Das Judentum ist in Zentralasien wenig verbreitet, seit dem Ende der Sowjetunion fallen die Gemeinschaften in der Region deutlich kleiner aus. Das Internetmagazin The Open Asia bietet einen Überblick über jüdische Gemeinschaften in der Region, den wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzen.
Das Judentum ist die älteste der heute existierenden Religionen, eine traditionelle monotheistische Glaubenslehre, die verschiedenen Schätzungen nach circa 13,5 Millionen Anhänger*innen in der ganzen Welt hat. Zahlenmäßig handelt es sich also keinesfalls um eine kleine Religion.
Allerdings sind Jüd*innen nicht nur eine religiöse, sondern auch eine ethnoreligiöse Gruppe. Jeder Mensch, der zum Judentum konvertiert, wird Teil des jüdischen Volkes, unabhängig davon, welcher Ethnie er von Geburt an angehört. Missionierung ist für das Judentum nicht nur unüblich, sondern verboten. Übertritte zum Judentum gibt es zwar, allerdings selten.
Aus diesen Gründen ist das Judentum in Zentralasien nicht weit verbreitet. Dennoch gibt es hier jüdische Gemeinden, wie ein Besuch in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan zeigen.
Kasachstan
Der 12. August 2017 war für die jüdische Gemeinde Kasachstans ein wichtiger Tag, denn an ihm feierte sie das 20-jährige Jubiläum der Zentralsynagoge Kasachstans. Und obwohl es sich um keinen religiösen Feiertag handelte, war es dennoch ein Tag von Bedeutung, denn diese Synagoge war die erste, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in Zentralasien gebaut wurde. Bis dahin trafen sich die Gemeinden für gewöhnlich in umgebauten Wohnhäusern zum Gebet.
Die Synagoge ist ein besonderer, ein heiliger Ort für Jüd*innen. Abgesehen von der Thora in Buchform, die das ganze Leben lang studiert wird, befindet sich in jeder Synagoge in einem speziellen heiligen Schrein eine Thorarolle aus Pergament. Sie wird dreimal die Woche sowie zu Feier- und Fastentagen herausgenommen.
Die Rolle der Gemeinschaft
Aber die Synagoge ist nicht nur ein Ort des Gebets. Hierher trägt man am achten Tag nach der Geburt die neugeborenen Jungen zur Beschneidung, hier erhalten die 13-Jährigen die Bar Mitzwa, es werden Hochzeiten gefeiert und Trauerfeiern abgehalten. Aber das ist nicht alles. Auch ganz gewöhnliche Probleme des täglichen Lebens werden hier gelöst.
Der Oberrabbiner von Kasachstan Jeshaja Cohen erzählt uns die Legende, die erklärt, warum an einem heiligen Ort über Fragen des Alltags geredet wird: „Ein neuer Rabbiner kam in die Stadt und sah, dass die Leute in der Synagoge nach dem Gebet über den Alltag redeten. Der Rabbiner sagte: ‚Das darf man nicht, das hier ist ein heiliger Ort. Hier muss man die Thora lesen oder beten. ‘ Am Sabbat klopfte ein Gemeindemitglied an die Tür des Rabbiners: ‚Heute Abend ist Sabbat – ich brauche Wein und Essen, aber ich habe kein Geld und jede Menge Schulden. ‘ Der Rabbi gab ihm Geld aus einer speziellen Gemeindekasse. Danach kam ein zweiter zu ihm, dann ein dritter, vierter und so weiter. Der Rabbi ließ den Ältesten kommen um darzulegen, was passiert sei, dass plötzlich alle arm geworden seien. Dieser antwortete dem Rabbiner, dass sich bis zu seiner Ankunft die Leute in der Synagoge trafen um Probleme zu lösen. Der Jurist half dem Doktor und der Doktor dem Schuster. Und er, der Rabbi, habe ihnen das verboten. Die Leute wissen nicht mehr, wie es den anderen geht und was für Probleme sie haben, jeder blieb allein und viele wurden arm.“
In der Synagoge kann man nicht nur geistliche, sondern auch materielle Unterstützung erfahren. Den Bedürftigen bringt man warmes Essen und leistet medizinische Hilfe. So unterstützt die Gemeinde ihre Mitglieder. Jüd*innen beten dreimal täglich – morgens, mittags und abends. In den Gebeten gibt es 18 Segen und einer davon ist folgende Bitte: “Segne uns, Vater, wenn wir alle beisammen sind.” Denn: Individualismus und jede*r für sich – das würde dem Judentum widersprechen.
