Vor der Ankunft turkmenischer Stämme erlebte das Gebiet zwischen dem heute fast ausgetrockneten Aralsee und dem Kaspischen Meer bereits verschiedene nomadische und sesshafte Bevölkerungsgruppen, mehrere Großreiche und unzählige Einflüsse verschiedener Hochkulturen. Auf den Spuren von Choresmien, Hyrkanien, Margiana und Parthien finden sich zahlreiche archäologisch relevante Funde auf dem Territorium des heutigen Turkmenistans.
Die Region um die Wüste Karakum war zu verschiedenen Zeiten Teil unterschiedlicher Reiche der antiken und mittelalterlichen Welt, die ihre Unabhängigkeit gewannen und verloren. Tatsächlich handelte es sich dabei um kleine Oasen, umgeben von scheinbar endlosen Wüsten.
Welche Spuren haben sie innerhalb der Grenzen des heutigen Turkmenistans hinterlassen? Obwohl es davon viele gibt, sind sie außerhalb eines engen Kreises von Spezialist:innen wenig bekannt. Nur drei archäologische Parks erlangten eine gewisse Bekanntheit und wurden in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Einige archäologische Perlen stellen wir euch hier vor.
Merw: Antike Oasenstadt mit politischer Gegenwart
Der in der Antike noch viel wasserreichere Murgap, der vom Hindukusch Richtung Karakum fließt, ließ in seinem Flussdelta seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. Oasen entstehen. Zu verschiedenen Zeiten wurden diese unterschiedlich benannt, besaßen aber stets denselben Wortstamm: Mowru/Margush im Altpersischen, Margiana im Altgriechischen, Merw im Arabischen und Mary im Turkmenischen.
Das Zentrum dieser kleinen Reiche war vermutlich Gonur Depe (dt. „Grauer Hügel“), unabdingbar für die archäologische Geschichte Zentralasiens. Nicht weit davon entfernt befindet sich heute eine der größten Städte Turkmenistans, nach dem alten Reich ebenfalls Mary genannt.
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Bei Gonur Depe handelt es sich um die größte von über dreihundert identifizierten bronzezeitlichen Stätten im alten Murgap-Delta. Auf den Reichtum der Oasenstadt weisen die gefundenen kostbaren Grabbeigaben hin, welche etwa aus Stein, Metall, Elfenbein und Ton gefertigt waren. Im Laufe der Zeit wurde die Oase unter anderem von Parthern, Sassaniden und Seldschuken beherrscht und stellte stets ein wichtiges kulturelles, wissenschaftliches und Handels-Zentrum dar.
Das Flusstal, in dem es vor viertausend Jahren von städtischem Leben wimmelte, ist heute eine Wüste. Die von Archäolog:innen entdeckten antiken Siedlungen werden langsam vom Sand verschluckt oder von der örtlichen Landwirtschaft mit schweren Maschinen eingeebnet, um neue Bewässerungssysteme zu bauen. Diese Vergehen gegen archäologisch wertvolle Zeugnisse bleiben unbestraft. So verschwindet Geschichte von unschätzbarem Wert oft bevor sie überhaupt in die Wissenschaft eingegangen ist.
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Vor dem Hintergrund der spärlichen schriftlichen Überlieferung wird die Bewahrung des antiken Erbes in Turkmenistan zu einem Problem nationalen Ausmaßes. Das antike Merw, das 1988 zu einem „historischen und kulturellen Naturschutzgebiet“ erklärt wurde und seit 1999 auf der Liste des UNESCO-Welterbes steht, ist ein Beispiel dafür, wie Denkmalschutzverbände versuchen, sich der Gier der Unternehmenden und der Gleichgültigkeit lokaler Behörden zu stellen.
Unterstützt durch internationale Organisationen und ausländische Forschungszentren führen turkmenische Fachleute Projekte zur Erforschung und Erhaltung ausgewählter antiker Bauwerke durch und arbeiten systematisch am öffentlichen Schutz derselben. Dies hat nichts gemein mit den aufdringlichen Kampagnen der späten Sowjetjahre, wie zum Beispiel die Feierlichkeiten zum 2500-jährigen Bestehen von Merw, einem rein fiktiven Jahrestag, der später verschoben und nie abgehalten wurde.
Diese willkürlichen Auslegungen von Geschichte sind besonders charakteristisch für nationalistische Ideologien und entbehren jeder ernsthaften wissenschaftlichen Grundlage. Weder Archäologinnen noch Altorientalisten wagen eine genaue Aussage darüber, wann Merw entstanden ist. Hinweisen zufolge bestanden bronzezeitliche Siedlungen um das 7. Jahrhundert v. Chr., doch sollten sich diese erst im Laufe der Zeit zu einem wichtigen politischen Zentrum entwickeln.
Parther-Festungen von Nisa
Nisa, das vor etwa 2200 Jahren als königliches Heiligtum des Parther-Reiches entstand, liegt heute am westlichen Stadtrand von Aschgabat. Die Anlage besteht aus zwei beeindruckenden Festungen, Alt- und Neu-Nisa, erbaut auf den steilen Felsen des Köpetdag. In Nisa herrschten verschiedene Bevölkerungsgruppen und Religionen vor, viele Gebäude weisen etwa auf zoroastrische Kulthandlungen hin. Das Leben von Nisa war jedoch nicht auf den Einfluss des Zoroastrismus und die Parther-Zeit beschränkt.
