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Neue Hoffnung für Usbekistan

Die offizielle Unterstützung für Palästina, viele Zeichen der Öffnung zu den Nachbarländern und vieles mehr - seit dem Tod von Präsident Islam Karimow scheint sich Usbekistan in der Innen- sowie der Außenpolitik zu verändern. Novastan übersetzt den Artikel von Akhmed Rachmanow, der diese fühlbaren Veränderungen kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 4. Dezember analysiert. 

akhmed gregorb 

Samarkand in Usbekistan

Die offizielle Unterstützung für Palästina, viele Zeichen der Öffnung zu den Nachbarländern und vieles mehr – seit dem Tod von Präsident Islam Karimow scheint sich Usbekistan in der Innen- sowie der Außenpolitik zu verändern. Novastan übersetzt den Artikel von Akhmed Rachmanow, der diese fühlbaren Veränderungen kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 4. Dezember analysiert. 

Achmed Rahmonov arbeitet für das IPSE (Institut Prospective&Sécurité en Europe) und berichtet von Taschkent aus. Er ist auch ein Mitarbeiter von Novastan.

Am 19. Oktober 2016 überraschte Abdulaziz Komilow, Außenminister Usbekistans, die internationale Gemeinschaft: er erklärte bei einer Pressekonferenz der Organisation für islamische Zusammenarbeit in Taschkent die volle Unterstützung seines Landes für Palästina und die Al-Quds Ash Shareef (Jerusalem). Zusätzlich begann Komilow seine Rede mit den nach islamischer Tradition gesprochenen Worten „Im Namen Allahs“ (Bismillahir Rahmanir Raheem). Unter Karimows Ägide wäre ein solches Statement undenkbar gewesen. Usbekistan versuchte stets ideologisch neutral zu bleiben, um nicht in internationale Konflikte verwickelt zu werden. Sogar während der Ukrainekrise, die Usbekistan direkt betrifft, verzichtete der Präsident darauf, einer Seite seiner Unterstützung zu versichern.

Überraschungen in der Innen-und Außenpolitik

Was derzeit zu beobachten ist, sind ungewöhnliche Veränderungen innerhalb der usbekischen Führungsriege. Der Interimspräsident Schavkat Mirzijojew kündigte an, dass ein online-Dialog mit usbekischen Bürgern eröffnet würde – eine Art virtuelle Audienz, bei der Mirzijojew Beschwerden über verschiedenste das Land betreffende Themen entgegennehmen wird. Das ist eine Entwicklung, die unter Karimow undenkbar gewesen wäre. Ein bisher unvorstellbarer Schritt war auch die Eröffnung des offiziellen Facebook-Accounts, bei dem Einwohner Usbekistans bereits Kontakt mit dem Präsidentenamt aufnehmen konnten. Laut den Angaben der Seite, sind bis zum 22. Oktober bereits 70.000 Beschwerden eingegangen.

Auch außenpolitisch sind einige unerwartete Schritte auszumachen. Der Besuch des usbekischen Außenministers in Duschanbe war einer davon. In den letzten Jahren über politische, wirtschaftliche, Energie- und Grenzkonflikte zerstritten, entwickelten die Nachbarn ein angespanntes Verhältnis während Karimows Präsidentschaft. Auch die gegenseitigen Besuche von Delegationen und die erweiterte Zusammenarbeit an der Grenze mit Kirgistan sind klare Zeichen einer neuen Tendenz usbekischer Außenpolitik.

Lest auch bei Novastan: Verbesserungen im kirgisisch-usbekischen Grenzkonflikt?

Sollten wir nach Karimows Tod also größere Veränderungen in Usbekistan erwarten?

Erstens müssen wir bedenken, dass Mirzijojew ein Kandidat in der kommenden Präsidentschaftswahl am 4. Dezember ist. Der verstorbene Präsident Karimow herrschte 25 Jahre über das Land und war weithin bekannt in der usbekischen Gesellschaft. Mit seinem Image als starker Anführer und Vater der Nation konkurrieren zu wollen, wäre ein Fehler. Deshalb hat Mirziojew die „good cop“-Strategie gewählt und versucht, in der kurzen Zeit vor der Wahl den Respekt der Usbeken zu gewinnen und zu beweisen, dass er des Amtes fähig ist. Außerdem wird er in der internationalen politischen Szene als Hoffnung für das Land angesehen – besondere Beachtung findet dies auch, weil angenommen wird, dass die Zukunft ganz Zentralasiens von Usbekistan, der größten demografischen und politischen Macht der Region abhängt.

