Am 30. April hat die Küstenwache Kasachstans ein Besatzungsmitglied eines aserbaidschanischen Fischerboots, das illegal in die Hoheitsgewässer des Landes gelangt war, getötet. Kasachstans Botschafter in Baku wurde einberufen, während das aserbaidschanische Außenministerium seine „tiefe Besorgnis“ zum Ausdruck brachte.
Tragischer Zwischenfall im Kaspischen Meer: In der Nacht zum 30. April eröffnete die kasachstanische Küstenwache das Feuer auf ein aserbaidschanisches Fischerboot und tötete eines der vier Besatzungsmitglieder. Zwei weitere Fischer wurden verletzt, der vierte wurde von den kasachstanischen Behörden festgenommen. Nach Angaben des kasachstanischen Nachrichtenportals Toppress habe die Küstenwache das aserbaidschanische Boot gestoppt, während es sich illegal in den Hoheitsgewässern Kasachstans befand.
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Wie Fergana News berichtet, versuchte die Küstenwache zunächst, das Schiff anzuhalten. Trotz der visuellen und akustischen Signale hätte sich die Crew geweigert, den Anweisungen zu Folgen und versucht, den Behörden zu entkommen. Daraufhin eröffnete die Küstenwache das Feuer, wobei die Darstellungen des Geschehens divergieren. So berichteten kasachstanischen Medien mit Verweis auf das Komitee für Nationale Sicherheit (der Geheimdienst, Anm. d. Red.), dass die Verletzungen der Fischer zufällig und durch das Abprallen von Kugeln, die in die Luft auf den Motor des Schiffes geschossen wurden, entstanden seien. Die These des Unfalls wird nicht vollständig von den aserbaidschanischen Medien übernommen, die behaupten, dass der Fischer an einer Schusswunde am Kopf gestorben sei.
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Die Besatzung aus dem Bezirk Neftçala im Süden Aserbaidschans wurde zum Hafen von Aqtaý eskortiert, wo die beiden verletzten Fischer ärztlich versorgt wurden. Laut Lada, einem Nachrichtenportal aus Aqtaý, wurde der vierte, unverletzte Fischer von einem Gericht vernommen. Obwohl Mitarbeiter des aserbaidschanischen Generalkonsulats in Aqtaý an der Anhörung teilnehmen durften, wurde der aserbaidschanische Fischer nach dem Strafgesetzbuch Kasachstans angeklagt und für zwei Monate in Haft genommen.
Kasachstans Botschafter einbestellt
Der Pressedienst des aserbaidschanischen Außenministeriums teilte mit, dass als Reaktion auf diesen Vorfall Kasachstans Botschafter in Baku, Serjan Ábdikárimov, am Samstag, den 2. Mai, einberufen und vom stellvertretenden Außenminister Xalaf Xalafov empfangen wurde. In der Anhörung äußerte der stellvertretende Minister seine „tiefe Besorgnis“ über die Umstände des Todes des aserbaidschanischen Bürgers und wies darauf hin, dass der tödliche Einsatz von Schusswaffen weder dem „Mechanismus der gemeinsamen Zusammenarbeit“ zwischen den kasachstanischen und aserbaidschanischen Grenzbehörden noch dem „Geist der Freundschaft und Brüderlichkeit“ zwischen den beiden Ländern entspreche. Der Vizeminister bat auch darum, über die laufenden Ermittlungen der kasachstanischen Behörden informiert zu werden.
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Laut der Pressemitteilung des aserbaidschanischen Außenministeriums äußerte Kasachstans Botschafter sein „tiefes Bedauern“ und sprach der Familie des verstorbenen Fischers sein Beileid aus. Er versicherte dem stellvertretenden Minister, dass der aserbaidschanische Protest an die kasachstanischen Behörden weitergeleitet werde und dass die Botschaft die notwendige Hilfe leisten werde, damit die Leiche des Opfers nach Aserbaidschan zurückgebracht werde. Schließlich brachten beide Seiten ihren Willen zum Ausdruck, mögliche zukünftige Zwischenfälle durch den Mechanismus der Grenzkooperation zwischen den beiden Ländern zu lösen.
Das Kaspische Meer als Quelle von Uneinigkeit
Verhaftungen von Fischern im Kaspischen Meer sind nicht ungewöhnlich und oft mit der illegalen Stör-Fischerei verbunden. Dieser Fisch ist wegen seiner Eier, die zur Herstellung von Kaviar verwendet werden, sehr begehrt. Im Kaspischen Meer ist der Stör vom Aussterben bedroht und sein kommerzieller Fang seit 2011 verboten. Trotz des Verbots, das bis Ende 2020 verlängert wurde, fischen viele kleine Schiffe weiterhin illegal. Wie Fergana News berichtet, nahm Kasachstans Küstenwache im April nicht weniger als 57 Fischer und 33 Boote fest, während 679 Störe wieder ins Meer gebracht werden konnten. Die kasachstanischen Behörden haben jedoch nichts über die genaue Art der illegalen Aktivitäten mitgeteilt, an denen die Besatzung des am 30. April festgesetzten Schiffes beteiligt gewesen sein soll.
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Derartige Vorfälle werden historisch durch jahrzehntelange territoriale Streitigkeiten zwischen den fünf Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres begünstigt. Während Aserbaidschan und Kasachstan bereits 2001 ihre gemeinsame Seegrenze nach dem Prinzip der Äquidistanz festlegten, blieben einige Fragen offen, insbesondere über den rechtlichen Status des Kaspischen Meeres. Nach langen Verhandlungen unterzeichneten die Präsidenten der fünf Anrainerstaaten schließlich am 12. August 2018 in Aqtaý ein Übereinkommen über den Status des Kaspischen Meeres. Im Rahmen dieses Abkommens erstrecken sich die Hoheitsgewässer jedes Staates innerhalb einer Grenze von 24 Kilometern ab der Küste. Darüber hinaus verfügt jeder Staat über eine exklusive Fischereizone, die einen zusätzlichen 16 Kilometer breiten Streifen abdeckt, während der verbleibende Teil des Meeres unter die gesetzliche Regelung der internationalen Gewässer fällt. Wie der Vorfall vom 30. April zeigt, haben diese diplomatischen Fortschritte jedoch nicht das Ende der Spannungen zwischen Fischern und der Küstenwache bedeutet.
Quentin Couvreur, Redakteur für Novastan
Aus dem Französischen von Robin Roth
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