In Usbekistan JournalistIn zu sein, ist nach wie vor schwierig und gefährlich. Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit legte Nikita Makarenko auf Gazeta.uz dar, wie es um die Pressefreiheit in Usbekistan steht und mit welchen Schwierigkeiten JournalistInnen zu kämpfen haben. Wir übersetzen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Hallo! Liebe LeserInnen. Falls sie uns gerade hören. Wir sind es – die freie Presse. Wir existieren. Diese Worte diktiert jetzt kein Beamter, hinter meinem Rücken steht kein Berater und keine Zensur wird erfolgen. Ich setze am Ende einen Punkt und der Redakteur klickt auf „Veröffentlichen“. Das ist ein großer Erfolg in Usbekistan.
Vielleicht wird nachdem wir auf „Veröffentlichen“ geklickt haben und der Text auf der Seite erscheint nichts passieren. Keine Anrufe, kein Druck, keine Drohungen. Vielleicht. Jedes mal ist es ein offenes Rätsel. Wird es passieren oder nicht? Dies ist die große Frage für JournalistInnen in unserem Land. Jedes Mal stellen wir uns diese Frage und jedes Mal springen wir ins Ungewisse, wenn wir auf „Veröffentlichen“ klicken. Was wenn es „dort“ jemandem nicht gefällt?
Deswegen heißt diese Kolumne so. „In Erwartung der Folgen“. Das Stück „Pressefreiheit in Usbekistan“ besteht aus zwei Akten. Der erste Akt: „Das Werk“. Der zweite Akt: „In Erwartung der Folgen“. Der Schaffensprozess in Usbekistans unabhängigen Medien ist heute frei und das ist zweifellos ein Fortschritt. Aber das Damoklesschwert des zweiten Aktes hängt immer noch über den JournalistInnen.
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Welche Folgen kann es geben? Ganz nach Belieben. Vom Telefonanruf mit der Forderung zu „löschen“ oder „nachzubessern“ bis hin zu direkten Bemerkungen, dass das menschliche Leben nicht ewig währt. Fühlen sich JournalistInnen in Usbekistan sicher? Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich tue es nicht.
Schützt uns das Gesetz? Ja, in der Theorie. Aber allen, die bei der Gerichtsverhandlung gegen den Journalisten Bobomurad Abdulajew im Mai 2018 anwesend waren, war klar: Hier geht es nicht ums Gesetz. Dies ist eine Abrechnung. Die Anschuldigungen waren absurd. Und zum Glück hat letztendlich die Gerechtigkeit gesiegt.
Null. Das ist die Anzahl der 2019 in Usbekistan ermordeten JournalistInnen, BloggerInnen und MitarbeiterInnen von Medien. Diese Statistik führt die Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Diese Null gefällt mir sehr. Ich liebe sie. Möge sich dieser Zähler niemals bewegen. Ich wünsche all meinen KollegInnen in Usbekistan, dass sie niemals Teil dieser Statistik werden.
Aber wir wissen es nicht… Plötzlich haut jemand in einem hohen Büro mit der Faust auf den Tisch und sagt: „Das war´s! Das Spiel ist aus. Schnappt sie euch alle!“ Ich kenne einige Beamte, die mit offenem Hass unsere Arbeit beobachten und sehr davon träumen, dass „alles so wie früher“ wird. Ich hoffe, dass diese Träume in ihrem unruhigen Schlaf bleiben.
Rot und schwarz
Trotz aller Schwierigkeiten: Der Fortschritt ist in Gange. Dieses Jahr sind wir „errötet“. Im World Press Freedom Index für 2019 sind wir einige Plätze nach oben geklettert und haben die Pressefreiheit in Usbekistan hat sich von „sehr ernst“ zu „schwierig“ verbessert. Ich spüre hier meinen Beitrag und den Beitrag aller KollegInnen; ich spüre die Folgen des politischen Willens der Staatsführung – die Befreiung inhaftierter JournalistInnen, die Öffnung des Landes für die ausländische Presse. Dennoch sind wir auf Platz 160 von 180. Immerhin noch zwanzig Plätze vor Turkmenistan.
Ich schaue mir die Karte an und komme zu einem offensichtlichen Schluss. Pressefreiheit wirkt sich direkt auf die Lebensqualität der Bevölkerung aus. Die gelben und weißen Länder sind die Orientierungspunkte, die Leuchttürme unseres Planeten.
