Der Historiker Prof. Alexandr Knjasew analysiert die Gefahr von religiösem Extremismus in Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan. Folgender Artikel wurde von Novastan übersetzt und erschien im Original auf Eurasia Expert.
Eurasia Expert – Wir fangen mit Turkmenistan an. Das Land verhält sich sehr geschlossen und deshalb ist die Situation dort nicht klar. Im Bezirk Mary gibt es eine radikale religiöse Gruppe, die Verbindungen nach Afghanistan hat. Die Grenzen sind nicht sicher.
Alexandr Knjasew – In Mary gibt es die stärkste Opposition gegen die Hauptstadt Aschgabat. In Turkmenistan ist die Stammesdifferenzierung ziemlich stark und nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat sich das noch verstärkt, auch unter den Eliten.
Der erste Präsident des unabhängigen Turkmenistan, Saparmurat Nijasow, ursprünglicher vom Stamm der Achal-Tekkiner, war in einem Waisenheim aufgewachsen und hatte keinen Bezug zu den Stämmen. Offenbar gelang es ihm daher, ein Interessengleichgewicht zwischen Menschen aus verschiedenen Clans aufrechtzuerhalten. Es gab in der politischen Elite Vertreter der Stämme Mary Tekintsy, Yomud und Ersars.
Sein Nachfolger, Gurbanguly Berdimuchammedow, ist auch Achal-Tekkiner und hat innerhalb von einem Jahr innerhalb der Regierung „aufgeräumt“. Neue Vertreter sind seine Stammesgenossen. Die Elite, die ihre Macht in der Regierung verloren hat, sind zu Gegnern der gegenwärtigen Regierung geworden.
Die sozioökonomische Situation im Land ist ziemlich schlecht, wie in Kirgisistan und Tadschikistan. 2016 erlebte das Land eine Nahrungsmittelkrise. Die Grundversorgung (Strom, Wasser, Gas und Salz) für die Bürger des Landes wurde im Frühsommer 2017 abgeschafft.
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Im November 2016 traf sich Präsident Berdimuchammedow mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Stadt Sotschi. Turkmenistan hat von Russland etwa 2,5 Milliarden Dollar Rohstoffkredit erhalten. Der Großteil wurde für Lebensmittel ausgegeben.
Noch ein Grund für Instabilität ist, dass es eine enge Beziehung zwischen den Eliten der Oppositionsregionen und den Nachkommen von ehemaligen Aufständischen gibt, die nach der Russischen Revolution und dem Bürgerkrieg in den 1920er Jahren nach Iran, Afghanistan und in andere Länder ausgewandert sind. Heute verlangen sie die Restitution von früherem Eigentum. Das betrifft Regionen mit großen Öl- und Gasvorkommen, wie Galkynysha.
Drogen-und Waffenhandel an der turkmenisch-afghanischen Grenze ist das nächste Problem, das hauptsächlich die Oasen Mary und Tedzhen betrifft. Trotz gründlicher Operationen der Sicherheitsorgane hat die Situation nicht geändert. Das ist ein Sicherheitsrisiko für die Region und behindert die regionale Integration.
Die Religion ist seit Nijasows Machtsantritt unter strenger Kontrolle. Es ist jedoch nicht unklar, was der Einfluss der sozioökonomischen Krise auf die Gesellschaft sein wird.
In Tadschikistan gibt es nach dem Bürgerkrieg von 1991-1997 eine ineffiziente staatliche Verwaltung und regionalen Separatismus. Wie stark ist die Rolle des radikalen Islam dort?
Ich denke, dass der Islam heute unter den fünf zentralasiatischen Ländern in Tadschikistan die größte Rolle im gesellschaftlichen Leben spielt. Das Land hat jedoch eine gute „Impfung“ gegen die radikalen Mächte. Solange der Einfluss der Generation, die den Bürgerkrieg erlebt hat, in Politik und Gesellschaft stark ist, wird die Einstellung „alles, nur keinen Krieg“ in der Gesellschaft vorherrschen.
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Ich möchte dazu ein Beispiel nennen. Am 27. Februar 2005 fanden in Kirgistan und Tadschikistan Parlamentswahlen statt. In Kirgisistan führte dies zum Sturz von Präsident Askar Akajew und zur weiteren Umbildung des Staates. In Tadschikistan gab es auch Aufrufe und Unzufriendenheit mit dem Wahlergebnis, aber niemand ging auf die Straße. Die Leute wussten, was Bürgerkrieg ist und wozu er führen kann.
