Seit der Teilmobilisierung in Russland haben sich viele zentralasiatische Migranten der russischen Armee angeschlossen. Entgegen den Empfehlungen der konsularischen Behörden ihrer Länder ziehen sie in Russlands Krieg in der Ukraine.
Am 21. September hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Mobilisierung von 300.000 Reservisten angekündigt, die aus einem Pool von 25 Millionen potenziellen Kämpfern einberufen werden. Einige davon sind Saisonarbeiter und prekär beschäftigte Migranten aus Zentralasien. 2013 wurde in Russland das föderale Gesetz „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ überarbeitet, sodass es jeden jungen Menschen, der die russische Staatsbürgerschaft erhält, zum Militärdienst verpflichtet – auch wenn er diesen bereits in seinem Herkunftsland geleistet hat.
Wie das kirgisische Nachrichtenportal Kaktus berichtet, finden darüber hinaus seit dem 21. September Rekrutierungen zentralasiatischer Migranten im Migrationszentrum Sacharowo bei Moskau statt. Dies markiert einen Wendepunkt im Krieg, da die Regierung nicht einmal mehr ihren Wunsch verbirgt, Ausländer zu rekrutieren, um die Reihen der Armee zu erweitern.
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Es liegen keine Zahlen darüber vor, wie viele zentralasiatische Bürger für den Kampf in der Ukraine rekrutiert wurden. Laut Radio Azattyq, dem kasachstanischen Zweig von Radio Free Europe, stammt aber die überwiegende Mehrheit der zentralasiatischen Migranten aus drei Ländern: Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan.
Hohe Gehälter und russische Pässe als Köder
Russische Rekrutierungskräfte wollen Migranten aus Zentralasien mobilisieren, indem sie ihnen ein höheres Gehalt und den Erwerb der Staatsbürgerschaft versprechen. In anderen Fällen werden von den Behörden Ausflüchte organisiert. „Sie sagten uns, dass in Cherson viel gebaut wird und dass wir dorthin müssen. Und dass wir mit Gehältern von 220.000 Rubel (3.612 Euro) rechnen könnten“, sagte ein Zeuge gegenüber Eurasianet.
„Einige aus unserer Gruppe sind gegangen, aber es stellte sich heraus, dass sie mitgenommen wurden, um zu kämpfen.“ Die Verlockung von Gewinn und der Erwerb der Staatsbürgerschaft ist ein wirksames Instrument der Manipulation. Der Einsatz von Migranten und Flüchtlingen im Kriegsfall ist laut einem Artikel des amerikanischen Fachjournals Foreign Affairs ein weit verbreitetes Phänomen. Deren Leben wird dabei für das Kriegsziel aufs Spiel gesetzt.
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Die russische Menschenrechtsaktivistin Valentina Tschupik sprach in einem Interview mit dem zentralasiatischen Nachrichtenportal CABAR über ihre Erfahrungen mit tadschikischen Migranten. Laut Tschupik geben viele von ihnen an, zahlreiche anonyme Anrufe von Vertretern der Justiz erhalten zu haben, bei denen man ihnen anbot, sich der russischen Armee anzuschließen, und so innerhalb von drei Monaten die russische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Außerdem sagte einer der Befragten, dass einige seiner Freunde und Verwandten beschlossen hätten, in der Armee zu dienen, um mehr Geld zu verdienen und ihren Familien zu Hause zu helfen.
Doch schon vor der Teilmobilisierung wurden Bürger zentralasiatischer Herkunft oder Nationalität rekrutiert. Tatsächlich enthüllt die Untersuchung von MediaHub, dass bestimmte Plattformen, die von Usbekistan aus Arbeitsplätze im Sicherheitsbereich in Russland anboten, die Arbeiter direkt zu einer Militärbasis schickten, die von der privaten Gruppe Wagner kontrolliert wird. Diese russische Söldnergruppe wird in verschiedenen Kriegen weltweit eingesetzt und auch im Krieg in der Ukraine hat sich deren Beteiligung bewährt. Die ukrainischen Sicherheitsdienste sprechen von „zentralasiatischen Rekrutierungskampagnen für Söldner“, die seit Kriegsbeginn organisiert werden.
Die Botschaften reagieren
Die Botschaften von Tadschikistan, Usbekistan und Kirgistan, rufen ihre Bürger auf, sich nicht in den Krieg in der Ukraine einzumischen. Sie berufen sich darauf, dass es sich dabei nach den Gesetzen des jeweiligen Landes um eine Straftat handelt.
Das Risiko eingezogen zu werden ist besonders hoch für junge Männer aus Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan, die die russische Staatsangehörigkeit erworben haben. Mit einer Diaspora von 650.000 Kasach:innen, 1,9 Millionen Usbek:innen und 104.000 Kirgis:innen in Russland (Stand: 2002) könnte die Zwangsrekrutierung unter arbeitsfähigen Männern aus diesen Gruppen durchgeführt werden. Für turkmenische, tadschikische und usbekische Staatsbürger kann die Beteiligung an einem ausländischen Konflikt zu einer Inhaftierung führen, wenn sie anschließend nach Hause zurückkehren. Besonders davon betroffen sind die 1,2 Millionen tadschikischen Arbeitsmigranten (Stand: 2021) in Russland.
Matthieu Petrov, Redakteur für Novastan
Aus dem Französischen von Robin Roth
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