Pressefreiheit und die Freiheit des Wortes garantieren, dass die Meinung eines jeden Gehör findet. Ohne Diskussion stagniert der politische Gedanke und verfällt. Es gibt keine PolitikerInnen, die nur richtige Entscheidungen treffen. Alle müssen sich beraten, sich Zweifeln und kritischen Analysen unterziehen.
Ohne Pressefreiheit sind Transparenz und Kampf gegen Korruption nicht möglich. Der Weg der Korruption führt nur in eine Richtung – in einen gescheiterten Staat. Und wie es um die Korruption steht, wissen Sie selber ganz genau.
Während wir aufgestiegen sind, sind andere abgestiegen. Sie werden sich wundern, aber die USA sind von den „gelben“ zu den „orangen“ Staaten übergegangen. Eine der ältesten Demokratien der Welt hat derzeit ernste Probleme in Bezug auf die Pressefreiheit. Vieles hängt mit der Politik Donald Trumps zusammen, der in bester Tradition Josef Wissarionowitsch Stalins JournalistInnen als „Feinde des Volkes“ bezeichnet.
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Übrigens geben die weltweiten Tendenzen keinen Grund zu Optimismus. Weltweit verschlechtert sich die Situation der Pressefreiheit Schritt für Schritt. Es scheint, als haben die „alten Demokratien“ vergessen, wofür ihre Werte stehen. Derweil wird in vielen „unfreien“ Ländern die Situation immer angespannter. Laut dem Bericht Freedom in the World 2019 von Freedom House, hängt die ganze Welt das dreizehnte Jahre in Folge über dem Abgrund.
Vor dem Hintergrund der globalen Ereignisse scheint Usbekistan mit seinen Reformen und dem „Tauwetter“ wie eine erstaunliche, einzigartige kleine Insel. Und wie ein großes Experiment.
Steine unter der Wasseroberfläche
Was behindert unsere Arbeit? Was hindert uns daran im Rating orange oder sogar gelb zu werden? Ich sage meine Meinung, gebe aber auch meinen KollegInnen das Wort.
Sicherheit. Wir müssen sicher sein können, dass man uns wegen unserer Arbeit nicht verfolgt. Bisher gibt es diese Sicherheit nicht. Dialog mit den staatlichen Organen. Abgesehen von wenigen löblichen Beispielen haben viele Behörden Pressedienste, die dem Fortschritt nicht gerecht werden. Wir brauchen Respekt von Seiten der Staatsorgane und schnelle Reaktionen – das ist im Interesse unserer LeserInnen. Einstellung jedweden Drucks auf Medien wie auch auf JournalistInnen.
Schutz unserer Rechte. Wir brauchen eine zurechnungsfähige, unabhängige Union der JournalistInnen, die hinter uns steht. Anstelle dieser Gewerkschaftsparodie, die momentan existiert. In meinem Umfeld gibt es niemanden, der dort Mitglied werden würde. Diese Gewerkschaft hat weder 2018 noch 2019 das Wort ergriffen, wenn es um die Verteidigung unserer Rechte ging. Alle Skandale gingen an ihr vorbei.
Kein blockierter Zugang zu Medien. Dieser Frage hat sich vor nicht langer Zeit die OSZE angenommen. Ein klarer und einfacher Mechanismus zur Akkreditierung ausländischer Medien. Bildung – man muss die Jugend nicht lehren „was“ man schreibt und „wen“ man preist, sondern „wie man schreibt“.
Aus dem Reich der Fantasie: eine Reform der staatlichen Medien (genauer gesagt – der öffentlich-rechtlichen Medien), die sich aus dem Staatshaushalt finanzieren. Sie entsprechen nicht den Interessen der LeserInnen. Die Propaganda-Mechanismen und Manipulationen, die immer noch von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern und Zeitungen verwendet werden, ekeln das Auditorium an. Angemessene nationale Wettbewerbe, anstelle des undurchsichtigen „Oltin Kalam“ (ein usbekischer JournalistInnen-Preis, Anm. d. Ü.) mit einer unbekannten Jury und einem fragwürdigen Entscheidungsmechanismus.
