Startseite      70 Jahre Xinjiang: Peking feiert und erlässt neue politische Doktrin

70 Jahre Xinjiang: Peking feiert und erlässt neue politische Doktrin

Der 70. Jahrestag der Gründung Xinjiangs ist in Ürümqi mit einer großen Zeremonie in Anwesenheit von Xi Jinping gefeiert worden. Xi ist der erste chinesische Präsident überhaupt, der an einer derartigen Veranstaltung teilnahm.

Xi Jinping bei seiner Ankunft in Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi, Photo: Xinhua

Der 70. Jahrestag der Gründung Xinjiangs ist in Ürümqi mit einer großen Zeremonie in Anwesenheit von Xi Jinping gefeiert worden. Xi ist der erste chinesische Präsident überhaupt, der an einer derartigen Veranstaltung teilnahm.

Es war eine Gala mit hohem Besuch aus Peking: Vom 23. bis 25. September hat die Uigurische Autonome Region Xinjiang ihr 70-jähriges Bestehen gefeiert. Mit dabei waren unter anderem Chinas Präsident Xi Jinping sowie die Mitglieder des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas Wang Huning und Cai Qi. In der 1955 offiziell gegründete Region, die für die Entwicklung von Chinas „Neuer Seidenstraße“ von zentraler Bedeutung ist, herrschen seit Jahrzehnten Spannungen zwischen Peking und der uigurischen Minderheit.

Die Gala mit dem Titel „Schönes Xinjiang“ diente als Instrument der internen und externen Kommunikation, vermittelte politische Themen und ging somit über das rein Künstlerische hinaus. Xi Jinping hielt eine kurze Rede, in der er immer wieder auf die Themen Sicherheit und Stabilität in Xinjiang einging.

Fokus auf Sicherheit und Kontrolle

Xis Rede vor den lokalen Behörden konzentrierte sich neben Sicherheit auch auf soziale Kontrolle. Der Präsident betonte die umfassenden Bemühungen zur Wahrung der sozialen Stabilität in Xinjiang sowie zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die Terrorismusbekämpfung. Es sei zwingend erforderlich, in Xinjiang ein starkes Bewusstsein für die chinesische Nation als Gemeinschaft zu fördern und den Aufbau dieser Gemeinschaft voranzutreiben, sagte Xi nach Angaben der offiziellen Presseagentur Xinhua.

Die Betonung der Sicherheit dient dazu, den Fortbestand eines dichten Sicherheitsapparats zu rechtfertigen. Sie geht einher mit der einer neuen Doktrin für die Zukunft der Region, den „Leitlinien der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) für die Regierung Xinjiangs im neuen Zeitalter: Praktiken und Erfolge“, die vom Informationsbüro des Staatsrats veröffentlicht wurden.

In dem 42-seitigen Dokument verkündet Peking einen „historischen Erfolg“ im Kampf gegen den Terrorismus und weist darauf hin, dass es seit mehreren Jahren keine gewalttätigen Anschläge mehr gegeben habe; der letzte datiere vom 22. Mai 2014. Um die Aufrechterhaltung des verstärkten Sicherheitsapparats zu rechtfertigen, prangert Peking „Panturkismus“ und „Panislamismus“ als existenzielle Bedrohung an und führt implizit die mit Al-Qaida verbundene „Islamische Partei Turkestans“ (IPT) an, die mit dem syrischen Verteidigungsministerium kooperiert.

Lest auch auf Novastan: Repressionen in Xinjiang stehen unter milder Kritik in Zentralasien

Der Text rechtfertigt außerdem Maßnahmen zur Überwachung, Umerziehung und religiösen Kontrolle, die präventiv angewendet werden sollen. Westliche Vorwürfe des Völkermords und der Zwangsarbeit weist die Doktrin zurück.

Die Kommunistische Partei Chinas begrüßt auch die wirtschaftliche Entwicklung der Region: Das regionale BIP soll von 750 Milliarden Yuan (90,8 Milliarden Euro) im Jahr 2012 auf über 2.000 Milliarden Yuan (242,1 Milliarden Euro) im Jahr 2024 gestiegen sein. Dabei hebt Peking insbesondere die Armutsbekämpfung, die schnelle Urbanisierung und die Schaffung der Pilot-Freihandelszone Xinjiang im Jahr 2023 als Teil der Neuen Seidenstraße hervor.

Auslöschung und Aneignung der uigurischen Kultur

Zu den Repressionen und Internierungslagern, denen die uigurische Bevölkerung seit 2014 ausgesetzt ist und die vom Uyghur Human Rights Project (UHRP) regelmäßig angeprangert werden, gab es keine expliziten Kommentare. Einem UHRP-Bericht vom 25. April 2024 zufolge war im Jahr 2024 in Xinjiang jeder 26. Mensch – vorwiegend Uigur:innen oder andere Nicht-Han – inhaftiert. Das entspricht fast einem Drittel der gesamten Gefängnisinsass:innen Chinas. Die Uigur:innen machen jedoch nur ein Prozent der Bevölkerung Chinas aus.

Obwohl es keine umfassenden offiziellen Daten zu den Internierungslagern in Xinjiang gibt, schätzen NGOs wie die UHRP, dass zwischen 2017 und 2022 mindestens 578.500 Menschen inhaftiert waren. Die derzeit noch in den Lagern inhaftierten Personen sind dabei nicht mitgerechnet. Die uigurische Region weist mit 2.234 Inhaftierten pro 100.000 Einwohner:innen die höchste Inhaftierungsrate weltweit auf. Eine Studie des Thinktanks Australian Strategic Policy Institute (ASPI) identifizierte mithilfe von Satellitenbildern seit 2017 rund 380 aktive Internierungslager.

Lest auch auf Novastan: Flucht aus Xinjiang – Geschichten von jenen, die den Lagern entkamen

Doch die aktuelle chinesische Doktrin betont nun das Konzept der „Gemeinschaft der chinesischen Nation“. Dazu gehört die Förderung der kulturellen Verschmelzung und die verstärkte Kontrolle über religiöse Institutionen, damit der Islam und andere Religionen „mit dem Sozialismus vereinbar“ sind.

Darüber hinaus legt die Kommunistische Partei Wert auf eine selektive Bewahrung des lokalen Erbes, wie etwa in Turpan und Kaschgar. Dieses Erbe wird dabei in eine chinesische Geschichtserzählung integriert. In Bildung und öffentlichem Leben wird eine Vorherrschaft der Han-Kultur propagiert.

Geschichte neu schreiben

Das Dokument stellt die Politik Xinjiangs als Modell einer nationaler Regierungsführung dar, die Sicherheit, kulturelle Assimilation, wirtschaftliche Entwicklung und ideologische Kontrolle vereint. Es versucht, das Vorgehen der Kommunistischen Partei angesichts internationaler Kritik zu legitimieren, indem es diese Regierungsführung in die Logik einer „Modernisierung chinesischer Prägung“ einordnet – ähnlich der Situation in Tibet, wo Peking seit 75 Jahren militärische Vorherrschaft ausübt und eine Politik der Assimilation der Bevölkerung verfolgt.

Zwischen den zentralistischen Exzessen der Kommunistischen Partei und den anhaltenden dschihadistischen Bedrohungen bleibt Xinjiang ein Ort, an dem sich die Spannungen kristallisieren, gefangen zwischen Sicherheit und Unterdrückung.

Lenny Cabrol Noto für Novastan

Aus dem Französischen (und überarbeitet) von Robin Roth

Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.