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Rückblick: Novastan trifft Quarteera

Am 7. April 2020 hat Novastan e.V. in Kooperation mit Quarteera e.V. eine erste gemeinsame Online-Veranstaltung organisiert. Zusammen mit Expert*innen und Interessenten fand ein Austausch über das Leben von LSBTIQ*-Menschen[1] in Zentralasien, über die Queer-Migration und das Engagement für LSBTIQ-Themen, sowie über die Problematik der Berichterstattung zu LSBTIQ*-spezifischen Themen in der Region statt.

Zarina Zinnatova 

Am 7. April 2020 hat Novastan e.V. in Kooperation mit Quarteera e.V. eine erste gemeinsame Online-Veranstaltung organisiert. Zusammen mit Expert*innen und Interessenten fand ein Austausch über das Leben von LSBTIQ*-Menschen[1] in Zentralasien, über die Queer-Migration und das Engagement für LSBTIQ-Themen, sowie über die Problematik der Berichterstattung zu LSBTIQ*-spezifischen Themen in der Region statt.

Eine Live-Veranstaltung wurde in Berlin für Ende April geplant, konnte aber aufgrund der Coronakrise leider nicht stattfinden. Stattdessen haben Novastan e.V. und Quarteera e.V. am 7. April ihr erstes gemeinsames Online-Event erfolgreich durchgeführt. Mehr als 20 Menschen aus Berlin sowie anderen Städten und Ländern konnten teilnehmen – ein großer Vorteil von Online-Formaten.

Begrifflichkeit: Was versteckt sich hinter dem Begriff Gender?

Die Diskussionsrunde hat die Gender-Expertin Saltanat Shoshanova eröffnet, indem sie die Unterschiede zwischen Geschlecht, Gender und Sexualität erklärt hat. Um das Thema besser zu verstehen, wurde Gender am Beispiel von “The Genderbread Person” anhand von vier Kategorien dargestellt: biologisches Geschlecht (Sex), Geschlechtsidentität (Gender), Genderausdruck und sexuelle Selbstbestimmung. Mehr darüber könnt ihr auf der offiziellen Webseite von The Genderbread Person v4.0 erfahren. Außerdem hat die Expertin den Alternativbegriff “Queer” erklärt, der interessanterweise in russischsprachigen LSBTIQ*-Communities eine andere Bedeutung hat. Das Wort “Queer” wird dort häufig als Deckname verwendet. In der Diskussionsrunde mit anderen Teilnehmer*innen wurde festgestellt, dass in Zentralasien auch eigene Begriffe existieren, die leider häufig in einem negativen Kontext benutzt werden.

Queere Migration und Engagement

In Ländern Zentralasiens gibt es immer noch skurrile Stereotypen und falsche Vorstellungen über queere Menschen, die in Verfolgung und Bedrohung enden können. Aus dem Grund migrieren viele LSBTIQ*-Menschen in die Länder “wo sie frische Luft” und ein “besseres Leben” haben können. Unsere Gäste[2], die selbst aus Zentralasien kommen und zur LSBTIQ*-Community gehören, wurden zum Glück in ihren Herkunftsländern nicht verfolgt. Sie fühlten sich aber sehr unwohl in der Gesellschaft, wo noch eine starke Homofeindlichkeit herrscht.

Viele queere Menschen mit Migrationshintergrund in Europa engagieren sich deswegen, um LSBTIQ*-Menschen in Zentralasien zu unterstützen. Eines von solchen Beispielen ist das Projekt “kok.team”, das in Prag ansässig ist. Es handelt sich um eine informative Online-Plattform über LSBTIQ*-Community in Kasachstan. Kok.team hat sich als Ziel gesetzt, eine LSBTIQ*-Community in Kasachstan aufzubauen und Menschen über LSBTIQ*-spezifische Themen zu informieren. Eine der wichtigsten Aufgaben, die das Kok.team übernommen hat, ist, öffentlich über unbekannte Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegenüber LSBTIQ*-Menschen in Kasachstan zu berichten. So versuchen sie den Betroffenen rechtliche Beratung zu organisieren und sie finanziell mit Hilfe von Crowdfunding zu unterstützen.

Ein anderes Beispiel von Engagement ist das Projekt “OLAR”. Das ist die erste dreisprachige Online-Plattform in Kasachstan, die LSBTIQ*-Themen gewidmet ist. OLAR verfolgt das Ziel, die kreative und kulturelle Seite von LSBTIQ*-Menschen ans Licht zu bringen. Dafür veröffentlichen sie vielfältige Kunstarten, von Gedichten bis zu Malereien. Wichtig ist, dass die Inhalte in den drei Sprachen (Kasachisch, Russisch und Englisch) zur Verfügung stehen.

Status Quo: Wie leben LSBTIQ*-Menschen in Zentralasien?

Aus der europäischen Sichtweise könnte vermutet werden, dass in Zentralasien die Situation der queeren Community überall die gleiche ist. Das ist aber nicht der Fall. Um besser innerhalb von Zentralasien differenzieren zu können, hat ein Teilnehmer unserer Veranstaltung eine Pyramide erstellt, in welcher unten die am wenigsten freien Länder und oben die freieren Länder in der Region eingeordnet sind.

