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#BackToMuynak: Warum das diesjährige Stihia-Festival nicht in Karakalpakstan stattfindet

Stihia, ein Elektro-Festival, dass in den letzten Jahren auf dem Grund des ausgetrockneten Aralsees stattfand, wird in diesem Jahr in die Nähe von Buchara verlegt. Sind die Juli-Ereignisse in Karakalpakstan dafür ausschlaggebend? Darüber sprach Hook mit Organisator Otabek Suleimanov.

Stihia, ein Elektro-Festival, dass in den letzten Jahren auf dem Grund des ausgetrockneten Aralsees stattfand, wird in diesem Jahr in die Nähe von Buchara verlegt. Sind die Juli-Ereignisse in Karakalpakstan dafür ausschlaggebend? Darüber sprach Hook mit Organisator Otabek Suleimanov.

Am 27. Januar gaben die Organisator:innen von Stihia die Änderung von Ort und Datum der Veranstaltung bekannt. In diesem Jahr findet das Festival für elektronische Musik am usbekischen Unabhängigkeitstag (31. August bis 2. September) in der Nähe von Buchara statt.

In den Kommentaren zu dem Beitrag entbrannte eine Diskussion darüber, ob es angemessen sei, Karakalpakstan das exklusive Recht zu entziehen, die Veranstaltung auszurichten, und ob die Verschiebung ein Versuch sei, die Anwohner:innen für die Juli-Ereignisse zu bestrafen. Der Hashtag #BackToMuynak wurde geboren. Hook sprach mit Otabek Suleimanov, dem Generalproduzenten des Festivals, und fragte außerdem Anwohner:innen und Fans von Stihia, wie sich der Ortswechsel auf das Image der Region auswirkt und was wir vom fünften Festival erwarten können.

Otabek Suleimanov

Um ehrlich zu sein, als wir die Entscheidung trafen, Stihia in Buchara zu veranstalten, erwarteten wir, dass es eine Reaktion geben würde. Aber keiner von uns hätte sich vorstellen können, dass sie so ausfallen würde. Die endgültige Entscheidung, Stihia zu verschieben, liegt größtenteils bei mir. Das Team und ich haben lange diskutiert und gestritten, aber das entscheidende Votum blieb bei mir.

Ein Festival in der gegenwärtigen Realität in Moʻynoq abzuhalten, ist unangemessen und unanständig. Die Ankündigung des Festivals sollte im Idealfall sechs Monate vor der eigentlichen Veranstaltung erfolgen, damit die Menschen die Möglichkeit haben, sich vorzubereiten. Damit wir unsererseits alles auf dem richtigen Niveau vorbereiten können. Stihia nur wenige Monate nach der Tragödie anzukündigen, wäre völlig unangebracht. Aber noch länger zu warten, ist aus Sicht der Organisation falsch. Wir hätten keine Zeit gehabt, alles vorzubereiten.

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Wenn Stihia ein ruhiges Konzert wäre, dann hätten wir es vielleicht noch am selben Ort veranstaltet. Aber jetzt ist es ein echter Rave, wo es Schnaps gibt und aggressive Musik erklingt. Es ist kein Geheimnis, dass Stihia in der Region einen gemischten Ruf hat. Jedes Jahr gibt es neue Geschichten, dass die Einheimischen mit der Art und Weise, wie Tourist:innen gekleidet und geschminkt sind, unzufrieden sind. Aus diesem Grund dachten wir auch, dass es mehr negative Einstellungen uns gegenüber gibt als positive. Also brauchen wir diese Pause voneinander. Dies ist eine Frage der Legitimität, Stihia in Karakalpakstan zu veranstalten. Ja, es wird viele Unzufriedene geben, aber wir werden damit umgehen.

Warum kein Rebranding?

Ich verstehe, dass der ständige „Wohnort“ von Stihia das Ufer des ausgetrockneten Aralsees ist. Als alles anfing (gemeint sind die Juli-Proteste in Karakalpakstan, Anm. Hook), dachten wir sofort, dass man etwas mit dem Festival machen muss. Ich war an vielen Orten, habe fast ganz Usbekistan bereist, mit Ausnahme einiger Regionen. Und ich kam zu dem Schluss, dass es im Land keinen besseren Ort für Stihia gibt als Moʻynoq.

