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Kleidung unter Kontrolle: tadschikische Frauen zwischen Tradition und Unterdrückung

In Tadschikistan ist es verboten, „der tadschikischen Kultur fremde“ Kleidung zu tragen. Nach Angaben der Behörden gehört zu dieser Kategorie vor allem islamische Kleidung. Diese soll von nun an als Vorzeichen religiöser Radikalisierung gelten.

In Tadschikistan werden Frauen dazu gedrängt, die Nationaltracht zu tragen (Illustration). Foto: Hannah McMillen / Novastan.

In Tadschikistan ist es verboten, „der tadschikischen Kultur fremde“ Kleidung zu tragen. Nach Angaben der Behörden gehört zu dieser Kategorie vor allem islamische Kleidung. Diese soll von nun an als Vorzeichen religiöser Radikalisierung gelten.

Im Juni verschärfte Tadschikistan seine Kontrolle über die weibliche Kleiderordnung und begründete dies mit der Bewahrung von Traditionen und der Verhinderung religiöser Radikalisierung, berichtet Radio Azattyq, der kasachische Zweig des US-amerikanischen Medienunternehmens Radio Free Europe. Unter dem Deckmantel eines uneindeutigen Gesetzes über Kleidung, die „gegen die nationale Kultur“ verstößt, schränken die tadschikischen Behörden das Tragen islamischer Kleidung ein. Diese sei unvereinbar mit den kulturellen und traditionellen Merkmalen des Landes.

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Während diese Maßnahmen in der Bevölkerung, insbesondere unter muslimischen Frauen, auf Unverständnis und Widerstand stoßen, werfen sie auch tiefgreifende Fragen zur individuellen Freiheit und zur Rolle des Staates bei der Regulierung kultureller und religiöser Praktiken auf.

Eine staatliche Verordnung

Im vergangenen Juni unterzeichnete der Präsident Tadschikistans, Emomalij Rahmon, ein Gesetz „über die Regulierung von Festen und Ritualen“. Dieses verbietet unter anderem die „Einfuhr, den Verkauf und das Tragen von der nationalen Kultur fremden Kleidungsstücken an öffentlichen Orten“.

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„Der nationalen Kultur fremd definiert das Gesetz nicht weiter. Allerdings dürfte es sich dabei vorrangig um sogenannte islamische Kleidung handeln. Solchen hatten die tadschikischen Behörden den Kampf angesagt.

Im vergangenen August behauptete Sulajmon Dawlazoda, Vorsitzender der Kommission für religiöse Angelegenheiten in Tadschikistan, auf einer Pressekonferenz, dass es keine landesweiten Beschränkungen für das Tragen von Bärten oder Hidschabs gebe, wie Radio Ozodi, der tadschikische Zweig von Radio Free Europe, berichtet. Seiner Meinung nach habe jede Organisation eigene interne Regeln, deren Verantwortung sich die Regierung entzieht.

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In einer Fatwa (Anm. d. Red.: Rechtsauskunft im Islam) vom 26. Juli heißt es, dass die Farbe Schwarz sowie „enge und durchsichtige“ Kleidung nicht mit den „nationalen und geografischen Merkmalen vereinbar seien, so Radio Free Europe. Im Gegenzug empfiehlt die Fatwa das Tragen der nationalen Tracht, d. h. eines Kleides, einer Hose und eines Kopftuchs. Diese Kleidung entspräche der islamischen Praxis, da sie den gesamten weiblichen Körper mit Ausnahme des Gesichts, der Beine und der Arme bedeckt.

Nicht die erste Form von Repression

Schon seit einigen Jahren führt die Polizei Razzien gegen Frauen, die religiöse Kleidung tragen und gegen Männer mit Bart. Letztere zwingen sie, ihren Bart abzurasieren, berichtet Current Time.

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Im Mai dieses Jahres kursierten allerdings Videos in den sozialen Netzwerken, die Frauen mit Hijabs zeigten, denen der Zugang zu medizinischen Zentren in Duschanbe verwehrt wurde. Zudem drohten ihnen die Behörden mit Geldstrafen für das Tragen „inakzeptabler“ Kopfbedeckungen.

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Die Polizei zwang die betroffenen Frauen, anstelle des Hijabs, der als unerwünschter Import aus arabischen Ländern angesehen wird, ein Kopftuch nach tadschikischer Art zu tragen, d. h. ein im Nacken gebundenes Kopftuch.

Unzufriedenheit macht sich breit

In der tadschikischen Öffentlichkeit sorgen die Beschränkungen für Unzufriedenheit, allen voran das Hijab-Verbot. Die Tadschiken haben kein Verständnis für die Härte der Maßnahmen und doch sind sie nicht überrascht.

Wie gewöhnlich ein solches Vorgehen des Staates ist, veranschaulicht das Beispiel von Munisa, Krankenschwester in einem staatlichen Krankenhaus im Norden des Landes. Sie erinnert an ein nicht unähnliches Gesetz aus dem Jahr 2017: Damals verbot die Regierung das Tragen schwarzer Kleidung. Da Schwarz im Islam die Rolle als Farbe der Trauer innehat, sollte die Farbe Blau diese nun ersetzen. Als Begründung hielt das Argument der besseren Vereinbarkeit mit der nationalen Kultur her.

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Vor dem Hintergrund der Kleidungsvorschriften tritt ein bedeutender Konflikt hervor: der zwischen der religiösen Praxis der Bevölkerung und den neuen nationalen Traditionen, denen die Machthaber einen neuen Anstrich geben.

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Anhand der Kleidungsreform scheint der tadschikische Staat Frauen auf ihre symbolische Rolle der nationalen Kultur zu reduzieren und ihre religiösen Überzeugungen gleichzeitig in den Hintergrund zu drängen. Diese Form der Unterdrückung wirft die Frage auf, welchen Stellenwert die individuellen Freiheiten in Gesellschaften wie der tadschikischen haben, die sich den Herausforderungen der Moderne, der Erneuerung des Islam und der kulturellen Vielfalt stellen.

Estelle Charlet, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Arthur Siavash Klischat

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