Keine wahren Änderungen in Sicht

Allerdings ist es noch zu früh von nachhaltigen Veränderungen zu sprechen. Mirzijojew befindet sich inmitten eines höchst populistisch geführten Wahlkampfs. Seine Idee der online-Audienz erinnert stark an Wladimir Putins „direktem Draht“, über den Bürger sich über lokale Probleme beschweren können. Putin löst deren Probleme und kann so die Unterstützung für seine Herrschaft ausbauen. Dieses Vorgehen vermittelt den Bürgern den Eindruck, dass ihre Probleme einzig durch die lokalen Behörden verursacht würden, die der Kontrolle des übergeordneten Staatsapparats entkommen seien. Das ist ein starkes Instrument, das Image der obersten Führungsebene aufzubessern. Doch was wirklich Probleme wie weitreichende Korruption, soziale Ungerechtigkeit und Arbeitslosigkeit in ländlichen Regionen verursacht und die Unverbundenheit der zentralen Machthaber mit der Gesellschaft, bleibt weiterhin verborgen. Diejenigen, die sich beschweren, sagen nichts über die großen Themen, die eine Mehrheit der Bevölkerung besorgt, sondern fokussieren sich auf ihre persönlichen Probleme.

Mehr akute Probleme, die in den virtuellen Audienzen erwähnt wurden, erhielten keinerlei Antworten. Einer dieser Probleme ist die Migration. Usbekistan erhielt bisher das sowjetische interne und externe Migrations-Kontrollsystem. Jeder, der Usbekistan verlassen und eines der Länder außerhalb der CIS-Staaten besuchen möchte, muss – ungeachtet des Anlasses – ein Ausreise-Visum (OVIR) beantragen. Eine Petition wurde auf Change.org gestartet, um die Ausreisevisums-Pflicht abzuschaffen, aber Mirzijojew hat diese Initiative noch keines Kommentares gewürdigt.

Als ein Kontrollinstrument für innere Migration, zwingt Usbekistan seine Bürger zur Registrierung aller Reisen auch innerhalb des Landes. Der am schwierigsten zu bereisende Ort ist die Hauptstadt Taschkent. Mit laut inoffiziellen Zählungen knapp 5 Millionen Einwohnern ist Taschkent die größte und bestentwickelte Stadt des Landes. Usbekistans zentralisierte Wirtschaft führte zur rapiden Entwicklung der Regionen um die Hauptstadt – zum Nachteil anderer Städte, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fast alle administrative Kleinstädte wurden. Um den Exodus in Richtung der Hauptstadt aufzuhalten, behielt das Land die strengen Vorgaben der Sowjetunion bei. Niemand darf sich mehr als fünf Tage abmelden und um offiziell nach Taschkent zu ziehen, braucht es eine Behördenerlaubnis. Dieses Vorgehen hat zu einer Spaltung des Landes zwischen den Hauptstadtbewohnern und dem ländlichen Rest geführt – und zur systematischen Diskriminierung derjenigen, die außerhalb Taschkents leben.

Gleichzeitig sind die ländlichen Regionen extrem abhängig von Geldflüssen aus Russland und Kasachstan, wo viele Usbeken Saisonarbeit nachgehen. Da diese Regionen Taschkent als eine sozial von den ländlichen Realitäten abgespaltene Festung sehen, werden jene wahrscheinlich den Kern einer unzufriedenen Protestbewegung bilden. Denn auch Mirzijojews virtuelle Audienzen werden deren Probleme nicht lösen können. Nicht zu vergessen ist, dass 70% der usbekischen Bevölkerung, mehr als 20 von den 30 Millionen Gesamtbevölkerung, in ländlichen Regionen leben.

