Startseite      Karakalpakstan: Nichts Neues im „Neuen Usbekistan“

Karakalpakstan: Nichts Neues im „Neuen Usbekistan“

ENTSCHLÜSSELUNG. Das Urteil des ersten Prozesses gegen Teilnehmende an den Protesten in Karakalpakstan wurde gesprochen. Der Aktivist Dauletmurat Tajimuratov, Symbol der Revolte, wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Die Juli-Demonstrationen und das Vorgehen gegen sie werden zweifellos die zweite Amtszeit von Shavkat Mirziyoyev prägen. Der usbekische Präsident, der mit dem Slogan eines "Neuen Usbekistan" auf die Demokratisierung des Landes pocht, errichtet ein autoritäres Regime in der Tradition seines Vorgängers Islom Karimov.

Usbekistan
Illustrationsbild (Chickenonline/Pixabay)

ENTSCHLÜSSELUNG. Das Urteil des ersten Prozesses gegen Teilnehmende an den Protesten in Karakalpakstan wurde gesprochen. Der Aktivist Dauletmurat Tajimuratov, Symbol der Revolte, wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Die Juli-Demonstrationen und das Vorgehen gegen sie werden zweifellos die zweite Amtszeit von Shavkat Mirziyoyev prägen. Der usbekische Präsident, der mit dem Slogan eines „Neuen Usbekistan“ auf die Demokratisierung des Landes pocht, errichtet ein autoritäres Regime in der Tradition seines Vorgängers Islom Karimov.

Nachdem Mitte Januar mehrere Demonstrierende zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, fällte nun ein Gericht in Buchara das rechtskräftige Urteil. Wie Current Time berichtet, wurde der karakalpakische Anwalt und Journalist Dauletmurat Tajimuratov am 31. Januar zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Journalistin Lolagul Kallyxanova erhielt acht Jahre Haft auf Bewährung.

Von den 22 Personen, die in Zusammenhang mit den Protesten, die im Juli 2022 in der karakalpakischen Hauptstadt Nukus stattfanden, angeklagt waren, wurden alle für schuldig befunden. 16 von ihnen wurden zu Haftstrafen zwischen drei und 16 Jahren verurteilt.

Novastan ist das einzige deutschsprachige Nachrichtenmagazin über Zentralasien. Wir arbeiten auf Vereinsgrundlage und Dank eurer Teilnahme. Wir sind unabhängig und wollen es bleiben, dafür brauchen wir euch! Durch jede noch so kleine Spende helft ihr uns, weiter ein realitätsnahes Bild von Zentralasien zu vermitteln.

Polat Shamshetov, ein ehemaliger Beamter des karapalpakischen Innenministeriums und Sohn des ersten und letzten Präsidenten von Karakalpakstan, wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Doch er starb am 4. Februar in seiner Haftanstalt an einer Lungenembolie, berichtet die usbekische Onlinezeitung Gazeta.uz.

Die für die Aufarbeitung der Juli-Ereignisse zuständige parlamentarische Kommission führt eine Untersuchung durch, obwohl sie laut dem in Almaty ansässigen karakalpakischen Aktivisten Aqylbek Muratbai „mehr als undurchsichtig“ sei. Während am 6. Februar bereits ein neuer Prozess gegen 39 weitere Personen begonnen hat, denen die Organisation von Massenunruhen vorgeworfen wird, wirft das Urteil des ersten Prozesses ein Licht auf die totale Unnachgiebigkeit des usbekischen Präsidenten Shavkat Mirziyoyev.

Eine politische Fehleinschätzung mit schwerwiegenden Folgen

Mirziyoyev brachte die Idee einer Verfassungsänderung im Jahr 2021 auf, als seine zweite Amtszeit von fünf Jahren begann. Eine der vorgeschlagenen Änderungen war die Aufhebung des autonomen Status der Republik Karakalpakstan und das Ende ihres Rechts auf Sezession. Diese spezifische Änderung löste am 1. Juli den Aufruf zu Protesten aus.

