Kamila Rustambekova hat in ihren jungen Jahren schwierige Entscheidungen treffen müssen, um sich ihrer Leidenschaft, der künstlerischen Fotografie, widmen zu können. Ein Porträt.
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Bevor das Gespräch beginnt, beruhigt Kamila ihren kleinen Hund, der in der Ferne etwas gehört hat und aufgeregt bellt. Kamila Rustambekova lässt sich von der kurzen Unterbrechung nicht beirren. Sie streichelt das Schoßhündchen und lächelt selbstbewusst in die Kamera. Das Gespräch mit der 24-jährigen Frau findet online über Zoom statt. Kamila befindet sich während des Gesprächs in ihrem kleinen Garten unweit des Zentrums der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Hinter ihr befindet sich ein Garagentor, daneben steht eine Treppe, die zum Wohnungseingang führt und in der Ferne hinter der Mauer sieht man Sträucher. Die Sonnenstrahlen blenden die junge Fotografin, trotzdem genießt sie es, im Garten an der Sonne zu sitzen.
Kamila Rustambekovas Leben begann wie eines von vielen Frauenleben in Usbekistan. Als Kind wuchs sie in Yangiyoʻl, einer kleinen Industriestadt in der Nähe von Taschkent, auf. Ihre Mutter hatte sich dafür eingesetzt, dass ihre Tochter in Taschkent zur Schule geht, damit sie nicht wie andere Lernende den Herbst über Baumwolle lesen muss. Beide Elternteile haben zu ihrer Zeit eine gute Ausbildung genossen und arbeiten. Auch Kamila sollte studieren dürfen. Kamila wuchs unter vorsichtiger elterlicher Obhut auf. „Als Jugendliche durfte ich bis um 18 Uhr draußen unterwegs sein – länger nicht“, meint sie.
Mit 21 Jahren hatte sie von der ständigen Aufsicht ihrer Eltern genug. Kamila lernte einen jungen Mann kennen. Nachdem sie sich im Verlauf eines Jahres regelmäßig getroffen hatten, beschlossen die beiden, zu heiraten. Die usbekische Vermählung verlief nach lokalen Traditionen. Von ihrer Ehe erhoffte sich Kamila mehr Freiheiten. Tatsächlich kontrollierte sie ihr Ehemann weniger, als es ihre Eltern taten. Kamila erklärt, dass dies eher die Ausnahme sei, da Ehemänner in Usbekistan in der Regel strenger sind. Die Ehe, die ihr mehr Freiheiten verschaffte, hielt allerdings nicht lange an. „Ich kann nichts Schlechtes über meinen Ex-Mann und unsere kurzen Ehejahre erzählen“, meint Kamila. „Wir passten schlicht und einfach nicht zusammen.“ Kamila ist es offensichtlich unangenehm, über ihre Ehe zu sprechen. Sie würde heutzutage andere Kriterien bei der Partnerwahl anwenden als damals, erklärt sie lediglich. Beim Teetrinken und Spazieren könne man sich nicht ausreichend kennenlernen, resümiert sie. Andere Möglichkeiten bietet die usbekische Dating-Kultur aber nicht.
Mit ihrer Scheidung nahm Kamilas Drang nach Freiheit weiteren Lauf. Die Entscheidung war für die junge Frau aber alles andere als einfach. Sie musste die Scheidung vor ihren Eltern und Verwandten rechtfertigen. Eine Zeit lang hatte sie außerdem mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. „Ich hatte damals gar kein eigenes, erspartes Geld. Zum Glück half mir mein Freundeskreis.“ Als ausgebildete Ökonomin konnte sie sich in Taschkent ein neues Leben aufbauen. Wie sie erläutert, ist dies keine Selbstverständlichkeit für Frauen in Usbekistan. „Frauen sind finanziell von ihren Gatten oder Eltern abhängig. Dementsprechend müssen sie sich auch deren Erwartungen fügen“, so Kamila. Nach ihrer Scheidung baute sich die junge Frau in der usbekischen Hauptstadt ein selbstständiges Leben auf. Heutzutage arbeitet sie als professionelle Fotografin und Produzentin für Modelabels und Werbekampagnen. In ihrer Freizeit bereist die das Land und hält es in ihrem Objektiv fest.