Das sagen die KollegInnen
Lola Islamowa, Chefredakteurin von Anhor.uz
„Antworten auf Anfragen sind teilweise nur nichtssagende Schreiben. Keine Transparenz, keine offengelegten Daten. Und dies ist das wichtigste Instrument des modernen Journalismus. In den fünf Jahren bei Anhor.uz bin ich nicht auf Zensur gestoßen, aber täglich stoße ich auf die Selbstzensur von Beamten, ÄrztInnen, LehrerInnen, IngenieurInnen, BauarbeiterInnen, Geschäftsleuten. Das niedrige Bewusstsein für Zivilgesellschaft – „nicht für den Druck“, „nur unter uns“. Das stört nicht nur, das lähmt.“
Alischer Asimow, Chefredakteur von Daryo.uz
„Garantierte Transparenz. Abgesehen von Staatsgeheimnissen, die in einer Liste veröffentlicht werden müssen, muss alles diskutiert werden dürfen. Die Gesetze müssen für alle gleich sein, ohne doppelten Standard. Alle strittigen Fragen in Bezug auf die Materialien von JournalistInnen dürfen nur von unabhängigen Gerichten entschieden werden.“
Andrej Kudrjaschow, Korrespondent von Fergana-News
„Die panische Angst der Beamten vor der öffentlichen Meinung stört. Es stört, dass verantwortliche Personen auf verschiedenen Ebenen in den Versuchen der JournalistInnen eine Frage öffentlich zu besprechen, feindliche Umtriebe sehen, die die Staatsmacht und die Gesellschaft destabilisieren sollen.“
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Sascha Iwanjuschenko, Autorin des Telegram-Kanals Insider.uz
„Es stört das fehlende Verständnis von Seiten der Staatsmacht, dass es ein Konkurrenzverhältnis ist – entweder du redest oder du beißt dir auf die Zunge und die JournalistInnen erfahren es nicht. Es stört die nachträgliche Änderung. Löschen sie dies, löschen sie das. Du machst das Zugeständnis, um die guten Beziehungen nicht aufs Spiel zu setzen. Die zu enge Stadt. Zu viele FreundInnen. Zu viele Gedanken, um hier zu leben.“
Feruschan Jakubchodschajew, Autor des Telegram-Kanals Beobachtungen unter der Platane
„Mich persönlich stören die dummen und unbegründeten Verbote. Das wichtigste Verbot ist das der Drohnennutzung. Wir haben ein wundervolles Land und sehr schöne Natur und Landschaften. Alles redet über die Erhöhung des touristischen Potenzials des Landes und dabei werden enttäuschende Verbote erlassen.“
Ewgenija Grande, Korrespondentin von Novosti Usbekistana
„Die schlechte Arbeit einzelner Pressedienste stört eindeutig. In einigen Behörden hat sich die Arbeit in den letzen zwei Jahren nicht verbessert. Manchmal werden die Antworten auf Fragen von JournalistInnen den ganzen Tag oder sogar eine Woche vorbereitet und abgestimmt. Die Aktualität geht verloren. Ein weiteres Problem besteht meiner subjektiven Meinung nach im Mangel an qualifiziertem Personal in unserer Branche.“
Schuchrat Latipow, Korrespondent von Gazeta.uz
„Mich stört nichts beim Schreiben. Aber ich bin als Fotojournalist mit Problemen konfrontiert. Bis jetzt wurde noch keine Liste mit Objekten ausgearbeitet, die man nicht fotografieren und auf Video aufnehmen darf. Bis jetzt versuchen MitarbeiterInnen der Sicherheitsorgane Fotoaufnahmen zu stören. Wenn ich damit konfrontiert bin, ist das sehr unangenehm für mich.“
Dies sind die Meinungen an diesem Internationalen Tag der Pressefreiheit. Es war Zeit die Steine unter der Wasseroberfläche, über die die JournalistInnen stolpern, zu verteilen. Nun ist es an der Zeit sie wegzuräumen.
Ich gratuliere noch einmal allen KollegInnen und all unseren LeserInnen zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Ich bin froh, dass die UsbekistanerInnen ab dem Morgen die Seite „Gazeta.uz“ öffnen und die Wahrheit über unser Land erfahren. Nachrichten haben in Usbekistan aufgehört ein Synonym für „Schwindel“ zu sein. Möge alles noch besser werden.
Wir klicken auf „Veröffentlichen“.
Und warten auf die Folgen.
Nikita Makarenko auf Gazeta.uz
Aus dem Russischen von Robin Roth
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