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Diktatoren ohne Grenzen

Zentralasien, eine autoritäre Hochburg? Die regionalen Diktaturen nutzen auch aktiv die Mechanismen der Globalisierung und stützen sich auf westliche liberale Strukturen, wie das kürzlich erschienene Buch „Dictators without borders“ zeigt. Wir haben den Co-Autor John Heathershaw per Email kontaktiert.

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Diktatoren ohne Grenzen

Zentralasien, eine autoritäre Hochburg? Die regionalen Diktaturen nutzen auch aktiv die Mechanismen der Globalisierung und stützen sich auf westliche liberale Strukturen, wie das kürzlich erschienene Buch „Dictators without borders“ zeigt. Wir haben den Co-Autor John Heathershaw per Email kontaktiert.

Zentralasien wird oft als autoritäre Region dargestellt. Doch viele der autoritären Praktiken zentralasiatischer Machthaber setzen sich über die Grenzen der Region hinaus. Sie nutzen Steuerparadise, investieren in Immobilien in Europa und nutzen internationale Rechtswege, um gegen Oppositionelle vorzugehen.

Die meisten dieser Praktiken bleiben verdeckt und es bedarf engagierter Aktivisten, um sie ans Licht zu bringen. Einen Einblick in diese unbekannten Züge der zentralasiatischen Machstrukturen und Vorschläge für eine bessere Aufdeckung ihrer internationalen Verstrickungen bieten Alexander Cooley und John Heathershaw in „Dictators without borders“ (Diktatoren ohne Grenzen).

Novastan.org: Das Buch heißt “Diktatoren ohne Grenzen“, aber was sind die “Grenzen“ oder “Einschränkungen“ einer Diktatur? Was sind die Grenzen, die ein Staatsoberhaupt in Zentralasien nicht überschreiten kann?

John Heathershaw: Eine sehr philosophische Frage! Das Buch konzentriert sich darauf, wo Territorien und politischen Einflusssphären in Zentralasien liegen. Viele denken, dass sich Diktaturen auf ein bestimmtes Areal beschränken – “stationery bandits“ also “stationäre Banditen“ wie sie der bekannte Sozialwissenschaftler Mancur Olson nannte.

Wir zeigen, wie Diktaturen Schlupflöcher im Ausland nutzen, um an globalen Prozessen teilzuhaben. Von Geldtransfers, um Steuerzahlungen auszuweichen, hin zu Geldwäsche, um internationale Geschäftsstreitigkeiten schlichten zu können. Sie haben keine Kontrolle über den Ausgang dieser Deals – das schränkt sie über ihre territorialen Grenzen hinweg ein – aber als souveräne Mächte haben sie einen komparativen Vorteil gegenüber ihren Widersachern.

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Es ist auch wichtig zu verstehen, dass das Vortäuschen von Kontrolle Seitens einer Diktatur sich genau darauf beschränkt. Eine Diktatur kann weder jeden lokalen oder globalen Freiraum schließen, noch ist es möglich eine vollkommene Gefügigkeit zu erringen. Man kann sogar beobachten, wie sich sowohl in turkmenischen Exil-Gemeinschaften als auch im Land selbst ein offensichtliches Misstrauen gegenüber der Regierung entwickelt.

Können Sie dann erklären, was globaler Autoritarismus ist?

Globaler Autoritarismus bezieht sich auf diese Finanz-, Wirtschafts-, Sozial-, Politik-, Rechts- und Sicherheitspraktiken von Diktaturen jenseits ihrer Grenzen. Das schließt die Verwendung von Offshore-Konten mit ein, die dazu dienen öffentliche Untersuchungen zu vermeiden, den persönlichen Reichtum zu vermehren, und um mit multinationalen Kooperationen Gesetze gegen Geldwäsche zu umschiffen.

Diese Praktiken sind autoritär, und solche Autokratien sind Banditen ähnliche Olson-Staaten. Soziale Praktiken umfassen mitunter globales Netzwerken mit Hilfe der angehäuften Reichtümer, den Erwerb fremder Staatsbürgerschaften sowie Wohnsitze im Ausland. Kasachen in London und Usbeken in Litauen sind zwei gute Beispiele für diese Elite, die sich im Ausland etablieren kann – auch wenn nicht alle von ihnen ihren Regierungen treu sind, wie der berühmte Fall Muchtar Abljasow zeigt.

Die Politik globalen Autoritarismus besteht auch aus Lobbyarbeit im Ausland, während die politische Herkunft durch Offshore-Konten verschleiert wird. Auch juristischen Methoden werden genutzt. Es werden strafrechtliche Verfolgungen politischer Gegner im Ausland angestrebt. Außerdem versucht man mit Schlichtungsprozessen in London, Stockholm und anderswo juristischen Schutz für das eigene Vermögen zu erkämpfen.

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Zu den Sicherheitspraktiken gehört die Inanspruchnahme der Dienste Interpols, und die umfangreiche Kooperation in Sachen internationale Sicherheit durch die Gemeinschaft Unabgängiger Staaten (GUS) und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Manche dieser Praktiken sind ohne Zweifel autoritär, andere sind nur dazu da liberale Systeme für autoritäre Machenschaften auszunützen.