Die heutige junge Generation, die nicht alle Schrecken und Enttäuschungen des Bürgerkrieges gesehen hat, braucht noch Zeit, um diese vorherrschende Einstellung zu ändern.
Wenn es zum Generationenwechsel kommt, wird Tadschikistan vielleicht das „schwächste Glied“ in der Region sein. Aber bisher ist der Staat in der Lage, die Religion zu kontrollieren.
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Es besteht trotzdem die Gefahr der Radikalisierung. Vor kurzem hat die tadschikische Regierung Beziehungen mit Saudi-Arabien aufgebaut, was gewisse Bedenken weckt.
Aber wenn man die zentralasiatischen Republiken vergleicht, ist die Stabilität in Tadschikistan meiner Meinung nach besser als in Kirgistan. Dies ist der schon erwähnten „Impfung“ und der Qualität der politischen Eliten zu entnehmen. Die politische Elite ist in Tadschikistan stärker konsolidiert als in Kirgistan.
Wir bewegen uns weiter entlang der afghanischen Grenze. Trotz ernster Prognosen ist Usbekistan weiterhin stabil. Obwohl es wahrscheinlich im Ferghana-Tal „schlafende“ islamistische Zellen gibt. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Stabilität durch Islamismus gefährdet ist?
Heute ist ein bedeutender Teil der usbekischen Bürger radikalen religiösen Ideen gegenüber gleichgültig. Und das ist eine kritische Masse. Der usbekische Staat hat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion meiner Meinung nach zwei wichtige Dinge getan. Erstens, die usbekische Regierung hat sehr streng, ohne Rücksicht auf Humanismus, alle Symptome von Islamismus bekämpft. Man kann sich an die Ereignisse in Anidschon von 1992 erinnern, was mit „Adolat“ passierte, das später zur Grundlage der Islamischen Bewegung Usbekistans wurde. Nach den Bombenanschlägen in Taschkent im Jahr 1999 reagierten die Behörden auch ziemlich hart. Der Radikalismus im Land wurde entkernt.
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Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass es in Usbekistan eine starke geistliche Schule mit einer guten theologischen Ausbildung gibt. Bis auf wenige Ausnahmen werden usbekische Imame und Mullahs systematisch ausgebildet. Und das Bildungssystem selbst steht unter staatlicher Kontrolle. Natürlich sorgen die Minister für eine religiöse Haltung, die den Interessen des Staates nicht widerspricht. Ein amtlicher Geistlicher kann eine kritische Haltung nur dann einnehmen, wenn es echte Gründe für Proteste gibt, zum Beispiel sozioökonomische.
Aber in Usbekistan haben die Bürger keine religiöse Alternative. Wenn jemand in Kirgistan oder Tadschikistan einem Mullah nicht zustimmt oder keine Antwort auf seine Fragen erhält, kann er zu den Radikalen gehen. In Usbekistan gibt es das nicht.
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Ein weiterer wichtiger Punkt ist die soziale Institution der „Mahala“ (Viertel – Anm. d. Red.), die sich seit den 1920er Jahren entwickelt hat. Die Mahala ist eine Institution der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Selbstregulierung, die im modernen Usbekistan sehr wirksam ist. Wenn ein junger Mann aus eine Viertel Neigung zum Radikalismus zeigt, wird es allen sofort bekannt und Eltern, Verwandte, Freunde und Nachbarn sind verantwortlich dafür, ihn davon abzubringen.
Eine erhebliche Gefahr für Usbekistan ist die illegale Arbeitsmigration, wenn junge Menschen ins Ausland zum Arbeiten gehen und von destruktiven Ideen betroffen werden, die keine klaren Lebenseinstellungen haben und oft unterqualifiziert sind.
Jetzt versuch Usbekistan, dieses Problem zu lösen. Es ist das einzige Land in der Region, das das System der staatlichen Rekrutierung seiner Bürger für Arbeitsmigration umsetzt. Mit Russland wurde ein Regierungsabkommen unterzeichnet und Vertretungen des Migrationsdienstes von Usbekistan sollen in mehr als zehn Städten eröffnet werden.
Das soll die illegale Migration minimieren, Migrationsströme berücksichtigen und kontrollieren. Das Gastland wird nicht unter der Kriminalisierung von Migration leiden. Migranten werden in rechtlicher und sozialer Hinsicht geschützt.
Mit Knjasew sprach Anton Morozow
Aus dem Russischen Sobira Majidova
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