Almaty und die Chabad-Bewegung
Almaty ist eine besondere Stadt für Jüd*innen auf der ganzen Welt. Rabbiner Jeshaja Cohen wurde in Israel geboren und stammt aus einer Rabbinerfamilie. Er studierte in Amerika und bekennt, dass er bis zu seiner Ankunft 1994 keine Ahnung hatte, was Kasachstan für ein Land sei, aber von Alma-Ata (der Name Almatys zu Sowjetzeiten, Anm. d. Ü.) hatte er schon in der Kindheit gehört. Das liegt an einer Bewegung innerhalb des Judentums: dem Chabad.
Die Chabad-Bewegung ist unter anderem im postsowjetischen Raum verbreitet. Sie entstand im 18. Jahrhundert unweit von Smolensk in der Ortschaft Ljubawitschi (heute im Gebiet Smolensk nahe der belarussischen Grenze, Anm. d. Ü.). Ihr Gründer war Rabbi Schneur Salman. Chabad wurde die einzige Bewegung, die Jüd*innen auf der ganzen Welt geistliche und materielle Unterstützung leistet. Ihr geistliches Oberhaupt war der Rebbe (Rabbiner in chassidischen Gemeinden, Anm. d. Ü.) von Ljubawitschi, der siebte und letzte von ihnen, Rabbiner Menachem Mendel Schneerson (1902-1994), floh 1941 vor den Nazis nach New York.
Der Vater eben jenes siebten Rebbe von Ljubawitschi war der Oberrabbiner von Dnepropetrowsk Levi Yitzhak Schneerson (1878-1944). Er wurde 1939 vom NKWD (damaliger sowjetischer Geheimdienst, Anm. d. Ü.) unter anderem wegen antisowjetischer Propaganda verhaftet und in das südkasachstanische Dorf Schiali verbannt, wo er im Untergrund als Rabbi wirkte. 1944 erhielt er die Erlaubnis nach Alma-Ata überzusiedeln, wo er im selben Jahr starb. Sein Grab befindet sich auf dem Zentralfriedhof der Stadt. Levi Yitzhak Schneerson wurde 1989 rehabilitiert.
Seit über 70 Jahren ist Almaty in der jüdischen Gemeinschaft bekannt, da hier Rabbi Levi Yitzhak Schneerson begraben liegt. Sein Grab ist ein Wallfahrtsort, zu dem Menschen aus der ganzen Welt kommen um hier zu beten oder um etwas zu bitten. Und auch jene, die nach Almaty gekommen waren, um das 20-jährige Jubiläum der Synagoge zu begehen, besuchten das Grab.
Jeshaja Cohen, der Oberrabbiner Kasachstans
Das Oberhaupt der jüdischen Gemeinde Kasachstans Jeshaja Cohen ist ein Gesandter des letzten Rebbe von Ljubawitschi. Er war damals 23 Jahre alt. Mit vier Jahren hatte er angefangen die Thora zu lernen und mit 15 wollte er nicht etwa Kosmonaut oder Polizist sondern Rabbiner werden, aber unbedingt dort, wo die Gemeinde Hilfe braucht. Und 1994, als Rabbi Menachem Mendel Schneerson schon schwer erkrankt war, erhielt er die Erlaubnis nach Almaty zu gehen, wo Schneerson Senior begraben ist und es acht Jahre lang überhaupt keinen Rabbiner gab.