Dies ist der beste Ort nicht nur in Usbekistan, sondern in ganz Zentralasien, wo man eine Veranstaltung dieser Art und Größenordnung organisieren kann. Ja, wir hatten im Team eine Diskussion darüber, ein anderes Festival in Buchara zu organisieren. Vielleicht hätten wir wirklich eine Art „Rebranding“ machen sollen. Aber die Entwicklung einer neuen Marke, die sich von Stihia unterscheidet, erfordert andere organisatorische Kosten, ein anderes Management und Konzept, viele Investitionen und Anstrengungen. Man kann sagen, dass dies gleichbedeutend mit der Eröffnung eines neuen Business ist.

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Wir haben mit Vertreter:innen des Tourismusministeriums gesprochen und kamen auf die Idee, das Festival neu zu organisieren. Es „schwebend“ zu machen: ein Jahr in Moʻynoq und das nächste Jahr in einer anderen Stadt. Dies würde unserer Mission, den Tourismus zu entwickeln, helfen. Jetzt verstehe ich, dass wir diese Idee wahrscheinlich aufgeben werden. Wir werden zwei Festivals machen. Eines wird in Moʻynoq sein – unserem ständigen Wohnort („Company of Uncertain Projects“ – der Organisator des Festivals, ist offiziell in Moʻynoq registriert, Anm. Hook). Und es wird vielleicht zwei statt drei Tage dauern. Statt drei kleiner werden wir dort eine große Bühne installieren. Und im Allgemeinen werden wir es für alle offen machen.

Warum das Festival nicht im Frühling stattfindet

Ganz einfach – die Verlegung steht in Zusammenhang mit den natürlichen Besonderheiten des neuen Standorts. Tatsächlich ist es ein sehr großes Ödland, das die meiste Zeit mit Wasser gefüllt ist. To‘dako‘l ist ein sumpfiges Gebiet, es gibt viel Grundwasser aus benachbarten Stauseen. Soweit wir wissen, gibt es nur drei Monate im Jahr einen harten, trockenen Untergrund, der für eine Veranstaltung geeignet ist.

Wenn es all diese Besonderheiten nicht geben würde, hätte es natürlich im Mai stattgefunden. Der aktuelle Termin ist auch sehr praktisch, da in Usbekistan Feiertage sind. Viele verlassen die Stadt, fahren irgendwo hin. Dies ist sehr praktisch für die Entwicklung des Inlandstourismus. Und es ermöglicht uns auch, ausländische DJs ins Stihia zu holen und deren Anreise zu organisieren. Denn viele von ihnen kommen am Wochenende zum Spielen.

Hashtag #BackToMuynak

Auf den Aralsee aufmerksam zu machen, ist eine etwas naive Mission. Auch ohne uns weiß jeder genau, was dort passiert und warum. Ich habe Angst, genau zu sagen, welche Ergebnisse wir erzielt haben. […] Ja, ausländische Medien, die sich mit elektronischer Musik befassen, schreiben über Moʻynoq, obwohl sie vorher noch nicht einmal von einer solchen Stadt gehört hatten. Das Erscheinen ihrer Artikel über Moʻynoq hat das Publikum, das über den Aralsee Bescheid weiß, leicht erweitert.

Hat sich deswegen etwas geändert? Wahrscheinlich nicht, um ehrlich zu sein. Und wenn sich was geändert hat, dann werden wir es kaum wissen. Als bedeutendstes Projekt kann ich StihiaGen nennen – ein zehntägiger Intensivkurs für Jugendliche und Schulkinder aus Moʻynoq. Letztes Jahr haben wir eine Schulung zum digitalen Design gemacht, dieses Jahr planen wir Programmieren und Designen, vergleichbar mit dem Bildungsprojekt Kruschok. Die teilnehmenden Kinder waren sehr zufrieden, die Schulleitungen auch. Und wir sind stolz auf dieses Projekt. Dies hat der Region praktische Vorteile gebracht.

