Pünktlich zum Frühlingsanfang wird in Zentralasien das traditionelle Nouruz-Fest gefeiert, auch bekannt als „persisches Neujahr“. Pferdespiele, Familienbesuche und große Festessen stehen auf dem Plan. Doch hinter der bunten, feierlichen Fassade versteckt sich auch eine Suche nach regionaler Identität. Derer bedienen sich die politischen Führer in dem Versuch, dadurch die koloniale Vergangenheit abzustreifen.
Der Himmel ist blau, die Bäume noch kahl, ein leichter Geruch nach Gras liegt in der Luft. In den Vorstädten von Bischkek versammeln sich Fans, um zwei Dutzend Reiter anzufeuern, die auf ihren Pferden um einen Ziegenkadaver kämpfen. Es handelt sich um das polo-ähnliche Pferdespiel Kok Bornu, das traditionell im Hippodrom von Bischkek ausgetragen wird. Doch nicht alle Feiern an diesem 21. März werden so pompös aufgezogen.
Die Vorbereitungen auf Nouruz sind vermutlich mindestens genauso bedeutsam wie der Feiertag selbst. Die meisten Menschen in Zentralasien läuten das Fest mit einem Frühlingsputz ein. Andere begleichen ihre Schulden oder versöhnen sich mit ihren Feinden, um das neue Jahr mit einer weißen Weste zu beginnen. An Nouruz selbst, dem Tag der Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche, wirft man sich in Schale und verbringt Zeit mit der Familie, Freunden oder Nachbarn. Essen und Trinken sind nicht weniger wichtig. In den meisten Ländern schreibt eine jahrhundertealte Tradition die Zubereitung des „Samanak“ vor. Sieben Sorten gekeimten Weizens bilden die Basis für das traditionell überlieferte Rezept dieser besonders süßen Nachspeise.
Die zoroastrischen Wurzeln von Nouruz
Legen wir einmal Bräuche und Traditionen dieses Feiertags beiseite und schauen uns seine politische Komponente etwas genauer. In der Vergangenheit versuchten verschiedene Herrscher und Kolonialherren, die Feierlichkeiten zu unterdrücken. Um die Politik der Gegenwart nachzuvollziehen, gilt es jedoch, sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Nouruz wird auch „persisches Neujahr“ genannt und weist somit auf die iranischen Wurzeln seines Namens hin. „Nou“ kommt vom persischen Wort für „neu“, die Silbe „ruz“ bedeutet „Tag“, man feiert also den „neuen Tag“. Obwohl die genaue Entstehungsgeschichte von Nouruz im Dunkeln bleibt, sind sich die meisten Historiker einig, dass der Zoroastrismus die treibende Kraft dahinter war. Hierbei handelt es sich um die älteste monotheistische Religion der Welt, die auf den Lehren des iranischen Propheten Zoroaster basiert. Im Mittelpunkt dieser Religion steht der Kampf zwischen Gut und Böse, oft mit den Begriffen Licht und Dunkelheit umschrieben. In dieser Hinsicht ist klar, warum Nouruz für die Zoroastrier so bedeutend ist, bringt der Frühling doch meist die ersten warmen und längeren Tage mit sich.
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Die zoroastrischen Wurzeln erklären auch die Beliebtheit des Festes in Zentralasien. Viele Experten behaupten, dass die Muttersprache des Religionsbegründers Zarathustra die altiranische Sprache Avestisch war. Auf diesem persischen Dialekt verständigte man sich vom östlichen Iran bis nach Tadschikistan und Usbekistan. Der Zoroastrismus ist somit tief in Zentralasien verwurzelt und könnte dort sogar seinen Ursprung haben. Die Errichtung der iranischen Ruinenstadt Persepolis war eigens dem Nouruz-Fest gewidmet.
Ein zentralasiatischer Feiertag im wahrsten Sinne des Wortes
Die heutigen Nouruz-Feiern in Zentralasien werden von der einzigartigen Geografie der Region und den Völkern, die im Zuge von Migration, Invasion und (erzwungener) Assimilation nach Zentralasien kamen, geprägt. Historisch gesehen ist Nouruz mit dem Großraum Iran verbunden. Städte wie Samarkand und Buchara galten seit der Antike als Wiege der persischen Kultur und Sprache. Bis heute dominiert in den beiden Städten der tadschikische Dialekt des Persischen. Doch mit der muslimischen Eroberung Zentralasiens und der Zuwanderung türkischer und mongolischer Stämme aus dem Norden schwand nach und nach die persische kulturelle Vorherrschaft. Lest auch auf Novastan: Vier zentralasiatische Kulturpraktiken ins immaterielle Kulturerbe der UNESCO aufgenommen Neue Herrscher bedingten neue kulturelle Einflüsse. Ein Teil der Eroberer versuchte zunächst, lokale Bräuche und Traditionen wie Nouruz zu unterdrücken. Doch weder muslimischen Führern noch türkisch-mongolischen Kriegsherren wie Timur gelang es, das „persische Neujahr“ abzuschaffen. Stattdessen verfolgten sie einen erfolgreicheren Ansatz der Koadaption, das darin bestand, eigene Folklore in bereits bestehende kulturelle Praktiken zu integrieren. Daher zeichnet sich Nouruz in Zentralasien heute sowohl durch nomadische Traditionen wie Kok Boru als auch durch persische Einflüsse wie das Trinken von Samanak aus.
