Turkmenistan, das tief in der Wirtschaftskrise steckt, könnte mit ausländischen Touristen durchaus geholfen werden. Der turkmenische Journalist Atajan Nepessow beschreibt die paradoxe Situation des Landes: Obwohl der Staat ausländische Devisen braucht und seine Wirtschaft einzig und allein auf Gas basiert, wird nichts getan, um den Tourismus zu fördern. Folgender Artikel erschien im russischen Original bei Fergananews.
Ein befreundetes Pärchen aus Belgien erzählte mir kürzlich von ihrer Reise nach Marokko, mit den passenden Fotos dazu, die sie in Beduinenkleidung auf Kamelen am Gipfel einer Düne und im Suk von Marrakesch zeigten. Erfreut teilten sie mir auch ihr nächstes Reiseziel mit: Kasachstan.
Auf meine Verwunderung hin antworteten sie, dass sie nun gerne auf eine Entdeckungsreise von Zentralasien fahren würden, es ihnen aber zu kompliziert erscheint, Turkmenistan zu besuchen.
Unzugängliche Schönheiten
Folglich habe ich von meinem Geburtsland geträumt und mir vorgestellt wie sehr die Karakum-Wüste im Frühling Europäerinnen und Europäern gefallen würde. Die Blüten des Saxaul schmücken die Wüste mit unglaublichen Farben, in Marokko gibt es das nicht zu sehen. Ebenso habe ich daran gedacht, wie entzückt sie wohl beim Anblick der purpurnen Hügel von Kopet-Dag wären, oder wenn sie den Berg Aybovur, den unterirdischen See Kow-Alta oder den Gaskrater, das „Tor zur Hölle“ von Darwaza aus der Nähe sehen würden.
Doch im nächsten Augenblick stellte ich mir schon vor, wie schwierig und kostspielig eine Reise nach Turkmenistan wäre: Dokumente sammeln, das teure Touristenvisum beantragen, auf die Genehmigung Warten… Nicht zu sprechen vom Schock der derzeitigen drakonischen Regeln des Fremdenverkehrs für Menschen, die totale Bewegungsfreiheit gewohnt sind. Europäerinnen und Europäer sind es gewohnt, dass sich eine Reise nach Prag spontan um einen Besuch in Wien oder Dresden erweitern kann, wie man auch in Italien Florenz, Lucca und Siena einfach so aneinanderreihen kann.
In Turkmenistan läuft das anders. Die Strecken sind genau im Voraus geplant und können nicht verändert werden. Es besteht ein Verbot sich von der Gruppe und der zuvor festgelegten Wegstrecke zu entfernen. Es ist untersagt Menschen und Gebäude zu fotografieren, dafür könnte man der Spionage bezichtigt werden. Also stimmte ich zu, dass es sich wohl mehr auszahlen würde Kasachstan oder Usbekistan zu besuchen.
Bewundernswerte Orte gibt es, Touristen leider nicht
Kurze Zeit nach diesem Skype-Gespräch, genau gesagt am 3. März, äußerte der Präsident Gurbanguly Berdimuchammedow bei einer Regierungssitzung seine Unzufriedenheit mit dem staatlichen Tourismuskomitee. Turkmenistan birgt historische und kulturelle Touristenattraktionen, die ganz sicher Touristen anlocken könnten, und trotzdem liegt die Entwicklung in diesem Sektor quasi bei Null. Das waren seine Worte, während er den verantwortlichen Vizepräsidenten Annageldy Garadschajew damit beauftragte diese Frage zu bearbeiten und Vorschläge zu formulieren.
Die Kritik des Präsidenten lässt Hoffnungen aufblühen: Es ist wirklich an der Zeit den Tourismus in Turkmenistan zu fördern, allein schon um eine Lösung für die schwindenden Geldreserven zu finden. Denn Touristen wie meine belgischen Bekannten würden nicht nur Kameras und Fotoapparate mit sich bringen, sondern auch kostbare ausländische Devisen.
Dennoch sind trotz der Kritik des Präsidenten kaum realen Veränderungen zu erwarten. Das totalitäre System des Landes bremst jegliche Entwicklung des Massentourismus und niemand scheint bereit die Grenzen zu öffnen.
