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Kirgistan: Auf dem Weg zur Rehabilitation der Ex-Präsidenten?

ENTSCHLÜSSELUNG. Kirgistans Ex-Präsidenten Askar Akajew und Kurmanbek Bakijew mussten, nachdem sie im Rahmen von Revolutionen gestürzt wurden, das Land verlassen. Beobachter:innen des politischen Lebens erwarten aber eine Rehabilitierung der beiden. Doch während der amtierende Präsident Sadyr Dschaparow die Einheit des kirgisischen Volkes propagiert, ist dieses in der Angelegenheit äußerst gespalten. Eine Analyse der Situation.

Askar Akajew (links) und Kurmanbek Bakijew (rechts) könnten rehabilitiert werden (Photos: Wikimedia Commons)

ENTSCHLÜSSELUNG. Kirgistans Ex-Präsidenten Askar Akajew und Kurmanbek Bakijew mussten, nachdem sie im Rahmen von Revolutionen gestürzt wurden, das Land verlassen. Beobachter:innen des politischen Lebens erwarten aber eine Rehabilitierung der beiden. Doch während der amtierende Präsident Sadyr Dschaparow die Einheit des kirgisischen Volkes propagiert, ist dieses in der Angelegenheit äußerst gespalten. Eine Analyse der Situation.

„Rehabilitierung der Familie Bakijew“ – So lautet der Vorwurf an die Regierung, der am 23. Mai während einer Kundgebung in Bischkek vorgebracht wurde. Dies berichtet Radio Azattyk, der kirgisische Dienst von Radio Free Europe. Vor dem Denkmal zur Erinnerung an die Aksy-Ereignisse von 2002 und die Revolution von 2010, die zum Sturz Kurmanbek Bakijews führte, demonstrierten eine Handvoll Menschen gegen die Rückkehr des Ex-Präsidenten nach Kirgistan.

Die Wut der Demonstrierenden wurde durch mehrere Ereignisse der letzten Tage geschürt. So wurden ein Interview mit Kurmanbek Bakijew vom 15. Mai und ein weiteres vom 18. Mai, dieses Mal mit Askar Akajew, dem ersten Präsidenten des unabhängigen Kirgistans, veröffentlicht.

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Die von Kurultai-Präsident Kadyr Kochalijew, Aksakals und Mitarbeiter:innen des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders inszenierten Interviews sorgten in Kirgistan für Kontroversen. Der Platz beider Ex-Präsidenten ist umstritten. Bakijew ist seit der Revolution 2010 in Belarus im Exil. In Kirgistan wurde er in Abwesenheit zu einer 30-jährigen Haftstrafe verurteilt. Akajew, dem früher Korruption im Fall der Kumtör-Goldmine vorgeworfen wurde, lebt seit der Tulpenrevolution 2005 im russischen Exil.

Wenige Tage später, am 22. Mai, berichtete das kirgisische Nachrichtenportal Kaktus über Proteste von Studierenden, nachdem im Gespräch war, dass Akajew Vorlesungen an einer Bischkeker Universität halten könne.

„Heute ergreifen die Behörden Maßnahmen, die der Bevölkerung Sorgen bereiten. Dazu gehören die Entlastung von Askar Akajew, sein Besuch im Land und Versuche, auch Kurmanbek Bakijew zu entlasten“, zitiert Radio Azattyk aus einer Protesterklärung.

„Einheit des kirgisischen Volkes“

Die ehemaligen Präsidenten hatten bereits vor einigen Monaten für mediales Aufsehen gesorgt. Zunächst wurde am 14. Februar die gegen Ex-Präsident Almasbek Atambajew verhängte elfjährige Haftstrafe aufgehoben. Das im Juni 2020 verkündete Urteil befand ihn der Korruption, der illegalen Bereicherung und des Machtmissbrauchs für schuldig.

Der amtierende Präsident Sadyr Dschaparow habe die Freilassung seines einstigen politischen Feindes in einer Logik der politischen Beschwichtigung und vor allem des strategischen Kalküls unterstützt, erklärt das kirgisische Nachrichtenportal Kloop. Die Geste wird als wohlwollendes Zeichen an die Anhänger Atambajews gewertet, die immer noch an wichtigen politischen Stellen sitzen.

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Der überraschenden Freilassung des Ex-Präsidenten folgte ein außerordentliches Treffen aller ehemaligen Staatsoberhäupter Kirgistans in Dubai. Sie reisten gemeinsam in die Emirate, um sich für „die Einheit des kirgisischen Volkes“ einzusetzen.

Rehabilitation in Vorbereitung

Mehrere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens interpretieren Dschaparows Gesten gegenüber den ehemaligen Präsidenten als Versuch, diese politisch zu rehabilitieren. So hatte der Abgeordnete Dastan Bekeschew erklärt, dass das Treffen in Dubai als Ort der Rehabilitierung Bakijews gedient habe. Ein Manöver, das seiner Meinung nach seit 2020 im Gange sei, als Dschaparow an die Macht kam. Für den ehemaligen Abgeordneten Merbek Miskenbajew hat „die zweite Phase im Prozess der Rehabilitierung von Kurmanbek Bakijew begonnen“.

