturelle und personelle Reform des Ministeriums zu beraten.

Er übte scharfe Kritik an der damaligen Arbeit. Jeder, der das Land im Ausland vertrete, habe drei Hauptaufgaben: die Exportförderung usbekischer Güter, eine Anziehung ausländischer Investitionen und Expertise sowie die Förderung Usbekistans als Tourismusziel. Um die Außenwirtschaft zu stärken, schlug er eine Strukturreform des Ministeriums mit der Schaffung separater Fachabteilungen für Investitions- und Exportförderung, Außenwirtschaftsförderung und Tourismusförderung vor. Die Reformen sollen mit der Aufstockung von Personal und der Schaffung von Schwerpunktvertretungen für bestimmte Regionen, Wirtschaftssektoren und Großunternehmen einhergehen.

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Die aktive Wirtschaftsaußenpolitik ist ein Spiegelbild der Innenpolitik. Von Beginn seiner Präsidentschaft an hat Mirziyoyev den Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gelegt, die nur mit einer offenen und pragmatischen Außenpolitik möglich ist.

Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten: 2017 wurden mehr als 200 internationale Abkommen mit ausländischen Partnern geschlossen, Handels-, Wirtschafts- und Investitionsabkommen und Verträge im Wert von rund 60 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Darüber hinaus wurden mehr als 40 Fahrpläne für die Entwicklung der praktischen Zusammenarbeit mit ausländischen Ländern und internationalen Organisationen genehmigt. Bis 2023 wurden ausländische Direktinvestitionen in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar  angezogen, dreimal mehr als 2017.

Die neue regionale Ausrichtung der Außenpolitik

Auch die Stärkung der bilateralen Beziehungen zu den Nachbarn in Zentralasien ist von entscheidender Bedeutung. Jedenfalls sofern der politische Wille zum Dialog und zur praktischen Problemlösung in strittigen Fragen wie Wassermanagement, Grenzstreitigkeiten und Energieressourcen besteht. Diese seit langem bestehenden Streitigkeiten stellen ein ernsthaftes Hindernis für die Vertiefung der regionalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den zentralasiatischen Ländern dar. Mirziyoyev erkannte an, dass die Lösung dieser Fragen notwendig ist, um die regionale Zusammenarbeit auszubauen und ein höheres Niveau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu gewährleisten.

Angesichts der geopolitischen und geostrategischen Gegebenheiten des Landes in der Region und der neuen Welle des Regionalismus musste Usbekistan ein regionaler Akteur werden, um seine wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Außenwirtschaft, Transit und Logistik, Stabilität und Sicherheit, Energieressourcen und Klimafragen – in vielen wichtigen Bereichen ist Usbekistan in gegenseitiger Abhängigkeit mit seinen fünf Nachbarstaaten verbunden.

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Usbekistans aktive Wirtschafts- und Außenpolitik mit den zentralasiatischen Staaten basiert auf einem Top-Down-Ansatz, der auf der zwischenstaatlichen Ebene ansetzt. Ein Vorschlag aus hohen Regierungskreisen sieht die Einrichtung von Plattformen vor, auf denen die Seiten Bereiche der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit bei regionalen Themen erörtern können. Im Oktober 2023 fand außerdem die erste Sitzung des neugegründeten Rats für interparlamentarische Zusammenarbeit zwischen den Legislativkammern des usbekischen Parlaments (Oliy Majlis) und des kasachstanischen Parlaments (Majilis) statt. Ein weiteres Thema, das auf der institutionellen Ebene der Zusammenarbeit angesprochen wurde, sind regelmäßigen Treffen der Verkehrs-, Landwirtschafts- und Handelsminister der beiden Länder.

Usbekistan zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur an alle zentralasiatischen Länder grenzt, sondern auch, dass alle seine 13 politischen Einheiten (12 Provinzen und eine autonome Republik) gemeinsame Grenzen mit den fünf Nachbarstaaten haben. Daher schlug Mirziyoyev die Gründung einer Vereinigung der Verwaltungschefs (Hokims) der Regionen und Unternehmen in den zentralasiatischen Staaten vor, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern und zu entwickeln. So können die Leiter der lokalen Verwaltungen entsprechend der Gegebenheiten des jeweiligen Gebiets und der Bedürfnisse der Bürger auf regionaler Ebene zusammenarbeiten.