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Ich spreche auch nicht vom wirtschaftlichen Nutzen für die Region: vom Gewinn für Taxifahrer oder Cafébesitzer. Wenn wir das Festival jeden Monat veranstalten würden, könnten wir über nachhaltige Wirtschaftsentwicklung sprechen. Jetzt baut zum Beispiel niemand ein Hotel nur wegen unseres Festivals. Ja, vielleicht haben wir dazu beigetragen, dass sie anfingen, über die Stadt zu sprechen. Aber auch ohne Stihia kann ich feststellen, wie sich die Stadt in den letzten fünf Jahren entwickelt hat.

Es wurden Straßen, Ampeln, neue Gebäude gebaut. Ich erinnere mich, wie sie auf einem der Foren sagten: „Wenn der Staat lernt, Probleme in einer so abgelegenen Region zu lösen, wird es viel einfacher sein, die Probleme anderer Städte zu lösen.“

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Ich verstehe, dass wir in diesem Jahr viele Lektionen lernen werden. Das tun wir bereits. Aber gleichzeitig denke ich, dass diejenigen, die jetzt den Hashtag #BackToMuynak verwenden, uns auch verstehen sollten. […] Was wir tun, ist eine Menge an Arbeit und Investitionen, obwohl wir die Unterstützung der Regierung haben. Gleichzeitig gab es keinen Druck vom Staat, als wir die Entscheidung zur Verlegung getroffen haben. Im Gegenteil, sie stellten uns dieselben Fragen, die Sie und die karakalpakischen Leser:innen jetzt stellen. Und ich möchte noch einmal betonen, dass es meine Entscheidung als Organisator des Festivals war. Und der Hashtag #BackToMuynak ist großartig. Ich denke, ich werde ein T-Shirt mit ihm machen.

Kommentare der Leser:innen

Die Redaktion von Hook lässt Kommentare von Einwohner:innen Karakalpakstans und Fans des Festivals aus Sicherheitsgründen anonym.

„Dies (die Verlegung des Festivals – Anm. Hook) ist ein doppelter Schlag für uns alle. Sie verlegen das Festival nach Buchara – dem Ort, an dem die Teilnehmenden der Juli-Ereignisse jetzt vor Gericht stehen. Ich stimme Ihrem Argument nicht zu, dass das Veranstalten des Festivals in Moʻynoq unangebracht sei. Im Gegenteil, sie hätten mit der Veranstaltung von Stihia in Karakalpakstan gezeigt, dass in der Region alles in Ordnung ist. Ich würde deren Standpunkt verstehen, wenn sie ihn einen Monat später vertreten würden. Aber es ist fast ein Jahr her. (Ich habe, Anm . d. Red.) das Gefühl, dass das Management einfach Angst vor einer großen Menschenmenge hat.“

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„Stihia wurde geschaffen, um die Probleme des Aralsees hervorzuheben. Es ist mit dem Aralsee verbunden, und es scheint mir falsch, es an einem anderen Ort durchzuführen. In Buchara wird es keine Stihia mehr sein. Ich denke, sie hätten dieses Jahr pausieren und 2024 nach Moʻynoq zurückkehren können. Nach dem, was passiert ist, ist die Durchführung solcher Veranstaltungen in unserem Land respektlos gegenüber den Toten.“

„Ich halte den Ortswechsel für einen Fehler. Ja, es gab tragische Ereignisse, die noch ausgewertet werden müssen. Doch statt Solidarität zu zeigen, verlegen die Organisatoren das Festival einfach an einen anderen Ort. Ich glaube, dass es notwendig ist, Unterstützung für das karakalpakische Volk zu zeigen, indem man die Aufmerksamkeit von Medien, Tourist:innen und Einwohner:innn anderer Regionen auf sie lenkt.“

„Die Hauptaufgabe von Stihia ist es, auf das Problem des Aralsees aufmerksam zu machen. Wo ist Buchara und wo ist der Aral? Das Festival ist mit dem Schiffsfriedhof verbunden, mit dem Sand.“

Die Redaktion von Hook

Aus dem Russischen von Robin Roth

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