Bericht eines Rekruten über seine Erfahrung in der kasachischen Armee – Von 2020 bis 2023 starben in der kasachischen Armee 270 Personen, 40 davon begangen Suizid. Diesen Oktober gab der Verteidigungsminister bekannt, dass die Suizide im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen sind, genaugenommen um einen Fall.
In diesem Jahr erhielten einige Fälle besondere Resonanz: Erbaian Muhtar kam, womöglich infolge einer Tracht Prügel, aus dem Koma frei, Marat Barkulov starb durch den Schuss eines Offiziers und in Almaty begingen sowohl ein Zeitsoldat als auch ein Mitarbeiter des Geheimdienstes Suizid.
Wir sprachen mit einem Rekruten, der seinen Pflichtdienst in der kasachischen Armee geleistet hat. Er berichtet von den Schlägen seiner Vorgesetzten, lebenslangen Traumata und der Inkompetenz der Militärpolizei.
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Wie alles begann
Ich diente im Süden. Bei meiner Musterung war allen sonnenklar, dass ich nicht wollte. Sie drohten, mich nach Otar zu versetzen: „Sei lieber froh, dass wir dich nicht dorthin versetzen. In Otar gibt es keine Regeln und auch keine Videokameras.“ Über die harten Bedingungen dort kursieren allerlei Gerüchte. Ich setzte mich also mit 45 anderen Rekruten in den Zug und fuhr zu meinem Einsatzort in der kasachischen Einöde.
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Der erste Monat erwies sich als außerordentlich ruhig. Das Essen war in Ordnung, wir durften rauchen, lernten zu nähen und die Kleidung korrekt anzuziehen und mussten uns noch nicht aufs Übelste beleidigen lassen. Alles änderte sich, nachdem wir unseren Soldateneid geschworen hatten. Danach wurde auch dem letzten klar, dass die ersten Wochen Eingewöhnung nichts als ein dummer Bluff gewesen waren.
Erwartung trifft auf Realität
Dann ging die ganze Sch**ße los. Die Kommandeure, Unterfeldwebel und Offiziere beleidigten uns ohne Pause, schrien uns an und trichterten uns ein, dass wir ein Niemand seien. Das Essen war unterirdisch, die Küche war auf Sparkurs. Seife und Rasierer gab es entweder gar nicht oder nur Billigprodukte. Die Einsatzstiefel fielen schon auseinander, die guten behielten die Hauptfeldwebel für sich.
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Wenn die Militärpolizei zur Kontrolle vorbeikam und Feedback bei uns einholte, hielten wir dicht. Die Unterfeldwebel hatten klar gemacht, was uns sonst blühen würde. Als sich doch mal einer beim schriftlichen Feedback über das Essen beschwert hatte, versuchten die Offiziere, den Schuldigen anhand der Handschrift zu ermitteln. Zur Strafe bekam dieser dann einen ordentlichen Anpfiff. Das Essen war danach für etwa zwei Wochen besser, doch dann bekamen wir wieder angeschimmeltes Brot und wässrigen Kascha. Es war klar, dass wir uns damit abgeben mussten.
Schlagen…
Alle vierzehn Tage kontrollierte uns die Militärpolizei auf blaue Flecken von Kopf bis Fuß. Würde herauskommen, dass bei uns Leute verprügelt werden, würden die obersten Befehlshaber sofort rausfliegen. Um das zu verhindern, hatten sie eine bestimmte Schlagtechnik entwickelt: Sie wickelten uns ein Tuch um eine Hand, die wir dann vor unseren Kopf halten mussten, bevor sie drauf los droschen und uns dabei brutal beleidigten. Auf diese Weise verteilte sich der Stoß auf das ganze Gesicht, innendrin entsteht ein gewaltiger Schaden, von außen fehlt jede Spur. Es dauert etwa zwei Wochen, bis es im Mund aufhört zu bluten.
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Schläge kassierten wir alle und aus allen möglichen Gründen: der eine war zu langsam, der andere zu leise gewesen, der nächste hatte eine Anweisung nicht korrekt ausgeführt. Kollektivstrafen waren die Regel. So fand die ganze Kompanie einen Sündenbock, auf den sie dann eintraten. Ich bin kein Heiliger, ich habe auch zugetreten, ich wollte nicht nur selbst kassieren.
Wer einen Verwandten hatte, der ein hohes Tier war, entkam den Schlägen. Und obendrauf durfte er sich eine Menge Extrawürste erlauben: ob rauchen, ungefragt auf Toilette gehen oder einen Ausflug in die Stadt machen. Wir kochten vor Wut wegen dieser ungleichen Behandlung.