Scheidungen in Usbekistan
Eine Scheidung in Usbekistan ist kein einfaches Unterfangen. Obwohl Kamila und ihr Ehemann beide in die Scheidung einwilligten, mussten zunächst unzählige bürokratische Hürden überwunden werden. Das Scheidungsprozedere werde durch den konservativen Staat absichtlich erschwert, meint die junge Usbekin. In der Gesellschaft gibt es für eine solche Entscheidung noch weniger Verständnis und Unterstützung.
Es würden sich mehr Frauen in Usbekistan scheiden lassen, wenn staatliche Institutionen entsprechende Hilfestellungen anbieten würden. Viele Frauen wagen es nicht, sich von ihren Ehemännern zu trennen. „Sie haben Angst vor finanziellen Schwierigkeiten“, erklärt Kamila. Das Leben einer geschiedenen Frau bringt viele Unannehmlichkeiten mit sich. Nach einer Scheidung können sich die meisten Frauen kaum eine eigene Wohnung leisten und sind genötigt, in ihr Elternhaus zurückzukehren. Manche Frauen werden nach einer Scheidung von ihren Familien verstoßen. Einen neuen Mann zu finden, ist ebenfalls schwierig. Als Ehefrauen arbeiten viele Frauen nicht außer Haus. Sie kümmern sich um Kinder und Haushalt. Somit ist es auch schwieriger, nach einer Scheidung eine Stelle zu finden. Unabhängige „Business“-Frauen sind insbesondere in ländlicheren Gegenden eine Seltenheit. Die Situation wird noch schwieriger, wenn geschiedene Frauen Kinder haben. Kamila bezweifelt, dass sie ihr neues Leben führen könnte, wenn sie Kinder hätte.
Scheidungsgründe gibt es unterschiedliche, allen voran reichen misshandelte Ehefrauen die Scheidung ein. Weitere häufige Gründe sind etwa Ehebruch oder familiärer Streit. Kamila Rustambekova weist auf das große Problem der häuslichen Gewalt in Usbekistan hin. „In praktisch jeder Familie kommt häusliche Gewalt vor“, meint sie. „Der Staat handelt zu wenig“, ist ihre Schlussfolgerung. Körperliche Misshandlung wird kaum kriminalisiert, da man sich davor hüte, in das Ehebündnis einzugreifen. So leiden viele Ehefrauen im Stillen – durch die Furcht vor einer Scheidung – und tolerieren häusliche Gewalt.
Fotografie und Körper
Das Hauptinteresse Kamilas liegt an menschlichen Körpern. Sie nimmt gerne Porträts auf und fotografiert Menschen bei der Arbeit. Ebenso sehr interessiert sie sich für die Aktfotografie. Körper und Sexualität faszinieren sie. Möglicherweise gerade deshalb, weil diese Themen in Usbekistan vollständig negiert werden. „Wenn man so wichtige Themen wie Sexualität und Körper tabuisiert, verneint man sich selbst. Das Phänomen der Tabuisierung tritt schon bei der Erziehung von Kindern ein. Eltern sprechen nicht über Körper, Sex, dem biologischen Geschlecht. Alle tun so, als hätten sie keinen Sex“, erläutert die Fotografin. „In meiner Fotografie setze ich es mir als Ziel, den Umgang mit dem menschlichen Körper zu normalisieren. Ich möchte Menschen dabei unterstützen, ihren eigenen Körper akzeptieren und lieben zu lernen.“
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Besonders wichtig findet Kamila die Selbstliebe zum eigenen Körper bei Frauen. „Frauen werden wie ein Objekt betrachtet“, berichtet Kamila über die Gesellschaft in Usbekistan. In manchen Regionen Usbekistans wird an alten Traditionen festgehalten. So kommt es vor, dass Bräute gekauft werden, indem die Familie des Bräutigams einen Brautpreis – entweder Geld, Schafe oder sonstiges Vieh – bezahlt. „Das Wichtigste im Leben einer Frau ist die Heirat. Eltern denken zu wenig daran, dass ihre Töchter studieren und selbstständig werden sollten. Manche lassen ihre Töchter sogar ungebildet, gleich nach der Grundschule, heiraten.“
Frauen haben hierzu meistens wenig mitzubestimmen, schildert Kamila emotional: „Sogar die Jungfräulichkeit gehört nicht dir selbst. Sie gehört deinen Eltern und deinem Bräutigam. Falls du deine Jungfräulichkeit vor der Ehe verlierst, wird dein Vater dafür zur Verantwortung gezogen und entwürdigt. Im Grunde genommen regelt unsere Gesellschaft, mit wem du zu schlafen hast und wie du dich anziehen sollst. Wenn du dich aufreizend ankleidest, giltst du gleich als Hure. Eine Frau muss sich bescheiden kleiden und soll sich nicht in Szene setzen. Auch Tattoos und Piercings sind verpönt und man wird mit einer ehemaligen Insassin assoziiert“– Kamila streicht sich bei ihren Schilderungen nachdenklich über ihren tätowierten Arm. Kamila will ihre Modelle sprechen lassen. Besonders interessieren sie gesellschaftlich sanktionierte Themen. Eine aktuelle Fotoserie der Künstlerin thematisiert Queerness. Sie bildet ihre Modelle nackt ab, „in ihrer natürlichen Schönheit“. Auf den Fotografien sind die queeren Personen aber stets ohne Gesicht. Dies macht Kamila, um sie zu schützen. Queere Menschen werden in breiten Kreisen Usbekistans nicht toleriert und könnten sogar strafrechtlich verfolgt oder von konservativen Gruppierungen verprügelt werden.
