Foodsharing ist in Bischkek ein junges Projekt. Mitstreiter zu finden, ist nicht immer einfach für die Aktivisten. Aber die Bewegung wächst, denn Bedürftige gibt es genug in Kirgistans Hauptstadt, berichtet Dschamilija Dandybajewa auf stylish.kg.
Wie alles begann
Während die einen Kaviar und Austern schlürfen, bekommen die anderen den ganzen Tag gar nichts in den Magen – darüber habe ich, wie sicher viele von euch, nachgedacht: Restaurantbesucher lassen Essen auf ihren Tellern liegen, weil sie es nicht mehr schaffen, und gleichzeitig wühlen sich Obdachlose durch Müllkippen und suchen nach weggeschmissenen Lebensmitteln. Meistens bleiben solche Gedanken einfach nur Gedanken, die ab und an an unserem Gewissen nagen.
Aber es gibt eine Bewegung, die diesen Gedanken weiter denkt: „Foodsharing“ will Essen retten. Kurz gesagt ist das Ziel der Initiative, genießbare Lebensmittel nicht wegzuwerfen. Stellt euch vor: Ihr erwartet Gäste und habt viel Beschbarmak (traditionelles zentralasiatisches Gericht aus Fleisch und Nudeln) gekocht, Fladenbrot und Bananen gekauft. Jetzt schafft ihr es aber nicht, den ganzen Beschbarmak rechtzeitig aufzuessen, die Fladenbrote werden schon trocken und die Bananen braun. Ihr könnt dieses ganze gute Essen ja schlecht wegschmeißen?
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Gleichgesinnte zu finden war einfach. Bermet Borubajewa hat sie alle zusammengebracht. Sie lebte damals in Moskau und engagierte sich in der dortigen Foodsharing-Initiative. Dort traf sie die Entscheidung, „Foodsharing in Bischkek“ ins Leben zu rufen und schrieb darüber in sozialen Netzwerken. Erst im Sommer konnte sie dann tatsächlich damit anfangen, Essen in Kirgistan zu retten. Die Gruppe um Bermet wuchs langsam – Nugul, Sajkal, Ermek und Askar stießen zu uns.
Wir teilten Bischkek in Bezirke auf. Jeder war für einen Bereich zuständig – je nach dem, wo er wohnt. Dann fingen wir mit Kleinigkeiten an, informierten die Besitzer von Cafés und Geschäften über unsere Initiative, fragten, ob sie Lebensmittel wegschmeißen müssen und boten an, das Essen an Bedürftigen zu geben. Leider waren nicht alle begeistert von dieser Idee.
Besonders schwer war es, den Geschäftsleuten zu vermitteln, dass Obdachlose nicht mit Essensresten abgespeist werden können. Sie brauchen Lebensmittel, die noch gut sind, aber nicht rechtzeitig verkauft oder verarbeitet werden konnten. Bei uns in Kirgistan wird leider nicht so streng darauf geachtet, wie frisch die Lebensmittel in den Geschäften und Cafés sind. Die Unternehmer versuchen, das Maximum herauszuholen. Wir haben hunderte Absagen bekommen. Außerdem wurden unsere Freiwilligen oft gefragt: „Und was haben wir davon?“
Nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für den Nächsten
In Kirgistan haben viele Menschen Vorurteile gegenüber Obdachlosen. Sie wollen sie nicht unterstützen, weil sie glauben, ein Mensch, der auf der Straße landet, sei selbst schuld daran. Wir hingegen geben nach Möglichkeit allen Bedürftigen zu essen. Unsere Freiwilligen gehen zu den Obdachlosen. An vielen Plätzen in Bischkek kennt man uns schon. Foodsharing in Kirigistan unterscheidet sich von den Initiativen in anderen Ländern vor allem dadurch, dass wir nicht einfach nur nachhaltig sind, sondern auch wohltätig.
Meistens bekommen wir Backwaren geschenkt. Obdachlose freuen sich über alles. Am erfolgreichsten erwies sich die Zusammenarbeit mit einem Fast-Food-Unternehmen. Sie benutzen für ihre Sandwiches nur das Innere vom Brot, die Kanten schneiden sie ab. Dadurch bleiben regelmäßig mehrere Säcke Brotkanten übrig. Pro Woche bekamen wir 15 bis 20 Kilogramm von einer Filiale, insgesamt gibt es drei davon. Jetzt könnt ihr selbst ausrechnen, wie viel Brot verschwendet wird. Aber unsere Freiwilligen haben schnell Menschen gefunden, die diese Brotreste zu schätzen wissen.
Wie funktioniert das?
Die Idee von Foodsharing kommt aus Deutschland. Die rationalen Deutschen teilen gerne ihr Essen, nicht nur aus Nächstenliebe, auch der Staat fördert solche Initiativen. Eine große Rolle spielte der deutsche Dokumentarfilm „Taste the Waste“, der 2011 in die Kinos kam. Wir waren sehr schockiert, als wir erfuhren, dass jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen Lebensmittel einfach weggeschmissen werden!
Grob gesagt gibt es in Deutschland drei Formen von Foodsharing:
- Wenn Unternehmen Menschen etwas abgeben
- Wenn Unternehmen anderen Unternehmen etwas abgeben (zum Beispiel an Wohltätigkeitsorganisationen)
- Wenn Menschen anderen Menschen etwas abgeben
Bermet Borubajewa wollte „Foodsharing in Bischkek“ weiter antreiben. Sie beobachtete lange, was den Erfolg der Initiative in Moskau ausmacht und war der Meinung, dass es bei uns genauso kommen kann. Wir fingen an, auf Informationsveranstaltungen Kinofilme zu zeigen. Später, als erste Freiwillige dazukammen, konnten wir damit anfangen, Essen zu retten. Die Hauptaufgabe von „Foodsharing in Bischkek“ ist es, brauchbare Lebensmittel vor dem Müll zu retten, egal, wie: Man kann es selbst essen, seinen Freunden schenken oder Obdachlosen geben.
