Anfang 2020 war Angola das Land mit den höchsten Schulden gegenüber China. Die Schulden des afrikanischen Landes beliefen sich auf fast 25 Milliarden US-Dollar. Der Experte Temur Umarov meint gegenüber Kun.uz, dass die finanzielle Situation einiger zentralasiatischer Staaten trotz der relativ geringen Menge an Schulden gegenüber China viel zu wünschen übrig lässt. Wir übersetzen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Temur Umarov ist Absolvent des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO), des Instituts für Internationale Beziehungen in Guandong und der Akademie des Russischen Präsidenten. Heute forscht er am Carnegie Center Moskau. Im Interview mit Kun.uz erläutert er seine Gedanken zu den Schulden, die die zentralasiatischen Staaten gegenüber China haben, zu den Beziehungen zwischen den Staaten in der Region und China und zur Außenpolitik Pekings.
Zentralasien in Chinas Außenpolitik
Chinas Zentralasienpolitik ist für Peking extrem wichtig. Allerdings ist sie nicht von besonderer Bedeutung für die chinesische Führung. In den frühen 1990er-Jahren, als die zentralasiatischen Staaten gerade ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, galt dies als eine der wichtigsten Parameter der Außenpolitik.
Vor allem war es für Peking wichtig, den Frieden in den angrenzenden Staaten zu bewahren. Die zentralasiatischen Staaten entwickeln sich derzeit stabil, Sicherheit ist ausreichend gewährleistet. China kann in dieser Hinsicht beruhigt sein.
Chinas Kredite
Wenn die Rede von Chinas Krediten ist, handelt es sich im Wesentlichen um Gerüchte. China vergibt tatsächlich viele Kredite. Die Summe beläuft sich auf 2 bis 3 Billionen US-Dollar. Allerdings ist Zentralasiens Anteil an dieser Summe nicht hoch. Wenn Sie die Länder Zentralasiens mit anderen Staaten vergleichen, sind sie nicht in der Risikogruppe, die sich auf dem Weg „in die Schuldenfalle“ befindet. Aber wenn man sich die Situation innerhalb der Region ansieht, ist die Lage einiger Staaten schlechter als die der Nachbarn. Zum Beispiel entfallen fast 50 Prozent der Auslandsschulden Tadschikistans auf China. Und Chinas Anteil an den Auslandsschulden Kirgistans liegt bei 45 Prozent.
In beiden Fällen übersteigen die Schulden gegenüber China 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des jeweiligen Landes. Insbesondere in ökonomischen Krisenzeiten, wie wir sie während der Pandemie erleben, haben die Staaten Probleme, ihre Auslandsschulden zu tilgen. Zum Beispiel bitten Bischkek und Duschanbe darum, die Frist für die Rückzahlung der Schulden zu verschieben oder die Zinsen für Kredite zu senken und verhandeln deswegen mit Peking. Da liegt ein starker Druck auf diesen Staaten.
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Chinas Anteil an den Auslandsschulden Kasachstans beträgt lediglich 7 Prozent. Vor der Pandemie war dieser Wert noch niedriger. Über die Situation in Turkmenistan fehlen verlässliche Informationen. Laut einigen Artikeln exportiert Aschgabat schon seit ein paar Jahren kostenlos Gas nach China, weil die Schulden so hoch sind.
Usbekistan verfolgt in Bezug auf die Auslandsschulden eine stabile Politik. Wenn ich mich nicht täusche, entfallen 15 Prozent der Auslandsschulden auf China. Das ist nicht viel. Selbst in Zeiten der Pandemie ist dieser Wert positiv. Daher braucht man nicht zu fürchten, dass Taschkent in die „Schuldenfalle“ tappt.
Implizieren die Schulden gegenüber China politische Motive?
Das würde ich nicht sagen. Ich glaube nicht, dass China seine politischen Strategien durch die Bereitstellung von Krediten entwickelt. In der Tat kam die Initiative, Schulden aufzunehmen, von den zentralasiatischen Staaten.
Das Problem der verspäteten Rückzahlung der Schulden schafft Schwierigkeiten in einer Region mit vielen bereits vorhandenen internen Problemen. China zwingt die Staaten der Region nicht, sich zu verschulden, also sollte man das Image dieses Landes nicht dämonisieren. Gleichzeitig gilt aber: Wenn die Wirtschaft in die Abhängigkeit von einem externen Faktor gerät, kann das zu einer allgemeinen Abhängigkeit des Landes vom politischen Willen eines anderen Staates führen.
