Startseite      „Wir wurden gefoltert, obwohl wir verwundet waren“ – Die Geschichte von Sayat Adilbekuly

„Wir wurden gefoltert, obwohl wir verwundet waren“ – Die Geschichte von Sayat Adilbekuly

Der Familienvater Sayat Adilbekuly wurde während der Januar-Ereignisse in Almaty schwer verletzt, als er sich auf dem Weg zur Apotheke befand. Doch es sollte ihn noch schlimmer treffen. Hier erzählt er seine Geschichte.Die folgende Geschichte erzählte Sayat im Rahmen der Online-Diskussion Kasachstan am Wendepunkt?, die Novastan e.V. am 7. Februar veranstaltete. Seine Geschichte von falschen Anschuldigungen und Folter in Polizeigewahrsam steht exemplarisch für viele weitere Fälle: Kasachstanische Medien berichten von allein 250 Beschwerden wegen Folter, die bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes eingegangen sind. Wir haben uns daher entschlossen, Sayats Bericht mit seiner freundlichen Genehmigung hier zu veröffentlichen. Mein Name ist Sayat Adilbekuly. Ich bin 29 Jahre alt und lebe in Almaty. Ich habe mich nicht an den Protesten beteiligt, aber am 5. Januar wurde ich auf der Straße verwundet und dann festgenommen. Heute werfen mir die Behörden vor, an den Ausschreitungen teilgenommen zu haben.

Der Familienvater Sayat Adilbekuly wurde während der Januar-Ereignisse in Almaty schwer verletzt, als er sich auf dem Weg zur Apotheke befand. Doch es sollte ihn noch schlimmer treffen. Hier erzählt er seine Geschichte.Die folgende Geschichte erzählte Sayat im Rahmen der Online-Diskussion Kasachstan am Wendepunkt?, die Novastan e.V. am 7. Februar veranstaltete. Seine Geschichte von falschen Anschuldigungen und Folter in Polizeigewahrsam steht exemplarisch für viele weitere Fälle: Kasachstanische Medien berichten von allein 250 Beschwerden wegen Folter, die bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes eingegangen sind. Wir haben uns daher entschlossen, Sayats Bericht mit seiner freundlichen Genehmigung hier zu veröffentlichen. Mein Name ist Sayat Adilbekuly. Ich bin 29 Jahre alt und lebe in Almaty. Ich habe mich nicht an den Protesten beteiligt, aber am 5. Januar wurde ich auf der Straße verwundet und dann festgenommen. Heute werfen mir die Behörden vor, an den Ausschreitungen teilgenommen zu haben.

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Ich habe mich nie politisch engagiert, war kein Aktivist und habe nie an Protesten teilgenommen. Ich bin sehbehindert. In der Nacht vom 4. auf den 5. Januar bekam meine kleine Tochter hohes Fieber. Wir hatten keine Medikamente und einen Arzt konnten wir nicht erreichen, da die Telefonverbindung nicht funktionierte. Am 5. Januar gegen 13:00 Uhr ging ich in die Apotheke. Alle Apotheken in der Nähe unseres Hauses waren geschlossen, also ging ich in die Innenstadt. Ich habe nicht einmal verstanden, wie ich verletzt wurde und dass mich eine Kugel getroffen hatte. Wie sich herausstellte, traf mich die Kugel in der Rippe, und ein Teil der Rippe beschädigte die inneren Organe. Ich weiß immer noch nicht, wer auf mich geschossen hat. Irgendwelche Leute halfen mir, nach Hause zu kommen. Von Zuhause holte mich dann ein Krankenwagen ab. Im Krankenhaus Nr. 7 wurde ich notoperiert, um meine Niere zu retten. Ich hatte eine schwere Verletzung, deren Genesung in der Regel 30 Tage dauert, und bekam zwei Drainagekatheter installiert, die alle 3 Stunden gewechselt werden mussten.