„In Usbekistan finden keine Gay-Paraden oder feministische Versammlungen statt“, meint Kamila verärgert. Es sei schlicht und einfach zu gefährlich.
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Reisen durchs Land – die Suche nach der eigenen Kultur
Als Jugendliche träumte die Frau russisch-usbekischer Herkunft nur von einem – nach Russland auszuwandern. Trotz eines russischen Elternteils ist Kamilas Elternhaus usbekisch-traditionell geprägt. Auf Besuch bei ihren Verwandten in Russland bewunderte sie die Freiheiten, die russische Frauen im Vergleich zu den Frauen Usbekistans genossen. „Wenn ich zu meinen Verwandten nach Russland gefahren bin, konnte ich Schweinefleisch essen, Wein trinken und alles machen, was ich wollte. Damals wusste ich die Schönheiten Usbekistans, die Lepyoshki, die schönen Ornamente, den faszinierenden Orientalismus, noch nicht zu schätzen. Ich dachte, Usbekistan ist all das, was ich in meinem Leben nicht haben will.“ Kamila ärgert sich über die ungeschriebenen aber umso strengeren Normen in der usbekischen Gesellschaft. Sie nennt das Senioritätsprinzip, das Respekt gegenüber älteren Menschen einfordert. Kamila erinnert sich daran zurück, dass sie regelmäßig höflichkeitshalber ihren Großvater anrufen und sich nach „seinem Wohlergehen erkundigen“ musste, obwohl die beiden gar keinen guten Draht zueinander hatten. „Unsere Gesellschaft verlangt es so.“
In letzter Zeit änderte sich aber Kamilas Einstellung. Eine der Ursachen für ihren Gesinnungswandel liegt im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Allerdings begann sie sich schon früher für Dekolonisierungs-Debatten in Usbekistan zu interessieren. Solche Strömungen hinterfragen das russische und sowjetische Erbe in Usbekistan. Gemäß der postkolonialen Kritik wird die Zeit, als Usbekistan Teil des Russischen Zarenreiches und später Teil der Sowjetunion war, als Kolonialzeit betrachtet. Die kritische Wahrnehmung Russlands als Kolonisator inspiriert Kamila dazu, ihr Land, Usbekistan, zu bereisen und ihre eigene Kultur besser kennenzulernen. Kamila ist hin und hergerissen. Sie sieht im usbekischen Konservatismus Schwierigkeiten, mag aber die Landschaften, Kultur, Städte und nicht zuletzt die Gastfreundschaft ihres Landes sehr.
