Das feministische Festival FemAgora lädt fünf Wochen lang AktivistInnen aus Zentralasien dazu ein, sich auszutauschen, zu diskutieren und sich miteinander zu solidarisieren. Ein paar Eindrücke von dem Festival und dem, was FeministInnen in Zentralasien bewegt.
Dieses Jahr sind der August und September in Zentralasien feministisch. Zum dritten Man findet nämlich das feministische Festival FemAgora statt, welches AktivistInnen aus allen zentralasiatischen Republiken zusammenbringt. Über Zoom, YouTube und Co. wollen sie sich aus ihren Ländern heraus „gemeinsam der Geschlechtergerechtigkeit annähern.“ Vom 25. August bis zum 30. September werden Diskussionen, Workshops und Filmvorführungen auf Russisch zu einer Bandbreite von Themen übertragen.
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Premiere feierte das Festival vor zwei Jahren in Almaty in Kasachstan in Form einer zweitätigen Veranstaltung anlässlich des internationalen Frauentages am 8. März. Damit war es das Erste seiner Art in Zentralasien. Im Folgejahr wuchs das Festival: Eine Woche lang diskutierten ca. 50 bis 80 ReferentInnen und Interessierte zu den verschiedensten Themen. In diesem Jahr hoffen die OrganisatorInnen durch das Online-Format darauf, mehr Menschen aus verschiedenen Ländern zu erreichen. Neu in diesem Jahr sind zudem Online-Kunstprojekte und die Bereitstellung von didaktischem Material wie z.B. feministischen Papierpuppen. Unterstützt wird das Festival dabei von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Goethe-Institut.
Der Anspruch von FemAgora
Als Ziel des Festivals formulieren die VeranstalterInnen „Handlungsräume von Frauen und Geschlechterfragen sichtbar zu machen, ebenso wie Solidarität zwischen den verschiedenen feministischen Initiativen zu schaffen.“ Ebene jene feministischen Gruppierungen seien in Zeiten der Pandemie unabdingbar. Sie leisteten eine wichtige Arbeit für den Schutz von besonders vulnerablen Gruppen und Gemeinschaften.
„Die Einzigartigkeit des Festivals besteht in seinem intersektionalen Anspruch. Es treffen die verschiedensten TeilnehmerInnen und Themen aufeinander.“, kommentiert die Moderation Nigora Issamiddinova mit Begeisterung während des Panels zum feministischen Aktivismus in Zentralasien. Bisher ging es in den einzelnen Veranstaltungen zum Beispiel um Umweltschutz, Frauen in der Politik und Wirtschaft, sowie um sexuelle Belästigung. Auf den Podien sind KünstlerInnen, JournalistInnen, VertreterInnen nationaler Frauenorganisationen, WissenschaftlerInnen, RegisseurInnen und andere ExpertInnen vertreten. Durch diese Vielfalt ist es laut Issamiddinova eine „außergewöhnliche Möglichkeit, globale feministische Themen mit dem Blick zentralasiatischer FeministInnen zu betrachten.“
Das erste feministische Kollektiv Usbekistans nimmt teil
Die teilnehmende Aktivistin Anastasiya Cherepanova aus Usbekistan war im letzten Jahr noch als Zuschauerin dabei und ist in diesem Jahr entschlossener: „Es ist für Usbekistan Zeit, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.“ Die 27-jährige Journalistin und Illustratorin führt mit ihrer Freundin Vera Suchina einen Blog namens SARPA media, auf dem sie sich mit Gender, Menschenrechten und Feminismus auseinandersetzen. Unter demselben Namen gründeten sie Anfang des Jahres das erste feministische Kollektiv Usbekistans und veranstalteten das DIY-Festival NE VINOVATA (dt.: Nicht ihre Schuld) gegen häusliche Gewalt.
Anastasiya beschreibt die Situation der Frauen in Usbekistan als ernst, doch es werde nicht genug darüber gesprochen. „Wie in vielen östlichen Ländern haben sich die Traditionen so herausgebildet, dass sich Frauen ihren Ehemann nicht aussuchen können. Die Eltern treffen diese Entscheidung.“, führt sie beispielhaft auf, „In der Ehe dann entscheidet der Mann, ob sie arbeiten darf oder zuhause bleiben muss.“ Sie erzählt von Fällen zu Zeiten des Ex-Präsidenten Islom Karimov, bei denen ÄrtzInnen Frauen nach der Geburt Spiralen einsetzten, ohne sie vorher darüber aufzuklären. „Gleichzeitig aber stehen Frauen in der Bringschuld, Kinder zu gebären. Die reproduktive Selbstbestimmung wird nicht gewahrt“, stellt sie mit Ernüchterung fest. Weitere Probleme seien häusliche Gewalt, finanzielle Abhängigkeit von Frauen von ihren Ehemännern und Mehrehen. Zudem bestünden starke Unterschiede zwischen der Situation von Frauen in der Hauptstadt und den Regionen außerhalb dieser.
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Die ReferentInnen der anderen zentralasiatischen Republiken berichten von ähnlichen Problematiken. In Kasachstan existieren zum Beispiel bis heute 213 Berufe, die Frauen nicht ausüben dürfen. In Verbindung mit den bestehenden Diskriminierungen in Zentralasien sprechen die ReferentInnen häufig vom Konzept des uyats (dt. Schande). Es begleite und normiere Frauen ihr Leben lang und verlange von ihnen eine gewisse Unterwürfigkeit. „Den Mann zu verlassen gilt als »uyat«, eine Schande.“, erklärt Anastasiya und führt weiter aus: „Letztendlich gilt alles außerhalb der gesellschaftlichen Normen als »uyat«.“ Im Rahmen des Festivals widmet sich eine Diskussionsrunde ausschließlich diesem Thema und unterstreicht somit die Bedeutung für den zentralasiatischen Feminismus.