Vom Krankenhaus in die Untersuchungshaft

Am 8. Januar gegen 11:00 Uhr stürmten bewaffnete Personen in Kampfanzügen und Masken in das Krankenzimmer. Sie schrien und zwangen mich, aus dem Bett aufzustehen. Nachdem sie mich auf Kopf und Oberkörper geschlagen hatten, brachten sie mich nach draußen. Einer von ihnen sagte zu mir: „Ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach links – und wir erledigen dich auf der Stelle.“ Sie ließen mich nicht einmal anziehen. Ich war barfuß, ohne Kleidung, nur in einem Laken. Draußen mussten wir uns bäuchlings auf den Asphalt legen und so haben wir dort etwa 15-20 Minuten gelegen. Mehr als 30 Personen wurden aus dem Krankenhaus gebracht. Es gab sogar Schwerverletzte unter uns. Die Ärzte und Krankenschwestern waren entsetzt, aber sie taten nichts, um uns zu schützen. Die Kranken wurden geschlagen, sie schrien uns an und zwangen uns, halbnackt auf dem Boden zu liegen. Wenn sich jemand bewegte oder sprach, ging eine weitere Welle von Schlägen auf uns ein. Lest auch auf Novastan: „Ich muss für meine Kinder leben“: Die Geschichte von Sholpan Begaidarova, die von drei Kugeln getroffen wurde Danach wurden wir in ein vergittertes Polizeiauto gesteckt und in eine unbekannte Richtung gebracht. Uns wurde nicht gesagt, wohin wir gebracht wurden und warum. Für jede unserer Fragen erhielten wir Schläge auf den Kopf – mit einem Schlagstock oder dem Kolben eines Maschinengewehrs. Wir waren für 3-4 Stunden im Auto – blutend und ohne Kleidung. Im Untersuchungsgefängnis steckten sie mich mit zwölf Personen in eine Zelle. Am ersten Tag wurden wir gefoltert, obwohl wir alle verwundet waren. Wir wurden gezwungen, an der Wand zu stehen, obwohl viele von uns aus Wunden bluteten. Wir waren alle krank und uns ging es sehr schlecht. Sogar diejenigen, die an den Beinen verletzt waren und nicht stehen konnten, wurden gezwungen aufzustehen. Und wenn eine Person versuchte, sich an die Wand zu lehnen oder sich hinzusetzen, schlug die Polizei sofort zu. So standen wir sechs Stunden lang. Meine Familie erfuhr noch am selben Tag von den Ärzten, dass ich aus dem Krankenhaus geholt wurde. Aber sie wussten nicht, wer das war, und wohin sie uns auf welcher Grundlage gebracht hatten.

Offene Drohungen

Meine Familie konnte erst am 10. Januar die örtliche Polizei davon überzeugen, eine Vermisstenanzeige aufzunehmen. Aber sie erfuhr erst am 12. Januar, dass ich festgenommen worden war und wo ich festgehalten wurde. Am 12. Januar zwang mich der Ermittler, das Verhaftungsprotokoll zu unterschreiben. Es besagte, dass ich am 12. Januar festgenommen wurde, obwohl ich am 8. Januar aus dem Krankenhaus geholt wurde und die ganze Zeit in Untersuchungshaft war. Lest auch auf Novastan: Kasachstan: Untersuchungsausschuss zu den Januar-Ereignissen gegründet Meine Katheter sollten eigentlich alle drei Stunden gewechselt werden. Ich hatte sie für drei Wochen. Ich bekam nicht einmal Schmerzmittel, geschweige denn Antibiotika, die für mich lebenswichtig waren. Wir wurden nicht behandelt, die Verbände wurden nicht gewechselt. Anfangs verstand niemand in meiner Zelle, was uns vorgeworfen wurde. Einer nach dem anderen wurde zum Verhör geholt. Die Menschen wurden geschlagen. Einige kehrten nach dem Verhör nicht in die Zelle zurück. Der Ermittler erklärte mir erst am vierten Tag, als ich zum Verhör gerufen wurde, dass ich beschuldigt werde, an Massenunruhen teilgenommen zu haben. Sie forderten, dass ich sage, dass ich an den Unruhen teilgenommen habe, dass ich bei den Protesten war, obwohl dem nicht so ist. Sie drohten mir mit einer Gefängnisstrafe von bis zu acht Jahren gemäß dem Artikel zur Teilnahme an Unruhen.

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Am 14. Januar wurde ich aus der Untersuchungshaft entlassen, musste aber eine schriftliche Verpflichtung abgeben, dass ich das Land nicht verlasse. Mein Bruder gab Journalisten ein Interview und erzählte, was mir widerfahren war, und dass gegen mich ein Verfahren wegen Teilnahme an Massenunruhen fabriziert wurde, obwohl ich verletzt wurde, als ich in die Apotheke ging. Danach begannen die Ermittler, mir zu drohen: Wenn mein Bruder nicht den Mund halten würde, würden sie auch gegen ihn ein Strafverfahren eröffnen und uns beide einsperren. Sie versuchen, uns zum Schweigen zu zwingen, aber wir werden nicht zu Folter und erfundenen Anklagen schweigen. Ich weiß auch, dass viele weitere Familien nicht wissen, dass ihre Angehörigen verhaftet und gefoltert wurden. Sie wissen nicht, wie sie ihre Verwandten finden sollen. Es gibt immer noch keine Übersicht darüber, wer festgenommen, wer verletzt und wer getötet wurde.

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