Ganz unten steht Turkmenistan. In diesem Land ist Homosexualität eine Straftat. Artikel 135 des Strafgesetzbuchs von Turkmenistan zufolge wird eine gleichgeschlechtliche Beziehung zwischen Männern als Sodomie angesehen, die mit zwei Jahren Haft bestraft wird. Es gibt ziemlich wenig Information über LSBTIQ*- Menschen in diesem Land, weil das Land nahezu vollständig isoliert ist.

An zweitunterster Stelle befindet sich Usbekistan. Genauso wie in Turkmenistan existiert in diesem Land immer noch ein Gesetz im Strafrecht, das für freiwillige sexuelle Handlungen zwischen zwei Männern bis zu drei Jahre Haft vorsieht. Ein Teilnehmer aus Usbekistan hat uns mitgeteilt, dass die rechtlichen sich von sozialen Normen sehr stark unterscheiden. Laut Gesetz soll nur der Geschlechtsverkehr zwischen Männern strafbar sein. Lesben und Trans*- Personen würde das Gesetz theoretisch nicht betreffen. In der Realität sieht es aber gesellschaftlich ganz anders und viel schlimmer aus. LSBTIQ*-Menschen werden in der Öffentlichkeit stark kritisiert, was in Verfolgung und Bedrohungen enden kann.

Auf der nächsten unteren Stufe befindet sich Tadschikistan. In diesem Land herrschen starke patriarchalische Strukturen und queere Menschen werden häufig als Sünde und “Schande für die ganze Familie” angesehen. Sie werden häufig von den eigenen Verwandten erpresst, um die Ehre der Familie zu beschützen. Viele queere Menschen müssen ein Doppelleben in Tadschikistan führen: So heiraten schwule Männer und haben Kinder und Familien, aber sie treffen sich weiterhin heimlich mit Männern.

An vierter Stelle folgt Kasachstan. In diesem Land existieren eine Reihe von Initiativgruppen, Bewegungen und Vereine, die sich für die Rechte von LSBTIQ*-Menschen einsetzen. Dank Protesten von LSBTIQ*-Aktivist*innen wurde der Gesetzentwurf gegen “homosexuelle Propaganda” im letzten Jahr nicht umgesetzt. Die Medien berichten häufiger über LSBTIQ*-spezifische Themen ausgewogen und neutral. Trotzdem gibt es im Land keine offiziellen Strukturen für LSBTIQ*-Menschen. Das Engagement findet eher im Internet statt. Die Lage wird weiterhin durch das Fehlen eines Antidiskriminierungsgesetzes im Land erschwert. Deswegen fühlen sich viele LSBTIQ*-Menschen ungeschützt und müssen meist verdeckt leben.

An der Spitze der Pyramide befindet sich Kirgistan. In diesem Land gibt es staatlich anerkannte LSBTIQ*-Organisationen, Schutzorte und Kooperationsorganisationen. Die LGBT-Aktivist*innen dürfen auf die Straßen gehen und ihre Meinung öffentlich äußern. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der kirgisischen Bürgergesellschaft. Es gibt allerdings immer noch starke Gegenstimmen sowohl in der Gesellschaft als auch in der Regierung. So ist im letzten Jahr durch die Teilnahme von LGBT-Aktivist*innen am Marsch zum Frauentag eine starke Polemik landesweit entstanden.

Berichterstattung: Wie die Medien über LSBTIQ*-spezifische Themen berichten?

Zum Schluss diskutierten die Teilnehmer*innen über das Thema “Berichterstattung über LSBTIQ*-spezifische Themen in der Region”. Wie bereits erwähnt wurde, ist die Situation bezüglich der Berichterstattung von Land zu Land in der Region unterschiedlich. Es gibt fast keine neutrale und ausgewogene Berichterstattung über LSBTIQ*-Themen in der Region. Die Themen werden oberflächlich und manchmal anekdotisch behandelt. Viele Journalist*innen haben Angst über LSBTIQ*-Themen zu schreiben, deswegen werden viele Probleme nicht öffentlich gemacht. Andreas Schmiedecker, Experte aus dem Projekt “Unit” (n-ost),  teilte aus seiner Erfahrung mit, dass es auch sehr schwer ist, an  gesicherte Informationen über LSBTIQ* in Zentralasien zu kommen. Die LSBTIQ*-Communities sind in Zentralasien sehr geschlossen, deswegen läuft die Berichterstattung meistens über vertraute Personen oder Organisationen (wie “kok.team”). Ein anderes Problem ist die Sprachlücke. Es gibt viele Informationen über LSBTIQ*-spezifische Themen auf Russisch, aber fast gar keine auf zentralasiatischen Sprachen. In diesem Zusammenhang bleibt ein Großteil der LSBTIQ*-Menschen ausgeschlossen und nicht informiert.

Falls Ihr noch mehr Information über LSBTIQ*-Menschen in russischsprachigen Raum bekommen möchtet, oder Ihr kennt jemanden, wer Hilfe braucht. Bitte wendet Euch an Quarteera e.V.. Das Treffen fand in Rahmen des Projekts „Pазнообразие heißt Vielfalt“ statt.

Zarina Zinnatova

[1] LSBTIQ*, LGBTIQ* steht für Lesbisch, Schwul, Bi, Trans*, Inter*, Queer bzw. im Englischen entsprechend für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersex, Queer.

[2] Aus Sicherheitsgründen werden die Namen von Gästen in diesem Bericht nicht genannt.

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