Das Berliner Sinema Transtopia war vom 27. bis 28. September 2025 Gastgeber der ersten Ausgabe von „Central Asia: At The Crossroads“, einem neuen Kurzfilmfestival, das mutige und vielfältige Stimmen aus Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und der uigurischen Region Chinas in den Mittelpunkt stellt. Die zweitägige Veranstaltung bot einen lebendigen Einblick in das aufstrebende Kino der Region: von intimen persönlichen Geschichten bis hin zu eindrucksvollen sozialen Porträts. Hier werden einige der denkwürdigsten Werke des Programms vorgestellt.
Die Eröffnung des Kurzfilmfestivals fand parallel zu einem Schwesterprogramm in Taschkent statt, das von der unabhängigen Toshkent Film School unterstützt wurde. Neben einer Hauptauswahl mit Werken von Filmschaffenden aus Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und der uigurischen Region Chinas bot das Festival auch einen Workshop zu dekolonialen und feministischen Ansätzen beim Drehbuchschreiben und Kuratieren sowie einen Vortrag über die Herausforderungen des Filmemachens und der Festivalorganisation.
Die Filme wurden thematisch in vier unabhängige Sektionen unterteilt: „Radical Hopefulness“, „Tender is the Youth“, „Kinds of Remembrance“ und „Yurt – bu? Homeland – is?“. In allen Vorführblöcken tauchten jedoch mehrere übergreifende Themen auf, die von den Routinen des Alltags über Fragen der Jugend und Identität, kollektive und persönliche Erinnerung, feministische und queere Perspektiven bis hin zu verschiedenen anderen drängenden sozialen Themen reichten.


Diskussion mit Temur Umarov (Carnegie Endowment for International Peace) und Dr. Aksana Ismailbekova (ZMO) über die aktuelle gesellschaftspolitische Lage in Zentralasien. Fotos:@fogg_films
Mirtemir geht’s gut
Tagesaufnahmen einer heruntergekommenen Hütte im staubigen Nukus weichen allmählich Abendaufnahmen einer belebten Straße. Auf diese Weise stellen die Regisseure Sascha Kulak und Michail Borodin die beiden Seiten der Realität des jungen Mirtemir gegenüber. Am Morgen ist er ein fürsorglicher älterer Bruder, der auf seine Schwester aufpasst, und ein Enkel, der sich um seine blinde Großmutter kümmert; am Abend wird er zum Fast-Food-Kellner und Straßenmusiker, der Passantinnen und Passanten mit einer mobilen Karaoke-Anlage unterhält. Diese frühe Verantwortung kam auf ihn zu, nachdem seine Mutter ins Ausland gezogen war, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Mirtemir selbst träumt davon, dasselbe zu tun: nach Almaty zu gehen, um dort als Kellner zu arbeiten. Obwohl er gelernt hat, Arbeit und Vergnügen unter einen Hut zu bringen – indem er beispielsweise mitten am Tag einen Moment findet, um mit seiner jüngeren Schwester Rollschuh zu laufen –, wird den Zuschauenden wie vielleicht auch dem Jungen selbst klar: Die Kindheit schwindet dahin. Spiele und Streiche weichen der Fürsorge für geliebte Menschen und dem Streben nach dem Wohlergehen der Familie.
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Der fast reportageartige Stil des Dokumentarfilms verleiht der Geschichte eine besondere Authentizität und zurückhaltende emotionale Tiefe. Und auch wenn das Publikum nicht sicher sein kann, ob Mirtemir wirklich existiert, steht eines außer Frage: Der Film thematisiert ein drängendes soziales Problem: das der Kinder, die in Usbekistan ohne elterliche Fürsorge zurückbleiben, weil die Erwachsenen gezwungen sind, zur Arbeit zu migrieren, um ihre Familien zu versorgen. Trotz seines jugendlichen und manchmal ironischen Tons, der sowohl dem Alter des Protagonisten als auch der Atmosphäre seiner Umgebung entspricht, wirft Mirtemirde beri jaksy (Мiртемiрде бэрi жаксы, „Mirtemir geht’s gut“) tiefgreifende Themen wie Armut, erzwungene Reife und den Verlust der Kindheit auf.
Genosse Polizist
Wenn Sie sich jemals gefragt haben, wie kasachstanische Nachrichtenmedien tatsächlich funktionieren, wird Assel Aushakimovas Kurzfilm diese Neugier in nur dreizehn Minuten vollständig befriedigen. Die Geschichte über die Produktion eines pseudo-fernsehähnlichen Berichts über das staatliche Programm Jolda Qabyldau (Жолда Қабылдау, „Empfang unterwegs“) entfaltet sich zu einer charmanten Satire – nicht nur über die zeitgenössische Nachrichtenberichterstattung, sondern auch über die inneren Abläufe von Strafverfolgungsbehörden.