…und geschlagen werden
Einmal war ich selbst das Opfer. Es war bei einer sehr anstrengenden Stellungsübung auf dem Schießplatz. Ich war müde und außer Atem und darum etwas langsamer bei der Sache. Der Kommandeur schnauzte mich ein erstes Mal an, ich solle einen Zahn zulegen, als wäre ich ein Rindvieh auf der Weide. Als ich bei einem Kommando, bei dem wir auf dem Boden kriechen sollten, erneut zu langsam war, stellte mich der Kommandeur schließlich vor den anderen bloß.
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Er kam zu mir, brüllte mir das Kommando ins Gesicht und als ich mich vor Schwachheit nicht regte, verpasste er mir mit seinen Kampfstiefeln einen Tritt in die Nieren. Vor meinen Augen flog mein ganzes Leben vorbei. Dann folgte ein weiterer Tritt in die Nieren. Ich hob den Kopf, um aufzustehen, doch auch auf den trat er ein, immer und immer wieder. „Kriegst du es heute noch irgendwann mal geschi**en?“ Ich hätte ihn in diesem Moment am liebsten aufgeschlitzt. Die Soldaten schauten dabei zu, wie der Kommandeur meinem Kopf, der auf dem steinigen, schmutzigen Boden lag, einen Tritt nach dem anderen verpasste. Irgendwann traf sein Stiefel mein linkes Ohr. Mein Trommelfell muss dabei geplatzt sein, denn das Blut lief danach nur so aus meinem Ohr heraus. Dann, endlich, lies der Kommandeur von mir ab und beendete die Übung.
Nur nicht auffliegen
Etwa zwei Wochen voller Schmerzen vergingen, bevor die Sanitäter sich um mich kümmerten. Meine Nieren hatte es hart erwischt, sie hatten sich unter den Schlägen verschoben und vermischt. Passiert das, bilden sich dunkle Flecken unter den Augen. Ich sah aus wie ein Panda. Richtig geheilt haben mich die Sanitäter nicht.
Als die Militärpolizei die Flecken bemerkte und mich in einem separaten Raum auszufragen versuchte, sagte ich nur, es sei alles in Ordnung, mehr nicht. Sie durften nichts wissen. Nicht nur hatte der Kommandeur mir noch mehr Prügel gedroht, ich würde obendrein auch noch auf ewig das offizielle Kameradenschwein sein.
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Am Tag darauf brachte die Militärpolizei mich ins Krankenhaus. Sie hatten keine Zweifel, dass ich zusammengeschlagen worden war und wollten es allen beweisen. „Die haben dich auf jeden Fall verprügelt, ich seh‘ doch die Spuren von den Stiefeln auf deinem Rücken.“ Doch ich stritt konsequent alles ab.
Als sie mich zum Unfallarzt brachten, der mich einer Ultraschalluntersuchung unterzog, flehte ich diesen mit den Augen an. Er verstand und verwehrte den Militärpolizisten die klare Diagnose, auf die sie gehofft hatten. „Verf**ckte Sch**ße, da hättest du einmal was Gutes tun können, aber du kriegst ja den Mund nicht auf“, warf einer von ihnen mir danach vor. Dann brachten sie mich wieder zu den Sanitätern, wo ich eine Woche das Bett hütete, bevor es zurück in meine Einheit ging, als wäre nichts gewesen.
Die ungeschriebenen Regeln
In der Armee ordnest du dich allen unter, ob Unterfeldwebel, Offizier oder sonst einer Einheit. Sie kommandieren dich herum, erniedrigen und schlagen dich. Meistens kamen die Schläge sogar von den Leitern des eigenen Kommandos. Traf es Soldaten aus anderen Einheiten, machte sich sonst gleich Eifersucht breit, nach dem Motto „Was schlägst du meine Soldaten? Dann zeig ich’s deinen gleich auch mal!“
In der dritten Einheit gab es einen Unterfeldwebel, dessen Schläge alle fürchteten. Einmal verpasste er mir während einer Übung zwei Ohrfeigen, ohne Grund, einfach aus Jux. Mein Kommandant fragte daraufhin nur: „Du schlägst jetzt also neuerdings meine Männer, ja? Das ist meine Aufgabe, verstanden?“ Und schon schlug er auf mich ein. „Sch**ßkerle, ihr habt sie doch nicht mehr alle“, dachte ich nur.
