Am 15. Januar verkündeten Regierungsdelegationen aus Tadschikistan und Kirgistan, dass man den Austausch von Staatsgebiet plane, um die dauernden Grenzkonflikte im Ferganatal einzudämmen. Inwieweit dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird, wird die Zukunft zeigen. Über die Probleme, mit denen die Politik insbesondere in der von den Konflikten betroffenen Region Batken konfrontiert ist, sprach im Juli 2019 CAA Network mit dem kirgisischen Politologen Alibek Mukambajew. Wir übersetzen das Interview mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Am 22. Juli 2019 ereignete sich erneut ein Konflikt auf dem Abschnitt der kirgisisch-tadschikischen Grenze in der Region Batken. Diesmal war der Grund für den Streit, dass Bewohner die Flaggen ihrer Länder auf dem umstrittenen Gelände setzen. Medienberichten zufolge ist dies der zweitwichtigste blutige Konflikt an der kirgisisch-tadschikischen Grenze in den letzten Monaten. Der kirgisische Politikwissenschaftler Alibek Mukambajew, der sich seit vielen Jahren mit der Region Batken befasst, berichtet über den Grenzkonflikt.
Warum kommt es gerade in der Region Batken in Kirgistan so häufig zu Grenzkonflikten?
1999 wurde die Region Batken nach dem Einmarsch der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) in Kirgistan geschaffen. Die Region ist in Kirgistan in mehrfacher Hinsicht einzigartig: Erstens gibt es dort drei Enklaven – So´x, Shohimardon, Woruch. Zweitens ist die Region nicht nur von Bischkek, sondern auch von der Stadt Osch weit entfernt. Die direkte Entfernung von Isfana nach Osch ist größer als die Entfernung nach Samarkand. Wenn man die Region aus der Hinsicht der politischen Grenzen betrachtet, erhält man ein Verständnis dafür, das sie recht jung ist – der Bezirk Leilek und Isfana waren einst Teil des Emirats Buchara. Diese Region, die 250 Kilometer von Osch und über 1000 Kilometer von Bischkek entfernt ist, ist recht komplex. Drittens verlaufen hier die Grenzen recht durcheinander, wie ein Schachbrett. Der Konflikt in dieser Region ist auch deshalb wichtig, weil unterhalb des Dorfes Ak-Say unsere Wasserentnahmestelle liegt, […] die Grundlage für die Wasserversorgung der gesamten Region Batken ist. Und das ist nur ein Konfliktpunkt. Tatsächlichen entstehen viele Konflikte in der Gegend um die Dörfer Maksat und Arka in der unteren Zone des Bezirks Leilek, der 20 Minuten von Chudschand, dem Zentrum der Provinz Sughd in Tadschikistan, entfernt ist.
Viertens ist die Region hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung, der Wasserversorgung, des Gesundheitswesens und der Nahrungsmittelversorgung ziemlich problematisch. Die Kosten einiger Güter (Milchprodukte, Würste, Käse, Baustoffe, Arzneimittel) sind trotz niedrigerer Löhne höher als in Bischkek.
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Fünftens ist die Region Batken vielseitig. Sie beginnt mit der Stadt Kysyl-Kija, die nach den Maßstäben unseres Landes groß ist, 100 km von Osch entfernt liegt und sich in keiner Weise mit Batken verbindet. Darüber hinaus kämpfte die Stadt während der Bildung der Region ernsthaft um das Recht, das regionale Zentrum zu sein. Es gibt auch den Bezirk Kadamschaj mit den Städten Kadamschaj und Aydarken – die sind ehemalige Industriezentren, die Antimon und Quecksilber produziert haben. Was die Stadt Batken betrifft, so gingen die Menschen in der Sowjetzeit in den tadschikischen Städten Isfara und Shurab zum Basar, und Batken wurde durch den Zusammenschluss von drei Dörfern gegründet. Der Bezirk Leilek ist auch eifersüchtig auf Batken als Zentrum. So haben sich die Beziehungen noch nicht entwickelt und die Bewohner haben noch keine Identität als Vertreter der Region entwickelt.
War es rational, die Region Batken zu bilden und was wurde dort im Laufe der Jahre getan, außer der Zuweisung separater Haushaltsmittel?
