Am 6. Mai sind zwei Aktivist:innen der politischen Bewegung „Oyan, Qazaqstan“ („Wach auf, Kasachstan!“) zu 15 Tagen Haft verurteilt worden, weil sie gegen Wahlergebnisse protestiert hatten. Beide waren zuvor wegen „Verstoßes gegen das Verfahren zur Organisation und Abhaltung friedlicher Versammlungen“ festgenommen worden.
Vlada Ermolcheva demonstrierte am 26. März, eine Woche nach der Parlamentswahl, in der zentralen Fußgängerzone von Almaty mit einem Plakat mit der Aufschrift „Wir wurden der Wahlen beraubt“. Sie wurde am selben Tag festgenommen, aber später wieder freigelassen. Am 6. Mai kamen Polizisten in einem Café auf sie zu und forderten sie auf, sie zu einer Polizeiwache zu begleiten. In der Nacht zum 7. Mai wurde sie eines Verstoßes gegen Artikel 488 Absatz 7 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten für schuldig befunden.
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Auch Darhan Sharipov wurde wegen einer Protestkundgebung festgenommen. Am 20. November 2022, dem Tag der Präsidentschaftswahl, entfaltete eine Gruppe von Aktivist:innen ein Transparent mit der Aufschrift „Werden wir faire Wahlen erleben?“ auf dem Hauptplatz in Almaty. Alle wurden in weniger als zehn Minuten von der Polizei festgenommen und am selben Tag ohne Anklageerhebung wieder freigelassen. Am 7. Mai befand das Nachtgericht Sharipov eines Verstoßes gegen Artikel 488 Absatz 6 für schuldig.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Im Interview mit The Village wies Ermolchevas Anwalt Talgat Miermanov auf zahlreiche Verfahrensverstöße hin. So beinhalten die Gerichtsunterlagen kein Dokument, aus dem Zeitpunkt und Datum von Ermolchevas erster Festnahme im März hervorgehen. Der Bericht datiert vom 27. März – einen Tag nach der ersten Festnahme. Dennoch enthält er Informationen vom 19. April. Im Übrigen wäre laut dem Gesetz auch eine Geldstrafe möglich gewesen. Eine Haftstrafe wird nur in Ausnahmefällen verhängt – etwa bei Vorstrafen. Das Gericht entschied sich jedoch für die härteste Strafe – Haft mit der längst möglicher Dauer von 15 Tagen, obwohl Ermolcheva keine Vorstrafen hatte.
Strafen für friedliche Versammlungen
Kasachstans Gesetz „Über friedliche Versammlungen“ wird von der Zivilgesellschaft heftig kritisiert, da es das Recht auf friedliche Versammlung verletzt. Zwar räumt die Verfassung allen kasachstanischen Bürger:innen das Recht ein, sich friedlich zu versammeln, und auch das Gesetz besagt, dass es für die Organisation einer Demonstration ausreicht, die lokalen Behörden zu informieren, ohne eine ausdrückliche Genehmigung einzuholen.
Tatsächlich gibt es aber nur einen sehr begrenzten Raum, in dem solche Versammlungen abgehalten werden könnten. Die Organisator:innen müssen sie im Voraus bei derselben Stadtverwaltung „buchen“, die das Recht hat, gegen die Versammlung ein Veto einzulegen. Für mobile Demonstrationen reicht die Anmeldung nicht aus. Hier muss man eine schriftliche Genehmigung der Behörden einholen.
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Die Menschenrechtsverteidigerin Tatiana Chernobil äußerte sich gegenüber Novastan dazu, warum die Behörden erst so lange nach dem Protest handelten. „Dieses Gesetz verbietet die Abhaltung friedlicher Versammlungen ohne die sogenannte Genehmigung des Akimat (der Stadtverwaltung)“, erklärt Chernobil. „Protestaktionen gelten nach diesem Gesetz als friedliche Versammlungen. Das bedeutet, dass ihre Abhaltung, genau wie bei anderen friedlichen Versammlungen, ohne Ankündigung und vor allem ohne Einholung der erforderlichen gegenseitigen Zustimmung des Akimats illegal ist.“
„Darhan und Vlada haben ihre Aktionen durchgeführt, ohne das Akimat zu benachrichtigen. Aus Prinzip, da sie zu Recht davon ausgingen, dass das Abhalten von Einzelprotesten nicht der Zustimmung der Behörden bedürfen sollte. Fair genug, denn es handelt sich dabei um internationale Menschenrechtsstandards. Aber unsere Regierung und das Gesetz sind anderer Meinung. Daher ist das Abhalten auch von Einzelprotesten ohne Genehmigung des Akimats in Kasachstan mit Strafen verbunden“, so die Menschenrechtlerin weiter.
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„Interessant ist, dass die im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten festgelegte Verjährungsfrist im Allgemeinen zwei Monate beträgt. Für Verstöße gegen das Gesetz über friedliche Versammlungen ist jedoch eine Sonderfrist von einem Jahr festgelegt. Interessant ist auch, welche anderen Ordnungswidrigkeiten eine so lange Verjährungsfrist von einem Jahr haben. Dabei handelt es sich um Korruptionsdelikte, rechtswidrige Eingriffe von Amtsträgern in die unternehmerische Tätigkeit sowie Straftaten im Bereich […], Steuern, Umweltschutz, Zoll, Altersvorsorge, Staatsgeheimnisse. Das ist die Art von Gesellschaft, in der sich friedliche Versammlungen befinden“, schließt Chernobil.
Urteil bestätigt
Am 11. Mai, nachdem Urteil gegen Ermolcheva im Berufungsverfahren bestätigt worden war, erklärte die Aktivistin, dass sie in einen Hungerstreik trete.
In einem Brief aus der Haftanstalt sendet Darhan Sharipov Grüße an seine Mitaktivist:innen: „Ihr dürft euch nicht für eure zivilgesellschaftliche Position schämen. Der Präsident und der Staat müssen sich schämen, Bürger:innen wegen abweichender Meinung inhaftieren zu lassen. Solange es noch eine Person gibt, die bereit ist, für ihre Rechte und Freiheiten zu kämpfen, habe ich keinen Zweifel an der Zukunft dieses Landes.“
Anna Wilhelmi
Aus dem Englischen von Robin Roth
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