Bei ihren regelmäßigen Reisen durch Usbekistan ist die Kamera ihre treue Begleiterin. Die Künstlerin sucht Menschen für ihre Porträts und führt mit ihnen Gespräche, durch die sie interessante Geschichten und Traditionen erfährt. Ein Thema, das die junge Frau besonders interessiert, ist der Kult der Jungfräulichkeit. „Mich interessiert es, wie die Jungfräulichkeit verstanden und nachgewiesen wird. Letztes Jahr war ich in Buchara und habe mit Frauen älterer Generationen über dieses Thema gesprochen. Früher wurde die Jungfräulichkeit einer Braut stets überprüft. Heute ist dies nicht immer der Fall. Früher untersuchten aber oftmals Mütter und zukünftige Schwiegermütter die Vulva einer Frau. Manchmal warteten Verwandte in einem Nebenzimmer darauf, dass der Ehemann das Bettlaken hinaustragen würde. Erwartet wurden Blutflecken auf dem Laken als Beweis dafür, dass die Braut jungfräulich in die Ehe eingetreten war. Nicht wenige junge Frauen greifen deshalb in ihrer Hochzeitsnacht zum Messer und helfen nach, damit auch wirklich Bluttropfen da sind. Ich hörte aber auch von Geschichten, bei denen der jungen Frau ein Ei eingeführt worden ist. [Diese Praxis unterlief der Logik,] falls sich das Ei einfach einführen ließe, wäre sie keine Jungfrau mehr und somit entehrt.“ Selbst Kamila ist erstaunt über solche Bräuche. Während des Erzählens ist sie sehr ernst. Offensichtlich geht ihr das Thema persönlich nahe und sie nimmt bei ihren Erklärungen kein Blatt vor den Mund. „Bei uns [in Usbekistan] herrscht allgemein die Vorstellung vor, dass das erste Mal wehtun muss. So wie als würde man mit einem Messer in dich einstechen. Dass man physiologisch gesehen das Jungfernhäutchen und so auch die Jungfräulichkeit gar nicht verlieren kann, weiß bei uns niemand. Der Kult der Jungfräulichkeit ist omnipräsent und als Frau hat man dauernd Angst, dass man als entehrt gelten könnte und nicht geheiratet wird.“ Als großes Problem sieht die Fotografin die Tatsache, dass junge Menschen in Usbekistan sexuell nicht aufgeklärt werden. Im besten Fall werden junge Eheleute kurz vor der ersten Hochzeitsnacht darüber informiert, wie Sex funktioniert. Kamila erzählt aufgebracht und regt sich über die Zustände in ihrem Land auf. Nun scheint sie vom Erzählen ermüdet zu sein. Als das Thema zu ihrer Leidenschaft, der Fotografie, übergeht, beginnt die junge Frau wieder vor Elan zu sprühen. Die Künstlerin möchte möglichst viele Frauen mit ihrer Kamera abbilden. Es geht ihr darum aufzuzeigen, dass jede Frau schön ist. Es sei allerdings nicht immer einfach, Frauen zu finden, die bereit sind, sich abbilden zu lassen. Kamila erklärt das dadurch, dass Frauen in der usbekischen Gesellschaft „demütig“ und „bescheiden“ wirken müssen. Vor einer Kamera zu posieren, werde selten goutiert. Manche bitten zuerst ihren Ehemann um Einverständnis, andere wiederum verheimlichen ihren Gatten den Austausch mit der Taschkenter Fotografin.
Kamilas künstlerisches Interesse begrenzt sich nicht auf Frauen. Sie unterhält sich gerne mit Männern, beobachtet sie bei ihrer Arbeit und nähert sich mit ihrer fotografischen Untersuchung an hegemoniale Männlichkeiten in Usbekistan an.
Auch Männer haben es in der usbekischen Kultur nicht einfach. Die Gesellschaft stellt viele Anforderungen an sie: Sie müssen die Familie ernähren, stark und männlich sein. Von ihnen wird, so wie auch von Frauen, erwartet, dass sie unbefleckt in die Ehe gehen. In Usbekistan gibt es keinen Sex vor der Ehe. Jedenfalls will es das öffentliche Credo so, wobei dies in der Praxis nicht immer der Realität entspricht.
Zu Schluss des Gesprächs bittet die Fotografin noch einmal explizit darum, den Artikel vor der Veröffentlichung durchlesen zu dürfen. Sie habe schlechte Erfahrungen mit journalistischen Artikeln gemacht, die sensible Informationen über sie preisgegeben hätten. Man müsse in Usbekistan vorsichtig sein und sich überlegen, welche Aussagen publiziert werden und welche besser nicht.
Obwohl es nicht unbedingt einfach ist, als geschiedene Frau in Usbekistan zu leben, scheint es Kamila doch gut zu gehen. Sie genießt ihre neu erlangten Freiheiten. Kamila reist und fotografiert gerne und viel, kann sich mit ihrer Stelle den Lebensunterhalt finanzieren und so ihre Träume realisieren.
Berenika Zeller für Novastan
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