Jeshaja Cohen erinnert sich, wie schwer es bei seiner Ankunft war. Er konnte weder kasachisch noch russisch. In der Stadt gab es eine kleine Synagoge und eine winzige Gemeinde. Viele Jüd*innen wussten nicht, wie man koschere Speisen zubereitet und hatten nie eine Thora in ihren Händen gehalten.
Rabbi Cohen begann bei den Kleinsten: Er organisierte ein Ferienlager für jüdische Kinder und führte die ersten Beschneidungen durch. Nach einiger Zeit bat er beim Akimat (der Stadtverwaltung, Anm. d Ü.) um ein Grundstück für den Bau einer Synagoge. „Als ich den Brief an die Gemeinde einreichte, bat ich um 1000 Quadratmeter. Aber sie gaben mir nicht 1000“, erzählt Jeshaja Cohen. „ Sie gaben mir 3500 Quadratmeter“.
Ein Rabbiner ist nicht nur einfach ein Geistlicher. Er erfüllt auch die Rolle eines „weltlichen“ Gerichts in der Gemeinde. Mit der Bitte zu richten kommen zu ihm Geschäftspartner*innen, die sich nicht einigen können, zerstrittene Eheleute und auch Eltern, um Rat in Erziehungsfragen zu erhalten. Die wichtigste Regel ist beide Seiten anzuhören und zu versuchen, sie zu versöhnen. Doch in seinem Rat und Urteil darf der Rabbiner sich nur auf die Thora und andere heilige Bücher berufen. Diese muss er sehr gut kennen.
„Ich danke dem Allmächtigen dafür, dass ich genau hierher nach Kasachstan gekommen bin, denn dies ist ein Ort, den ich als beispielhaft für die ganze Welt betrachte. Und ich glaube, dass jeder Mensch, der nach Kasachstan kommt, dies so empfindet. Die Menschen hier scheinen mir so tolerant und freundlich wie kaum irgendwo anders“, erklärt Rabbi Jeshaja Cohen
„Und die Staatsorgane – ich beobachte das seit 1994 – vom Akim, über die Regierung bis hin zum Präsidenten, vermitteln stets, dass man in Freundschaft miteinander leben muss. Und obwohl es hier sehr viele unterschiedliche Ethnien gibt, leben alle friedlich miteinander. Wenn ich heute auf der Straße unterwegs bin und alle wissen und sehen, dass ich Jude bin, muss ich mich nicht vor irgendwelchen Angriffen in Acht nehmen. Gott sei Dank verstehen uns die Leute. Wir sind zahlenmäßig wenige, aber man behandelt uns wie Gleiche, mit Achtung. Ich bitte den Allmächtigen, dass das immer so bleiben möge.“
Seiner Schätzung nach leben in Kasachstan circa 40.000 Jüd*innen. In sechs Städten gibt es vollständig funktionierende Synagogen mit Kulturzentren unter der Leitung eines Rabbiners: in Almaty, Astana, Karaganda, Kostanai, Pawlodar und Öskemen.
Kirgistan
Die Geschichte der Jüd*innen auf dem Territorium des heutigen Kirgistans ist nicht sehr alt. Natürlich ließen sich vereinzelte Vertreter*innen dieses Volkes schon vor langer Zeit hier nieder, denn auch hier verlief die Seidenstraße – auf der nicht nur Waren sondern auch neues Wissen sich seinen Weg bahnte. Eine richtige jüdische Gemeinschaft entstand allerdings erst Ende des 19. Jahrhunderts, als Kirgistan in das Russische Imperium eingegliedert wurde. Eine zweite Welle erreichte die Republik zur Zeit der Massenrepressionen unter Stalin und während des Zweiten Weltkriegs.
„Jüd*innen kamen aus verschiedenen Gründen hierher. Der Großteil der Familien wurde nach Kirgistan verbannt. Andere flohen vor möglicher Verfolgung ins eher ruhige Zentralasien. Außerdem wurden Menschen aus den vom Krieg betroffenen Gebieten in Belarus und der Ukraine hierher evakuiert“, erzählt Rabbi Arie Reichman.