Im Jahr 651 wurden die Festungen Teil des arabischen Kalifats und Nisa war von da an eng mit der Gründung und Verbreitung des Islam verbunden. Nach einer zweiten Blütezeit wurde die Stadt, wie auch andere Metropolen Zentralasiens, von den Truppen Dschingis Khans belagert und zerstört.
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Heute wird man beim Blick von den hohen Festungsmauern von Alt-Nisa allein durch die fernen Hochhäuser Aschgabats in die Gegenwart zurückgeholt. Die beiden Festungen von Nisa sind als historische Denkmäler wie auch „Kulturlandschaften“ in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurden. Die natürliche und historische Umgebung der Denkmalzone zu erhalten, ist angesichts der Nähe zu den Wohngebieten und landwirtschaftlich bebauten Flächen kein einfaches Unterfangen.
Köneürgenç: Die Stadt des Meisterhandwerks
Ganz im Norden des heutigen Turkmenistans befindet sich die geschichtsträchtigen Ruinen von Gurgandsch, heute im Turkmenischen Köneürgenç genannt. Nach einer ereignisvollen Geschichte zwang die Wasserknappheit die Bevölkerung im 17. Jahrhundert, die Stadt zu verlassen und sich etwas weiter östlich niederzulassen. Dadurch entstand das heutige Urganch in Usbekistan. Wie bei vielen antiken Städten kann die Chronologie von Köneürgenç nur anhand archäologischer Funde rekonstruiert werden.
Während über das antike und frühmittelalterliche Gurgandsch kaum etwas bekannt ist, konnte die muslimische Periode ab dem 8. Jahrhundert dank schriftlicher Zeugnisse in arabischer und persischer Sprache weitgehend aufgearbeitet werden. Die Stadt gewann an politischem Einfluss und wurde zu Beginn des 11. Jahrhunderts zur Hauptstadt Choresmiens erklärt. Allerdings blieb auch Gurgandsch nicht von der mongolischen Invasion verschont und verlor danach an Bedeutung.
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Die Stadt durchlief mehrere Zyklen des Wohlstands, des Niedergangs und der Zerstörung, geprägt von verschiedenen wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeiten. Demzufolge finden sich in Köneürgenç die Überreste des höchsten Minaretts in Zentralasien sowie vier Mausoleen von großem archäologischem Wert. Nicht ohne Grund ist die Ruinenstadt seit 2005 Teil des UNESCO-Welterbes: Die Überreste von Köneürgenç zeugen von einer beeindruckenden Vielfalt an Techniken islamischer Architektur in Zentralasien.
Die für die damalige Bauwerkskunst typischen mit blau-weißen Fliesen verzierten Gebäude werden ergänzt durch Mauern aus rohen und gebrannten Ziegeln, Kuppelbauten und floralen Ornamenten. Die eigentümliche Bauwerkskunst ist nicht nur typisch für Köneürgenç. Bauherren orientierten sich noch Jahrzehnte später an dieser Architektur, weshalb viele berühmte Monumente in Samarkand, Shahrisabz, Isfahan, Herat oder Xiva im ähnlichen Stil gehalten sind. Gewisse architektonische Elemente finden sich gar in der Wolga-Region, im Kaukasus, in der Türkei oder in Indien. Sehr nah am architektonischen Stil von Köneürgenç ist die Stadt Dehistan im Südwesten Turkmenistans mit ihren monumentalen Ruinen.
Dehistan als künftiges Weltkulturerbe?
Die weite Misrian-Hochebene, heute ein Wüstengebiet zwischen Kaspischem Meer und den westlichen Ausläufern des Köpetdag, war von der Antike bis zum 13. Jahrhundert eine üppige, bevölkerungsreiche Oase mit vielen befestigten Städten und Dörfern inmitten von Weizenfeldern. Deren Spuren im Gelände sind noch heute auf Google Earth erkennbar. Die Bevölkerung dieser Region, von Griechen und Parthern Hyrkanien und von den Persern Dehistan („Land der Dörfer“) genannt, legte bereits damals ein ausgedehntes Bewässerungssystem an. Solange dieses funktionierte, florierte die Landwirtschaft.
Das Zentrum Dehistans war die gleichnamige Stadt, auch Mashad-e-Misrian oder einfach Misrian genannt. Dazu gehörte ein ausgedehntes Vorstadtgebiet mit Handwerksvierteln, Gärten, Marktplätze und Moscheen. Wasserversorgungs- und Abwassersysteme, öffentliche Bäder und Ziegelsteinpflaster weisen auf den hohen Entwicklungsstand der städtischen Kultur hin. Von dieser Architektur sind jedoch bloß einige beeindruckende Ruinen übriggeblieben.
Die Denkmäler von Dehistan stehen noch nicht auf der Liste des Weltkulturerbes; dies ist aber nur eine Frage der Zeit. In Bezug auf ihren architektonischen Wert, ihre historische Einzigartigkeit und ihren guten Zustand erfüllen sie alle grundlegenden Kriterien. Schließlich besitzen sie vielleicht das Wichtigste: die Authentizität, die die Ruinen nicht in künstliche, die Antike zu imitieren versuchende Kulissen verwandeln.
Ruslan Muradov für Central Asian Analytical Network
Aus dem Russischen (gekürzt) von Michèle Häfliger
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