Im Buch betonen Sie, dass 9/11 ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen dem Westen und Zentralasien war, und dass seitdem zentralasiatische Regierungen gänzlich in transnationale Netzwerke integriert wurden. Haben die Länder im Westen die Verstrickung der zentralasiatischen Staaten in diesem undurchsichtigen Netzwerk erst möglich gemacht?

Globalen Autoritarismus gab es auch schon vor 9/11 in Zentralasien. Wir glauben, dass 9/11 das ableben der Philosophie in den 1990er Jahren, also dass daraufhin zunehmend die Sicherheit über die Liberalisierung obsiegte.

Die US-Regierung war bereit bei transnationaler Korruption bei ihren Treibstoffversorgern ein Auge zuzudrücken, um ihre Militärbasis in Kirgistan versorgen zu können. Hilfe in Sachen Sicherheit für Usbekistan und Tadschikistan – und im Rahmen dessen eine Kooperation mit Behörden, die regelmäßig Gefangene foltern – schaffte einen Präzedenzfall gegen das Werben für Menschenrechte.

Wenn man das Buch liest hat man als Leser das Gefühl, diese “illegalen Aktivitäten“ und die “finanzielle Verschleierung“ seien letztendlich gar nicht so geheim und undurchsichtig. Ist es so leicht und unkompliziert eine Staatsbürgerschaft zu kaufen?

Es sind oft westliche Aktivisten, die mit sehr couragierten zentralasiatischen Aktivisten und Journalisten zusammenarbeiten, die diese Stories aufdecken. Also arbeitet der Westen für beides: für und gegen globalen Autoritarismus.

Besonders im Bezug auf die Staatsbürgerschaften gibt es Unterschiede. Manche Länder machen es einem besonders einfach – andere machen es schwerer. Und in Großbritannien etwa gibt es politischen Druck es noch schwerer zu machen. Generell braucht man eine Menge Geld und Kontakte zu den richtigen Anwälten und Agenturen, um eine Staatsbürgerschaft im Westen zu bekommen (ohne ein Recht darauf zu haben, wegen einem Arbeitsverhältnis, einer Ehe oder Asyl). Deshalb wird das vor allem von Leuten in Anspruch genommen, die in ihren Autokratien genug Kapital anhäufen konnten, um sich im Ausland abzusetzen.

Sie haben ihren Fokus auf die Beziehungen zwischen zentralasiatischen und westlichen Ländern gelegt, aber was ist mit Russland und China?

Tatsächlich sollte man Russland und China nicht unbeachtet lassen. Russland wird in zwei Kapiteln ziemlich ausführlich behandelt. Zum einen in unserem Kapitel über Tadschikistans Aluminiumindustrie, zum anderen im Kapitel über die Verfolgung politischer Gegner im Ausland (Viele davon sind in Russland, weil sie nicht das Geld und die nötigen Verbindungen haben, um in den Westen zu kommen). Es gibt ein halbes Kapitel über die Offshore-Bestechungen Chinas für seine Seidenstraßen Initiative.

Aber ja, wir haben uns entschieden den Focus auf den Westen zu legen. Erstens kommen so Ungereimtheiten im Westen ans Tageslicht, weil es dort mehr Transparenz und Rechenschaftspflichten gibt, wenn auch ungenügend. Zweitens bleiben London, New York, Paris, Genf, etc. die Ziele der Wahl für zentralasiatische Eliten, so wie sie es für Kleptokranten im Rest der Welt auch sind.

Usbekistan Karimova Gulnara Tashkent
Gulnara Karaimova 2009

Shanghai und Moskau scheinen da eher die zweite Wahl zu sein, zumal man dort nicht den Schutz der westlichen Justiz genießt. Da kommt unser Liberalismus zum tragen: Die Herrschaft des Gesetzes ermöglicht dir Schutz, nachdem du angekommen bist und in deiner Heimat in Ungnade gefallen bist. Maxim Bakijew konnte sich in London verteidigen. Gulnara Karimova wurde angreifbar als sie sich entschied, nach Taschkent zurückzukehren (die Tochter des ehem. usbekischen Präsidenten Islam Karimow steht aktuell in Taschkent unter Hausarrest, Anm. d. Red.).

Was sind beim globalen Netzwerken die Hauptunterschiede – wenn es denn welche gibt – zwischen zentralasiatischen Staaten?

Manche von ihnen haben sich als Knotenpunkte im globalen Finanzsystem etabliert (Kirgistan mit der Asia Universal Bank und Kasachstan mit der BTA Bank), während andere eher Auslands-Schein-Firmen (Tadschikistan und Usbekistan) oder Konten bei ausländischen Klasse-A Banken unterhalten (Turkmenistans Einsatz von Deutsche Bank Konten wurden 2006 von der Global Witness aufgedeckt).

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Das ließe den Schluss zu, dass die Länder, die wirtschaftlich und ökonomisch am meisten liberalisiert auch global am meisten Integriert sind. Aber Kasachstan ist zum Beispiel effektiver im verfolgen von Widersachern als Kirgistan.