Die Außenwirtschaft als Schwerpunkt der Außenpolitik

Um die vielfältigen Möglichkeiten der Region voll auszuschöpfen, hat die Regierung Usbekistans besonderes Augenmerk auf regionale Handels- und Wirtschaftsabkommen sowie die staatliche Wirtschaftsförderung auf regionaler und bilateraler Ebene gelegt. So wurde beispielsweise die Bedeutung einer Digitalisierung der Wirtschaft hervorgehoben, um die Produktionskosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte zu gewährleisten. Ein Abkommen über gemeinsame Leitlinien für den regionalen Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie ein System von grenzüberschreitenden Handelszonen mit gemeinsamen Regeln und Verfahren für die Lieferung von Waren sollen ebenfalls geschaffen werden.

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Die zunehmende Instabilität der internationalen politischen und wirtschaftlichen Lage hat zu Versorgungsschwierigkeiten der Region mit Gütern im Export und Import geführt, die zudem Preissteigerungen zur Folge hatten. Daher soll im Zeichen der regionalen „Komplementarität“ zwischen den Volkswirtschaften die industrielle und landwirtschaftliche Zusammenarbeit gestärkt werden. Dies würde dazu beitragen, benötigte Rohstoffe vorzuhalten und die Abhängigkeit von externen Lieferanten zu verringern.

Mirziyoyev stellte mit Bezug auf die regionalen Initiativen der usbekischen Regierung fest, dass Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit die Hauptantriebskraft für regionale Partnerschaft und Integration sind. Die neue Regierung hat daher in Usbekistan die Voraussetzungen für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Ländern der Region geschaffen. Laut Mirziyoyev sei es notwendig, die Kontakte zwischen den Menschen in Zentralasien zu intensivieren, um Freundschaft und Zusammenarbeit auf eine neue Ebene zu heben. Um direkte Geschäftskontakte zwischen Unternehmern herzustellen, sollen unter anderem regelmäßig Investitions- und Wirtschaftsforen veranstaltet und gemeinsame Projekte der industriellen Zusammenarbeit gefördert werden.

Eine gemeinsame Fiskal- und Währungspolitik ist ein integraler Bestandteil der wirtschaftlichen Integration. Im Rat des Rahmenabkommens für Handel und Investitionen (TIFA – Trade and Investment Framework Agreement) zwischen den Vereinigten Staaten und den zentralasiatischen Staaten schlug Usbekistans Minister für Investitionen, Industrie und Handel, Laziz Kudratov, die Schaffung eines einheitlichen Zahlungssystems in der Region vor. Die Einführung dieses einheitlichen Zahlungssystems soll nicht nur den zwischenstaatlichen Handel rationalisieren, sondern auch die kommerzielle Zusammenarbeit zwischen Unternehmern fördern.

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Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die regionale Wirtschaftspolitik Usbekistans nicht die Schaffung supranationaler Institutionen oder einer neuen regionalen Organisation vorsieht. Mirziyoyev bevorzugt eine institutionelle Zusammenarbeit ohne institutionelle Integration und supranationale Gremien. Er wies darauf hin, dass die wichtigste außenpolitische Aufgabe der Region darin besteht, Zentralasien gemeinsam in eine stabile, wirtschaftlich entwickelte und wohlhabende Region zu verwandeln.

Unter dem Eindruck der jüngsten Kooperation zwischen den zentralasiatischen Ländern ist der regionale Handel stetig gewachsen. So hat sich der Handelsumsatz um mehr als das 2,5-fache erhöht, das Volumen der gegenseitigen Investitionen hat sich fast versechsfacht, und die ausländischen Direktinvestitionen sowie die Investitionsströme sind um 45 Prozent gestiegen.

Darüber hinaus haben sich die Indikatoren für den regionalen Inlandstourismus verdoppelt. Allein der Indikator für den gegenseitigen Handel mit Kasachstan ist in den letzten sechs Jahren fast um das 2,5-fache gestiegen und beläuft sich auf 4,6 Milliarden US-Dollar. Der gegenseitige Handel mit Kirgisistan hat sich in den letzten Jahren verfünffacht, und die Zahl der Joint Ventures hat sich verachtfacht. Kirgisisch-usbekische Kooperationen haben gemeinsame Projekte in zahlreichen Sektoren wie der Textil-, der Automobil- und der chemischen Industrie, aber auch der Landwirtschaft und Wasserwirtschaft in Angriff genommen.

