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Usbekistan: Verhaftungswelle gegen mutmaßliche Islamisten

Im Juni kam es in Usbekistan zu einer Reihe von Verhaftungen gegen mutmaßliche Islamisten. Sie werden beschuldigt, Anhänger in den sozialen Netzwerken geworben zu haben. Die Regierung versucht derweil, ein Gleichgewicht zwischen der Religionsfreiheit und dem Kampf gegen den Islamismus zu finden.

Im Juni kam es in Usbekistan zu einer Reihe von Verhaftungen gegen mutmaßliche Islamisten. Sie werden beschuldigt, Anhänger in den sozialen Netzwerken geworben zu haben. Die Regierung versucht derweil, ein Gleichgewicht zwischen der Religionsfreiheit und dem Kampf gegen den Islamismus zu finden.

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In Zentralusbekistan gab die Regionalpolizei von Samarkand am 17. Juni bekannt, dass sechs Usbeken festgenommen wurden, denen vorgeworfen wird, der islamistischen Organisation Hisb ut-Tahrir (arab.: ‚Partei der Befreiung‘, Anm. d. R.) anzugehören. Die Hisb ut-Tahrir tritt für die Errichtung eines Kalifats ein. Wie das russische Medienunternehmen Fergana News berichtet, ist die Organisation in Usbekistan verboten. Einige der Verhafteten waren bereits im Vorhinein aufgrund von illegaler Propaganda vorbestraft.

Drei Verhaftungswellen innerhalb von einer Woche

Innerhalb weniger Tage kam es in Usbekistan zu mehreren Verhaftungen. Bereits am 10. Juni gab die Regionalpolizei bekannt, 14 Personen festgenommen zu haben, die sich Terrororganisationen im Nahen Osten anschließen wollten. Die Gruppe wurde, wie es in der Erklärung heißt, „über die sozialen Netzwerke“ identifiziert.

Auch bei der Verhaftung von 20 Personen einer nicht identifizierten extremistischen Gruppierung am 16. Juni in der Provinz Syrdarja sollen soziale Netzwerke eine Schlüsselrolle gespielt haben. Nach Angaben der Behörden hatten die Mitglieder dieser Gruppierung einen Telegram-Kanal angelegt, um Video- und Audiobotschaften zu verbreiten, „die für extremistische und terroristische Organisationen werben“. Waffen, Telefone und Unterlagen, die die Radikalisierung der Inhaftierten belegen sollen, konnten in den jeweiligen Wohnungen sichergestellt werden.

Religiöser Fundamentalismus in Zeiten des Internets

Die Verhaftungswellen sind ein relativ neues Phänomen in Usbekistan. Im April dieses Jahres berichtete die US-amerikanische Zeitschrift Foreign Policy, dass Usbekistan zurzeit ein Wiederaufleben religiöser Tendenzen erlebe. Einige Religionsexperten vermuten, dass das Internet zu einer Verbreitung islamistischer Ideologien führen könnte. Schon im Mai letzten Jahres war es zu Verhaftungen mutmaßlicher Mitglieder der Hisb ut-Tahrir gekommen.

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Generell scheinen die usbekischen Behörden wachsamer geworden zu sein, was das Thema Religion betrifft. Radio Ozodlik, der usbekische Zweig von Radio Free Europe, teilte mit, dass Taschkent 1.500 Staatsbürger zurückbeordert hat, die sich in der Türkei und in Ägypten aufgehalten haben, um islamische Theologie zu studieren.

Strenge Kontrolle des Islams

Die erzwungene Rückkehr der Theologiestudenten muss im spezifischen Kontext der jüngeren usbekischen Geschichte betrachtet werden. Während der Präsidentschaft Islom Karimovs (1991-2016) wurde die organisierte Ausübung des Islams einer strengen Kontrolle unterworfen. Ende der 1990er Jahre ging die Regierung des mehrheitlich muslimischen und bevölkerungsreichsten Lands Zentralasiens hart gegen mutmaßliche Mitglieder der Hisb ut-Tahrir vor. In der Hauptstadt Taschkent kam es am 16. Februar 1999 zu einer Reihe von Explosionen, bei denen neun Menschen starben. Wie durch ein Wunder entging Karimow dem Anschlag. Der damalige Innenminister, Zakir Almatov, machte umgehend die Islamisten für die Attacke verantwortlich und legitimierte damit die Repressionen gegen die Organisation.

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Im Juli 1999 folgten mehrere Selbstmordattentate in Taschkent, zu denen sich nacheinander drei islamistische Gruppierungen, darunter auch die Hisb ut-Tahrir, bekannten. Der in London lebende Sprecher der Bewegung bestritt hingegen jegliche Beteiligung. Die usbekischen Behörden antworteten auf die Anschläge mit einer Reihe von Verhaftungen in islamistischen Kreisen. Noch im selben Jahr wurde auch der mutmaßliche Anführer der Hisb ut-Tahrir in Usbekistan, Hafizullo Nasyrov, festgenommen und zu einer 20-jährigen Haftstrafe verurteilt.

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Im Frühjahr und Sommer 2004 kam es erneut zu Anschlägen, denen über 40 Menschen in Taschkent und Buchara zum Opfer fielen. Wie die französische Tageszeitung Libération damals schrieb, beschuldigte die Regierung unmittelbar nach den Attentaten den „internationalen Terrorismus“ und die Hisb ut-Tahrir. Mit Sicherheit bestätigt werden konnten diese Anschuldigungen allerdings nie. Dennoch führten die Anschläge von 2004 zu neuen Repressionen, die bis zum Ableben Islom Karimovs im August 2016 andauerten.

Eine veränderte Haltung

Die derzeitige Regierung des Präsidenten Shavkat Mirziyoyev, der im Dezember 2016 sein Mandat antrat, steht nun vor der Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen der Religionsfreiheit und dem Kampf gegen den Extremismus zu finden. So wurde unter Mirziyoyev etwa der islamische Gebetsruf wieder erlaubt und das Religionsgesetz liberalisiert. Einem Artikel der usbekischen Onlinezeitung Gazeta.uz zufolge, hat Mirziyoyev es als „Tragödie“ bezeichnet, dass die usbekische Regierung nicht in der Lage gewesen sei zu vermitteln, dass der Islam im übertragenden Sinne ein „Licht“ sei.

Die Regierung befürchtet anscheinend, den Kontakt zur islamischen Mehrheitsgesellschaft zu verlieren, die in den vergangen Jahren immer religiöser wurde. Sie entschied sich, ihre Haltung gegenüber dem Islam der veränderten Situation anzupassen: Taschkent versucht, sich von den (post-)sowjetischen Werten freizumachen und eine versöhnliche Sprache zu sprechen, die bei der muslimischen Bevölkerung auf offene Ohren trifft.

Emma Vanzo für Novastan France

Aus dem Französischen von Lucas Kühne

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