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Im Angesicht dieser Situation möchte Anastasiya durch ihren Aktivismus „darüber sprechen, worüber sonst geschwiegen wird.“ Ihre Vision sei es, Mädchen und Frauen mit ihren Rechten und Möglichkeiten vertraut zu machen. Teil dieser Vision bestehe darin, „die Probleme aller Frauen zu erhören, insbesondere derer, die sich außerhalb der Hauptstadt befinden.“ Auch von staatlicher Seite aus werden erste Maßnahmen unternommen, die rechtliche Lage von usbekischen Frauen zu verbessern. Sodann wurden neue Gesetze zur Ahndung von Gewalt gegen Frauen verabschiedet. Auch wenn diese Gesetze bisher kaum wirkmächtig seien, wecken die neuesten Entwicklungen in Anastasiya Hoffnungen: „Viele Veränderungen finden statt. Diese kleinen Schritte weisen darauf hin, dass sich die Situation im Allgemeinen zum Guten wendet.“
Lernen von anderen AktivistInnen
Diesen Optimismus trägt die Aktivistin auch in das FemAgora Festival hinein. Die Vernetzung mit anderen FeministInnen empfindet sie als bereichernd: „Der Austausch mit den anderen TeilnehmerInnen hilft, sich vorstellen zu können, wie die Probleme auch in Usbekistan gelöst werden könnten. Sie sind uns in Vielem einen Schritt voraus.“ So haben in Kasachstan und Kirgistan in der Vergangenheit bereits feministische Proteste und Ausstellungen stattgefunden, wenngleich sie massiven politischen Widerstand erfahren. Die feministische Kunstaustellung Feminale in Kirgistan zog etwa einen politischen Skandal nach sich. Die Organisatorin Altyn Kapalowa resümiert rückblickend: „Uns hasst die Hälfte des Landes, die wenigsten lieben uns. Aber in dieser Zeit habe ich gespürt, wie die Kunst die Leute beeinflussen und Teil der feministischen Bewegung sein kann.“
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„Die Länder Zentralasiens teilen viele wichtige historische Momente und eine ähnliche Kultur. Entsprechend sind auch viele Probleme ähnlich“, erläutert Anastasiya im Hinblick auf die transnationale Ebene des Festivals. Aufgrund dessen würden die AktivistInnen bei all den gegebenen regionalen Unterschieden ähnlichen Gefahren und Konflikten in ihrer Arbeit begegnen.
Eine zentrale Herausforderung, die immer wieder in den Diskussionen anklingt, ist die Wahrnehmung des Feminismus als europäisch oder westlich. „Uns wird der Vorwurf gemacht, dass wir Traditionen abschaffen, den Leuten etwas wegnehmen wollen.“, meint die usbekische Aktivistin, „Der Feminismus setzt sich aber gegen Gewalt und die Unterdrückung von Frauenrechten ein, was in keiner Weise der Gesellschaft schadet – ganz im Gegenteil sogar.“
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Anastasiya berichtete von sehr verschiedenen Belangen der Frauen: „Während russische privilegierte Frauen sich über Kinderlosigkeit oder Karriere Gedanken machen, müssen sich usbekische Frauen nach wie vor dem Ideal von fügsamer Mutter und Ehefrau anpassen.“ Diesen Spagat zu meistern, beschäftigt alle AktivistInnen bei FemAgora. Für Janar Sekerbaeva, eine kasachische LGBTQ-Feministin, ist in der Hinsicht wichtig: „Der Aktivismus muss auch in den Regionalsprachen stattfinden. Die Mädchen und Frauen müssen die Chance dazu haben, ihre Belange auf ihrer Sprache auszudrücken. Ihnen muss auf Augenhöhe zugehört werden.“
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Über die konkreten Herausforderungen hinaus könne Anastasiya von den anderen FemAgora-TeilnehmerInnen lernen, sich solidarisch zu zeigen und zu standhaft zu bleiben. „Das sind unglaubliche Frauen, die ihre Erfahrung mit uns teilen und uns inspirieren“, erzählt sie.
Die Wirkung von FemAgora
FemAgora leistet demnach einen entscheidenden Teil dazu, dass sich ein Netzwerk zwischen den verschiedenen nationalen feministischen Gruppierungen herausbildet. Darüber hinaus verzeichnet das Festival auf Instagram inzwischen ca. 3.000 FollowerInnen. Wenngleich das Ziel ist, feministische Themen in den gesellschaftlichen Diskurs miteinzubringen, lässt sich nicht davon sprechen, dass sie in den Mainstream eingezogen sind. Es bleibt abzuwarten, inwiefern FemAgoramit seiner wachsenden Community die Gesellschaft und Politik erreichen wird.
Bis zum 30. September finden noch Diskussionen zur Gewalt gegen Frauen und Krisenzentren, zur Krise der Männlichkeit sowie zu Sex, Gender und Familie statt. Zudem werden in der Woche vom 21. bis zum 27. September eine Reihe von Filmen übertragen, die im Live Stream verfolgt werden können.
Jana Rapp
Journalistin für Novastan
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