Tabelle: Außenhandelsdaten der Republik Usbekistan im 1. Quartal 2023 (in Prozent)

LandExportLandImport
Russland10China22
Türkei6Russland18
China6Kasachstan9
Kasachstan5Deutschland7
Kirgistan3Südkorea7

Quelle: Statistikamt unter dem Präsidenten der Republik Usbekistan

Statistiken zeigen allerdings, dass trotz dieser aktiven und beschleunigten wirtschaftlichen Zusammenarbeit in den letzten Jahren der Anteil der zentralasiatischen Länder am gegenseitigen Handel mit Usbekistan im Jahr 2023 relativ gering bleibt. Von den vier anderen Ländern der Region gehört nur Kasachstan zu den fünf wichtigsten Handelspartnern Usbekistans bei Exporten und Importen. Kirgistan steht immerhin bei den Ausfuhren an fünfter Stelle.

Konsequenzen für die Vertiefung der regionalen Zusammenarbeit

Regionale Zusammenarbeit ist nicht gleichbedeutend mit regionaler Integration; es geht um eine enge wirtschaftliche Interaktion ohne supranationale Institutionen und Organisationen. Die wirtschaftliche Integration erfordert eine tiefere und umfassendere Zusammenarbeit ebenso zwischen den Regierungen wie zwischen den Menschen. Hier bleiben zukünftig Spielräume zur Intensivierung der Kooperation – auch unter der Beibehaltung von separaten Wirtschaftssystemen und nationalen Regulierungsrahmen.

Deutliche Verbesserungen der Wirtschaftsleistung in regionalen Bereichen wie Handel, Investitionen und industrieller Zusammenarbeit erfordern einen geeigneten Rahmen für praktische Schritte. Zentralasien mit seinen über 70 Millionen Einwohnern schöpft sein Wirtschafts-, Verkehrs- und Energiepotenzial noch immer nicht voll aus.

Wichtige Schritte wären hierfür:

  1. Bilaterale und multilaterale Handelsabkommen, die alle Hindernisse für den Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr beseitigen. Diese Abkommen sollten eine Reihe von Themen behandeln, darunter Investitionen, den Handel mit Waren und Dienstleistungen, den Schutz geistigen Eigentums und regionaler Produkte sowie Streitbeilegungsmechanismen.
  2. Regionale Investitionsabkommen, die die Attraktivität Zentralasiens für ausländische Unternehmer erhöhen. Die Länder sollten gemeinsame Investitionsbedingungen festlegen, um interne Hindernisse zu beseitigen, Bürokratie abzubauen und steuerfreie Zonen zu schaffen.
  3. Gemeinsame Infrastrukturprojekte, um die wirtschaftliche Interaktion zwischen den Menschen in der Region zu gewährleisten und zu erleichtern. Gründung von Joint Ventures und Beteiligung an der Produktion von Waren und Dienstleistungen, die ein Exportpotenzial außerhalb der Region haben.
  4. Grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte, um die Wartezeiten an den Grenzübergängen zu verkürzen und die Arbeitseffizienz der Zollbehörden zu erhöhen.

Diese Themen wurden in den Reden von Mirziyoyev häufig angesprochen. Da sie jedoch nicht einseitig gelöst werden können, ist hier eine Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene erforderlich. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass bedeutende wirtschaftliche Veränderungen nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen sind. Daher sollten sich die Staaten darauf konzentrieren, diese Fragen schrittweise anzugehen, sodass genügend Zeit für die Umsetzung auf regionaler und nationaler Ebene bleibt.

Auf nationaler Ebene müssen zunächst die potenziellen Vorteile, Kosten und Herausforderungen eines Wirtschaftsbündnisses abgewogen werden. In dieser Phase können Interessengruppen aus Unternehmen, Regierungsstellen und Zivilgesellschaft einbezogen werden. Die Staaten müssen dann erste Konsultationen auf regionaler Ebene durchführen, um ein grundlegendes Interesse zu ermitteln, Prioritäten zu erörtern und Übereinstimmungen zu finden. Anschließend können entsprechende Abkommen verhandelt werden.

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An der regionalen Zusammenarbeit sind viele Akteure beteiligt. Ein einzelnes Land kann sie nicht ohne die Unterstützung von und gemeinsame Anstrengungen durch die anderen Länder stärken. Es braucht also vor allem den politischen Willen der führenden Köpfe. Positive Veränderungen in der Region haben nach dem Führungswechsel und der Machtübergabe in Usbekistan (2016), Kasachstan (2019), Kirgistan (2021) und Turkmenistan (2022) stattgefunden. Nach einer langen Zeit des Stillstands in den bilateralen Beziehungen zeichnet sich jetzt ein allgemeiner Trend zu einer Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit ab.

Firdavs Kobilov für CABAR

Gekürzt und aus dem Russischen übersetzt von Felix Bok

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