Die Uigurische Frage in den Beziehungen zwischen Zentralasien und China
Ich denke nicht, dass diese Frage in den nächsten zehn Jahren verschwinden wird. Das ist eine sehr umstrittene Frage. Erstens ist die Situation in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang für die in direkter Nachbarschaft lebenden KasachInnen und KirgisInnen sehr wichtig. Nicht nur wegen der Beziehungen Chinas zu Kasachstan und Kirgistan, sondern auch wegen der Straflager von Xinjiang gibt es Unmut. Auf der anderen Seite der Grenzen leben Verwandte der KasachInnen und KirgisInnen.
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Wenn wir über die Zukunft dieser Region sprechen, dann ist es vor allem Chinas Einstellung ihr gegenüber, die eine entscheidende Wendung bringen kann. MedienvertreterInnen in Zentralasien sprechen nicht gerne über diese Frage. Aber die Menschen schöpfen verschiedene, oft falsche Informationen aus sozialen Netzwerken. Daher gibt es eine falsche Vorstellung von der wahren Situation in Xinjiang.
Was ist wichtiger für China – die Person des Politikers oder das Regime im Land?
Es ist interessant, Chinas Verhalten zu den Ereignissen in Belarus zu beobachten. Man könnte meinen, dass China bereit ist jedwede Hilfe zu leisten, um das Regime von Aljaksandr Lukaschenka zu erhalten. Aber für China ist das keine Priorität. Wenn Sie sich die offiziellen Erklärungen anschauen, so sind diese sehr diplomatisch geschrieben. Es gibt keine Unterstützung für eine der an der Krise beteiligten Personen. Peking beobachtet nur die Entwicklung und wartet auf das Ergebnis. Es weiß, dass der Einfluss Moskaus in Belarus groß ist. China zieht es daher vor, nicht einzugreifen.
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Auch in Zentralasien haben sich die Ansichten Chinas kaum verändert. Denn zum größten Teil sind diese Staaten nicht für China wichtig, sondern China ist sie wichtig. Selbst wenn sich das Regime ändert und neue Führer gewählt werden, werden sie mit China zusammenarbeiten. Dies liegt an der geografischen Lage. Darüber hinaus ist es besser, auf der Grundlage der bereits etablierten Handelsbeziehungen in die gleiche Richtung zu gehen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind die Staaten mehr von China abhängig, weswegen Pekings politische Autorität steigt. China versucht nicht, eine Person oder ein Regime in einem Staat, an dem es ein Interesse hat, an der Macht zu halten.
Wie wird die Situation in zehn Jahren sein?
In den kommenden zehn Jahren wird die Region wirtschaftlich stärker in eine chinesische Abhängigkeit geraten. Diese Abhängigkeit kann aufgrund der zunehmenden politischen Autorität Chinas in Zentralasien beobachtet werden. Je mehr China in der Region gestärkt wird, desto intensiver werden auch die Aktivitäten chinesischer Geschäftsleute.
Darüber hinaus wird zur Lösung innerer politischer Aufgaben immer mehr auf chinesische Erfahrungen zurückgegriffen. Zum Beispiel werden in Kasachstan Überwachungskameras installiert, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Auf dem Weg der Entwicklung und des Fortschritts kann man viel von China lernen. Als Präsident Shavkat Mirziyoyev von der Armutsbekämpfung sprach, erwähnte er den chinesischen Fortschritt. Meiner Meinung nach werden die Beziehungen der Länder der Region zu China nicht nur auf Handelsbeziehungen beschränkt sein. Die chinesische Erfahrung wird als Standard für die eigene Innenpolitik verwendet werden.
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In den letzten Jahren kann man an einigen Orten eine Zunahme antichinesischer Aktionen beobachten. Sie werden nicht dem starken Druck des Staates ausgesetzt sein. Eine harte Unterdrückung der Unzufriedenheit gegen die Regierung führt dazu, dass Unzufriedenheit mit externen Faktoren ausgedrückt werden. Gleichzeitig wird ein Teil der Menschen lernen, mit chinesischen Unternehmen zu arbeiten. Tourismus und Bildung werden intensiviert werden.
Das Gespräch führte Alisher Ruziyoxunov für Kun.uz
Aus dem Russischen von Robin Roth
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