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Der Bürgermeister von Taschkent droht Journalisten mit dem Tod

Der Bürgermeister von Taschkent, Jahongir Ortiqxoʻjayev, sprach Journalisten des unabhängigen Mediums Kun.uz eine Todesdrohung aus. Die Behörden erklären den Skandal rund um seine Äußerungen zwar mittlerweile als geklärt, er könnte aber dennoch einen Wendepunkt für die Pressefreiheit im Land bedeuten.   

Der Bürgermeister von Taschkent Jahongir Ortiqxoʻjayev
Der Bürgermeister von Taschkent Jahongir Ortiqxoʻjayev (hier im Dezember 2018)

Der Bürgermeister von Taschkent, Jahongir Ortiqxoʻjayev, sprach Journalisten des unabhängigen Mediums Kun.uz eine Todesdrohung aus. Die Behörden erklären den Skandal rund um seine Äußerungen zwar mittlerweile als geklärt, er könnte aber dennoch einen Wendepunkt für die Pressefreiheit im Land bedeuten.   

Die Beziehungen zwischen dem Bürgermeister der usbekischen Haupststadt Taschkent und den Journalisten des unabhängigen Mediums Kun.uz haben einen Tiefpunkt erreicht. Jahongir Ortiqxoʻjayev drohte Journalisten ausdrücklich mit dem Tod, ehe er später eine Versöhnung mit ihnen auf sehr offizielle Weise inszenierte.

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Wie das auf Zentralasien spezialisierte russische Onlinemedium Fergana.ru erklärt, wurde der Skandal durch die Veröffentlichung einer Audioaufnahme in Medien und sozialen Medien am 16. November ausgelöst. Darauf ist ein Treffen  zwischen Bürgermeister Ortiqxoʻjayev und den Journalisten Rahmatilla Israilov, Sherzod Egamberdiyev und Baxodir Axmedov zu hören.

Das Treffen fand bereits im August am Folgetag eines Konflikts zwischen den Journalisten und Abdurasul Vaxabov, dem stellvertretenden Leiter des Taschkenter Bezirks Almazar statt. Wie damals Gazeta.uz berichtete, hatte Vaxabov die Journalisten bedroht und ihre Videoausrüstung beschädigt, während sie eine seiner Diskussionen filmten. Bei dem anschließenden Treffen versuchte der Hokim (Bürgermeister) von Taschkent zunächst zu diskutieren, ehe er zu expliziten Morddrohungen überging.

Auf der Aufnahme hört man eine Stimme, die der des Bürgermeisters ähnlicht ist: „Sie schreiben über meine Fabriken, nennen sie ein Monopol. Aber für 10.000 Dollar würden sie anfangen, ihnen Loblieder zu singen. Wer sind sie? Wer sind sie? Sie sind die letzten Kreaturen! […] Ich kann dafür sorgen, dass die Mahalla (usbekisch, hier für Nachbarschaft, Anm. d. Red.) euch nicht mehr akzeptiert. Eure Nachbarn werden sich schämen, euch zu begrüßen. Ich kann dafür sorgen, dass man sich über eure Eltern lustig macht! Ich kann euch leicht zu Schwulen machen. Es ist einfach! Wir haben doch Meinungsfreiheit! Ich setze euch in ein Taxi mit einem Schwulen und fotografiere euch. Ihr könnt spurlos aus eurem Haus verschwinden, und niemand wird nach euch suchen! Ich werde es nicht tun. […] Deshalb ist es besser, mit uns zu arbeiten und uns zu helfen.

Die usbekischen Medien Gazeta.uz und Kun.uz veröffentlichten später die Vollversion der Aufnahme, die zuvor um einige Sätze gekürzt war. Dies ändert nichts an den unverschleierten Bedrohungen, auch wenn „Ich werde es nicht tun“ aus der ersten Version geschnitten wurde. Die gekürzte Version der Aufnahme wirft jedoch die Frage auf, ob jemand dem Bürgermeister von Taschkent einen Monat vor den wichtigen Parlamentswahlen politisch Schaden möchte.

Starke Reaktionen der Zivilgesellschaft und der usbekischen Behörden

Die Veröffentlichung der Aufnahme traf auf eine große Resonanz in sozialen Netzwerken. Die dem Präsidenten unterstehende Agentur für Masseninformationen und -kommunikation appellierte an den Generalstaatsanwalt und das Justizministerium. Der Leiter des Pressedienstes der Agentur Hikmatilla Ubaidullayev erklärte, solche Aussagen über Journalisten seien unannehmbar. Die Staatsanwaltschaft teilte daraufhin mit, dass sie den Fall prüft. Die Verwaltung von Taschkent hat auch eine Arbeitsgruppe zur Analyse der Situation eingerichtet.

