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Bedürftige Familien werden in Tadschikistan Opfer von Menschenhandel

Menschen aus sozial schwächer gestellten und von Gewalt geprägten Familien werden oftmals zu Opfern von sexuellem Menschenhandel und Zwangsarbeit. Gerade geschiedene Frauen oder Kinder erkrankter Eltern sehen sich genötigt, nach Russland, in die Vereinigten Arabischen Emirate, in die Türkei oder in den Iran zu migrieren. Nicht selten erhoffen sie sich vor Ort eine anständige Arbeit mit genug Gehalt. Vor Ort erwartet sie aber ein böses Erwachen.

Straßenszene in Duschanbe
Straßenszene in Duschanbe/ Illustrationsbild (luigig/ VisualHunt)

Menschen aus sozial schwächer gestellten und von Gewalt geprägten Familien werden oftmals zu Opfern von sexuellem Menschenhandel und Zwangsarbeit. Gerade geschiedene Frauen oder Kinder erkrankter Eltern sehen sich genötigt, nach Russland, in die Vereinigten Arabischen Emirate, in die Türkei oder in den Iran zu migrieren. Nicht selten erhoffen sie sich vor Ort eine anständige Arbeit mit genug Gehalt. Vor Ort erwartet sie aber ein böses Erwachen.

Tadschikistans Behörden sind besorgt über den Menschenhandel. Menschenrechtsaktivist:innen gehen davon aus, dass es sich bei den Opfern meistens um Mitglieder gefährdeter Familien handelt, die nur über geringe Rechtskenntnisse verfügen.

Mansura, eine 25-jährige Bewohnerin des Bezirks Schahrinaw, versuchte nach der Scheidung von ihrem Mann eine Arbeit zu finden. Über die Sozialen Medien lernte sie eine Frau kennen, die ihr einen Job als Reinigungskraft in Dubai zu einem Gehalt von bis zu 2.000 US-Dollar anbot (der Durchschnittslohn in Tadschikistan beträgt etwa 160 Dollar. – Anm. d. Red. von CABAR). „Das war für mich ein gutes Angebot und ich habe es angenommen. Sie haben für mich einen Pass und ein Visum ausstellen lassen und Tickets gekauft“, erzählt Mansura gegenüber CABAR.

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Als sie in den Vereinigten Arabischen Emiraten ankam, wurde sie in einem Haus untergebracht, in dem bereits vier junge Frauen aus Tadschikistan wohnten. Die ersten zehn Tage arbeitete Mansura wie vereinbart als Putzfrau, doch dann begann man, sie unter jedem erdenklichen Vorwand zu schikanieren. „Sie sagten: ‚Du hast hier nicht gut geputzt, du hast diese Arbeit nicht ordentlich gemacht‘. Unter dieser Behauptung nahmen sie mir meine Papiere weg und zwangen mich zur Prostitution. Sie sagten, ich schulde ihnen Geld und müsse diese Schulden begleichen, weil sie mir einen Reisepass, Visa und Tickets gekauft hätten“, so Mansura. Erst ein Jahr später, nach vielen Beschwerden und Hilfsersuchen, wurde ihr von einem Kunden geholfen, der alle ihre Schulden bezahlte und ihr half, in ihr Heimatland zurückzukehren.

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Auch migrierende Männer sind von Arbeitssklaverei betroffen. So auch Daler, ein 22-jähriger Mann aus dem Bezirk Hissor. Nachdem sein Vater einen Schlaganfall erlitten hatte, sah er sich dazu gezwungen, nach Jekaterinburg in Russland auszuwandern. Er hatte von Verwandten, die in Russland leben und arbeiten, von einer möglichen Arbeitsstelle erfahren. „Der Sohn des Onkels meiner Mutter hat den Job sehr gerühmt und gesagt, dass der Arbeitsplatz sehr gut ist und die meiste Arbeit dort von Maschinen erledigt wird“, erzählt Daler.

Der Cousin bezahlte das Flugticket von Duschanbe nach Jekaterinburg und meinte, er würde den Schuldbetrag von Dalers Gehalt abziehen. Bei seiner Ankunft nahm der Cousin ihm seinen Pass unter dem Vorwand ab, dass er Formalitäten erledigen müsse. Am Arbeitsplatz erwartete Daler eine große Enttäuschung. „Es stellte sich heraus, dass es überhaupt keine Maschinen gab. All die harte Arbeit wurde von Hand verrichtet. Wir trugen schwere Lasten verschiedene Stockwerke hoch. Mein Verwandter versprach mir ein Gehalt von 60.000 Rubel (rund 990 US-Dollar), aber auch dieses Versprechen wurde nicht eingehalten.“ 

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Aufgrund der schweren körperlichen Arbeit hat Daler einen Wirbelsäulenbruch erlitten, er wurde aber nicht ins Krankenhaus gebracht, da er keine Papiere hatte. Anfangs erhielt er 20.000 russische Rubel (etwa 330 US-Dollar) für seine Arbeit, doch dann wurde ihm Geld für die Unterbringung abgezogen und Daler erhielt kein Gehalt mehr. Daraufhin rief er einen anderen seiner Cousins namens Faridun an und schilderte seine Situation. „Faridun rief den Verwandten meiner Mutter an, verlangte meinen Pass zurück. Er drohte ihnen, sie sonst bei den Behörden zu melden. Dieser bekam Angst vor der Drohung und gab mir meinen Pass zurück. So kehrte ich unter großen Schwierigkeiten nach Tadschikistan zurück und bin immer noch dabei, die Schulden abzuzahlen,“ so Daler.