Es scheint, dass Eliten und mächtige Familien nicht immer Immunität genießen oder vor Strafverfolgung gefeit sind – was erzählen uns die Fälle Maxim Bakijews und Gulnara Karimowas über zentralasiatische politische Systeme?

Wie vorhin erwähnt, sagt es uns, dass es bisweilen besser sein kann, Gegenstand eines westlichen juristischen Prozesses zu sein, wenn man im Fokus der Ermittler daheim ist. Ein wichtiger Unterschied ist auch, dass das Regime Maxims Vater zusammenbrach und er floh, während Gulnaras Vater vor Ort blieb und sie überrascht schien unter Hausarrest gestellt zu werden. Sie hat sich verschätzt.

Kirgistan Maxim Bakijew Geldwäsche
Maxim Bakijew

Der Punkt ist, dass Schuldgefühl unter den zentralasiatischen Eliten nicht besonders verbreitet ist und wohl des Falls eines Regimes bedarf – was auch wiederum rar ist in einer Region gefestigter Autokratien.

In Ihrem Fazit stellen Sie fest, Zitat: „Mit jedem Monat, der vergeht, wird klar, dass diese außerterritorialen Räume (außerterritorialer juristischer Raum), die Hauptschauplätze für die Auseinandersetzungen zwischen der Macht eines Regimes und der regionalen Opposition sind.“ Sollte dieser Trend nicht als ein Indiz dafür gesehen werden, dass lokale juristische Gefüge in Zentralasien nicht unabhängig sind? Oder als ein Vakuum, das unzureichend von internationalen Gerichten gefüllt wird?

Nicht ganz. Wenn man mit ausländischen Unternehmen Geschäfte machen will, bestehen sie auf internationale Schlichtungsverfahren. Zentralasiatische Regierungen nutzen immer nationale Gerichte, wenn sie es können. Tadschikistan etwa hatten es 2013 auf den Oppositionellen Zayd Saidov oder 2015 auf die Islamische Wiedergeburtspartei abgesehen.

Wenn sich allerdings die Exilanten ins Ausland absetzen, muss man sie dort verfolgen. Wenn sich ein Insider schützen will, taucht er in London oder Litauen ab. Wenn man ein Weltbürger sein will und Genügend Geld hat, ist man gut beraten ein geheimes Konto für Euros oder Dollars zu haben. Der Aufstieg dieser außer-territorialen Protesträume ist ein Produkt der Globalisierung.

Bei dieser Stimmungslage, der Verschlechterung staatlicher kleptokratischer Praktiken, erstickenden Menschenrechten und das Beschneiden politischer Freiheit – was ist die Zukunft innenpolitischer Opposition jenseits von externen Akteuren?

In vielen zentralasiatischen Ländern geht die Opposition ins Exil. Nur Kirgistan hat eine Opposition im eigenen Land. Opposition aus dem Ausland ist in der Regel sehr ineffektiv, aber der technologische Fortschritt und Migrationsströme bieten Möglichkeiten für transnationale Netzwerke Gedankengut zwischen in und aus Ausland auszutauschen.

Deshalb exportieren diese Länder ihre Repressionen, um ein Zitat aus einer Studie des Auslandspolitik-Zentrums Großbritanniens über dieses Phänomen zu bemühen. Die Kernaussage von Diktatoren ohne Grenzen ist, dass wir aufhören müssen, uns das Inland und Ausland getrennt vorzustellen, sondern dass wir die transnationalen Strömungen sehen müssen – von außen nach innen und von innen nach außen.

Das sind beständige Eigenschaften zentralasiatischen politischen Handelns und so wird es auch in absehbarer Zukunft bleiben. Deshalb wurde das zentralasiatische politische Exilanten Projekt (CAPE) in Exeter ins Leben gerufen, um diese Strömungen und Praktiken zu beobachten.

Welche Chancen haben ihrer Meinung nach die transnationalen Netzwerke und Zentral Asien in der Zukunft?

Es gibt kein absehbares Ergebnis. Globale Regulatoren müssen nicht nur gegen diie Ausbreitung globalen Autoritarismus angehen, sondern auch zwischen berechtig Asylsuchenden und solchen, die zu Hause in Machtmissbrauch und in Geldwäsche im Ausland involviert waren unterscheiden. Oft sind diese Personen ein und die selben.

Die Hauptaufgabe ist es auch Aktivismus und Transparenz auf globaler Ebene zu ermöglichen. Dafür sind Aktivisten notwendig, Daten-Erhebung und die Veröffentlichung längst fälliger sorgfältiger Studien über Auslandsinvestitionen Zentralasiens. Und es bedeutet die Ausweitung internationaler Gesetze und dem verstärkten Einsatz von Mechanismen, wie die Auslands-Korruptions-Praktiken der USA oder dem britischen Anti-Bestechungsgesetz. Wenn all dies Wirkung zeigt, werden wir mehr über die Zukunft des oft verborgenen globalen Autoritarismus wissen.

Pablo Garcia
Novastan.org

Aus dem Englischen von Julius Bauer

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