Wirtschaftliche Probleme und Korruptionen behindern Reformen

Was die Außenpolitik angeht, ist bisher keine große Veränderung eingetreten. Diplomatische Besuche sind zahlreicher und neue Verhandlungen wurden eröffnet, aber wichtige Entscheidungen wurden noch nicht gefällt. Die Situation in Usbekistan erlaubt keine Veränderungen. Die Grenzkonflikte mit Tadschikistan und Kirgistan spiegeln lediglich andere wirtschaftliche Probleme, die mit der Wasser- und Energieknappheit zusammenhängen. Usbekistan hat bereits eigene „energy gap“-Probleme und wird nicht imstande sein, seine beiden Nachbarn stromaufwärts zu beliefern. Zusätzlich werden der Bau von Dämmen in Tadschikistan und Kirgistan den Wasserfluss nach Usbekistan während der landwirtschaftlich entscheidenden Monate weiter kappen. Das Land nutzt weiterhin traditionelle Formen der Bewässerung und ist schlicht nicht bereit, solcherlei Probleme zu bewältigen.

Ein weiteres Problem in Mirzijojews möglicher Präsidentschaft ist die potentielle Mitgliedschaft des Landes in der Eurasischen Wirtschaftsunion. Die Frage des Eintritts ist bis heute nicht geklärt, weil die Hauptmacht des Bündnisses, Russland, letztlich auf andere internationale Themen konzentriert war, was die Verhandlungen bisher in eine Einbahnstraße führte. Außerdem befindet sich Mirzijojew inmitten eines Wahlkampfs und so wird die Frage wahrscheinlich erst wieder angegangen, wenn er offiziell Präsident ist. Aber selbst danach ist zweifelhaft, ob das Land Vollmitglied der Union werden könnte. Viele Geschäftsinteressen der führenden Familien sind abhängig von der Isolation des Landes und dem Unterschied des offiziellen und des Schwarzmarktpreises für die usbekische Währung. Einige Geschäftsleute der politischen Elite haben einen Vorteil dabei, die Währung für niedrige offizielle Preise zu kaufen, um Produkte aus dem Ausland zu importieren. Eine EEU-Mitgliedschaft würde diesem Geschäftsmodell wohl ein Ende setzen, da eine marktregulierte Währung verpflichtend ist. Russland, das wirtschaftliche Probleme wegen der westlichen Sanktionen hat, kann sich nicht leisten, den usbekischen Eliten, die bei ihren Geschäften Regierungsprivilegien genießen, einen finanziellen Vorteil zuzugestehen.

Neue Machtverteilung in Usbekistan?

Allerdings können wir doch auch eine Veränderung des politischen Spiels beobachten. Ein neuer Reuters-Bericht behauptet, dass der machtteilende Deal zwischen den usbekischen Klans, der die Macht auf drei Männer (Mirzijajew, Rustam Inojatow und Rustam Azimow) überträgt, leicht durch die Inklusion des russisch-usbekischen Tycoons Alisher Usmanow gebrochen werden könnte. Einmal zum Präsidenten gewählt, könnte Mirzijojew seine Meinung über die Machtverteilung ändern. Da Usmanows Nähe zum Interimspräsidenten ebenso bekannt ist wie seine Protektion durch Russland, könnte Mirzijojew sich entschließen, die „power sharing“-Vereinbarung aufzulösen und eine Allianz mit dem mächtigen Oligarchen zu bilden. Sollte dies geschehen, wären einige politische „Säuberungsaktionen“ innerhalb der usbekischen Elite zu erwarten.

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Mirzijojew wird höchstwahrscheinlich der zweite Präsident des unabhängigen Usbekistans. Es ist zu früh, endgültige Feststellungen zu seiner Politik zu tätigen, weil derzeit der Wahlkampf noch läuft und den Erfolg möchte er nicht durch größere Veränderungen gefährden. Aber die populistischen Strategien, die er bereits bedient, könnten sich für ihn als Problem erweisen, wenn er Präsident ist, sollte er die Liberalisierung nicht fortführen und die unter Karimow entstandene Spaltung des Staates zwischen Stadt und Land nicht zu reduzieren versuchen.

Derzeit wird Mirzijojew als Hoffnung für Usbekistan gesehen – innerhalb und außerhalb des Landes. Noch hat er die Möglichkeit, das Land zu verändern und eine bessere Marke in der Geschichte zu hinterlassen als der späte Islam Karimow.

Dieser Artikel erschien zuerst auf  New Eastern Europe. 

Achmed Rahmanow ist ein Forschungsmittarbeiter des IPSE (Institut Prospective & Sécurité en  Europe) und Redakteur von Novastan.org

 

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