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Kirgistan: Dschalalabad wird in Manas umbenannt

Kirgistans drittgrößte Stadt Dschalalabad wird in Manas umbenannt. Die extreme Geschwindigkeit, mit der diese Entscheidung getroffen und umgesetzt wurde, stellt die Ziele der Umbenennung jedoch infrage.

Manas-Statue in Bischkek (Illustrationsbild), Photo: Wikimedia Commons

Kirgistans drittgrößte Stadt Dschalalabad wird in Manas umbenannt. Die extreme Geschwindigkeit, mit der diese Entscheidung getroffen und umgesetzt wurde, stellt die Ziele der Umbenennung jedoch infrage.

Es ist offiziell: Aus Dschalalabad wird Manas. So will es ein Gesetz, das von Kirgistans Parlament am 10. September verabschiedet und unmittelbar darauf von Präsident Sadyr Dschaparow ratifiziert wurde. Laut dem Gesetzestext gehe es darum, „die nationale Ideologie zu stärken und der Stadt den Namen Manas zu geben, dem Nationalhelden und Beschützer des kirgisischen Volkes“. Dschalalabad ist mit seinen laut 24.kg über 186.400 Einwohner:innen nach der Hauptstadt Bischkek und Osch die drittgrößte Stadt des Landes.

Eine sehr schnelle Umbenennung

Der Prozess der Umbenennung vollzieht sich in weniger als einem Monat, wie das kirgisische Nachrichtenportal Kaktus hervorhebt. Am 3. September unterstützten die Abgeordneten einstimmig den Vorschlag des Bürgermeisters von Dschalalabad, Ernisbek Ormokow. Und bereits am 29. September tritt die Umbenennung in Kraft. Für die Umsetzung werden rund 15 Millionen Som (145.300 Euro) bereitgestellt.

Kamtschybek Taschijew, Chef des Nationalen Sicherheitskomitees, musste in den folgenden Tagen verschiedene Fragen und Gerüchte beantworten. Ihm zufolge werde das Gebiet Dschalalabad nicht den Namen ändern, sondern nur das Verwaltungszentrum. Er fügte hinzu, es gebe keine Pläne, die Hauptstadt des Landes dorthin zu verlegen, obwohl es „schön wäre, wenn die Hauptstadt des kirgisischen Staates Manas heißen würde“.

Obwohl der ehemalige Ministerpräsident Felix Kulow die Entscheidung für übereilt hält, schlägt er dennoch vor, den Status der Stadt durch die Verlegung von Ministerien und anderen Einrichtungen dorthin zu stärken. Er orientiert sich dabei am Modell dezentralisierter Länder wie den Niederlanden und Südafrika, wo die Macht auf mehrere Städte verteilt ist.

Wer ist Manas?

Neuer Namensgeber der Stadt ist der Held eines mündlichen Epos, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Die Geschichte von Manas wird von Generation zu Generation von sogenannten Manastschy weitergegeben – Barden, die sich auf das Rezitieren dieses Gedichts spezialisiert haben. Einige Versionen umfassen über anderthalb Millionen Verse. Etliche Straßen und andere Orte in Kirgistan sind bereits nach Manas benannt.

„Seit der Unabhängigkeit Kirgistans ist Manas ein nationales Symbol, also ein kulturelles und ethnisches Symbol. Tatsächlich war dieses Symbol bereits während der Sowjetzeit in Gebrauch; seine Verwendung nach der Unabhängigkeit ist Teil dieser Kontinuität“, erklärt Julien Bruley, Autor einer Dissertation über das Manas-Epos, gegenüber Novastan. In einem Artikel stellt er sogar fest: „Manas ist in Kirgistan kein einfaches Epos mehr, sondern ein soziokulturelles Phänomen.“

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Der Name Manas hat also einen ideologischen Aspekt und verkörpert „den moralischen Standard, der das tägliche Leben der Kirgisen regelt“. Julien Bruleys Forschungen zeigen, dass der Text des Epos, dessen Tradition je nach Dichter und Epoche variiert, sich weiterentwickelt. Ebenso passen sich das Bild von Manas und seine Symbolik der jeweiligen Epoche an.