Keine Infrastruktur
Turkmenistan lag einst an der berühmten Seidenstraße. Es ist auch eine der fünf Etappen der touristischen Rundfahrt durch die fünf zentralasiatischen Staaten. Die meisten internationalen Autobusse halten vor den Überresten von Dachoguz, Kounyargentsch, Mary und Aschgabat, der turkmenischen Hauptstadt. Aber die Izmukschir-Festung, die etwa dreißig Kilometer von Dachoguz entfernt liegt, ist im Programm nicht angeführt. Es führen keine befahrbaren Straßen dorthin.
In den Ländern, die ich bereist habe, habe ich oftmals festgestellt, dass sich auch ein wenig anziehender Ort zu einem touristischen Ziel entwickeln kann. Einfache Naturoasen können von den Regionen genutzt werden. In Turkmenistan verfügen wir über eine einzigartige Flora, einmalige Sehenswürdigkeiten als Erbe unserer Geschichte. Sie stehen aber nur ungenutzt vor sich hin.
Der See Sarkamysh, die Ufer des kaspischen Meeres, die Thermen von Bayramaly, die berühmt sind für ihre wohltuende Wirkung für die Gelenke, all diese Sehenswürdigkeiten haben das Potenzial Neugierige anzulocken. Allerdings mangelt es noch an passenden Straßen und Infrastruktur.
Auch die Küche ist eine Entdeckung wert
Turkmenistan birgt Täler, die einer Mondlandschaft gleichen, viele attraktive Sehenswürdigkeiten für Touristen, wie die Zone von Awaza, die am Ufer des kaspischen Meeres gelegen ist, und für die Berdimuchammedov Milliarden ausgegeben hat. Man kann dort wie in Ägypten auf Kamelen, oder gar auf Achal-Tekkinern herumgeführt werden. Aber die Tiere sind oft nicht ausreichend dressiert.
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Der neue, einem Vogel nachempfundene Flughafen von Aschgabat kann viele Touristen empfangen, ebenso wie die vielen Sterne-Hotels in der Hauptstadt. Vielleicht zu viele, in Anbetracht ihrer extravaganten Größe.
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Die turkmenische Küche ist sehr vielseitig und kann die Touristen aus der ganzen Welt überzeugen. Sie bietet verzaubernde traditionelle Spezialitäten wie dem Chorek (frisches Brot, das in einem traditionellen Holzofen, einem Tandyr, gebacken wurde), der Dograma (eine Suppe aus Hammelfleisch mit Brot), den Börek (saftige Blätterteigtaschen). Das Land ist ebenso stolz auf seine Melonen, die ganz besonders süß schmecken.
Eine Öffnung könnte das Handwerk fördern
Ich erinnere mich wieder an die Reiseerzählungen meiner belgischen Freunde, an ihre Begeisterung in Anbetracht der Suks, dem Feilschen, der Gastfreundschaft der lokalen Bevölkerung, die ihre Preise zum Willkommen senken. Die Händler in Turkmenistan wären genauso zu einem solchen Handel fähig, und wie!
Wir haben auch genügend Souvenirs zu verkaufen. Selbst ein besonders sparsamer Mensch würde vor einem handgewebten turkmenischen Teppich Halt machen. Natürlich gibt es auch weniger kostspielige Angebote, wie kleinere Teppiche, Handtaschen, Geldtaschen, Handyschoner, alle natürlich handwerklich gefertigt. Gibt es etwas „zentralasiatischeres“ als ein Mauspad mit original turkmenischen Mustern?
Jeans oder T-Shirts aus reiner Baumwolle, Produkte aus Schafswolle, die bekannten Marken in Qualität und Preis um nichts nachstehen, werden in den Geschäften der Hauptstadt verkauft. Turkmenische Cognacs oder Weine haben ebenfalls einige Auszeichnungen erhalten.
Der Tourismus würde vor allem auch der Bevölkerung Arbeitsplätze verschaffen. Nehmen wir die tollen gestrickten Socken, die Dschoraby, als Beispiel. Die turkmenischen Frauen können unterschiedlichste Modelle davon anfertigen. Die Männer könnten sich ein kleines Einkommen erarbeiten, indem sie die nationalen Kopfbedeckungen, die Telpek, eine warme Kappe aus Schaffell, oder Halsketten, Armbänder, Silberblättchen und anderen typisch turkmenischen Schmuck verkaufen.
