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Razzien in Bischkek: Wenn die Polizei zur Party kommt

In Bischkek ist es in den letzten Wochen zu Drogen-Razzien in mehreren Bars gekommen. Unter anderem betroffen: die Ailan-Bar, ein Wahrzeichen des Bischkeker Undergrounds.

„Der Tanz“ von Henri Matisse ist das Symbol der Ail-Bar in Bischkek, Photo: Wiki Art

In Bischkek ist es in den letzten Wochen zu Drogen-Razzien in mehreren Bars gekommen. Unter anderem betroffen: die Ailan-Bar, ein Wahrzeichen des Bischkeker Undergrounds.

Seitdem Kirgistans Präsident Sadyr Dschaparow an der Macht ist, schwindet die Freiheit der jungen Kirgis:innen: Orte des Bischkeker Underground sind immer wieder von Razzien der Polizei betroffen. So wurden laut dem kirgisischen Nachrichtenportal 24.kg im Mai 2022 zehn Bars und Clubs im Zuge der Politik des Rauchverbots im öffentlichen Raum kontrolliert.

Zuletzt kam es zu einer weiteren Welle von Razzien: Wie 24.kg berichtete, verkündete Kamtschybek Taschijew, Chef des Inlandsgeheimdienstes, dass es an der Zeit sei, „dem Handel mit Drogen und denjenigen, die sie verbreiten oder konsumieren, den Krieg zu erklären.“ In der Nacht vom 13. auf den 14. April fiel die Ailan-Bar in Bischkek einer dieser Razzien zum Opfer.

„Wir haben damit gerechnet, weil ähnliche Razzien bereits in anderen Clubs stattgefunden hatten“, erklärt Tschingis, der Manager der Bar, gegenüber Novastan. Allen Befragten zufolge wurden viele andere Bars, in denen sich Nachtschwärmer:innen zum Tanzen und Singen treffen, stark kontrolliert.

Ein junger Mann, der bei der Razzia anwesend war, äußert gegenüber Novastan die Ansicht, dass „die Regierung gegen liberale Positionen, gegen pro-westliche Jugendliche und gegen die Kultur der Rave-Partys ist, genauso wie sie junge Drogenkonsumenten ablehnt, die lange wach bleiben.“ Tatsächlich wurde die Ailan-Bar äußerst akribisch nach Drogen durchsucht.

Razzia mitten in der Nacht

Es war gegen 1 Uhr morgens, als Sascha (Name von der Redaktion geändert), der gerade Musik auflegte, 20 bewaffnete Menschen in Camouflage ins Lokal kommen sah. Bevor er begreifen konnte, was geschah, wurde er bereits zu Boden geworfen.

Tom (Name geändert) war mit Freunden vor der Bar, als die Polizei ihn festnahm. Als er die Stimmen hörte, fing er an zu lachen. Aber er begriff schnell, wer diese Leute waren, die ihn zwangen, in die Bar zu gehen.

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Die Polizei wollte so viele Menschen wie möglich kontrollieren: Alle, die sich auf der Terrasse befanden, mussten in den Keller zurückkehren, auch diejenigen, die gerade angekommen waren oder in Richtung Bar gingen. Drinnen wurden die Mädchen und Jungen in zwei Gruppen aufgeteilt.

Drogen gesucht

Die Mädchen waren in einem Hinterzimmer und die Jungen vor der Bar. „Es war eine ganz andere Atmosphäre. Im Raum gab es Mädchen, die mit der Polizei scherzten“, erklärt Adina (Name geändert), eine andere Zeugin. „Als eine Polizistin meine Tasche durchsuchte, fand sie eine Packung Ketchup und lachte. Einige Mädchen fragten die Polizisten, wie sie die Aufnahmeprüfung für die Polizei absolvieren könnten und ob sie sie anschließend nach Hause fahren würden“, so Adina weiter.

Dort, wo sich die Jungs befanden, ging es allerdings ernster zu. „Wir verbrachten 20 Minuten auf dem Betonboden. [Der Polizist] schrie mich an: Beweg dich nicht! Dreh nicht den Kopf! Hände hinter dem Rücken! Zum Glück wurde niemand verletzt, aber sie haben uns getreten, wenn wir uns zu viel bewegten“, erinnert sich Sascha.

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Die bewaffneten Polizisten hatten außerdem zwei Hunde dabei, um nach Drogen zu suchen. Vor Ort wurde nichts gefunden, aber die Angestellten der Bar und diejenigen, die sich weigerten, die Anordnungen zu befolgen, wurden zur Untersuchung ins Labor geschickt. Bei Tom, der sich kürzlich einer Hüftoperation unterzogen hatte, wurden Schmerzmittel beschlagnahmt.

… und nicht gefunden

Später in dieser Nacht wurden diejenigen, die nicht ins Labor geschickt wurden, schließlich freigelassen. Laut Tschingis „haben sie keine Drogen gefunden, wohl aber sogenannte Gebrauchsspuren, etwa eine selbstgebaute Bong, bei der es sich eigentlich nur um eine Flasche Wasser und eine leere Zigarette ohne Tabak handelte. Diese physischen Beweise reichten aus, um uns während der Ermittlungen weiterhin festzuhalten.“

Auch wenn die Razzia zu nichts führte, musste die Party beendet werden. Die bewaffneten Männer versuchten, das Mischpult zu zerstören, indem sie Eis darauflegten. Als sie die Reproduktion von Henri Matisses Gemälde Der Tanz an den Wänden sahen, bezeichneten sie das Gemälde als „satanisch“. Dieses Werk ist jedoch nur das Emblem der Bar.

Ein Treffpunkt des Undergrounds

Auf Instagram veröffentlichte der Account der Ailan-Bar ein Bild des Gemäldes und erklärte seine Bedeutung: „Dieses Gemälde von Henri Matisse heißt „Der Tanz.“ Es ist die Grundlage des Logos unserer Bar und unser Symbol. Es ist kein Symbol für Satanismus oder Kulte, wie viele Leute außerhalb unserer Eirichtung vielleicht denken. […] Das Gemälde spricht vom tiefen Wunsch der Menschen, sich miteinander zu verbinden, zu tanzen und in die Musik einzutauchen. Und unsere Bar ist genau dieser Raum.“

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Tatsächlich ist der Ort ein heimlicher Orientierungspunkt für alle, die gerne feiern, egal ob Kirgis:in oder Ausländer:in, jung oder alt. Es ist ein versteckter Ort, ohne Zeichen oder Schilder, ohne Adresse, der nur durch Mundpropaganda gefunden werden kann. Drogen sind verboten und Personen, die die Bar sichtbar betrunken betreten wollen, werden automatisch abgewiesen.

Weitermachen trotz Druck

Tom organisiert Partys wie diese. Obwohl ihn die Razzia schwer getroffen hat, denkt er nicht daran aufzuhören. Einer seiner Freunde sagt: „Wir organisieren einfach gerne Abende, die zur Entwicklung des Tourismus beitragen könnten. Es wäre großartig, die Festivals und die Kultur des Landes hervorzuheben. Wir spielen oft elektronische Remixe von kirgisischer Musik. Touristen möchten nicht nur wandern, sondern auch die Hauptstadt besuchen.“

Aber jetzt, da einige Orte der Underground-Kultur Opfer von Razzien werden, ist es schwieriger, zusammenzukommen. Die Ailan-Bar blieb während der Ermittlungen geschlossen, öffnete jedoch am 26. April wieder. Tschingis ist überzeugt: „Egal wie groß der Druck auch sein mag, wir werden weiterhin das tun, was wir lieben.“

Mélanie Bourinet für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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