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Bereits vor der Freilassung Atambajews waren die Anklagen gegen Akajew im Jahr 2021 fallen gelassen worden, wodurch Kirgistans erster Präsident erstmals seit 16 Jahren wieder in sein Land zurückkehren konnte, berichtete damals die russische Nachrichtenagentur Interfax.

Allerdings hatte Präsident Dschaparow in einem Interview mit der staatlichen kirgisischen Nachrichtenagentur Kabar behauptet, dass Bakijew sofort verhaftet werden würde, wenn er kirgisisches Territorium betritt. Somit wurden alle Gerüchte über eine mögliche Rehabilitierung zerstreut.

Geschichte und Erinnerung

Auch wenn die Regierung die Rehabilitierung insbesondere des immer noch zu 30 Jahren Haft verurteilten Bakijew anstrebt, bleibt dieser in der Bevölkerung äußerst unbeliebt. „Die Bevölkerung empfindet immer noch eine akute Abneigung gegen diesen Mann, und es wäre riskant und unklug, ihn in irgendeiner Weise durch die Behörden zu rehabilitieren“, erklärte der Politologe Emil Dschurajew gegenüber dem Central Asian Bureau for Analytic Reporting (CABAR).

Im April 2010 fand vor dem Regierungssitz eine Kundgebung gegen das Monopol des Bakijew-Clans statt. Sicherheitskräfte setzten Gewalt ein: Mehr als 87 Menschen starben und mehr als 100 wurden verletzt. Kurmanbek Bakijew und seinen ältester Sohn Marat wurden anschließend verurteilt.

Elwira Surabaldijewa, Tochter eines während der Präsidentschaft Bakijews ermordeten Abgeordneten und heute selbst Mitglied des kirgisischen Parlaments, äußert gegenüber Radio Azattyk ihren Unmut. „Er [Kurmanbek Bakijew] ließ 100 Menschen töten, um seine Macht zu behalten. Er gab den Befehl, Politiker zu töten. Und jetzt gibt er Kriminellen die Schuld“, erklärte sie.

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Eine Rehabilitierung von Kurmanbek Bakijew und seiner Familie sei jedoch in vollem Gange, meint Asel Doolotkeldijewa, Politologin und Expertin für politische Regime, Eliten und Volksbewegungen. Der Versuch, flüchtige Präsidenten zu rehabilitieren und das öffentliche Bewusstsein und die Erinnerung zu manipulieren, ist ihrer Meinung nach auf das Versäumnis zurückzuführen, Schlüsselmomente in der neuen Geschichte Kirgistans rechtlich und politisch zu bewerten.

„Dies führt zu erheblichen Lücken im öffentlichen Bewusstsein und ist ein fruchtbarer Boden für die Manipulation des öffentlichen Gedächtnisses. So wird es möglich, so umstrittene Persönlichkeiten wie Askar Akajew und Kurmanbek Bakijew reinzuwaschen und rehabilitieren“, erklärt sie gegenüber CABAR.

Warum jetzt?

Es gibt keine einhellige Erklärung für die Nachsicht Dschaparows gegenüber den ehemaligen Präsidenten. Im Fall von Almasbek Atambajew hätte seine Freilassung das Bild von Dschaparow im Zusammenhang mit der Kempir-Abad-Affäre abschwächen sollen, schreibt The Diplomat. Laut Kloop habe Atambajew darüber hinaus nicht die Absicht, auf die politische Bühne zurückzukehren, und stelle daher keine politische Bedrohung mehr dar.

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Für Bakijew würde die in diesem Jahr zu beobachtende Normalisierung aufgrund des bevorstehenden Endes der Ära Alexander Lukaschenka in seinem Exil-Land Belarus eintreten, zitiert Radio Azattyk den ehemaligen ranghohen Beamten Emilbek Kaptagajew: „Da Kurmanbek Bakijew international gesucht wird, kann er verhaftet werden, wenn er irgendwo [außerhalb von Belarus] auftaucht. Deshalb versucht er, seine rechtliche Situation flexibler zu gestalten, damit er zumindest außerhalb Kirgistans in anderen Ländern leben und sich frei bewegen kann.

Abschließend ist anzumerken, dass die Clan-Politik in Kirgistan immer noch eine starke Rolle spielt. Sadyr Dschaparow versucht daher, Beziehungen zu Persönlichkeiten zu knüpfen, die ehemaligen Präsidenten nahestehen, um so seine Macht zu festigen. Politische Allianzen mit seinen ehemaligen Rivalen wären dann Teil seiner Strategie, an der Macht zu bleiben.

Emma Collet, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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