Kassym-Dschomart Tokajew nutzte seinen Besuch in Almaty am 29. Oktober, um seine Autorität zu stärken. Er verurteilte stark manche Entscheidungen der lokalen Behörden. Dadurch möchte er Kritik an seiner Rolle als „Zweitbesetzung“ des ersten Präsidenten Nursultan Nasarbajew zum Schweigen bringen und seine Beliebtheit unter der Bevölkerung der ehemaligen Hauptstadt Kasachstans steigern.
Am 29. Oktober erstattete der kasachstanische Präsident Kassym-Dschomart Tokajew seiner Heimatstadt Almaty einen Arbeitsbesuch. Auf der Tagesordnung des Staatsoberhauptes standen die Präsentation eines Entwicklungsprogramms mit dem Titel „Dschanga Almaty“ (Kasachisch für „neues Almaty“) sowie der Besuch verschiedener Institutionen, darunter ein Waisenhaus, innovative Unternehmen und die Kasachische Nationale Universität „Al-Farabi“ (KazNU).
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Nach einer Rede des ehemaligen Premierministers und derzeitigen Bürgermeisters von Almaty, Bakhytschan Saghyntajew, zögerte Tokajew nicht, jene zu verurteilen, die seiner Meinung nach für die Probleme der wirtschaftlichen Metropole verantwortlich sind. Der Präsident achtete jedoch darauf, keine Namen zu nennen.
Indirekt aber nahm das Staatsoberhaupt wichtige politische Persönlichkeiten ins Visier. Insbesondere Bauyrdschan Baibek, Vizepräsident der regierenden Partei Nur-Otan und Bürgermeister von Almaty von August 2015 bis Juni 2019. Tokajew warf ihm durch Anspielungen vor, die Straßenbahnen aus der Stadt entfernt zu haben. Diese Entscheidung, die der junge Bürgermeister bereits kurz nach seiner Amtseinführung traf, war schon damals sehr umstritten. In der expandierenden Stadt mit großen Luftqualitätsproblemen wäre es wäre notwendig gewesen „die Schienen zu renovieren, die Straßenbahnflotte zu erneuern, aber dieses Verkehrsmittel zu behalten„, so der Präsident.
Vetos gegen vergangene und aktuelle Projekte
Tokajew legte daraufhin sein Veto gegen das Bauprojekt eines Skigebiets in Kök-Schailoo ein, einem beliebten Wanderziel eine Stunde zu Fuß außerhalb von Almaty. „Wir brauchen es nicht„, betonte er. Zu den Nutznießern dieses Komplexes gehört Baibek selbst. Der Präsident verurteilte auch den Abriss des beliebten historischen Kinos Alatau, an dessen Stelle ein McDonald’s gebaut wurde. Auch die Bauvorhaben von Wohnkomplexen in der Stadt haben das Staatsoberhaupt verärgert, da diese bereits voll davon ist.
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Der Präsisent lieferte somit eine unmissverständliche Botschaft: Man solle „die Entwicklung solcher Bauwerke im Zentrum von Almaty verbieten„. Tatsächlich ist es eine Kriegserklärung an die Elite der Projektträger, oft Verwandte des ehemaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Letztere sind seit vielen Jahren Eigentümer des Stadtzentrums und kümmern sich nicht um die Interessen der Bürger oder grundlegende Entwicklungsnormen, so die kasachischen Online-Zeitung Exclusive.kz. Der Bau der Wohnanlage Stolichnyi Tsentr im Zentrum Almatys hat beispielsweise einen Aufschrei der Anwohner ausgelöst, während der Projektleiter vom ersten Präsidenten Kasachstans „für seinen Beitrag zur Entwicklung der Hauptstadt [Nur-Sultan, ehemals Astana, Anm. d. Red.] im Baubereich“ ausgezeichnet wurde, so der kasachische Dienst von Radio Free Europe, Radio Azattyq. Auch dieses genießt nicht die Unterstützung des neuen Präsidenten.
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Wie weit ist der zweite Präsident bereit, in diesem Kampf zu gehen? Wird er über genügend administrative Ressourcen und politischen Willen verfügen, um Reformen in seiner Heimatstadt Almaty durchzusetzen? Almaty gilt in Kasachstan traditionell als „rebellisch“. Selbst Nasarbajew ist es nie wirklich gelungen, dort die Oberhand zu halten. Auch bei einer der größten Protestbewegungen des Landes, im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Juni, war Almaty Ausgangspunkt.
In Almaty beliebt werden
Tokajew will mit seinen Aussagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Nachdem Nasarbajew Anfang Oktober ein Vetorecht über viele Besetzungen in der Regierung erhalten hat, wurde der amtierende Präsident von vielen Kommentatoren als bloße „Zweitbesetzung“ bezeichnet. Nun will er zeigen, dass seine Macht nicht nur repräsentativ ist. Seine indirekten Angriffe gegen den ehemaligen Bürgermeister von Almaty zeigen, dass er nicht tatenlos zusehen will. Sollte er es schaffen, eine umfassende Reorganisation der aktivsten und politisch einflussreichsten Stadt des Landes voranzutreiben, könnte er kritische Kommentare gegen ihn zum Schweigen bringen.
Aber das ist nicht das einzige Ziel des Präsidenten von Kasachstan. Tokajews Bemerkungen spiegeln auch die Meinung vieler Stadtbewohner über junge Entwicklungen in Almaty wider. Dies betrifft vor allem den Ärger über die Verbreitung moderner Wohnbauprojekte oder das Verkehrsmanagement in der Stadt, die stark von Luftverschmutzung betroffen ist.
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„In den letzten Jahren wurde viel für die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur getan, aber es gibt nach wie vor ernsthafte Probleme. Täglich transportieren etwa 700.000 Autos mehr als eine Million Menschen durch die Stadt„, bedauerte das Staatsoberhaupt, so Kazinform. Dies ist ein Thema, das vor allem die Bewohner der Region Almaty betrifft, die gezwungen sind, private Taxis und Kleinbusse mit unregelmäßigen Fahrplänen zu benutzen.
Der Präsident wird zwar manchmal als Schatten der Schutzfigur seines Vorgängers verspottet, seine Bereitschaft, Ordnung in die größte Stadt Kasachstans zu bringen, könnte ihm jedoch helfen, seine Macht zu behaupten. So könnte er auch unter der Bevölkerung Almatys und darüber hinaus unter den 19 Millionen BürgerInnen des Landes an Beliebtheit gewinnen.
Lorraine Lavollay & Jérémy Lonjon
Novastan.org, Almaty
Aus dem Französischen von Florian Coppenrath
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