Die frühe jüdische Gemeinschaft in Kirgistan
Ungefähr zu dieser Zeit entstand auch die erste Synagoge der Republik. Viele Jahre befand sie sich in einem einfachen Haus, das sich in nichts von den Nachbarhäusern unterschied.
Aleksandr Barschaj erinnert in seinen Notizen „Evrejskoje slowo i delo w Kirgisii“ („Jüdisches Wort und Tat in Kirgisien“) an die frühere jüdische Gemeinschaft.
„Als ich ein kleiner Junge war, führte mich mein Großvater Chaim in die alte Synagoge von Frunse (das heutige Bischkek, Anm. d. Ü.). Es war wohl am Sabbat und wir gingen sehr, sehr lange, fast bis an den Stadtrand. Dort in einem langen einstöckigen Holzhaus, das einer Baracke glich, waren alte mit Gebetsschals bedeckte Juden, die etwas flüsterten, leise auf Jiddisch sprachen und sogar versuchten zu singen.“
Laut der Volkszählung von 1959 lebten in Kirgistan 26.000 Jüd*innen. „Und das ist nur die offizielle Zahl. Es war recht gefährlich zu der Zeit Jüd*in zu sein, weswegen viele ihre Nationalität verbargen und sich als Russ*innen, Ukrainer*innen oder Belarus*innen registrierten“, so Rabbiner Reichmam. Mit dem Zerfall der Sowjetunion begann die Abwanderung der Jüd*innen. Laut der Volkszählung von 1989 waren nur noch 7200 Jüd*innen in der Republik. Die Zahl sinkt bis heute.
„In unsere Synagoge – und es ist die einzige in Kirgistan – kommen noch ungefähr 1500 Personen“, erzählt der Rabbiner. „Nicht alle kommen zum Gebet hierher. Überhaupt bedeutet das Wort „Synagoge“, wenn man es aus dem Griechischen übersetzt „Versammlung“. Es ist also ein Ort der Gemeinde.“ Lange war die Bischkeker Synagoge lediglich ein Ort für die Gemeinde und jüdische Vereine. Dies war die Folge davon, dass es in der Republik kaum noch Jüd*innen gab, die wussten, wie man betet oder Feiertage begeht.
Der einzige Rabbiner des unabhängigen Kirgistans
Reichman kam 1989 nach Kirgistan. Nach seiner Ausbildung zum Rabbiner wollte er eigentlich nach Taschkent, aber der dortige Rabbiner machte ihn darauf aufmerksam, dass es in Kirgistan niemanden gebe, der dort helfe die Gebete und Feiertage durchzuführen. Seitdem lebt er also dort.
„Die Gemeinde hier ist klein, Helfer*innen habe ich wenige, weswegen es mir zukommt alle Rituale, die mit dem religiösen Leben der Jüd*innen verbunden sind, durchzuführen. Ich wollte hier nicht für lange Zeit bleiben. Aber das Judentum in Kirgistan formiert sich erst. Hier brauch man jemanden, der Fragen beantwortet, zum Beispiel, wie man koscheres Essen kocht und Hochzeiten oder Begräbnisse durchführt.“
2010 erlebte die jüdische Gemeinde eine schwere Erschütterung. Am 9. September gegen 17.20 Uhr warfen Unbekannte einen Sprengsatz in den Hof der Synagoge. Unter der Überdachung im Hof war bereits alles für das jüdische Neujahrsfest Rosch-ha-Schana vorbereitet. Nur durch einen glücklichen Zufall wurde niemand verletzt. Der Beginn der Feierlichkeiten war auf 17.30 Uhr angesetzt, wurde aber auf 18.00 Uhr verlegt. Das Verbrechen wurde von den Sicherheitsorganen als terroristischer Akt eingestuft.