Die Regierung beschuldigte die karakalpakischen Behörden direkt, sezessionistische Aktionen zu schüren, und erwähnte laut Radio Azattyq, dem kasachstanischen Dienst von Radio Free Europe, die Intervention „ausländischer Kräfte“ zur Unterstützung der Proteste. Diese Version wird angefochten.

Lest auch auf Novastan: Klarer Himmel, rote Pfützen: Politische Entwicklungen in Usbekistan nach den Protesten in Karakalpakstan

Tatsächlich haben die zentralen Behörden das Internet in der Region abgeschaltet, um die Ereignisse zu verschleiern. Bei der Niederschlagung der Proteste durch Regierungstruppen wurden 21 Menschen getötet, darunter vier Angehörige der Sicherheitsbehörden. Hunderte wurden verletzt. Der im vergangenen November veröffentlichte Bericht von Human Rights Watch prangert eine „harte und ungerechtfertigte“ Repression an. Ein hoher Tribut, der hätte vermieden werden können.

Gegenüber OpenDemocracy erklärt Yuriy Sarukhanyan, Experte für internationale Beziehungen des Carnegie Centre, dass die usbekische Regierung durch die Herbeiführung solch drastischer und plötzlicher Verfassungsänderungen für die Republik „Probleme geschaffen hat, wo keine waren“.

Ein gar nicht so neues „Neues Usbekistan“

Der Prozess gegen die ersten 22 Angeklagten stand Journalist:innen offen. Dies ermöglichte der Regierung, die Transparenz des Gerichtsverfahrens zu demonstrieren. Doch diese scheinbare Transparenz wird von mehreren internationalen Organisationen in Frage gestellt, da die Behörden versuchen, Ungereimtheiten und autoritären Machtexzesse zu verbergen. Aqylbek Muratbai erinnert daran, dass Dauletmurat Tajimuratov angab, während seiner Haft gefoltert worden zu sein: „Aber seine Aussagen werden wie viele andere ignoriert“.

Steve Swerdlow, außerordentlicher Professor für Menschenrechte an der University of Southern California, stellt fest, dass die Journalistin Lolagul Kallyxanova, die sich teilweise schuldig bekannte, aufgrund des während der Ermittlungen ausgeübten Drucks „zu einer Entschuldigung gezwungen“ wurde.

Lest auch auf Novastan: Reiseführer für das Neue Usbekistan

Es fällt schwer, nicht an die autoritären Praktiken des ehemaligen Präsidenten Islam Karimov zu denken. „Solche politisch motivierten Verfahren, die nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun haben, waren in Usbekistan unter dem Regime von Islom Karimov üblich“, erklärt Alisher Ilkhamov, Politikwissenschaftler und Direktor von Central Asia Due Diligence, gegenüber MediaZona.

Doch Präsident Mirziyoyev, der in Reden ein „Neues Usbekistan“ fordert, behauptet das Gegenteil und gibt vor, das Land in eine Ära der Demokratie zu führen.

Was sind die Folgen für Karakalpakstan?

Die starke Machtvertikale bleibt erhalten und Taschkent mischt sich weiterhin in die inneren Angelegenheiten der halbautonomen Republik Karakalpakstan ein. So wurde der Prozess nicht den karakalpakischen Institutionen überlassen, sondern in das mehr als 500 Kilometer von Nukus entfernte Buchara verlegt. Hinzu komme eine „zunehmende Usbekisierung der Region“, erklärt Aqylbek Muratbai. „Zum Beispiel sind die Schulbücher alle auf Usbekisch, und wenn sie in karakalpakischer Sprache geschrieben sind, gibt es Fehler.“

Ganz Zentralasien in deiner Mailbox Abonniert unseren wöchentlichen Newsletter

Entdeckt die neueste Ausgabe

Aman Saguidullayev, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Karakalpakstans, erklärte gegenüber Mediazona, dass er nach der Verurteilung von Tajimuratov weitere Demonstrationen für die Freilassung aller Karakalpak:innen erwarte. Wenn neue Demonstrationen stattfinden, „werden sie dieses Mal radikaler sein“, schlussfolgert Aqylbek Muratbai, „weil diese ganze Affäre nur dazu geführt hat, die karakalpakische Aktivist:innen weiter zu radikalisieren“.

Emma Collet, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen, schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.