Verteidigung war keine Option. Das machte die Schläger nur noch aggressiver. Das ging mal so weit, dass ein Soldat, der sich mit den Händen zu schützen versuchte, nicht mehr nur von einem Unterfeldwebel, sondern gleich mehreren verkloppt wurde.
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Das passierte auch mir einmal: Ich hielt es nicht mehr aus, wehrte mich gegen meinen Unterfeldwebel. Zur Strafe musste ich nicht nur einen Monat lang abends länger bleiben, sondern auch zusehen, wie diese Hundesöhne einen guten Kollegen von mir verprügelten. Da brannte mir die Sicherung durch, ich schritt ein und verpasste meinem Unterfeldwebel einen Kinnhaken. Als der sich von seinem Schock erholt hatte, folgte die Rechnung dafür. Er hetzte die anderen auf mich und diese Ars**löcher vermöbelten mich als gäbe es kein Morgen.
Gezeichnet fürs Leben
Meine Nieren machen mir bis heute Probleme und auf meinem linken Ohr höre ich nach wie vor schlecht. Hin und wieder fängt es wieder an zu bluten. Für die vielen Untersuchungen danach musste ich einiges blechen. Als ich die Röntgenbilder meiner Nieren sah, war ich völlig fassungslos. „Halb so wild“, sagte der Arzt, „da hat es andere bei der Armee schon schlimmer erwischt.“
Zwei Tage ohne Schlaf
Alle zwei Wochen übten wir an einem nicht überwachten Ort auf dem Schießgelände. Wir wiederholten dort Formationen, lernten unsere Waffen zu bedienen und verschiedene Dinge auf- und abzubauen. Es kam einmal vor, dass wir die Aufgaben deutlich schneller als vorgesehen erfüllt hatten. So schnell, dass tatsächlich ein paar freie Tage vor uns lagen. Wir erholten uns, gingen in die Stadt und drehten uns eine Kippe nach der anderen.
An einem Abend, als viele schon im Bett lagen, ließ sich einer von uns beim Rauchen erwischen. Die Konsequenz: „Ihr habt also nichts mehr zu tun? Dann raus mit euch! Die Nacht verbringt ihr stehend!“
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Doch wir standen nicht nur diese eine Nacht, sondern auch den Tag, die darauffolgende Nacht und den nächsten Tag. Ich drehte durch vor Schmerzen und Müdigkeit. Nicht mal auf Toilette ließen sie uns gehen. Nur zum Mittagessen durften wir gehen. Ich war kurz davor, den Verstand zu verlieren.
Suizidversuche sind nutzlos
Wir hatten einen Kerl in unseren Reihen, der ständig Streit suchte und seine Klappe nicht halten konnte. Einmal verprügelte er einen anderen Soldaten, der auf seine Provokation eingegangen war, bis seine Augen blau anschwollen. Unsere Kommandeure waren außer sich, weil bald die nächste Kontrolle der Militärpolizei anstand.
Doch als diese wenige Tage später eintraf, fanden sie anstelle des Soldaten mit den Schlagspuren im Gesicht nur einen Zeitsoldaten vor, der kurzerhand den Namen seines Vorgängers übernommen hatte. So einfach hatten es sich unsere Vorgesetzten gemacht: Den Verwundeten hatten sie verräumt und keiner wusste wohin. Als er einen Monat später zurückkam, erzählte er, dass sie ihn im Offizierszimmer eingesperrt hatten. Dort brüllten sie ihn täglich an, was für ein mieses Stück Sch**ße er sei und zwangen ihn, auf Kommando in die Hocke zu gehen und in die Luft zu springen. Ich bin immer noch erstaunt, dass der sich nicht erhängt hat.
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Einmal fiel mir ein Typ auf, der ständig drei Leibwächter um sich hatte. Sie folgten ihm an den Essenstisch und auf Toilette. Als ich einen Unterfeldwebel fragte, was mit dem los sei, sagte der „Das ist ein Suizidnik. Sie bringen ihn in die psychiatrische Klinik und hoffen auf eine Diagnose, die beweist, dass er nicht ganz bei Verstand ist.“ So ging man hier mit allen Suizidversuchen um. Sie suchten die Lösung lieber in irgendeiner Diagnose, statt die offensichtlichen Probleme innerhalb der Armee zu erkennen.
Wir redeten nicht über diese Ereignisse. Wir waren wie im Stall zusammengepferchte Säue. Die Meinung eines einzelnen Soldaten sei wertlos. „Hoffentlich ist das alles hier bald vorbei!“, war alles, woran ich dachte.
Aleksandra Akanaeva für The Village
Arthur Siavash Klischat, Übersetzer für Novastan
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