Im Durchschnitt geben Touristen 40 US-Dollar aus
Das touristische Potenzial Turkmenistans ist also enorm, aber ganz und gar nicht ausgelastet. Die nationalen Medien verlautbaren, dass der Gesamtgewinn der Aktivitäten in Verbindung mit dem staatlichen Tourismusausschuss im Januar und Februar 2017 4.8 Millionen Manat betrug (1,37 Millionen US-Dollar nach offiziellem Kurs). In dem Zeitraum wurden 17 000 Touristen gezählt, die meisten davon aber selbst Turkmenen, nicht ausländische Reisende. Die Zahlen sind auch so nichtssagend, selbst in der Regierung wird ihnen kaum Glauben geschenkt. Die Beamten wissen, dass sie nur allzu leicht verschönert, aufgebauscht, aufgebessert oder sogar verwendet werden können, um etwas anderes zu verstecken.
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Heutzutage gibt es zwei Dollarkurse für den Manat, die turkmenische Währung: den offiziellen und den Schwarzmarkkurs. Der Unterschied ist deutlich: In einer Bank erhält man für einen US-Dollar 3,5 Manat, auf der Straße 7,2 Manat. Die meisten Geldwechselgeschäfte finden also nicht in den Banken statt, sondern auf der Straße. Das führt dazu, dass das Tourismuskomitee in zwei Monaten 685 000 US-Dollar dazuverdient hat, also nur circa 40 US-Dollar pro Tourist. Das ist nicht viel, betrachtet man das große Potenzial und die Möglichkeiten in Turkmenistan.
Georgien als ortsnahes Beispiel für Erfolg im Tourismus
„Hättest du gedacht, dass Georgien in einem Monat mehr als 850 000 ausländische Touristen empfangen hat?“, sagte mein belgischer Freund erstaunt, während er die Zeitung las. „Überlege einmal, wie viel Geld die ausgegeben haben, Millionen!“
Was die touristischen Möglichkeiten angeht, könnte Turkmenistan einem Vergleich mit dem kleinen Georgien auf alle Fälle standhalten. Das zeigt auch, dass die Entwicklung des Tourismussektors die Staatskassen gut füllen könnte. Nicht nur das: Sie könnte auch andere Sektoren wie die Teppichproduktion, die Textilindustrie oder die Nahrungsmittelindustrie, sowie die Landwirtschaft, den Dienstleistungssektor, das Unternehmertum und das Handwerk fördern.
Die Regierung blockiert mögliche Verbesserungen
Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass der Tourismus Turkmenistan aus der wirtschaftlichen Krise verhelfen könnte. Allerdings bräuchte es eine mutige Staatsspitze, die richtungsändernde Entscheidungen fällt. Vor allem Präsident Berdimuchammedow ist hierbei gefragt, denn er ist der Gott, der Kaiser, der Held und autoritäre „Vater“ aller Turkmenen. Es kann nur das bewerkstelligt werden, was er entscheidet. Oder, wie es die Turkmenen formulieren: Wenn er Wohlwollen walten lässt, gibt es Sommer, wenn nicht, setzt sich der Winter fort.
Berdimuchammedow erwartet viele Einnahmen vom Tourismussektor. Doch außer Konten mag Geld auch Bewegungsfreiheit. Deshalb muss der Präsident Turkmenistan zu einem freien Land für Touristen machen und den Tourismus von seinen Fesseln befreien.
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Zur Zeit wird noch jede einzelne Abteilung, also der Staatsausschuss für Tourismus genauso wie das Außen-, das Innenministerium und die für die Staatssicherheit und die Immigration zuständige Behörde von einem „großen Bruder“ überwacht, der genau nach den Instruktionen von ganz oben vorschreibt, was zu tun ist. Jener entscheidet auch über die Menschen, die das Land bereisen dürfen. Die Ablehnungen werden auf hinterhältige Weise mit bürokratischem Geschick vollzogen, indem die Prüfungsdauer eines Antrags bis ins Unendliche verschoben wird. Alle Verbote und Beschränkungen zielen darauf hin, dass Touristen keine Visa erhalten.
Es ist Zeit für andere Maßnahmen
Ausgehend von diesen Tatsachen, habe ich eine Liste von Maßnahmen erstellt, die der Vize-Präsident Garadschajew vorlegen könnte, um die Lage zu verbessern. An erster Stelle steht eine Politik der Grenzöffnung und damit einhergehend ein Meinungswandel gegenüber Fremden, denn nicht jeder Reisende ist ein Spion, ein Eindringling, der nur schlechte Nachrichten verbreiten möchte.