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Durch die Ausmaße des Skandals drängte der politische Druck die Geschäftsleitung von Kun.uz am 17. November zu einem Treffen mit dem Bürgermeister von Taschkent. Vertreter der Zeitung baten im Anschluss nicht mehr über den Fall zu schreiben, damit „verschiedene politische Kräfte und einzelne Persönlichkeiten die Situation nicht für ihre eigenen Interessen“ instrumentalisieren. Das Bürgermeisteramt hat jedoch nicht geleugnet, dass der Bürgermeister die Morddrohungen tatsächlich ausgesprochen hat.

Die einflussreiche Kommunikations- und Informationsagentur der usbekischen Präsidialverwaltung, die seit ihrer Gründung die Meinungsfreiheit im Land anführen will, hat daraufhin einen eindeutigen Text auf der Facebook-Seite ihres Direktors veröffentlicht: „Die Agentur fordert Blogger und Journalisten auf, die Ergebnisse des Treffens des Hokim der Hauptstadt mit Kun.uz-Mitarbeitern zu berücksichtigen und dieses Thema nicht weiter zu übertreiben.“ Eine der Leiterinnen der Agentur ist Saida Mirziyoyeva, die Tochter des usbekischen Präsidenten Shavkat Mirziyoyev.

Der Bürgermeister von Taschkent: Ein unantastbarer Teil des Mirziyoyev-Systems?

Dass dieser Fall so schnell vertuscht wird, wirft Fragen auf. Ortiqxoʻjayev ist einer der einflussreichsten Handlanger des usbekischen Präsidenten geworden, seitdem er im Mai 2018 zum Bürgermeister der Hauptstadt ernannt wurde. Er stand für eine neue Generation junger und geschäftstüchtiger Politiker, die nicht aus den Regierungskreisen des ehemaligen Präsidenten Islom Karimov (1989-2016) stammten. Gleichzeitig wurde er aber für seine Einstellung und seine zahlreichen Interessenkonflikte heftig kritisiert und steht im Mittelpunkt der Kritik an dem vom Präsidenten vor mehr als zwei Jahren eingeführten Regierungssystem.

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Der Bürgermeister von Taschkent hatte jedoch immer die volle Unterstützung des usbekischen Präsidenten, der ihn in dieses Amt berufen hat. Mirziyoyev wird sich kaum seines treuesten politischen Verbündeten berauben, zumal dieser einen großen wirtschaftlichen Einfluss hat. Ortiqxoʻjayevs Firmen bilden zusammen die einkommensstärkste Gruppe des Landes. Wie Fergana.ru kommentiert, „würde ein solcher Skandal in jedem anderen Land die Frage des Rücktritts des Bürgermeisters aufwerfen, der solche Drohungen ausgesprochen hat. Nicht aber in Usbekistan„. Dies zeige den tatsächlichen Stand der Meinungsfreiheit im Land.

Das Ende der Öffnung für die Meinungsfreiheit in Usbekistan?

Es kann nur einen Sheriff in einer Stadt geben. Entweder Journalisten, Recht und Ordnung oder ein Hokim, der ihnen mit Mord droht. Zusammen können sie nicht koexistieren„, schrieb der Journalist und Aktivist Nikita Makarenko am 18. November auf seinem Telegramkanal. „Ich halte es für unangebracht, darum zu beten ‚das Thema nicht zu übertreiben‘ und zu versuchen, diesen Konflikt auf einen einfachen ‚Parteienkonflikt‘ zu reduzieren.

Laut Makarenko kann sich im Gegensatz zu den Aussagen des Kun.uz-Managements „derzeit keiner von uns (Journalisten) in Taschkent sicher fühlen„. Er sieht in dem Skandal einen entscheidenden Moment, denn wenn der Taschkenter Hokim mit diesen Morddrohungen gegen einen Journalisten ohne Schaden davonkommt, bedeutet das das Ende des „derzeitigen Versuchs, die Meinungsfreiheit in Usbekistan durchzusetzen„.

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Wie Makarenko weiter erläutert, haben zwei der am Fall beteiligten Journalisten, darunter derjenige, der die Morddrohungen erhalten hat, Kun.uz nach dem Treffen zwischen der Medienleitung und dem Bürgermeister von Taschkent verlassen. Dies wirft Fragen nach der Kontinuität von Kun.uz auf, das seit zwei Jahren als das freieste Medium des Landes galt. Makarenko vergleicht die Situation mit der Schließung des Fernsehsenders NTV im Jahr 2005.

Internationale Anliegen

Die internationalen Reaktionen wurden auf Twitter ausgedrückt. Zunächst war es der englische Botschafter in Usbekistan, Tim Torlot, der seine Besorgnis über die Situation der Pressefreiheit im Land zum Ausdruck brachte. Harlem Désir, Sonderbeauftragter für Pressefreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), äußerte sich ebenfalls besorgt über den Fall. Die Delegation der Europäischen Union in Usbekistan teilte in einer Erklärung auch ihre Besorgnis über die Bedrohung von Journalisten.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass das Rathaus von Taschkent weitere Reaktionen zeigen wird, als die gemeinsame Erklärung mit dem Management von Kun.uz.

Die Redaktion von Novastan

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