Im Unterschied zu Deutschland, wo Foodsaver auf allen drei Ebenen tätig sind, arbeiten wir in Bischkek nur nach dem Verschenkprinzip. Das heißt, dass jeder unsere Freiwilligen anrufen und übrig gebliebenes Essen abgeben kann. Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, aktiv zu werden: In der Facebookgruppe „Foodsharing in Bischkek/Ich verschenke Essen“ oder auf Instagram bei foodshering.kg einen Beitrag erstellen. Unsere Freiwilligen sehen das und holen das Essen ab.
Traditionelles Foodsharing
Wir Asiaten betreiben schon lange Foodsharing, ohne es zu wissen. Erinnert ihr euch an den Beschbarmak? Da ist alles drin, was Leute so an Lebensmitteln übrig haben. Außerdem ist es bei uns üblich, sparsam mit Brot umzugehen.
Es gibt in Bischkek nicht allzu viele Stellen, wo wir Essen abholen können. Aber wir hoffen, dass immer mehr Unternehmen mit uns zusammenarbeiten wollen. Wenn unsere Freiwilligen losziehen, um Unternehmen anzuwerben, erzählen sie ausführlich von der Bewegung und fragen, ob oft brauchbare Lebensmittel weggeschmissen werden müssen. Wenn es solch ein Problem gibt, bieten sie den Eigentümern eine Alternative an – nicht wegschmeißen, sondern uns geben. Manche willigen ein, manche sagen, sie müssen erst darüber nachdenken, und manche lehnen sofort ab. Aber diese Absagen schrecken uns nicht ab. Wir glauben an das Gute.
In Moskau läuft Foodsharing gut. Über Gruppen in sozialen Netzwerken geben Leute alles Mögliche ab, von nicht aufgegessenen Frikadellen, über frischgekochte Brühe, Kekse, Kakao, Kindernahrung, bis hin zu Eingemachtem für den Winter. Hier in Bischkek nimmt die Bewegung gerade erst Fahrt auf.
Gespendetes Essen muss gut sein
Es gab einige unschöne Zwischenfälle. Zum Beispiel beschloss eine große Restaurantkette nach anderthalb Monaten Verhandlungen, sich bei „Foodsharing in Bischkek“ zu engagieren. Sie baten unsere Freiwilligen, abends vorbeizukommen, kurz vor Ladenschluss. Dann gaben sie uns 16 Flaschen Mirinda und einen Käsekuchen. Kurz darauf, als wir etwas genauer hinsahen, bemerkten wir, dass die Limonade schon fünf Monate abgelaufen war, und der Käsekuchen war auch nicht mehr ganz frisch. Eine Pizzeria enttäuschte uns, als unsere Foodsaver dort eine Tüte mit schimmliger Pizza bekamen. Natürlich geben wir solche Lebensmittel an niemanden weiter. Wir mussten alles wegschmeißen.
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Es ist wichtig, zu erklären, dass wir unter Foodsharing kein schlecht gewordenes Essen verstehen. Alle Lebensmittel, die gespendet werden, müssen frisch sein, auch wenn Bananen und anderes Obst und Gemüse natürlich ein paar Dellen haben dürfen. Essen zu retten, ist das eine Ziel von „Foodsharing in Bischkek“. Das zweite: Darüber aufklären, wie Lebensmittel aufbewahrt werden müssen, damit sie nicht schlecht werden.
In Bischkek gibt es viele Menschen, die gerne Essen annehmen: Rentner, kinderreiche Familien, Obdachlose, Straßenkinder und sogar Studenten. Aber wir stoßen oft auf Unverständnis bei den Cafés und Restaurants. Unser Problem: Foodsharing ist für viele Bischkeker etwas ganz Neues und wir können die Restaurantbesitzer nicht immer davon überzeugen, dass ein so einfacher und humanistischer Akt so einen großen Nutzen haben kann.
Wovon jeder Foodsaver träumt
Für die Bedürftigen wäre es viel einfacher, wenn es in der Stadt sogenannte öffentliche Kühlschränke gäbe. Die Idee: Jeder, der mag, kann dort Essen hineinstellen, und der, der Hunger hat, nimmt sich etwas heraus. Seit dem Sommer verhandeln wir mit einem Haushaltstechnikgeschäft. Sie haben angeboten, sich an der Aktion zu beteiligen. Wer einen neuen Kühlschrank kauft und dabei einen alten spendet, sollte einen großzügigen Rabatt bekommen. So wollten wir zehn gebrauchte Kühlschränke zusammen bekommen. Die Aktion wurde aber vorübergehend gestoppt.
Ein weiteres Problem: geeignete Orte für die öffentlichen Kühlschränke finden. Wir suchen Stellen, wo bedürftige Bevölkerungsschichten öfter vorbeikommen. Aber sie müssen auch so liegen, dass die Kühlschränke intakt bleiben, und, das Wichtigste – dass sie regelmäßig aufgefüllt werden.
Informationen über uns findet ihr auf den Seiten „Foodsharing in Bischkek/Ich verschenke Essen“ auf Facebook oder auf foodshering.kg auf Instagram.
Dschamilija Dandybajewa
stylish.kg
Aus dem Russischen von Christina Spitzmüller
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