Das Thema Finanzierung ist sehr interessant, da die Regional- und Bezirksverwaltungen ihre Verantwortung und Befugnisse bei der direkten Haushaltsführung verloren haben. Als wir 2010 auf ein zweistufiges Budget umstellten und die Ayil Okmotu (lokale Selbstverwaltungen, Anm. d. Ü.) Geld direkt vom Zentrum erhielten, hatten die Bezirks- und Regionalverwaltungen nur noch die Funktion, mit staatlichen Programmen zu arbeiten.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass vor einigen Jahren in der Abteilung für Verteidigung, Recht und Katastrophenschutz des Büros des bevollmächtigten Regierungsvertreters in der Region Batken 4 bis 5 Personen gearbeitet haben. Und das in einer komplizierten Region mit potenziellen Gefahrenherden und schwierigen Aufgaben. Wie die Situation heute ist, weiß ich nicht genau.
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Was wurde im Laufe der Jahre getan? Die Garnison Batken war recht gut ausgerüstet, und unsere Sicherheitskräfte – Grenzschutzbeamte, das Militär und Angestellte des Innenministeriums – sammelten ihre ersten Erfahrungen auch in der Region. Zum Beispiel leitete der derzeitige Innenminister Kaschgar Dschunuschalijew die Verwaltung für innere Angelegenheiten, der derzeitige stellvertretende Ministerpräsident Dschengisch Rasakow war dort Gouverneur und leitete die Verwaltung für innere Angelegenheiten, der derzeitige Leiter der staatlichen Grenzpolizei Ularbek Scharschejew leitete die regionale Grenzverwaltung Batken, der Generalstaatsanwalt Otkurbek Dschamschitow war Staatsanwalt des Bezirks Leilek. Das heißt, dass die Menschen, die in der Regierung sitzen, gut verstehen, was sich die Region Batken vorstellt, weil sie dort gelebt, gedient und gearbeitet haben. Auch der frühere Geheimdienstchef Idris Kadyrkulow arbeitete dort. Somit können wir sagen, dass die Behörden versuchen, so viele Menschen wie möglich durch Batken zu „drängen“, damit diese die Essenz von Enklaven verstehen und in einer Region arbeiten, die an zwei Staaten grenzt.
Es ist bemerkenswert, dass im Laufe der Jahre das Wichtigste nicht getan wurde: das Programm zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation wurde in der Region nicht umgesetzt.
Warum beschränkten sich während des Treffens zwischen den Präsidenten Sooronbaj Dscheenbekow und Emomali Rahmon am 26. Juli beide Seiten bloß auf Absichtserklärungen, aber die Frage der Grenzen wurde nicht wirklich von Grund auf behandelt?
Jetzt ist es schwierig für die aktuelle Regierung, eine Einigung über die Grenzen zu erreichen, da das Thema ziemlich sensibel ist. Erstens werden im Herbst 2020 in Kirgistan Parlamentswahlen abgehalten, und für die Opposition kann die Landfrage zu einer sehr starken Konsolidierung sowie zum Anlass für heftige Kritik und damit folglich zu einem Weg werden, die Wählerschaft zu gewinnen. Sogar den Verhandlungsprozess bezüglich der Grenzen selbst kann man sehr leicht politisieren, indem man die derzeitige Regierung beschuldigt, dass sie „Zugeständnisse gemacht und kirgisisches Land verschenkt“. Gleiches gilt für Tadschikistan.
Zweitens muss ein weiterer Punkt berücksichtigt werden: Laut der Volkszählung leben im Gebiet Batken etwa 30.000 Menschen an Schlüsselpunkten des Konflikts, während mindestens 50-60.000 Menschen auf tadschikischer Seite, jedoch auf kleinerem Gebiet leben. Darüber hinaus ist die Mobilität der Bevölkerung in Tadschikistan geringer als auf kirgisischem Hoheitsgebiet. Unter solchen Bedingungen stellt jede Verhandlung die Suche nach einem Kompromiss vor, und ein Kompromiss ist ein gegenseitiges Zugeständnis. In der derzeit angespannten innenpolitischen Lage im Land, unter den Bedingungen einer kritisch gestimmten Gesellschaft und der Präsenz unterschiedlicher Meinungen im Parlament, scheint es, dass Dscheenbekow sich nicht leisten kann, auch nur minimale Zugeständnisse zu machen.