„Wie Victor Hugo in Frankreich kennt ihn jeder, mit unterschiedlichem Interesse. Manche verspotten ihn, andere sehen in ihm eine mündliche Überlieferung, ein spirituelles Symbol oder glauben sogar, dass die Seele von Manas die Kirgisen beschützt“, erklärt der Forscher. Heute ist der epische Held in Kirgistan allgegenwärtig, und es ist sogar verboten, ihn öffentlich zu kritisieren.

Eine Kontinuität symbolischer Entscheidungen

Obwohl die Initiative zur Namensänderung zunächst den lokalen Behörden zugeschrieben wurde, war es Kamtschybek Taschijew, der wenige Tage nach der Bekanntgabe die Verantwortung für die Idee übernahm. Der einflussreiche Politiker stammt selbst aus dem Gebiet Dschlalabad.

Darüber hinaus wurde die Frage aufgeworfen, warum nicht die Stadt Talas gewählt wurde, da Manas traditionell mit dieser Region oder zumindest mit dem Norden Kirgistans in Verbindung gebracht wird. Taschijew bemerkt hierzu: „Manas ist nicht talasisch, er ist kirgisisch. […] Dschalalabad ist nicht jedermanns Sache, Manas aber schon!“  Ein Ausdruck der kirgisischen Präsenz in einem multiethnischen Gebiet.

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Der Politologe Medet Tjulengenow kommentiert gegenüber Kaktus: „Eine Namensänderung ist immer ein komplizierter und dramatischer Prozess, der eine Lösung für eine soziale Krise bietet. Im Fall von Dschalalabad fragen wir uns jedoch: Welches Problem löst die Gesellschaft durch diese Namensänderung? Was bringt sie dem kirgisischen Volk?“

Ihm zufolge ist dies Teil einer Reihe symbolischer Entscheidungen: Die Flagge wurde 2023 geändert, eine neue Nationalhymne ist in Arbeit und das Manas-Denkmal auf dem Hauptplatz von Bischkek wurde ersetzt.

Tjulengenow wiederholt einen Kritikpunkt, den regierungskritische Analyst:innen in den letzten Jahren häufig geäußert haben: Vorwiegend symbolische Entscheidungen lenken die Bürger:innen von wichtigeren, materiellen Veränderungen ab. Sie dienen aber auch als Machtdemonstration: Die Regierung hat eine Entscheidung getroffen und diese schnell umgesetzt, ohne auf Widerstand zu stoßen.

Mehr Fragen als Antworten

Laut Julien Bruley wirft die Wahl der Stadt Dschalalabad mehr Fragen auf als sie beantwortet. Der Hauptgrund scheint zu sein, dass es sich um die Heimatregion von Kamtschybek Taschiew handelt, doch es lassen sich noch viele weitere Hypothesen aufstellen.

Dschalalabad liegt im Ferganatal, dem fruchtbaren Zentrum Zentralasiens mit unruhigen Grenzen. Die Stadt ist nicht weit von Usbekistan entfernt. Bruley fragt sich: Könnte es nicht auch das Ziel sei, die Präsenz der ethnischen Kirgis:innen sowohl innerhalb der Landesgrenzen – trotz der ethnischen Vielfalt – als auch international, insbesondere gegenüber dem benachbarten Usbekistan, zu demonstrieren?

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In diesem Zusammenhang erwähnt der Forscher auch das Projekt Asman, eine hypervernetzte „Ökostadt“ am Ufer des Yssykköl. Nach einigen ehrgeizigen ersten Ankündigungen scheint das Projekt ins Stocken geraten zu sein. „Vielleicht erspart die Umbenennung von Dschalalabad in Manas den Bau einer neuen Stadt? Vieles könnte nach Manas verlegt oder dort gebaut werden, anstatt eine ganze Stadt am Ufer des Yssykköl zu errichten“, so Bruley.

Vor allem aber wird damit die Kontinuität in der Politik von Präsident Dschaparow gewahrt, der nationale Symbole hochhält und versucht Kirgistan ein „Markenimage“ zu verleihen.

Paulinon Vanackère für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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