Kolonisierung und Unterdrückung
Als die russischen kaiserlichen Armeen Ende des 19. Jahrhunderts Zentralasien kolonisierten, wehte jedoch ein neuer Wind. Die Russen hatten den Emir von Buchara als lokale Galionsfigur belassen. Die Nouruz-Feierlichkeiten boten ihm die hervorragende Gelegenheit, sein Gesicht zu wahren und seine politische Legitimität zu stärken. Er lud sogar Zirkusartisten aus dem europäischen Russland ein. Die Bevölkerung fand an dem Fest jedoch immer weniger Gefallen. Dieser Trend setzte sich fort, als die Sowjets nach dem russischen Bürgerkrieg Zentralasien übernahmen und annektierten. In den Städten waren es sowjetische Ingenieure und Stadtplaner, die den öffentlichen Raum neugestalteten. Nicht selten opferten sie dafür jahrhundertealte Stadtviertel. Dies hatte schwerwiegende Auswirkungen auf das soziale Gefüge der Städte in der gesamten Region und erschwerte die Planung der traditionellen Feierlichkeiten. Lest auch auf Novastan: „Hymnes de sang“ – Tadschikische Kurzgeschichten aus der Perestroika Zudem war Nouruz zu Sowjetzeiten jahrelang verboten, da es als religiöser Feiertag galt. Erst als sowjetische Orientalisten und Ethnologen ihn als vorislamisch einstuften, hoben sie das Verbot wieder auf. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR gewinnt Nouruz spektakulär an Beliebtheit.
Nouruz als politisches Instrument
Historisch gesehen war der Stellenwert des Festes stets den politischen Launen der lokalen Machthaber unterworfen. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Nouruz steht für die Geschichte, Kultur und Geografie Zentralasiens. Daher ist es Politikern ein Leichtes, diesen und andere Feiertage zu instrumentalisieren. Dies gilt besonders für solche, die auf der Suche nach regionaler und nationaler Identität das Erbe der sowjetisch-kolonialen Vergangenheit überwinden wollen. Unter der Herrschaft des verstorbenen Präsidenten Islam Karimov in Usbekistan zogen beispielsweise einige Regierungsbeamte Nouruz dem gregorianischen Neujahrsfest vor. Sie verordneten sogar keine Feiern mehr zum Jahresende abzuhalten. Alle anderen Feiertage wurden kurzerhand als „unvereinbar mit der usbekischen Kultur“ erachtet. Erst nach dem Tod Karimovs und dem Amtsantritt seines Nachfolgers Mirziyoyev im Jahr 2016 wurden Verbote und Einschränkungen für das Feiern des westlich geprägten Neujahrsfestes gelockert. Lest auch auf Novastan: Wie sich Russlands Beziehung zu Zentralasien im Jahre 2022 entwickelt hat
Auch in Kasachstan hat die politische Führung Nouruz als Mittel zur Stärkung der Legitimität wiederentdeckt. In Anlehnung an den Emir von Buchara hat der derzeitige Präsident Toqaev mehrere Reformen in Bezug auf Nouruz vorgeschlagen. Unter anderem soll der Nationalfeiertag auf zehn statt der üblichen vier Tage verlängert werden und die spirituelle und moralische Bedeutung des Festes in den Vordergrund rücken. Ende 2022 wurde Toqaev inmitten von Hoffnungen und Versprechungen politischer und gesellschaftlicher Reformen als Präsident in vorgezogenen Wahlen wiedergewählt. Politologen sehen in seinen Vorhaben den Versuch, mit dem Erbe seines Vorgängers Nursultan Nasarbaev zu brechen. Die niedrige Wahlbeteiligung bei den jüngsten Parlamentswahlen in Kasachstan kurz vor Nouruz zeigt jedoch, dass die anfängliche Begeisterung für Reformen etwas nachgelassen hat. Mit seinen tiefen historischen Wurzeln in Zentralasien wird Nouruz womöglich ein beliebtes Instrument für Identitätspolitik bleiben, da nationale Führer versuchen, die Zukunft zu steuern, indem sie aus der vorkolonialen Vergangenheit der Region die Rosinen herauspicken.
Julian Postulart für Novastan
Aus dem Englischen von Arthur Siavash Klischat Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen, schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.