Doch natürlich gab es auch glückliche Momente. So wurde eine jüdische Mittelschule eröffnet und im letzten Jahr zog die Synagoge in eines neues, hübsches und angenehmes Gebäude um, das dank Spenden von Jüd*innen aus der ganzen Welt gebaut wurde. Eindrücke davon bietet ein Video des kirgisischen Internetmediums Kaktus:
https://www.youtube.com/watch?time_continue=15&v=6LTskgfMzQM
In der Synagoge gibt es kein einziges Bild. „Weil es verboten ist. Sie haben gewiss von den 10 Geboten gehört. Um im 2. Gebot heißt es: Du sollst dir kein Bild noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben in Himmel, noch von dem was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich bin der Herr, dein Gott“, zitiert der Rabbi.
Der Gebetsraum ist in zwei Hälften geteilt. Hinter einer Abschirmung befindet sich die Hälfte für die Frauen. „Das macht man aus ganz gewöhnlichen Gründen des täglichen Lebens und hat nichts mit einer Diskriminierung von Frauen oder Männern zu tun“, sagt Arie Reichman, „Stellen Sie sich vor, dass eine schöne Frau in die Synagoge kommt. Die Männer können sich nicht mehr auf das Gebet konzentrieren und werden die ganze Zeit abgelenkt sein. Das ist normal.“
Der Lage des Redepults nach zu urteilen, drehen Sie sich während des Gebets den Rücken zu?
„Die Frage ist wem. Wir wenden uns mit dem Gebet an Gott und ihm wenden wir uns zu.“
Und kann man in jeder Sprache und Form beten oder gibt es spezielle Texte?
„Ich denke, man muss in Gott mehr Vertrauen haben, als die Mehrheit der Menschen meint. Natürlich versteht er all Ihre Worte auf jeder Sprache. Sie können sich an ihn wenden, wie Sie wollen. Aber natürlich gibt es auch spezielle Texte. Da die Menschen verschieden sind, können nicht alle formulieren, was ihnen auf dem Herzen liegt. Deswegen haben sich vor tausenden Jahren die Weisen besondere Worte überlegt.“
Ich habe gehört, dass man als Jüd*in nur geboren wird und es nicht werden kann, im Unterschied zum Islam oder zum Christentum. Was ist der bedeutendste Unterschied zu diesen Religionen?
„Wollen Sie Jüdin werden? Nichts ist unmöglich. Es ist schwierig, aber möglich. Und was die Unterschiede betrifft, so wollen die anderen Religionen die Zahl ihrer Anhänger*innen erhöhen. Im Judentum ist das verboten. Der Mensch soll selbst seine Entscheidung treffen.“
Und dürfen wir fragen worin das Auserwähltsein des jüdischen Volkes besteht?
„Wissen sie woher dieser Ausdruck kommt? Aus der Bibel. Aber das bedeutet nicht, dass wir von Gott besonders behandelt werden. Das ist wie eine große Familie. Eltern lieben alle ihre Kinder. Aber manche haben ihre Bestimmung. Das Auserwähltsein der Jüd*innen besteht genau darin, dass sie eine Bestimmung haben, eine bestimmte Auswahl an Pflichten. Wer meint, dass daraus irgendwelche Präferenzen resultieren, der möge auf die tausendjährige Geschichte unseres Volkes schauen.“
Tadschikistan
Einst lebten in Tadschikistan Tausende Anhänger*innen des Judentums. Die Volkszählung von 1989 nennt zum Beispiel eine Zahl von ungefähr 15.000. Ihnen standen in Duschanbe drei Synagogen offen, von denen aber zwei schon in den 80er Jahren geschlossen wurde, sodass nur noch eine übrigblieb. Ihr Gebäude war eines der ältesten im Zentrum der tadschikischen Hauptstadt. 2006 wurde sie abgerissen. Heute befindet sich an ihrer Stelle eine Grünanlage, die an den Palast der Nation angrenzt.
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Der Abriss alter Gebäude ruft in Duschanbe immer den Zorn der Einheimischen hervor, aber im Fall der alten Synagoge entstand ein echter Skandal. Der Abriss begann im Februar 2006. Bulldozer zerstörten die Mikwe (das rituelles Bad), ein Klassenzimmer sowie einen koscheren Schlachthof, doch schon bald waren die Stadtoberen genötigt mit der Zerstörung aufzuhören, da sich Vertreter*innen des Weltkongresses der Bucharischen Jüd*innen dem Protest anschlossen.