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Drittens mangelt es in den Beziehungen zwischen Kirgisistan und Tadschikistan an Grundkenntnissen über die in der politischen Elite vertretenen Personen. In Bischkek gibt es nicht genügend Experten, die klar über die politischen Entscheidungsträger in Duschanbe, über die Mitglieder der Kommissionen, über ihre Vorschläge und die wirtschaftlichen Beziehungen zur Region und so weiter berichten könnten. Kirgistan ist sich der politischen Prozesse und Feinheiten des innenpolitischen Lebens in Tadschikistan, der „sensiblen Themen“ und der „geheimen“ Information unzureichend bewusst. Vielleicht ist es aus der Sicht von Tadschikistan auch schwierig und unverständlich, mit wem man sich konkret auf die Grenzen einigen kann. In Massenmedien ist jedoch viel über Kirgistan zu lesen, dies ist ein ziemlich offener Staat, was man aber über Tadschikistan nicht sagen kann.
Viertens gibt es einen wichtigen Faktor in den bilateralen Beziehungen, und zwar den Schmuggel. Zum Beispiel geht der umfangreiche Treibstoffschmuggel durch das Dorf Arka – offiziell werden alle Treibstoffe nach Arka geliefert und Fahrzeuge werden auf dem Territorium Kirgistans betankt, allerdings befindet sich Arka an der Straße Chudschand – Konibodom. Die örtlichen Bedingungen da tragen zum Reexport nicht nur von Treibstoff, sondern auch von anderen Gütern bei. Hier ist auch das Problem des Drogenhandels zu bemerken. In dieser Hinsicht gibt es „große Kräfte“, darunter auch Vertreter lokaler Gemeinschaften, die daran interessiert sind, den Status-quo aufrechtzuerhalten.
Fünftens betreffen alle Vereinbarungen in Bezug aufs Land das Schicksal von Tausenden von Menschen und ihre Lebensweise. Für die politischen Macht geht es eher darum, Papiere zu unterzeichnen, für die Bewohner der Region kann es jedoch darum gehen, dass ihre Häuser, Gärten, Haushalte und sogar ihre Arbeit entweder erhalten bleibt oder nicht. Und es ist nicht sicher, ob Kirgisistan gegebenenfalls in der Lage sein wird, den Schaden für diejenigen Personen auszugleichen, die hypothetisch von der Frage der Grenzen und des Landes betroffen sein könnten.
Trotz der Tatsache, dass die Situation in der Region Batken, wie Sie bereits bemerkt haben, einzigartig ist: Es gibt keine klaren Grenzen, und das Land ist im übertragenen Sinne ein „Schachbrett“. Ist es möglich, die Erfahrung anderer Länder zu benutzen, um diese Probleme zu lösen?
Es gab Vorschläge, eine Zone der allgemeinen wirtschaftlichen Interaktion zu schaffen und dabei alles so zu lassen, wie es heute ist. Es gab Vorschläge, dass die Frage der Grenzen, einschließlich des Schmuggels, beim Beitritt Tadschikistans zur Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) nicht so angespannt wäre. Dann wäre die Frage der südlichen Grenze für Kirgisistan nicht so aktuell, und die gemeinsamen Kräfte würden sich auf die Stärkung der Grenze zu Afghanistan konzentrieren. Natürlich befürchten kirgisische Experten, dass wir mit den Tadschiken in Russland nicht konkurrieren und unsere Vorteile verlieren können, wenn Duschanbe der EAEU beitritt. Man muss jedoch daran erinnern, dass kirgisische und tadschikische Migranten im Prinzip in verschiedenen Segmenten auf dem Territorium der Russischen Föderation arbeiten.
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Außerdem, gehen jetzt aufgrund der unruhigen Grenze und des florierenden Schmuggels Millionen dem Staatshaushalt Kirgistans verloren. Wenn Tadschikistan der EAEU beitritt, wird die Grenzproblematik daher nicht mehr so aktuell sein, schon allein deshalb, weil Menschen, die vom Schmuggel verdienen, ihr Einkommen verlieren und keinen Sinn mehr darin sehen, die Instabilität der Grenze aufrechtzuerhalten.
Wie und mit welchen Mechanismen können sich beide Seiten auf Grenzen einigen? Werden in diesem Prozess Vermittler benötigt?
Vermittler wären erforderlich, wenn beide Seiten sich bereit erklären würden, ihnen zuzuhören. In Wahrheit wage ich aufgrund der jüngsten Ereignisse anzunehmen, dass wir bereits ein Land haben, in dem wir „zuhören“ können. Aber wird Emomali Rahmon auf den Vermittler hören, insbesondere in Anbetracht seines Titels als „Führer der Nation“?
Es ist auch unwahrscheinlich, dass diese Nachbarstaaten aufgrund ihrer Nähe zu Kirgisistan sowie aufgrund des Vorhandenseins anderer Probleme in der Lage sind, bei dieser Frage zu vermitteln.
Aus dem Russischen von Esmira Saudkasova
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