Nach Angaben des tadschikischen Innenministeriums wurden im vergangenen Halbjahr 53 Fälle von Menschenhandel registriert. Vierzehn Frauen und acht Männer wurden wegen Beteiligung an Menschenhandelsdelikten festgenommen. Nach Artikel 130 Absatz 1 des tadschikischen Strafgesetzbuchs wird die Beteiligung an einer solchen Straftat mit einer Freiheitsstrafe von acht bis zwölf Jahren geahndet.

Die Situation bezüglich Menschenhandel gibt weiterhin Anlass zur Sorge

Die Strafverfolgungsbehörden betonen, dass sich die Situation in Tadschikistan im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren verbessert habe, aber sie seien nach wie vor besorgt über das Problem des Menschenhandels. Dies erklärte Innenminister Ramason Rahimsoda auf einer Pressekonferenz im Juli 2022.  

„Der Handel von Menschen stellt für Tadschikistan und das tadschikische Volk in der Tat eine große Herausforderung dar. Es wird vieles in diesem Bereich unternommen, aber leider ist das Problem nicht vollständig gelöst“, so der Minister. Er fügte hinzu, dass die Strafverfolgungsbehörden immer wieder Anführer transnationaler organisierter Verbrecherbanden, die Mädchen zur Prostitution nach Dubai und in andere Länder schicken, festnehmen und inhaftieren, dass es aber immer noch viele solcher Fälle gibt.

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Gemäß Goibnasar Dawlatbekow, Mitglied der Nichtregierungsorganisation „Femida“, die Opfern von Menschenhandel hilft, wird die NGO jährlich von bis zu 185 Opfern von Arbeitssklaverei um Hilfe gebeten. Die meisten von ihnen verfügen nicht über ausreichende Informationen, sind im In- oder Ausland und nehmen die ihnen empfohlene oder angebotene Stelle an, ohne über die möglichen Risiken nachzudenken. „Die meisten Betroffenen geraten in diese Situation aufgrund ihrer geringen Rechtskenntnisse. Sie wissen nicht, was in Zukunft auf sie zukommen könnte“, erklärt er gegenüber CABAR.

Laut Dawlatbekow ist eines der Probleme der Mangel an Zufluchtsorten und sicheren Unterbringungen für Betroffene von Zwangsarbeit. Derzeit gibt es in Tadschikistan nur ein einziges Zentrum, und das genügt nicht. Bis ins Jahr 2019 gab es zwei Einrichtungen für Opfer von Menschenhandel. Das eine in Duschanbe und das andere in Chudschand.

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Ab 2019 wurde die Finanzierung des Schutzraums in Duschanbe eingestellt, da das dazugehörige Projekt abgeschlossen war. Das Zentrum in Chudschand wurde dem Gesundheitsministerium zugewiesen. Im Jahr 2021 richtete Tadschikistan die staatliche Einrichtung „Zentrum für soziale Dienste“ zur Unterstützung der Opfer von Menschenhandel ein. Später änderte sich der Name der Organisation, und sie betreut inzwischen nicht nur Opfer von Zwangsarbeit, sondern auch Opfer häuslicher Gewalt.

„Heute ist dies die einzige Einrichtung im Land, die Opfern von Menschenhandel hilft. Das reicht natürlich nicht aus, aber vielleicht wird die Regierung in Zukunft auch in anderen Regionen Notunterkünfte einrichten, um den Betroffenen zu helfen“, meint Dawlatbekow.

Opfer kommen tendenziell aus sozial schwachen Familien

Laut Munirachon Achmedowa, einer Anwältin der NGO „Karavan Nadjeschdy“, kommen Opfer von Menschenhandel eher aus sozial schwachen und von Gewalt geprägten Familien. Oft handelt es sich dabei um Frauen, die von ihrem Mann geschieden sind, sich in einer schwierigen Situation befinden und das annehmen müssen, was ihnen angeboten wird.

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„Die meisten glauben, dass sie mit einem guten Job im Ausland eine Menge Geld verdienen können. Auf der Suche nach einem besseren Leben werden diese Menschen zu Opfern von Menschenhandel“, erklärt Achmedowa. Tadschikischen Menschenrechtsaktivist:innen zufolge findet die Ausbeutung von Arbeitskräften vor allem in Russland statt, aber Menschenhändler:innen bringen ihre Opfer auch in Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei und den Iran, um sie dort sexuell auszubeuten.

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„Um die Zahl der Fälle von Zwangsarbeit und Menschenhandel weiter zu verringern, sollten die zuständigen Behörden Sensibilisierungsmaßnahmen, Unterricht an Schulen und an der Akademie des Innenministeriums sowie Seminare und Schulungen für die Bevölkerung durchführen“, findet Achmedowa.

Die Redaktion von CABAR

Aus dem Russischen von Berenika Zeller

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