Rechtsstreit mit der Stadtverwaltung
In der Folge schlug die Stadtverwaltung der jüdischen Gemeinde ein Grundstück am Stadtrand vor, um dort eine Synagoge zu bauen. Dies konnte aber die Gemeinde nicht zufrieden stellen, da es ihr an den finanziellen Mitteln für einen Neubau fehlte.
2008 klagte dann die Bezirksverwaltung gegen die Leitung der Synagoge, die sich weigerte der städtischen Anordnung nachzukommen und das Gebäude zu verlassen. Das Gericht gab dem Kläger Recht und die Synagoge wurde endgültig abgerissen.
Doch damit war die Sache noch nicht vorbei: Nach genau einem Jahr schenkte Hassan Asadullosoda, Vorstandsvorsitzender der „Orienbank“ (eine der größten Banken des Landes, Anm.d.Red.) und zukünftiger Schwiegersohn des Präsidenten, der Gemeinde ein Haus im Zentrum Duschanbes. „Das Haus ist in gutem Zustand und es bedarf keiner Renovierung“, ließen Vertreter der jüdischen Gemeinde damals die Presse wissen.
Heute befindet sich in diesem Haus die einzige Synagoge Tadschikistans. An ihr befindet sich kein einziger Davidsstern, nur das Tor ist in den Farben der israelischen Flagge gestrichen. In der neuen Synagoge ist es ruhig und leer, aber auch sauber und angenehm. Uns begrüßt ein Mann, der sich als Yakow Matajew vorstellt, er ist der Vorsitzende der kleinen jüdischen Gemeinde Tadschikistans.
„Auf meiner Liste befinden sich 30 Personen, alle im sehr hohen Alter. Viele stehen gar nicht mehr auf und kommen selten hierher. Wenn man uns zum Feiertag Matze aus Israel oder der Ukraine schickt, verteile ich sie an die Häuser“, erzählt er.
In der tadschikischen Synagoge gibt es nicht einmal einen Rabbiner, denn nach den Gesetzen des Judentums müssen zum Gebet nicht weniger als 10 Männer älter als 13 Jahre kommen – eine Anforderung, die die Gemeinde nicht mehr erfüllt.
Eine verschwindend kleine Gemeinschaft
„Die Emigration der Jüd*innen aus Tadschikistan begann schon in den 70ern und dauerte in den 80ern an und als 1992 der Bürgerkrieg begann, richtete man eine direkte Flugverbindung nach Israel ein und alle, die wollten, verließen das Land. Seitdem ist praktisch niemand mehr da“, erzählt Matajew.
Oft besuchen zugezogene Jüd*innen, die für internationale Organisationen in Tadschikistan arbeiten, die Synagoge. Und auch die ehemaligen Tadschikistaner*innen vergessen ihre Wurzeln nicht: Fast jährlich kommt jemand von ihnen nach Duschanbe, um die Synagoge und die Gräber der Verwandten auf dem Stadtfriedhof, die die Gemeinde mit finanzieller Unterstützung des Weltkongresses der Bucharischen Jüd*innen pflegt, zu besuchen.
„Letztes Jahr kam eine große Delegation aus Amerika, manchmal besuchen uns Familien, die hier Halt machen“, erzählt der Vorsitzende Matajew. Er führt uns durch ordentliche Zimmer, zeigt uns den Gebetsraum: für die Ordnung in der Synagoge sorgen drei Personen – er selbst und zwei seiner Helfer*innen. „Und so ist es gekommen, dass in unsere Synagoge jetzt Vertreter aller Weltreligionen zusammenkommen: Ich bin Jude, Andrjuscha ist Christ und Gulya Muslima. Wir leben in Eintracht, achten auf die Ordnung und sind immer froh Gäste begrüßen zu dürfen.“
Marina Mikhtajewa
The Open Asia
Aus dem Russischen von Robin Roth