Ebenso müssen die Visaverfahren für ausländische Touristen vereinfacht oder gar beseitigt werden, wie dies beispielsweise in Georgien gemacht wurde (und auch teilweise in Usbekistan).
Turkmenistan sollte dem guten Beispiel von Staaten wie der Türkei oder Ägypten folgen, und die Aufenthaltsbedingungen für ausländische Reisende lockern. Vor allem sollten nicht alle Touristen von Mitgliedern des Staatssicherheitsapparates verfolgt werden.
Umwandlung von Verwaltungsapparat und Tourismussektor
Auf der Verwaltungsebene müsste das Sekretariat für Immigration aufgelöst werden und seine Kompetenzen der Polizei übergeben werden. Dies würde einerseits Geld sparen und andererseits die größten Hindernisse der Tourismus-Entwicklung in Turkmenistan beseitigen.
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Die Anstellungs- und Ausbildungsmethoden von Tourismusfachkräften müssen verändert werden, damit sie das Publikum in mehreren Sprachen auf die bis dahin verborgenen Schätze aufmerksam machen können.
Auch wenn dies idealistisch klingen mag, müssen wir den Tourismus von Korruption, Vetternwirtschaft und zweifelhaften Fachleuten befreien. Und zu guter Letzt sollen die Grenzen Turkmenistans nicht nur für ausländische Touristen offen stehen. Auch die turkmenischen Bürger und Bürgerinnen sollen die Freiheit genießen, das Land zu verlassen und wiederzukommen, wann es ihnen beliebt.
Eine Öffnung ohne Gehör
Diese Öffnung ist natürlich riskant und kann zur Auswanderungvon Tausenden arbeitsloser Turkmeninnen und Turkmenen nach Russland führen, wie dies bereits in Richtung Türkei der Fall ist (für die Einreise in die Türkei brauchen turkmenische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger kein Visum, Anm. d. Ü.) Nichtsdestotrotz werden diese Arbeitskräfte früher oder später mit den Taschen voller Geld wieder nach Turkmenistan zurückkehren.
Natürlich bin ich nicht überzeugt, dass diese Vorschläge wirklich vom Vizepräsidenten Garadschajew erhört werden. Vor allem, weil die Internetseite Fergananews, wie viele andere Medien von Turkmenistan blockiert werden. Die Staatsorgane, die für die Kontrolle des Internets zuständig sind, werden alles in ihrer Macht stehende tun, damit diese Veröffentlichung keinen Anklang findet. Wie es in dem Lied aus dem berühmten sowjetischen Film „Habe keine Angst, ich bin bei dir“ heißt: „Möge alles neu werden, so verbleibend, wie zuvor.“
Für den Tourismussektor wie für das Land wäre es wünschenswert, dass nicht alles wie zuvor bleibt.
Atajan Nepessow
Fergananews
Aus dem Französischen von Andrea Baldauf
Jana, 2020-12-6
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht über Turkmenistan! Ist der Transit durch das Land überhaupt möglich mit einem Auto, dass nicht weiß ist? Ich würde sehr gerne das Land wenigstens durchfahren, finde aber wenig Informationen hierzu. LG Jana
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Florian Coppenrath, 2020-12-7
Vielen Dank! Ja die Farbe des Autos sollte keine Rolle spielen, sofern Sie ein Transitvisum bekommen.
Schöne Grüße,
Florian
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Bosoky, 2021-01-19
Hallo, danke für den tollen Artikel! Wir, mein Lebensgefährte und mein Vater, waren 2017 im Frühjahr zum persischen Frühjahrsfest, in Turkmenistan und haben 10 Tage lang mit einem Guide das Land bereist. Wir haben die hier geschilderte Überwachung nur zum Teil gespürt, das Visum war kein Problem, allerdings hat das der Reiseveranstalter in der Schweiz/in Armenien besorgt und wir mussten viele Fragen beantworten. Wir sind auch „querfeldein“ auf nicht befestigten Straßen gefahren und ich sehe gerade hier durchaus Potential für einen sanfteren Tourismus, der die tollen Kultur- und Naturschönheiten schätzt und erhalten will. Empfehlenswert ist auch in jedem Fall der Besuch der Basare…
Zur Frage des Transits war es 2017 so, dass gemunkelt wurde, dass man nur ein Drei-Tages-Visum für das Durchfahren erhält, alles andere sei sehr schwierig. Ich kann das aber nicht beurteilen… Danke jedenfalls für die Informationen! Liebe Grüße und alles Gute, Isabella
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