Der Kern der Sendung selbst wird durch die sorgfältig ausgewählten Aufnahmen des sogenannten Berichts deutlich: An speziell ausgewiesenen Punkten am Straßenrand kann jeder Bürger und jede Bürgerin mit einer Frage oder einem Anliegen an Polizeivertreter herantreten. Zur Veranschaulichung entscheidet sich die lokale Journalistin Nur (gespielt von Dinara Alieva), direkt gegenüber einer solchen Station zu filmen – einem Minivan, der vage an einen Polizeiwagen erinnert. In der Nähe, an einem kleinen Tisch, knackt ein für den Posten zuständiger Polizist gemächlich Sonnenblumenkerne. Doch einzig eine Aufnahme eines einsamen „Empfangspunkts“ reicht nicht aus – die Popularität der Sendung in der Öffentlichkeit muss demonstriert werden. Daher greift Alievas Figur zu einer eigentümlichen Lösung: Sie überredet einen Taxifahrer, sich als Bürger mit einer Frage auszugeben.
Die komische Spannung erreicht ihren Höhepunkt, als beide Teilnehmer der improvisierten „Empfangsstelle“ beginnen, vor der Kamera über ihre angebliche Erfahrung zu sprechen – oder vielmehr stockend aus einem vorab geschriebenen Skript des staatlichen Fernsehsenders vorzulesen.
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Obwohl der Film bereits vor vier Jahren veröffentlicht wurde, hat er nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Die Verwirrung über den Namen der Hauptstadt (Astana oder Nur-Sultan?) sorgt immer noch für Schmunzeln, während die ironische Darstellung der Arbeitsweise der staatlichen Medien weiterhin beim Publikum auf große Resonanz stößt.


Blaues Tor
Eine ergreifende Geschichte der kirgisischen Regisseurin Nargiza Dotijewa erschien im Themenblock „Yurt – bu? Homeland – is?“, der sich mit Reflexionen über den Begriff „Heimat“ befasst. Im Gegensatz zu den anderen Filmen dieser Sektion, die sich dem Thema Heimat durch das Prisma der Erinnerung, der kulturellen Zugehörigkeit oder sogar der Ablehnung des Konzepts von Heimat als beständigem und festem Ort näherten, präsentiert Kök Darbaza (Көк Дарбаза, „Blaues Tor“) ein anderes, greifbareres Bild – das eines hinter blauen Toren verborgenen Hauses. Doch beschränkt sich die Regisseurin auf diese einzige Interpretation?
Der Protagonist – ein einsamer, zurückhaltender junger Mann – fühlt sich auf unerklärliche und unwiderstehliche Weise zu eben diesen blauen Toren hingezogen. Oder vielmehr zu dem, was dahinter liegt: ein altes, bescheidenes Haus, ein halb verwilderter Garten und daneben, auf einer verwitterten Bank, eine blinde alte Frau, die die Sonnenstrahlen genießt. Unfähig, ein schüchterner Beobachter zu bleiben, schleicht sich der junge Mann wiederholt in den Garten – hier zieht er Unkraut, dort repariert er die Bank, den Lieblingsplatz der alten Frau. Obwohl sie blind ist, spürt sie dennoch seine Anwesenheit und noch etwas mehr: seine Einsamkeit. Es scheint, als sei sie die Einzige in seiner Umgebung, die ihn wirklich gesehen hat – nicht sein Gesicht, sondern seine Seele.
Ein tragischer Unfall auf der Straße trennt die beiden, allerdings nur physisch. Die spirituelle Verbindung zwischen ihnen bleibt bestehen, wie ein Faden, der die Äste der Bäume umschlingt, die sich vom Haus zum See erstrecken – die letzte, geheime Geste der Fürsorge des jungen Mannes, die er der alten Frau als Geschenk hinterlässt.
So überschreitet Kök Darbaza bei der Beantwortung der Frage „Was ist Heimat?“ die Grenzen des physischen Raums. Es ist eine Geschichte von spiritueller Nähe, die trotz fehlender Blutsbande, trotz der Umstände und trotz der Stille entsteht. Eine Geschichte von Liebe, Verbundenheit und Akzeptanz, die den Begriff „Heimat“ in eine Metapher für menschliche Verbundenheit und innere Wärme verwandelt.
Aktuelle Informationen zu zukünftigen Vorführungen oder Ausgaben des Festivals finden Sie auf der Instagram-Seite von Central Asia: At The Crossroads.
Alle in diesem Artikel verwendeten Fotos werden mit Genehmigung des Fotografen @fogg_films veröffentlicht.
Darya Loza für Novastan
„Central Asia: At the Crossroads“ – Highlights von Berlins neuem regionalem Filmfestival